"vergessene" Klassiker - Was gibt es noch zu entdecken?

  • Gibt es eigentlich auch "vergessene" bzw. "nicht so bekannte" Klassiker bzw. irgendwelche "Geheimtipps", die erst noch entdeckt werden müssen und nicht automatisch auf irgendwelchen Listen von Zeitschriften auftauchen oder in Umfragen genannt werden? Ich kann es nicht ganz exakt definieren, ich meine Autoren, die schon irgendwie den klassischen Bereich zuzuschreiben sind, die aber vielleicht nicht so breit diskutiert werden und nicht jeden Leser auf Anhieb bekannt sind oder in irgendwelchen Bestenlisten auftauchen, die aber trotzdem literarisch hochwertig und anspruchsvoll sind. Kennt ihr das, wenn man z.B. in einen Antiquariat bzw. eine Buchhandlung stöbern geht und plötzlich Autoren entdeckt, die man eher zufällig findet und so gar nicht auf den Zettel hatte aber die Beschreibungen von bestimmten Werken spricht euch direkt an?

    Ich denke bei mir an Autoren wie Albert Drach, Friedrich Spielhagen, Nina Berberova, Alexej Pissemski, Gert Hoffmann, Emmanuell Bove, Martin Kessel, Itala Svevo, Laszlo Nemeth, Alain Robbe-Grillet, Aharon Appelfeld u.a.

    Was für Autoren würden euch so spontan einfallen?

  • Ich nenne natürlich sofort Jakob Wassermann - dass ich für den eine Vorliebe habe, habe ich schon mehrmals erwähnt - und, als Liebhaberin phantastischer Geschichten, Leo Perutz und Hanns-Heinz Ewers. Sicher fallen mir noch mehr ein, und auch ich wäre dankbar für Tipps.

  • Danke für die Empfehlungen. Perutz und Ewers kannte ich noch nicht, dort werde ich die nächsten Tage mal näher recherchieren. Der Fall Maurizius von Jakob Wassermann hat mich damals beim Lesen fasziniert, weitere Werke von Wassermann stehen bereits im Regal und warten darauf gelesen zu werden.

  • Die vor allem als Lyrikerin zu ihrer Zeit sehr bekannte russische Autorin Jewdokija Petrowna Rostoptschina; befreundet mit Puschkin und Lermontov, Gogol. Es wurde kaum etwas von ihr übersetzt; aktuell ist m.W. nur "Die Menschenfeindin" (ein Drama + ein paar Gedichte) auf Deutsch greifbar.Wien: Klever Literatur, 2019. Ich wage aber nicht, sie zu empfehlen, ausser man habe sowieso ein Faible für die russische Romantik.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zefiras Vorschlag Leo Perutz möchte ich auf jeden Fall unterstützen. "Der schwedische Reiter" gehört zu den besten Büchern, die ich je gelesen habe. (Ich zögere, ob "phantastisch" das richtige Etikett ist, obwohl es auf manche seiner Romane gewiss passt, etwa "Nachts unter der steinernen Brücke". Meine eigenen beiden Empfehlungen sind moderne Klassiker: Der Antwerpener Willem Elsschot, von dem manches noch, oder wieder auf dem deutschen Buchmarkt zu finden ist (z.B. Käse oder Maria in der Hafenkneipe (Het dwaalicht). Seine wohltuend kurzen Romane schrieb er alle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mein zweiter 'Geheimtipp': Roger Martin du Gard. Auf Deutsch findet man den umfangreichen Romanzyklus 'Die Thibaults'. Aber seine besten Romane 'Jean Barois' und das umfangreiche Romanfragment 'Le lieutenant-colonel de Maumort' wurden nie ins Deutsche übersetzt.

  • Ich kannte mal einen Kleinverleger, der zusammen mit einer Literaturprofessorin in Freiburg eine Buchreihe gestartet hat, die sich vergessenen oder wenig gewürdigten Autorinnen widmete. Ich erinnere mich im Moment nur noch an Helene Böhlau, deren Romane "Der Rangierbahnhof" und "Halbtier!" in dieser Reihe aufgelegt wurden. Beides sind frühe Emanzipationsromane, "Halbtier!" ist m.M.n. mit seiner ausufernden Dramatik, die wir heute als kitschig empfinden, der schwächere, aber "Der Rangierbahnhof" ist heute noch lesenswert.

    Edit, und da ich schon mit frühen Emanzipationsromanen angefangen habe, möchte ich auch ausdrücklich "Aus guter Familie" von Gabriele Reuter noch einmal empfehlen. Ich glaube, es hier schon vorgestellt zu haben. Das Buch ist, obwohl es in einer Welt spielt, die uns heute recht fremd geworden ist, stilistisch erstaunlich modern.

  • Eine großartige Quelle für vergessene Klassiker ist der Guggolz-Verlag

    http://www.guggolz-verlag.de


    Alle Bücher, die ich bisher aus dem Programm gelesen habe, waren exzellent und für mich alle auch Entdeckungen...


    Besonders hervorzuheben:

    Lewis Grassic Gibbon (Schottland)

    Andor Endre Gelleri (Ungarn)

    Maxim Harezki (Weißrussland!)
    Antanas Skema (Litauen)

    Johannes V. Jensen (Dänemark)

  • Na ja, Raabe würde ich nun auch nicht gerade als vergessen bezeichnen. Er ist doch einer der größten Klassiker des deutschen Realismus. Auch Herman Bang und Keyserling sind wohl etabliert, wenn auch nicht in großen Kreisen, aber doch in der Literaturwissenschaft.

  • Da hier auch Klassiker genannt werden, die nach 1900 geboren sind, möchte ich Johan Borgen (1906 bis 1979) erwähnen.

    Ich habe zufällig in einem Offenen Bücherschrank seinen Roman "Lillelord" gefunden, den ersten Teil einer Trilogie um den Osloer (damals noch Kristiania) Wilfred Sagen. Das war einer dieser Zufallsfunde, für die ich die Offenen Schränke liebe - man nimmt ein Buch probehalber mit, weil Titelbild oder Klappentext irgendwie reizen - kostet ja nix -, und entdeckt ein Juwel.

    Dieser erste Band hat mich derart tief beeindruckt, dass ich mir die beiden Folgebände "Die dunklen Quellen" und "Wir haben ihn nun" gekauft habe - sie erreichen m.M.n. allerdings nicht die stilistische Meisterschaft des ersten Bandes. Leseempfehlung.

  • Von Perutz sollte "Zwischen neun und neun" nicht unerwähnt bleiben. Ansonsten: Robert Walser, Albert Vigoleis Thelen, Alfred Polgar (eigentlich alle Wiener Kaffeehausliteraten), August Scholtis ("Ostwind"), Friedrich Glauser, Octave Mirbeau ("Nie wieder Höhenluft"), Petrow/Ilf, ...

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Von Perutz sollte "Zwischen neun und neun" nicht unerwähnt bleiben. Ansonsten: Robert Walser, Albert Vigoleis Thelen, Alfred Polgar (eigentlich alle Wiener Kaffeehausliteraten), August Scholtis ("Ostwind"), Friedrich Glauser, Octave Mirbeau ("Nie wieder Höhenluft"), Petrow/Ilf, ...

    Ja, Scholtis!!!!

  • Fällt mir gerade ein. Arno Schmidt hat ja eine ganze Reihe Radio Features über das Thema gemacht.

    Wer Wälzer mag, sollte mal bei Oppermann, Eugen Sue oder Gutzkow reinlesen.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Wenn die Messlatte fürs Vergessensein so niedrig liegt, nenne ich mal Henry Fielding. Sein Tom Jones ist nicht nur einer der ersten, wenn nicht der erste bürgerliche Roman schlechthin, er ist auch ein erzählerisches Wunderwerk.


    Unter den Portugiesen fällt mir Miguel Torga ein, unter den neueren Erzählern seines Landes ist er derjenige, dessen Erzählstil am deutlichsten den Landschaften entspricht, aus denen er stammte und von denen er erzählt: von archaischer Strenge des Trás-os-Montes, dem nordöstlichen Hinterland der Douro-Region. Torga ist eine der groteskesten Auslassungssünden des Nobelpreiskommittees.

  • Kennen sicherlich manche hier


    https://www.ngiyaw-ebooks.org/


    ePub Fundgrube für meist eher seltene Klassiker. Auf meinem Kobo zur Zeit unter anderem


    https://www.de-ebooks.org/2020…eheimnisse-eines.html?m=0


    Eine dieser Adressen, die mich immer mal wieder leicht zur Verzweiflung bringen :

    was möchte ich noch alles lesen...

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Mir fällt hier spontan Boleslaw Prus mit "Die Puppe" ein. Vor vielen Jahren habe ich ein paar Klassiker des Polnischen Films gesehen, unter anderem "Pharao", der ebenfalls nach der literarischen Vorlage Prus' verfilmt wurde und der mich außerordentlich fasziniert hat.

    Das Buch "Die Puppe" hatte ich dann jahrelang in Suchaufträgen bei den üblichen Händlern. Wenn mal ein Treffer kam, dann mit Mondpreis. Momentan gibt es ein Exemplar für 75€. Das ist es mir nicht wert.


    Vielleicht kennt das Buch ja hier jemand und kann etwas dazu sagen?

  • Ich freue mich, dass Friedrich Glauser erwähnt wurde.

    Und ich möchte auf Isaac Bashevis Singer aufmerksam machen. Er hat wunderbare Erzählungen geschrieben. Eine davon, "Jentl der Talmudstudent" war Vorlage für den Film "Yentl" von und mit Barbra Streisand. Auch Romane hat er geschrieben, und 1978 den Nobelpreis erhalten. Aber heute kennt man ihn praktisch nicht mehr.