Werk oder Biographie zuerst

  • Da ich gerade eine Fontane Biographie neben seinem Roman "Der Stechlin" lese, habe ich mich gefragt wie ihr das handhabt. Lest ihr zuerst Werk(e) des Autors und dann eine Biographie oder erkundigt ihr euch zuerst über dessen Leben. Oder lest ihr gar keine Biographien.


    Ich bin gerade am überlegen was sinnvoller ist. Und würde mich freuen wenn ihr erzählt wie ihr das macht.

  • Ich lese ganz selten Biographien von Schriftstellern. Mich interessiert in erster Linie das Werk. Ich finde auch die Frage, was an einem Roman denn nun autobiographisch sei, selten wirklich interessant. Ausgenommen sind natürlich Autobiographien, die für mich aber wiederum zum Werk eines Autors zählen. (Dichtung und Wahrheit etwa).


    Eine der wenigen Ausnahmen: Franz Kafka. Zum einen ist hier das Werk so rätselhaft, dass mich einfach der Mann interessiert, der es geschrieben hat. Die besondere Mischung aus deutschen, jüdischen und tschechischen Anteilen finde ich ebenfalls interessant. Und mit Stachs großer Biographie liegt ja auch ein Glanzstück ganz eigener Art vor.


    Aber obwohl ich Fontane sehr liebe, habe ich noch keine einzige Biographie gelesen.

  • Das geht mir ähnlich. Erst wenn ich während dem Lesen Interesse am Autor bekomme, lese ich evtl. was Biographisches. Um zu entscheiden, welches Werk von dem Autor man als nächstes lesen möchte, können (kurze) Biographien hilfreich sein, wenn da einiges über die Werke drinsteht.

  • Danke für eure Antworten. So hab ich das bisher auch gehandhabt.


    Die Kafka Biographie interessiert mich auch. Die ist ja wirklich sehr umfangreich.


    Von Fontane hab ich einfach die Biographie genommen die meine bib online hatte. Ich wollte mir von Nürnberger "Fontanes Welt" kaufen. Aber die Anbieter von Amazon liefern nicht nach Österreich und bei ZVAB sind die Lieferkosten innerhalb Österreichs eine Frechheit.


    Vielleicht hol ich sie mir noch im Papierformat aus der bib da sie wirklich gut sein soll.

  • Meine Antwort dürfte sich dann doch merklich von anderen unterscheiden: Ich gehe vom Autor aus, von dem ich annehme, dass er mir in dem Moment , da ich zu dem Buch greife, auch etwas Wichtiges geben kann. Die Biographie kenne ich zumeist schon, beginne aber beim Lesen, sie mir noch einmal unter bestimmten Aspekten zu erschließen. Hilfreich sind kenntnisreiche Kommentare, wie das hier auch bei einigen Leserunden der Fall war (Wieland, Goethe, Immermann, Fontane). Die Leserunde zu "Wilhelm Meisters Wanderjahren" 2014 war in dieser Hinsicht für mich sehr lehrreich, nachdem die Erstlektüre nahezu fünfunddreißig Jahre zurücklag.

    Ich bin allerdings nur Liebhaber der klassischen Periode, beileibe kein Literaturwissenschaftler, finde mich in den zumeist aus Amerika kommenden "Turns" und "Theorien" nicht zurecht, mit denen sich Jüngere befassen mögen, sie geben mir nichts.

    Die Diskussionen um Monika Maron seit März sind da eher ein "Ausreißer".

  • Ich hatte bisher für Biographien wenig übrig. Aber ich finde es spannend den Autor zeitlich einzuordnen. Ich habe mich zum Beispiel beim Gespenst von canterville ertappt, dass ich mir dachte: warum machen die jetzt nicht dieses oder jenes.


    Dabei gab es diese Dinge damals einfach noch nicht.

  • Ich lese nur sehr selten Biographien. Wenn mich ein Autor interessiert, schaue ich mal bei Wikipedia nach. Das reicht meist aus. Bei Oscar Wilde habe ich mir mal vor langer Zeit eine Biographie gekauft, sie aber nie gelesen. Das gleiche bei E.T.A. Hoffmann...

  • Ich habe nur sehr, sehr wenige Biographien gelesen. Wenn mich ein Autor interessiert, lese ich bei Wiki nach, wie thopas. Das reicht mir meistens.

    Ich erinnere mich an Biographien über E.A.Poe, Kafka, Tolkien, Agatha Christie und Melville (letztere habe ich nicht ausgelesen).


    Ich schreibe hier überhaupt nur diesen Beitrag, um ein Kuriosum aus meiner Kafka-Biographie zu berichten, an das ich mich erinnere.


    Hatte mich beinahe verlesen:

    "Am 8. August beantragte Kafka mit einem ärztlichen Attest eine Woche Urlaub, der schon am folgenden Tag gewährt wurde. Am 4. September brach er zusammen -" - ich so: Schock!!! - "-mit Max Brod und dessen Bruder Otto, der im Vorjahr Ferien am Gardasee gemacht hatte, dorthin auf." Uff. Nochmal gut gegangen ...


  • Das ist ja herrlich, Zefira! Fontane ist "mein Mann". Eine Biografie ueber ihn habe ich allerdings noch nicht gelesen und werde das vermutlich auch nicht tun. Seine autobiografischen Buecher "meine Kinderjahre" und "zwischen zwanzig und dreissig" habe ich aber mit viel Genuss gelesen und ich denke, dass sie ein ganz bestimmtes Licht auf seine anderen Werke werfen. Der Stechlin ist mein Lieblingsbuch, finsbury hat mir dazu mal geschrieben, dass er vor dem Sturm noch hoeher schaetze. Habe das daraufhin nochmal gelesen, bleibe aber beim Stechlin. Was mich aber frappiert hat: Die Werke sind (bewusst oder unbewusst?) regelrecht parallel gesetzt (ich kann ja schwerlich der einzige sein der das bemerkt hat?????). Zu jeder Figur in vor dem Sturm gibt es eine Entsprechung im Stechlin. Es ist geradezu unglaublich. Ich wuerde was drum geben, wenn jemand von Euch auch beide Werke hintereinander lesen und zu diesem Punkt seine Meinung sagen wuerde.

    if all you have is a hammer, all you see looks like a nail.

  • Volker ich stimme ganz mit Dir überein, wobei auch ich 'Vor dem Sturm' noch höher schätze als den Stechlin. Bemerkenswert sind die Parallelen besonders auch deshalb, weil das eine Buch den Beginn, das andere das Ende von Fontanes literarischem Schaffen markiert. Da schließt sich ein Kreis.


    Nach wie vor ist mir unverständlich, warum man die Effi als Schullektüre den anderen Romane vorzieht. Ich finde Fontane in den anderen Romanen meist stärker.

  • Volker ich stimme ganz mit Dir überein, wobei auch ich 'Vor dem Sturm' noch höher schätze als den Stechlin. Bemerkenswert sind die Parallelen besonders auch deshalb, weil das eine Buch den Beginn, das andere das Ende von Fontanes literarischem Schaffen markiert. Da schließt sich ein Kreis.


    Nach wie vor ist mir unverständlich, warum man die Effi als Schullektüre den anderen Romane vorzieht. Ich finde Fontane in den anderen Romanen meist stärker.

    "Vor dem Sturm" und "Schach von Wuthenow" erfassen eine ganz bestimmte kurze Epoche vor und nach 1806, genau bestimmbare Örtlichkeiten und bieten eine Mischung von fiktiven und historischen Persönlichkeiten (Friedrich Wilhelm III., der rührend unbeholfen nur in Infinitiven sprechen kann, Königin Luise in Paretz, Prinz Louis Ferdinand in Charlottenburg, Verleger Sander usw.).

    Man denke nur an "Sala Tarone" in Berlin Nähe Gendarmenmarkt, die Dorfkirche von Tempelhof im "Schach" oder die Oderbruchs-Landschaften bei Frankfurt in "Vor dem Sturm". Es bedarf schon eines großen Einfühlungsvermögens und mannigfacher Kenntnisse wohl auch über diese konkrete Periode. Auch Theodor Storm mit seinem in beiden deutschen Staaten wohl unverwüstlichem "Schimmelreiter" liefert Landschaftsgemälde aus der Gegend um Husum.

    Weshalb die "Effi" in der DDR ausgewählt wurde, hatte ich schon geschrieben: Sozialkritik, in der alten Bundesrepublik könnte es nach 1968 ähnlich gewesen sein. Obwohl man die Schüler insgesamt nicht unterschätzen sollte, könnten aber andere Werke Fontanes, auch vom Zeitvolumen gegenüber Gegenwartsstoffen her, die Mehrzahl der Schüler eher erschöpfen und überfordern. Hier hat sicher der Zeitgeschmack der Generationen, die vor fünfzig Jahren im Schulwesen aktiv wurden, eine Rolle gespielt.


    Die hier auifgeführten Werke der Klassik um 1800 mit Goethe, Schiller und Hölderlin, konnten eigentlich nur noch von älteren Studienräten alter Schule vermittelt werden, während das Bildungsbürgertum insgesamt verschwand, gen Westen oder ausstarb, und die Jüngeren etwa mit den zahlreichen Bezügen im "Faust" nichts mehr anfangen konnten. Enthusiasten der ersten Stunde nach 1945 schätzten die russische Literatur, während die englischsprachige Gegenwartsliteratur nur in Bruchstücken verlegt und wahrgenommen wurde. Im Verlag "Volk und Welt" bildeten sich in den 1980er Jahren lange Schlangen, um sehr seltene Titel zu erlangen, zu denen sogar die Sherlock Holmes-Geschichten Doyles oder die Krimis von Chandler gehörten, die es in den Buchläden nicht zu kaufen gab. Als ich auf diese Weise zum Beispiel John Updikes "Ehepaare" erstanden hatte, wusste ich mit diesem ewigen Fremdgehen und Partnertausch nicht das Geringste anzufangen und verschenkte das Buch weiter.


    Meinem Sohn (31) gefällt das Gesamtwerk Fontanes überaus, für den allerdings DDR-Vergangenheit, NS-Diktatur und Kaiserreich gleich weit zeitlich sehr entfernt sind (während mich die im Sozialismus durchlebten 35 Jahre noch sehr beschäftigen, so dass ich immer wieder darauf zurückkomme), Hermann Kants "Aula" wäre für ihn völlig sinnlose Lektüre,


    und meiner Frau ebenfalls wie mir Fontanes "Cecile" (ihr wegen der Harz-Landschaften), hier machen sich aber sicher der Familieneinfluss insgesamt und der Umstand bemerkbar, dass wir seit Jahrzehnten in Berlin und Brandenburg leben und auf diese Weise auch dem hektischen, verrückten, ungesunden Alltag der Innenstadt wenigstens zeitweise entfliehen können.


    Wir drei, Du, Volker und auch Zefira stammen aus Generationen, die sich in die Werke Fontanes gut hineinversetzen können und ihn schätzen. Für mich lebt das alles, was bei ihm dargestellt wird, viel mehr als etwa amerikanische Gegenwart, für deren Erschließen mir völlig der Nerv fehlt.

  • Es ist lustig, dass Du in diesem Zusammenhang "Ehepaare" erwähnst. Es gehörte zur Bibliothek meiner Eltern; mein Vater hatte es als Urlaubslektüre gekauft (und da ich es ebenfalls im Familienurlaub gelesen habe, kann ich damals nicht älter gewesen sein als 14 oder 15). Ich hatte beim Lesen das Gefühl völliger Sinnlosigkeit. Als ich (mit 50) die Bibliothek meiner Eltern übernahm, machte ich noch mal einen Versuch damit, wel ich dachte, vielleicht sei ich damals zu jung gewesen. Ich las ca. 20 Seiten und entsorgte das Buch, da es ohnehin auseinanderfiel.


    Einige von Updikes Erzählungen schätze ich übrigens sehr.

  • Ich lese regelmäßig Biographien, auch mal unabhängig vom Werk, aber meistens inspiriert mich das so, das ich vom betreffenden Autor dann etwas lese.

    Mir geht es so, das man, wenn man die Biographie eines Autors gelesen hat, einen ganz anderen Zugang zu seinen Texten bekommt, ich würde sagen, der ist intensiver.

    Ich mache das natürlich nicht bei jedem Autor, bei den meisten muss Wikipedia reichen.


    Das Erweckungserlebnis in dieser Hinsicht war nicht bei einem Autor sonder bei einem Komponisten, nämlich bei Franz Schubert.

    Da habe ich so mit 17 Jahren eine Biographie von ihm gelesen und im Fernsehen den Dreiteiler "Mit meinen heißen Tränen" gesehen, der sich mit Schuberts Leben auseinandersetzt, und danach habe ich seine Musik ganz anders gehört.


    Gruß, Lauterbach

  • Ich lese ja gerade der Stechlin. Vor dem Sturm steht ebenfalls auf meiner Liste. Ich werde sie zeitnah lesen und schauen ob mir diese Parallelen ebenfalls auffallen.

    Vom "Stechlin" war ich nach erstmaligem Lesen als Studienabsolvent 1978 geradezu begeistert, von dieser Gelassenheit, Weisheit und Güte des alten Fontane.


    "Das ist Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie" wurde später bei uns zur familiären Redewendung, und wenn man die Geschehnisse um die Wahlen in Neuglobsow und den Feilenhauer Torgelow liest, versteht man sogar auch manche personelle Sorgen der heutigen Sozialdemokratrie, wenn sie sich auch in Österreich anders darstellen mögen.

    Melusine war eventuell neben dem alten Stechlin eine Lieblingsfigur Fontanes, sie spricht gegen Ende des Romans prophetische Worte. Es folgte jedoch ein Jahrhundert mit Scheusslichkeiten, wie man sie bei sich zivilisiert wähnenden Völkern nie für möglich gehalten hätte, mit dutzenden Millionen unschuldiger Opfer.


    Ganz in der Nähe des Stechlinsees war das Atomkraftwerk Rheinsberg errichtet worden. Als ich 1984 im Krankenhaus lag, war mein Bettnachbar ein Atomkraftwerksbauer, der mir auf meine Bedenken hin versicherte, dass diese Anlagen in Rheinsberg und Lubmin an der Ostsee sowjetischer Bauart völlig sicher seien, denn die Graphitstäbe würden den Schmelzprozess im Innern sofort beenden (zwei Jahre vor Tschernobyl). Nun, ich bin in der Klinik meine Rückenschmerzen nicht losgeworden, aber auf Tschernobyl folgte Fukushima. Was habe ich dort gelesen? Wilhelm von Humboldt: Briefe an eine Freundin (posthum 1847)

    Jetzt liegt der Stechlin-See wieder still, die Natur hat die gesamte Gegend zurückerobert. Gar nicht weit entfernt (etwa 8 Kilometer zu Fuss) ist mitten im Wald der Schulzenhof gelegen, wo das Ehepaar Eva und Erwin Strittmatter mit Pferden gelebt hatte.

    In Kapitel 2 von "Vor dem Sturm" (Hohen-Vietz) nur das in seiner Naivität anrührende und mich mit der Mark Brandenburg damals versöhnt habende barocke Gedicht:


    "Sie sieht nun tausend Lichter;

    Der Engel Angesichter

    Ihr treu zu Diensten stehn;

    Sie schwingt die Siegesfahne

    Auf güldnem Himmelsplane

    Und kann auf Sternen gehn."


    Das passt doch eher in das barocke Österreich der Zeit Maria Theresias, mit dem Du Dich beschäftigt hast? :)als in den herben protestantischen Norden.