Ein Klassikerforumswettbewerb für 2021 - Kommentare und Diskussionen

  • Von Strindberg habe ich "Das rote Zimmer", "Fräulein Julie" und "Totentanz" in meinen Regalen, aber die Werke sind bisher nie in den Fokus meiner Leseinteressen gerückt, warum auch immer. Irgendwie reizten mich die Themen nicht. Und, Zefira, ich besitze die Bücher schon seit meinen Studienzeiten, aber wenn sie noch nicht gelesen sind, was soll's? Dafür viele andere. Da brauchst du dir kein schlechtes Gewissen zu machen.

  • ich besitze die Bücher schon seit meinen Studienzeiten,

    Meine Strindberg-Büchlein sind allesamt von Reclam. Die hab ich vor rund 40 Jahren mal günstig aus einer Grabbelkiste gefischt. Und jetzt lese ich sie. (Oder auch nicht, ich zögere nach der ›Gespenstersonate‹ doch ein wenig - was soll mir das? Sicherlich alles wichtig, alles einflussreich - aber auch alles sehr angestaubt. Na, mal sehen.)

  • Strindbergs ›Pelikan‹ (1908) hab ich dann doch noch rasch gelesen, das ist auch nur ein kurzer 3-Akter, den hat man in einer Stunde gelesen – und das ist schon fast das Beste, was ich über das Stück zu sagen weiß ;-). Es ist halt das übliche: Das Bürgertum ist durch und durch verlogen, alle Lebenszusammenhänge sind pervertiert, alles ist lebensverhindernd, das Personal ist lebensunfähig usw. – Der Titel ist eine Anspielung auf die bekannte frühchristliche Ikonographie: Der Pelikan füttert seine Jungen mit seinem eigenen Blut. Das bezieht sich im Stück auf die Mutter, die natürlich genau das nicht, sondern das glatte Gegenteil tut: sie lebt, in jeder nur denkbaren Bedeutung, auf Kosten ihrer Kinder. – Es ist ermüdend platt und mit dem Holzhammer geschrieben. Vielleicht bin ich mit knapp 60 auch einfach zu alt für solche Stücke, ich könnte mir vorstellen, dass sie mich in jungen Jahren vielleicht beeindruckt hätten.

  • Och, lesen kann man das schon, das liest sich auch unkompliziert weg. Ich frag mich nur, warum man das tun sollte ;-). Die Stücke sind sicherlich für die historische Entwicklung wichtig, und sie dürften für einiges Aufsehen wo nicht Skandale gesorgt haben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts brachte Strindberg wohl einen völlig neuen Ton auf die Bühne – aber heute? Ich weiß ja nicht. Das ist IMHO alles sehr muffig geworden.


    Ich hab noch "Ostern" von ihm auf meiner Liste, aber das lese ich frühstens zu Ostern ;-). Falls ich das nicht überhaupt austausche. Na, man wird sehen.

  • Aber ich such noch eine ganz bestimmte Stelle bei Nestroy, wo es in einem Monolog um winken/gewunkt/gewinkt geht – vielleicht les ich doch mehr und find die Stelle mit etwas Glück wieder …

    Ha, wie der Zufall es wollte, brauchte ich nach Strindberg mal was anderes und habe Nestroys ›Einen Jux will er sich machen‹ (1842) gelesen. Und was lese ich da zu Beginn des 2. Aufzugs? Genau, das hier:

    Zitat

    WEINBERL. O Freund in die öden Gasseln erlebt man allerhand, das is ja grad das Abenteuerliche. Wie oft hab' ich gelesen in die Bücher: »Er befand sich ohne zu wissen wie, in einem engen abgelegenen Gäßchen, plötzlich gewahrt er an der Ecke einen Mann in einen Mantel, ihm war's als ob er ihm gewunken – an der andern Ecke sieht er auch einen Mann, ihm deucht als hätt' er ihm gewinkt, unentschlossen steht er da, er weiß nicht, soll er dem folgen, der ihm gewinkt, oder dem, der ihm gewunken – da öffnen sich plötzlich die Fenster –«

    Ok, es kam nicht in in einem Monolog vor, aber immerhin ;-).


    Ansonsten hat mich meine jetzt rd. 35 Jahre zurückliegende Erinnerung an meine damalige Nestroy-Lektüre nicht getäuscht – er ist wirklich ziemlich komisch. Die Nestroy-typischen satirischer Sottisen sind hier eher selten, aber der ›Jux‹ bietet eine turbulente Handlung mit viel Situationskomik, gegen Ende hat er's dann allerdings sehr eilig, alle Verwirrungen aufzulösen.


    Das Stück war zu Nestroys Lebzeiten neben dem ›Lumpazivagabunds‹ sein erfolgreichstes Stück und auch nach seinem Tod erstaunlich wirkmächtig. Nestroy bearbeitete die Komödie ›A Day well spent‹ (1835) von John Oxenford (der mir gar nichts sagt, seufz, man kennt einfach immer viel zu wenig), die zwar die Grundkonstellation bietet, aber ansonsten recht schematisch sein soll. Nestroy Stück wurde dann von Thornton Wilder 1938 als ›The Merchant of Yonkers‹ bearbeitet, das er 1954 erneut als ›The Matchmaker‹ überarbeitete – und das wiederum war die Vorlage für das Musical ›Hello, Dolly!‹. Und der engl. Wikipedia entnehme ich, dass Tom Stoppard das Stück 1981 als ›On the Razzle‹ übersetzt hat (und dass außer dem ›Jux‹ sein Werkt im angelsächsischen Sprachraum eher unbekannt ist).

  • "gewinkt" und "gewunken" - ich wusste gar nicht (mehr - den "Jux" habe ich vor Jahren mal gelesen, ich glaube auch als Aufführung gesehen), dass Nestroy schon mit den beiden Partizipien gespielt hat. ^^

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Oh, dieses Nestroy-Zitat ist ja so genial ... (prust)
    Meine Mutter, Jahrgang 1922, pflegte übrigens noch zu sagen: "man frug mich". Das fand ich um so außergewöhnlicher, als man heute ja zu sagen pflegt "man hat mich gefragt".

    (Als ich eben schrieb "pflegte", überlegte ich einen Moment, wie die alte Form war; hieß es "pflog" oder "pflag"? Die Form "pflag" kenne ich allerdings nur von Wagner: "Mit Treue pflag ich seiner großen Jugend.")

  • Oh, dieses Nestroy-Zitat ist ja so genial ... (prust)
    Meine Mutter, Jahrgang 1922, pflegte übrigens noch zu sagen: "man frug mich". Das fand ich um so außergewöhnlicher, als man heute ja zu sagen pflegt "man hat mich gefragt".

    (Als ich eben schrieb "pflegte", überlegte ich einen Moment, wie die alte Form war; hieß es "pflog" oder "pflag"? Die Form "pflag" kenne ich allerdings nur von Wagner: "Mit Treue pflag ich seiner großen Jugend.")

    Bei solchen Dingen denke ich immer an eine Stelle bei Tucholsky, in der er sich, jawohl: frug, ob er als Student sein juristisches "Kolleg schund - schand? - schand".

  • Kommt das von "schinden"? So wie finden - fand? fund?

    Ja, genau. Einen Kolleg - eine Vorlesung, oder auch eine Klavierstunde schinden muss in der Tat einmal gebräuchlich gewesen sein. Heinz Erhart spielte übrigens gerne mit solchen alten starken Imperfekten, da boll auch einmal ein Hund, dem ich zuletzt in den "Flegeljahren" einmal begegnete. Den Vogel schossen etwas später dann Gernhard/Bernstein/Waechter in ihrem "Sängerkrieg auf der Wartburg" ab: brimmen, bramm, gebrummen, tandaradei!

  • giesbert

    Das Zitat ist wirklich wunderbar, vielen Dank fürs Teilen!


    JHNewman

    Die Erinnerung spielt einem manchmal Streiche. Ich kann mich nur an kurze Erzählungen von Strindberg erinnern und da auch nur, weil sie Örtlichkeiten beinhalten, die beim Lesen wieder schöne Tage in Schweden ins Gedächtnis rufen, z.B. Ausflüge auf kleine Schäreninseln.

    Ansonsten verbinde ich viele große Namen der Literatur oft automatisch mit Meistern der Filmgeschichte, weil ich mich für das Kino und Film im Allgemeinen genauso begeistern kann. Ich hoffe man verzeiht mir deshalb den einen oder anderen Querverweis. Falls es von Interesse ist, zu Strindberg und Bergman gibt es auf der großartigen schwedischen Webseite der Ingmar Bergman Foundation einen ausführlichen Essay: https://www.ingmarbergman.se/en/universe/strindberg-bergman

  • Ich habe eine Biographie über Edgar Allan Poe von Julian Symons gelesen - in diesem Jahr habe ich einige Biographien auf der Leseliste. Nach eigenem Bekunden war Julian Symons, den ich bisher nur als Autor und Rezensent von klassischen Krimis kenne (er hat eine hochinteressante literaturgeschichtliche Abhandlung über die Entwicklung des Krimis geschrieben) unzufrieden mit den bisher vorliegenden Poe-Biographien, weil sie zu sehr auf das literarische Schaffen Poes fokussieren und zu wenig auf seine Haupttätigkeit, nämlich den Literaturjournalismus. Poe war sein Leben lang bemüht, eine Literaturzeitschrift herauszugeben. Er hat es x-mal immer wieder versucht und scheiterte jedes Mal. Es gab eine Menge Gründe dafür, aber Faulheit zählt nicht dazu. Poe muss, bevor es gesundheitlich endgültig mit ihm bergab ging, sehr viel und fleißig gearbeitet haben.

    An die Biographie schließt sich noch eine Abschnitt über die Wirkung seines Oeuvre an, mit der üblichen psychologischen Würdigung seiner Geschichten, aber das hängt mir inzwischen zum Halse raus (ich habe vor langer Zeit mal Marie Bonapartes Werk über Poe gelesen). Ich habe "Wer war Edgar Allan?" von Peter Rosei angeschlossen - ein sehr originelles Büchlein - und kehre nun zu Mervyn Peake zurück, an dem ich viel Freude habe.

  • Mit Poe habe ich mich schon seit Jahrzehnten nicht mehr beschäftigt, nicht, weil ich ihn nicht mag, sondern weil er irgendwie nirgendwo in meinen Lektüren oder anderen Medien, die ich konsumiere, auftauchte. Damals haben alle die, die in den Siebzigern und Achtzigern groß wurden, natürlich die Langrille des Alan Parson Projects "Tales of Mystery and Imagination" gehört, und in dessen Folge (oder war die Folge die LP?) gab es ja einen regelrechten Poe-Hype, in dessen Zug ich auch seine Erzählungen gelesen habe. Später ist er mir nur noch als einer der Väter des Kriminalromans über den Weg gelaufen. Also danke für die Erinnerung, Zefira.

  • Ich habe mir als Jugendliche eine Poe-Ausgabe mit Illustrationen von Alfred Kubin gekauft, die nach wie vor ein Schmuckstück in meinem Schrank ist (wenig später auch die Ausgabe des Pym in gleicher Aufmachung). Kubins Zeichnungen zu den Büchern werden hier und da heftig kritisiert, aber ich finde sie zum Großteil recht passend.

    (Nebenbei bemerkt, es gibt auch einen phantastischen Roman von Kubin selbst, "Die andere Seite", natürlich auch von ihm illustriert - ich habe eine Paperback-Ausgabe davon. Das Buch kennt kaum jemand, es erschien 1909 und wurde als "Traumstadt" von Johannes Schaaf verfilmt.)

    Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass die Werke Poes so lange und so intensiv nachwirken, obwohl sich literarisch vieles dagegen einwenden ließe. Alan Parsons' Musik zum Beispiel mag ich sehr, und kürzlich habe ich auf Youtube ein Video mit einem Raben gesehen, der am Fenster saß und "nevermore" krächzte. =O:D

  • giesbert : Mach mal und erzähl dann davon. Ich mochte das Buch (habe es wohl irgendwann in den 80ern oder frühen 90ern gelesen), es ist sehr originell, bildhaft geschrieben und hin und wieder scheint ein grimmiger Humor durch.
    Ich kann mich an vieles erinnern, aber im Moment nicht an das Ende. Da es eine Ich-Erzählung ist, muss es wohl so sein, dass der gebeutelte Erzähler irgendwie davon kommt - wie könnte er sonst erzählen. Aber es geht jedenfalls für ihn bös drunter und drüber. =O

  • wie könnte er sonst erzählen

    Das Problem könnte über eine Tagebuch-/Notizen-Fiktion gelöst werden (mir fallen da jetzt natürlich nur zwei frühe Texte von Arno Schmidt ein: Leviathan und Enthymesis). – Die Liste der "müsste ich mal wieder lesen"-Bücher wird auch immer länger. Seufz.


    Nachtrag: ich hab den Band mal aus dem Regal genommen, ist eine rd. 45 Jahre alte Bertelsmann-Ausgabe (auf Schaafs Verfilmung von 1973 wird auf dem Umschlag verwiesen, ungefähr aus der Zeit dürfte das sein) und entsprechend schmuddlig. Hm. Aber hat nur 250 Seiten, das könnte ich in der Tat mal einschieben.