Was lest ihr gerade?

  • Ich lese. Aber ich bin zu faul, um hier etwas zu schreiben. Sorry.


    Aktuelle Lektüre:

    Ernst Cassirer - Philosophie der symbolischen Formen. Aber erst auf S. 31...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich komme mit den Klassikern nicht weiter.

    Habe gerade, nachdem mir Sofi Oksanens "Fegefeuer" vor einigen Jahren gut gefallen hat (soweit man bei derart durchschüttelnder Lektüre von Gefallen reden kann) ihren Erstling "Stalins Kühe" gelesen. Das Buch ist weniger straff erzählt als "Fegefeuer", aber dafür auch etwas weniger deprimierend und recht gut zu lesen - ich war kürzlich im Baltikum und habe einige der Schauplätze gesehen. Die estnische Geschichte gäbe noch reichlich Stoff für gallebittere Romane.

    Jetzt habe ich mit einem dicken Buch von Marilyn French begonnen, "Vater unser", es geht um vier Halbschwestern, die einander kaum kennen, sich aber als Erwachsene wiedertreffen, nachdem der gemeinsame Vater schwer krank geworden ist. Der Vater war ein Drecksack erster Güte, das wird noch spannend, wenn die Viere ihn pflegen müssen ...

  • Gerade aus dem Urlaub zurück (Norwegen, 18°C). Und ich bin überhaupt nicht, wie versprochen, zum Lesen gekommen. Ich stecke gerade in einer Space Opera von Peter F. Hamilton.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Na, so langsam trudeln alle wieder ein. Ich war in England, und deshalb hatte ich auch den 2.Teil von Hilary Mantels Trilogie über Thomas Cromwell, der Sekretär und Kanzler Heinrichs des Achten, gelesen. Unter anderem war ich auch in Hampton Court, wo einige Szenen des Romans spielen.


    Aber nun zum Roman, den ich jetzt beendet habe. Hilary Mantel schreibt historische Romane auf hohem Niveau mit klaren Bezügen auch zu heutigem politischem Geschehen. Im Mittelpunkt steht immer die politische Intrige, wie es dazu kommt, welche Folgen sie hat, welche Motivationen ihre Mitspieler haben und wie sie sich vor sich selbst und anderen rechtfertigen. Dabei ist Thomas Cromwell eine besonders schillernde Figur, einerseits seinen Herren, zunächst Kardinal Wolsey, dann Heinrich treu ergeben, andererseits ein "Wolf" - so heißt der erste Band - für viele andere Menschen, denen er mitleidlos die Entmachtung und/oder den Tod bringt, auf der einen Seite Nutzer von Unrecht und Vetternwirtschaft, auf der anderen Seite Mitbegründer des modernen Englands mit der Loslösung von Rom, neuen Prinzipien in der Verwaltung und dem Finanzwesen.
    Mantel lässt in dem Roman die Personen vorwiegend im Gespräch vor unseren Augen entstehen, Erzählerkommentar gibt es gar nicht, streng wird die Er-Perspektive eingehalten und andere Personen außerhalb von Cromwells persönlicher Wahrnehmung werden höchstens durch Botenberichte geschildert, z.B. Anne Boleyns Ankunft im Tower, bevor ihr der Prozess gemacht wird. Da Cromwell hier aber als ein Mensch mit hohen analytischen Fähigkeiten und großer Menschenkenntnis auftritt, erlebt man trotz der starren Erzählperspektive hochkomplexe Personendarstellungen.


    Am Anfang fand ich diesen Band ein bisschen zäh, was aber wohl daran lag, dass ich während der Reise und danach kaum zum Lesen kam, aber nun, wo ich mehr Ruhe zum Lesen habe, ging mir die Lektüre leicht von der Hand.


    Ein grandioses Buch - wie auch die anderen, insbesondere auch "Brüder", das die zentralen Gestalten der Französischen Revolution beleuchtet - wenn man gerne Geschichte in Romanverpackung liest, ohne dabei diese nur als Kulisse für platte, tausendmal gekaute Stories missbraucht zu sehen.

  • Ich hab nach Abschluss eines langjährigen Projekts, das meine Lektüre ziemlich festgeschrieben hat, zur Entspannung noch einmal mit Gilbert Adairs Evadne-Mount-Krimis begonnen. Aktuell in Band 2. Find ich auch bei der zweiten Lektüre ausgesprochen amüsant (den letzten Klassiker, den ich lesen wollte, was Lesages Gil Blas, da hab ich aber eine Pause eingelegt, reizt mich nicht wirklich).

  • Nachdem ich im Juli reisebedingt auch weniger gelesen habe, bin ich mittlerweile immer noch etwas mit der Nachbearbeitung der Reiseerlebnisse beschäftigt.


    Zuächst von Kerstin Jobst, Geschichte der Ukraine (Reclam Verlag)


    Danach von Lutz Klevemann: Lemberg. Die vergessene Mitte Europas (Aufbau Verlag)

    Das Buch hat mich doch mehr beschäftigt als erwartet. Denn es handelt sich keineswegs um eine etwas romantisierende und k.u.k.-nostalgische Rückschau auf das Leben in dieser polnisch-ukrainisch-jüdisch-österreichischen Stadt, sondern auch um einen Bericht über die schlimmen Pogrome und Unruhen, die im Zuge der politischen Umbrüche (1918ff., 1939ff.) über die Stadt hinweggezogen sind. Wenn sich Polen und Ukrainer Gefechte geliefert haben, waren in der Regel die Juden am Ende die Opfer. Die schlimmsten Pogrome, die im Umfeld des Einmarsches der Deutschen 1941 stattfanden, sind zudem noch durch Fotographien und Filmaufnahmen (abrufbar heute sogar auf Youtube) dokumentiert. Es zieht einem die Schuhe aus. Aber man sieht die Stadt, die heute gerne mit ihrem k.u.k.-Charme um Touristen wirbt, mit anderen Augen.


    Danach noch eine Entdeckung eines polnischen Autors, der - ähnlich wie Joseph Roth - über die Epoche der k.u.k.-Zeit geschrieben hat:

    Andrzej Kusniewicz: König beider Sizilien (Fischer Taschenbuch 1983).


    Und zum Schluss noch ein bisschen Alfred Döblin aus seiner 'Reise in Polen'. 1925 erschienen, beschreibt Döblin darin seine Reisen durch die 1918 neugegründete polnische Republik, darin auch ein Kapitel über Lemberg. Eindrücklich beschreibt auch er die Ruinen der Häuser im jüdischen Viertel, die zur Zeit seiner Reise noch von den Novemberpogromen des Jahres 1918 künden.

  • Interessante Bücher, die ihr da lest. Ein paar hab ich mir notiert.


    Ich habe am Wochenende "Zehn Dinge, die ich an dir hasse" gesehen. Und da werden die drei Autorinnen "Charlotte Bronte", "Sylvia Plath" und "Simone de Beauvoir" erwähnt.


    Von den beiden letzteren habe ich mir nun Bücher auf meinen Reader geladen.

  • Sylvia Plath wird auch mehrfach zitiert in "Vater unser" von Marilyn French, das ich gerade beendet habe. Ein Wälzer von über 600 Seiten, in dem fast nichts passiert - nur die vier Halbschwestern, die sich miteinander unterhalten. Trotzdem habe ich nur zwei Tage gebraucht, um dieses hinreißende, einfühlsam geschriebene Buch zu lesen (ich bin nicht mehr berufstätig und habe so viel Lesezeit, wie ich mir selbst gebe).
    Der Roman spielt Mitte der Achtziger - erwähnt werden der Präsident Reagan und "der deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker", was den Zeitraum auf wenige Jahre eingrenzt. Beide Herren kommen zur Beerdigung des alten Stephen Upton, der an einem Schlaganfall gestorben ist. Upton war, wenn ich es richtig verstanden habe, politischer Berater und hat Millionen gescheffelt. Zu Hause aber war er ein Drecksack, ein unglaublich mieser Tyrann, der seine drei Ehefrauen nacheinander wie Dreck behandelt und alle drei Töchter aus den drei Ehen schon als Kleinkinder missbraucht. Das gleiche Schicksal hat dann auch die außerehelich mit seiner mexikanischen Haushälterin gezeugten vierte Tochter.


    Keine der Töchter weiß um diese Gemeinsamkeit mit den anderen, bis nach dem ersten Schlaganfall des Vaters sich alle im Haus versammeln und in langen Gesprächen dann dieses dreckige Geheimnis ans Licht kommt. Alle haben geschwiegen im Glauben, sie seien die einzige. Es wird übrigens angedeutet, dass sich der alte Sack auch an seiner Enkelin vergriffen hat.
    Nachdem der Alte schwerstpflegebedürftig nach Hause gekommen ist, machen sie ihm den Prozess, was mit dem zweiten, tödlichen Schlaganfall endet.
    Das Buch hat mich zurückkatapultiert in meine eigene Jugend (ich bin 1957 geboren). In die Zeit, als Vergewaltiger freigesprochen wurden, wenn das Opfer einen kurzen Rock getragen hat oder getrampt ist.
    Für Frauen ist es inzwischen leichter geworden. Ob das auch für mexikanische Hausangestellte gilt? Ich habe meine Zweifel. Der Alte behandelt sein Personal wie Sklaven.

  • Was du, @JH Newman, schilderst, interessiert mich sehr. Ich denke, unser Blick sollte sich insgesamt sehr viel mehr auf Südost-Polen, bzw. den Nordwesten der Ukraine richten, zunächst einmal wegen der Geschehnisse im Rahmen des Holocausts, aber auch deswegen, weil wir hier einen Kernraum der jüdischen Kultur in Europa haben. Ich habe sehr berührende Fotos von aufgelassenen jüdischen Schulen und Bibliotheken gesehen. Wir sollten uns international viel mehr um Galizien kümmern.

  • Was du, @JH Newman, schilderst, interessiert mich sehr. Ich denke, unser Blick sollte sich insgesamt sehr viel mehr auf Südost-Polen, bzw. den Nordwesten der Ukraine richten, zunächst einmal wegen der Geschehnisse im Rahmen des Holocausts, aber auch deswegen, weil wir hier einen Kernraum der jüdischen Kultur in Europa haben. Ich habe sehr berührende Fotos von aufgelassenen jüdischen Schulen und Bibliotheken gesehen. Wir sollten uns international viel mehr um Galizien kümmern.

    Ja, für mich war das eine faszinierende Horizonterweiterung. Zwar hatte ich schon einiges über jüdische, polnische und mitteleuropäische Geschichte gelesen, zwar kenne ich natürlich die Bücher von Joseph Roth und Jozef Wittlin usw. Aber diese spezielle Gemengelage, die man in Lemberg findet, das war doch noch einmal anders. Krakau kenne ich mittlerweile gut, aber Krakau war trotz der Zugehörigkeit zu Österreich-Ungarn und Galizien eben doch sehr polnisch, weniger durchmischt als Lemberg. Und in der Rückschau interessiert mich gerade der Aspekt der Vielfalt immer mehr, der das Leben in der österreichisch-ungarischen Monarchie bestimmte. Und während Roth noch sehr überzeugt schreibt, dass kulturelle Vielfalt immer eine Stärke sei, erlebt Döblin wenige Jahre später schon, dass mit dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung der k.u.k.-Monarchie die ethnischen Konflikte sehr verstärkten und zu schlimmen Auswüchsen führten. Besonders beklemmend aber ist, dass die offizielle ukrainische Geschichtschreibung bis heute weder die Massaker an den Juden noch die Massaker an den Polen aufarbeitet. Wiederholt begegnete Lutz Klevemann einer blanken Leugnung der Pogrome, obwohl diese durch Filmaufnahmen der Wehrmacht sehr gut belegt sind.


    Jetzt möchte ich natürlich auch mal nach Czernowitz...

  • Ich habe von früher her eine kleine Bibliothek mit Horror-Erzählungen bzw. Gespenstergeschichten (von Suhrkamp gab es da mal eine tolle Anthologie-Reihe) und weiß von daher, dass englischsprachige Autoren früher gerne Gruselplots im deutschsprachigen Raum verortet haben. Ich habe etliche Beispiele im Kopf, kann mich aber leider nicht mehr an einzelne Autoren erinnern außer eben LeFanu und Bram Stoker, der eine tolle Horrorgeschichte geschrieben hat, die in Heidelberg spielt. Es gibt noch weit mehr, aber wie gesagt sind mir keine Titel oder Namen geläufig, da müsste ich nachsehen.

    Auch Frankenstein hat ja in Ingolstadt studiert ...

  • Ich lese nun endlich "Doktor Schiwago".

    Ein wahres Schmankerl der Erzählkunst; man wünscht sich, dass es nie endet. Etwa ein Viertel habe ich gelesen.



    Edit: Einen Tag später habe ich nun fast die Hälfte. So schnell geht das. Ich weiß jetzt schon, dass ich es nächstes Jahr wiederlesen werde.