Was lest ihr gerade?

  • Moin, Moin!


    Vom Barchester-Zyklus gibt es sechs Romane mit einer deutsche Editionspraxis, die bei mir Verwirrung auslöst. Schon beim vierten Band (Framley Parsonage / Das Pfarrhaus Framley) hapert's. Es gibt elektronische Ressourcen aus einem Norderstedter Verlag namens Hansebooks GmbH, wobei bei der DNB lediglich die Teilbände 3, 4, 5 und 6 verzeichnet sind. Die Romane 5 (The Small House at Allington) und 6 (The Last Chronicle of Barset) scheinen überhaupt noch nicht im Deutschen erschienen zu sein und überhaupt insgesamt wenig vom Werk Trollopes. Glücklich derjenige, der sie im Original zu lesen vermag.

  • Ja, das war auch wieder so ein Rohrkrepierer von Manesse. Nach den Barchester Towers war mit der Ausgabe der Barchester-Novels schon wieder Schluss. Früher gab es wohl mal auch eine Ausgabe von Dr. Thorne. Ist aber nur noch antiquarisch zu erhalten.

  • Ich habe die beiden ersten Bände des Barchester-Zyklus in der Bibliothek, habe sie auch mal vor vielen Jahren gelesen. Ich kann mich aber nicht mehr an den Inhalt erinnern. Ich glaube, es geht eher um das Millieu der wohl fiktiven Kirchenstadt Barchester und ihre Figuren.

    „Seit ich die deutsche Sprache kenne, träume ich nicht mehr davon die Welt zu verändern. Ich habe nur noch ein Ziel im Leben: Ich will diese Sprache erneuern.“ Abbas Khider

  • Christa Wolf: Nachdenken über Christa T.


    Letzte Woche las ich in einem Text von H. Luther zu 'Identität und Fragment' ein Zitat von Christa Wolf, das in mir sofort den Wunsch auslöste, wieder etwas von ihr zu lesen. Hinzu kam meine Lektüre von Susanne Kerckhoffs 'Berliner Briefen' - auch dieses Buch beleuchtet ja die Zeit der entstehenden und frühen DDR. Nun also Christa Wolf. Es ist wirklich eine Freude, diese Prosa zu lesen. Dieser Klugheit zu folgen. Und auch ein wenig Wind der Geschichte zu spüren.

  • Als das "Nachdenken über Christa T." 1968 erschien, gingen die wenigen Exemplare von Hand zu Hand, wurden ausgeliehen und sogar mit der Schreibmaschine abgeschrieben. Meine Eltern, vom gleichen Geburtsjahrgang wie Christa Wolf und im Volksbildungswesen der DDR tätig, konnten eines erwerben, das heute noch in meiner Bibliothek steht.


    Man kann sich heute die damalige ungeheuere Wirkung nur schwer vorstellen. Ich las das Buch im Alter von 13 Jahren, habe sicher nicht alles verstehen können, war aber aufgewühlt, wie von keinem anderen Buch der Gegenwartsliteratur. Schwere Krankheit und Tod waren Tabuthemen in der DDR, es gab keine Ratgeberliteratur dazu, wie erst nach 1990. Daher ist es verständlich, dass Christa Wolf körbeweise Zuschriften von Lesern, in der Mehrzahl Frauen, erhielt, die sie um ihren Lebensrat baten und ihr aus dem eigenen Leben erzählten. Auch die aus Österreich stammende Maxie Wander erzielte später mit ihren authentisch (Tonband) aufgezeichneten Lebensgeschichten von Frauen ("Guten Morgen, du Schöne") eine solche Wirkung, die Grenzen von Schreibkunst und Dokumentaristik verschwammen.


    Der sozialistische Held hatte im Kampf für die gerechte Sache der Arbeiterklasse sein Leben hinzugeben, was aber in diesen Zeiten eher die Ausnahme gewesen sein dürfte und sich im Ausland oder in der Vergangenheit abspielte. Anna Seghers ließ einen jungen Genossen in einem ihrer Gegenwartsromane, der eher kaum gelesen wurde, früh an einem Herzinfarkt sterben, den mein damals 29jähriger Vater auch just zu der Zeit erlitt, als Anna Seghers bei uns zu Hause auf Besuch war und von mir 5jährigem stolz durch den Dom und zur Großen Glocke Gloriosa von 1497 geführt wurde.


    Aber die gleichnamige Heldin des Romans von Christa Wolf litt nicht nur an ihrer Krankheit, sondern auch an den Zuständen bei uns. Gegen den Einmarsch der Streitkräfte des Warschauer Vertrages in die Tschechoslowakei im gleichen Jahr, am 21. August 1968, protestierten nur die, die ohnehin schon Zweifel am System hatten. Wir glaubten damals, kein Westfernsehen zu Hause sehend, dass die Tschechoslowakei Gefahr lief, vom westdeutschen "Revanchismus" (sudetendeutsche Landsmannschaften unter Becher) vereinnahmt zu werden, der den Besitz der Vertriebenen wiederhaben wollte, weil das die einzig zugängliche Propaganda von Partei und Regierung (heute gibt es ja zum Glück viele alternative Medien) so verkündete.

    Christa Wolf hütete sich, hier offiziell Stellung zu beziehen, als Autorin war sie in ihren Ansichten damals kaum von ihrer Heldin Christa T. zu unterscheiden, wie auch die Ansicht in der Parteiführung, den Zensurbehörden und in den Schulen der DDR nicht verbreitet war, dass man zwischen Autoren-Ich und Helden-Ich zu unterscheiden hätte. Manchen Schriftstellern wurde das in politisch aufgeheizter Situation zum Verhängnis. Dass sich Christa Wolf seit den 1970er Jahren immer mehr der Antike (Kassandra, Medea) und mit ihrem Mann Gerhard der Romantik (Die Günderrode, Heinrich Kleist) zuwandte, war insbesondere im Zusammenhang mit der Biermann-Ausbürgerung im November 1976 kein Zufall, sie konnte einfach keine Gegenwartsromane mehr schreiben, ohne den von ihr nicht gewollten Umweg über die Medien des Westens gehen zu können und zu wollen (was sie später mit ihren eher konspirativ verhüllten Texten dennoch tat).


    1974 erschien dann die "Franziska Linkerhand" (1981 Verfilmung als "Unser kurzes Leben" (!) von Brigitte Reimann (1939-1993) und fand wieder eine ungeheuere Resonanz in breitesten Schichten der Bevölkerung, während Irmtraud Morgner meines Erachtens nur in bestimmten Intellektuellenkreisen gelesen wurde.

  • Zitat

    ...als Autorin war sie in ihren Ansichten damals kaum von ihrer Heldin Christa T. zu unterscheiden...

    Ja, Karamzin, das ist beim Lesen jetzt auch meine Erfahrung, dass ich immer wieder diese Christa T. für Christa W. halte oder doch stark den Eindruck habe, hier spreche eine Frau von sich selbst - wie könnte sie auch all das über die Freundin wissen. Dieses Spiel treibt die Autorin wohl ganz bewusst mit uns.


    In jedem Fall finde ich ungeheuer stark - und das sage ich als Leser des Jahres 2020, der keine DDR-Jugend erlebt hat - wie Christa Wolf es schafft, durch ihre Konzentration auf die Einzelne, das Individuelle, die Spannungen des Gesellschaftlichen zu vermitteln, ohne sie explizit zu benennen. Das hätte zum einen sicher den Text nicht durch die Zensur kommen lassen, aber zum anderen ist das auch nicht ihr Thema. Sie schreibt eben keinen Gesellschaftsroman. Und genau das macht ihre Prosa dann auch wiederum so gültig und zeitlos.


    Hach!

  • Und, ich denke, es war in1888, las Christa Wolf aus ihrem Roman einem Auditorium vor, von dem nicht viele sie verstehen konnten. Die, in der ausländischen Germanistik wenig übliche Disziplin, "DDR_Literatur", musste wenige Jahre später aus bekannten Gründen eingestellt werden

    „Seit ich die deutsche Sprache kenne, träume ich nicht mehr davon die Welt zu verändern. Ich habe nur noch ein Ziel im Leben: Ich will diese Sprache erneuern.“ Abbas Khider

    Einmal editiert, zuletzt von Leseigel ()

  • Christa Wolf tastete sich immer wieder vor: wie weit kann ich jetzt gehen ? und folgte dabei doch ihren Impulsen. Dabei ging es ihr in erster Linie um ihr eigenes Empfinden, sie schielte beim Schreiben nicht auf das Publikum, ihr wichtigstes Korrektiv war ihr Mann Gerhard.

    Sie war die Impulsivere von beiden, die sich immer wieder bremsen musste, er der Überlegte, der wusste, dass sich ihr Talent zwar letztlich durchsetzen würde, aber vor Fallstricken warnen musste.

    In den Jahrzehnten nach der Wende las ich ihren ganzen publizierten Briefwechsel, ihre Tagebücher, von kaum einer Schriftstellerin ist in den Jahrzehnten mehr bekannt geworden, als von Christa Wolf. Und so wuchs auch das Verständnis: ein paar Ordner aus den 1960er Jahren, in denen sie einige Berichte an die Stasi lieferte, die letztlich nicht von Belang waren, standen Meter von Akten über die Beobachtung des Ehepaares, das jahrelang bis in intime Bereiche ausgespäht wurde, gegenüber. Vor ihrem Haus stand das Auto mit den Spähern. Günter Gaus, ehemaliger Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in Ostberlin, hat sie später vor ungerechtfertigen Anwürfen in Schutz genommen.

    Christa Wolf hat jahrzehntelang immer ihr riesiges Publikum gehabt, kritische ästhetische Betrachtungen von Ulrich Greiner oder Marcel Reich-Ranicki, der freilich den Kommunismus aus eigenem Erleben kannte, hin oder her.


    Es ist alles vorbei. Hätte sie geahnt, dass sich Deutschland im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wieder in einer derartigen verfahrenen, viel trostloseren Situation wiedergefunden hätte ...

  • Ich lese gerade von Marcel Reich-Ranicki "Meine Geschichte der deutschen Literatur".


    Auf diese Weise will ich mir Inspiration für meine nächsten Bücher holen.


    Neben diesem Sachbuch hab ich heute mit den Dämonen begonnen von Dostojewski. Die Diskussionen in diesem Thread haben mich dazu veranlasst. Mal sehen ob ich es diesmal schaffe einen russischen Autor zu beenden.

  • Wie ist das nun, wenn man einen ungeborenen Erzähler vorgesetzt bekommt, der, statt sich bescheiden in seine Gebährmutter zurückzuziehen, sich wie ein Doktor in Geisteswissenschaften oder zumindestens in Psychologie aufführt, sich auch Zitate auf Deutsch und Latein erlaubt, sich weiter als einen guten Weinkenner ausgibt und auch sonst erhebliche Weissheiten vom Stappel lässt?


    Dass der angehende Kleine seine Bildung den vielen Radioprogrammen zuspricht, die seine nicht gerade gebildete Mutter während den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft anhört, ist eigentlich nicht so überzeugend. Wenn dem so wäre möchte man doch gleich ein passendes Hörprogramm für schwangere Mütter entwerfen, und die Ausbildung zum Doktor auf die Kita verlegen.


    Sei wie dem sei, Angehendes Baby ist nicht der glaubhafteste Erzähler, den man sich vorstellen könnte. Und doch kann man das Buch nicht aus der Hand legen.


    Denn, ob es nun befremdend ist oder nicht, irgend jemand hat schon mal gesagt:"Etwas ist faul im Staat Dänemark". Und daran hat sich eigentlich nichts geändert, selbst wenn man gar nicht in Dänemark wohnt.


    Nussschale (im Original Nutshell), ist ein Roman von 2016 von Ian McEwan (besonders bekannt für den Roman und den nach ihm gedrehte Film Abbite). Die etwa 100 Seiten bieten mit ihrem makabren Humor köstliche Unterhaltung.

    „Seit ich die deutsche Sprache kenne, träume ich nicht mehr davon die Welt zu verändern. Ich habe nur noch ein Ziel im Leben: Ich will diese Sprache erneuern.“ Abbas Khider

    2 Mal editiert, zuletzt von Leseigel ()

  • Ich bin gerade fertig geworden mit dem zweiten "modernen" Buch auf meiner diesjährigen Leseliste, "Ein Nashorn für den Papst" von Lawrence Norfolk. Es war schon die Zweitlektüre, ich habe das Buch im alten Jahrtausend schon einmal gelesen. Vermutlich habe ich von dem sehr verwickelten Plot damals einiges nicht verstanden, jedenfalls kam mir beim zweiten Lesen einiges neu vor. Norfolk stützt sich auf eine Anekdote über den Papst Leo X., die bei Wiki nachzulesen ist: Der Papst hatte in seinen Gärten im Vatikan einen Elefanten namens "Hanno", ein Geschenk des portugiesischen Königs. Als Gefährten für Hanno ließ der König dem Elefanten ein Nashorn folgen, das aber die Seereise nicht überlebte und dem Papst in ausgestopfter Form übergeben wurde. Norfolk strickt um diese Episode einen Roman mit über 800 eng bedruckten Seiten, lässt eine Vielzahl von Personen auffahren und bombardiert den Leser mit derart vielen Seitensträngen und Einzelheiten, dass es schwer fält, den Hauptfaden im Blick zu behalten. Das erste Kapitel mit dem Schauplatz Usedom ist vergleichsweise beschaulich und ernsthaft, das zweite und längste Kapitel mit dem Schauplatz Rom dagegen in einem, wie ich finde, stellenweise unangenehm flapsigen Ton geschrieben (ausführliche Sexszenen, ein Spuckwettbewerb u.ä. werden in allen Einzelheiten ausgebreitet). In der Folge geht es auf eine Seereise zum Zweck des Nashornfangs; hier wird es wieder ernsthafter, der Ton mehr lyrisch bis märchenhaft. Ein neues Wimmelbild von Rom (Ablieferung des ausgestopften Nashorns) schließt sich an, bis wir wieder in Usedom ankommen.

    Ich würde es nicht gerade ein tolles Buch nennen - meiner Meinung nach ist es wirklich zu lang -, aber es hat viele schöne Momente und lesenswerte Szenen. Was es nicht hat, ist eine richtige Sympathiefigur. Eigentlich sind fast alle Personen irgendwie überkandidelt bis völlig hysterisch.

  • Ich bin gerade fertig geworden mit dem zweiten "modernen" Buch auf meiner diesjährigen Leseliste, "Ein Nashorn für den Papst" von Lawrence Norfolk. Es war schon die Zweitlektüre, ich habe das Buch im alten Jahrtausend schon einmal gelesen. Vermutlich habe ich von dem sehr verwickelten Plot damals einiges nicht verstanden, jedenfalls kam mir beim zweiten Lesen einiges neu vor.

    Vor Urzeiten las ich einmal "Lemprières Wörterbuch" vom gleichen Autor, das dazumal sehr gehypt wurde. ich weiß nur noch, dass die Handlung geheimnisvoll und chaotisch war, dass die Handlungsstränge auch nicht zu meiner Leserzufriedenheit aufgelöst wurden und dass das Ganze eine Unmenge Wissenswust enthielt. War schwierig zu lesen, manchmal aber auch interessant. Also ein ähnlicher Leseeindruck, wie du ihn mit dem anderen Roman gehabt hast.



    Und ich beginne heute mit der dicken Schwarte von Dumas père "La reine Margot", zu deutsch "Die Bartholomäusnacht", das zweite Werk von meiner diesjährigen Wettbewerbsliste. Der Wallenstein folgt dann im August/September"

  • Zitat

    Und ich beginne heute mit der dicken Schwarte von Dumas père "La reine Margot", zu deutsch "Die Bartholomäusnacht",

    Da habe ich vor etlichen Jahren gelesen, unter dem Eindruck der großartigen Verfilmung mit Isabelle Adjani und Vincent Perez. Mach Dich auf pralles Lesefutter gefasst. 8)

  • Wenn Dich das Thema interessiert, empfehle ich auch Heinrich Manns Bücher über Henri IV. Das ist zwar ein gewichtiger Brocken Literatur - ganz anders als Dumas -, aber sehr interessant und eigenwillig geschrieben. Ich bin darauf gekommen, als ich Wolfram Fleischhauers Roman "Die Purpurlinie" gelesen habe. Fleischhauer vermerkt (soweit ich mich erinnere) ausdrücklich, dass er große Teile des Romans gar nicht selbst geschrieben, sondern aus zeitgenössischen Quellen abgekupfert hat, und seine Charakteristik des Königs speist sich wohl hauptsächlich aus Heinrich Manns Roman, den er als großartiges Werk herausstreicht.

  • Die beiden Teile des Henri IV. waren für mich als Fünfzehn/Sechzehnjährigen eine bevorzugte Lektüre, der in einigen Szenen vorgestellte Michel de Montaigne wurde mein "Leib- und Magenphilosoph" (zentrale Frage des Skeptikers, die auch für Henri wichtig wurde: "Was weiß ich?").

    Das historische Material hatte Heinrich Mann wiederum, wie ich später festellte, der umfangreichen Biographie von Saint-Rene Taillandier entnommen, und er nahm in der Zeit seiner Immigration historische Stätten in Südfrankreich, etwa Schloß Pau, selbst in Augenschein. In diesem Alter war auch das Verhältnis Henris zu den Frauen fesselnd, die er so zahlreich in seine Nähe zog; selbst war für mich besonders die vernünftige Corisande anziehend, und ich bedauerte den als Ermordung dargestellten Tod der schönen Gabriele.


    Der "Henri Quatre" war um 1935 ein historisches Gleichnis. Die Gefahr des aufkommenden Nationalsozialismus, auch faschistischer Bestrebungen in Frankreich selbst, ließ Heinrich Mann zu einem führenden Politiker der "Volksfrontbewegung" in Paris werden, der auch den Kontakt mit Kommunisten nicht scheute, im Gegensatz zu seinem Bruder Thomas. In seinen Erinnerungen "Ein Zeitalter wird besichtigt", die ich ebenfalls las, ist der gleiche Schreibstil mit den Gleichnissen und Überhöhungen zu bemerken, wie im "Henri Quatre". Er gab offen zu, dass er auf die Sowjetunion als Hoffnung im Kampf gegen den Faschismus setzte. Der stalinistische Terror wurde aber, wie bei seinem Freund Lion Feuchtwanger, ausgeblendet und von letzterem schließlich in grotesker Weise legitimiert und verherrlicht.

    Die Liga in Paris als Verkörperung der Unvernunft und des Hasses, die die "Bartholomäusnacht" 1572 herbeiführte, bot sich Heinrich Mann zu Vergleichen mit den Faschisten an, was unhistorisch, ihm als Schriftsteller, der sich in die Auseinandersetzungen seiner Zeit einmischt, aber sicher erlaubt war.


    Als im Frühjahr 1971 sein 100. Geburtstag an der "Heinrich-Mann-Oberschule" begangen wurde, an der ich Oberschüler war, stellte ich eine Gruppe von Schülern zusammen, die Dialogszenen aus dem "Henri" vortrug. "Humanisten müssen streitbar sein". Sie müssen nicht nur lernen, zu dichten und zu schreiben, sondern auch das Reiten und Zuschlagen üben. Die leisen Zweifel, die sich damals bei meiner Lektüre Montaignes und Manns "Untertan" einstellten, bezogen sich zu dieser Zeit aber noch nicht auf das gesamte Gesellschaftssystem in der DDR,


    Nach den Ereignissen von 1989 stellte sich als einer der führenden Kritiker der alten BRD Ulrich Greiner ein. Heinrich Mann wollte 1950 aus Santa Monica ausgerechnet in Die DDR übersiedeln, starb aber kurz zuvor. Dieser Umstand und die Sympathien Manns für die Sowjetunion waren im Hintergrund bemerkbar, als Greiner zu einem Frontalangriff auf Heinrich Mann ansetzte. Etliche seiner Jugendwerke, die weniger bekannt waren als "Der Untertan" (in der DDR unsere Schullektüre) oder der "Professor Unrat", wurden erbarmungslos als schwülstiger Kitsch abgetan (kann ich nicht beurteilen, habe sie nicht gelesen), die natürlich völlig von der Kunst des Bruders Thomas abstachen.


    Alexandre Dumas habe ich zu jener Zeit ebenfalls gelesen. Die Bartholomäusnacht war damals für mich eine Warnung, daran zu denken, was von Propagandisten und Predigern aufgeheizte Menschenmengen in kürzester Zeit anrichten können (hatte damals noch die Ermordung der Hypatia 415 und die "Magdeburger Bluthochzeit" 1631 vor Augen).