Wieder eine lange Vorrede zum Religionsthema, und dann kommen Stellen aus dem Roman.
Alles anzeigenAuch hier stellt sich natürlich wieder die Frage: Monika Maron oder Mina Wolf?
Insgesamt haben mich die religionsphilosophischen Passagen des Romans am wenigsten angesprochen. Das hängt wohl mit meinem Hintergrund zusammen. Als religiös gebundener Westdeutscher ist diese Baustelle sozusagen nicht meine Baustelle. Ich habe diese Passagen vor allem wahrgenommen als das Nachdenken einer Frau, die aus einer Gesellschaft kommt, für die Religion ein abgetanes Thema von gestern ist und sich nun damit konfrontiert sieht, dass das eine Fehlannahme war. Was also soll das sein mit diesem Gott und dem Glauben - das ist ja ein Grundmotiv ihrer Diskussionen mit der Krähe. Religion bereitet ihr Unbehagen. Und während man die gegenwärtige Ausprägung des westlichen Christentums noch für domestizierbar hält, begegnet der Hauptfigur im Konfessionalismus des 17. Jahrhunderts ein Christentum, das vor Gewalt eben nicht zurückschreckte, so wie heute der Islam.
Das verunsichert sie, weshalb sie die Beurteilung des sog. Westfälischen Friedens auch hinterfragt. Allgemein gilt dieser Friedensschluss als ein wichtiger Entwicklungsschritt, denn er erklärte einen politischen Frieden zwischen den Kriegsparteien unter Ausschluss der religiösen Wahrheitsfrage. Erst von da an war es möglich, Staatlichkeit in Mitteleuropa zu denken, die die religiöse Homogenität eines Staatsgebildes und -volks nicht mehr als Voraussetzung hatte. Bis dahin war es immer noch darum gegangen, einen Weg zu finden, die Bevölkerung eines Territoriums einer einzigen Konfession zuordnen zu können, auch auf dem Wege der Gewalt. Erst in der Zeit nach 1648 entwickelte sich innerhalb des Reiches so etwas wie eine dauerhafte Toleranz religiösen Minderheiten gegenüber - eine wichtige Voraussetzung dann auch der Aufklärung.
Dass das Religionsthema nicht Deine „Baustelle“ ist, kann ich schon verstehen, dazu gibt es für Dich sicher tiefer gehende Lektüre, auch in Romanform.
Den Konfessionslosen bringt allerdings die Krähe Munin schon an manchen Stellen zum Schmunzeln.
Es ist doch für Nichtgläubige in manchem ein Rätsel geblieben: was glauben die Religiösen, hierzulande vor allem die Christen, denn wirklich? und welche Auswirkungen hat das dann für uns, die wir nicht zu dieser Menschengruppierung gehören? Und unsere Kinder wegen der Mehrheitsverhältnisse mancherorts mit praktizierter Religionsausübung, Gebeten usw. konfrontiert werden und sich als Nichtkonfessionelle in einer Minderheitenposition wiederfinden, wie umgekehrt vor 1990 weiland im Osten die christlichen Kinder? Schwarzgrau gefiederte Nebelkrähen gibt es nur östlich der Elbe.
Dass ein Gott als Person wirklich allein oder mit Gefolge auf einer Wolke sitzt und auf uns herabschaut, wie das auf Heiligenbildern zu sehen ist, dürften wirklich nur noch die wenigsten glauben. Dass er als eine Person jedem einzelnen, Millionen von Menschen jeweils ins Herz schaut und speziell für jeden einzelnen da sein soll, ist ebenso wenig zu begreifen, man muss daran glauben.
Dass sich Menschen in einer angestammten Religionsgemeinschaft wohlfühlen, kann ich mir ohne weiteres vorstellen. Dass viele ein unbestimmbares „Da muss es doch noch etwas außer unserer erfahrbaren Welt geben“, irgendein Prinzip, das in die Weltläufte eingreift, habe ich ebenso oft gehört wie die Bemerkung, dass es heutzutage wahrscheinlich schon ebenso viele Gottesvorstellungen gibt wie Gläubige.
Dass bei vielen schließlich eine Art "Pantheismus" herauskommt - Gott ist in uns, ist in allem, in jedem Lebewesen, Gott und die Welt, die Natur sind eins - lässt verständlich werden, dass sich Munin auch mit vollem Recht als Gott begreifen lassen will.
Das ist dann allerdings wirklich Glaube als Privatsache, die jedem überlassen bleiben sollte, dazu brauchten wir im Osten, falls noch getauft, auch keine Kirchensteuer zu bezahlen (meine Familie ist in dritter Generation nichtkonfessionell; schönen Gruss an Seehofer, Dobrindt usw. mit ihrer christlich-jüdischen Wertegemeinschaft).
Die alten Attribute für einen Gott – allwissend (alles vorausschauend), allmächtig und vor allem allgütig! - dürften sich mit Blick auf Auschwitz, Srebrenica und Aleppo erledigt haben, die er dann zugelassen hätte, das wäre ja schon fast in früheren Vorstellungen "Gotteslästerung". Im 17. und 18. Jahrhundert ließ man sich vielleicht angesichts des Übels in der Welt noch damit abspeisen, dass Gott mit dem Übel den Glauben der Menschen prüfen will (was wiederum den Teufel überflüssig machte), heute geht das nicht mehr. Dieser Gott wäre aber nach den Greueln des 20. Jahrhunderts der übelste menschenverachtende Zyniker, wo gab. Also weg mit den menschengemachten Attributen.
Die „Theodizee“-Problematik stellt sich für Nichtgläubige ebenso wenig wie die „Leib-Seele-Problematik“. Und mit all diesen Einlassungen dürfte ich heutigen Gläubigen auch hoffentlich nicht zu nahe treten? wenn ja, kann das ja geschrieben werden.
Heutigen Christen die Kreuzzüge und die Inquisition um die Ohren hauen zu wollen, ist in meinen Augen für Konfessionslose total unhistorisch und völlig unangebracht, der Katholik Arnold Angenendt hat in meinen Augen zur Inquisition genug Zutreffendes aus den Quellen zutage gefördert. Ein Atom U-Boot „Corpus Christi“ zu nennen, wie in den USA im Kalten Krieg geschehen, geht ebenso wenig, wie ein Segnen von Waffen gegen die Kommunisten oder das Einüben von Kindern im Waffengebrauch für den Krieg gegen den "imperialistischen Klassengegner" bei Letztgenannten.
Den Atheisten den Klosterschüler Stalin (der in einer Generation in der DDR viel eher als Hitler eine unbekannte "Unperson" war, über den im Unterricht zu meiner Zeit nichts gebracht wurde) oder Pol Pot vorzuwerfen, ist ebenso unangebracht. Ungeheure Verbrecher gab und gibt es unter Gläubigen und Ungläubigen.
Nichtgläubigen „fehlt nichts“ im Leben, und sie müssen für nichts gewonnen werden, sie denken nicht nur an das Materielle im Leben und haben (zumeist) ebenso ihre eigenen begründeten Moralvorstellungen, wie die Gläubigen.
Sozialleistungen und Hilfe für Alte und Kranke werden prozentual am meisten überwiegend aus allgemeinen Steuermitteln finanziert, nicht aus der Kirchensteuer, mit der vor allem der eigene Apparat am Laufen gehalten wird.
Die Überdimensionierung von Veranstaltungen des Luther-Jahres 2017, die auch Nichtgläubige mitfinanzierten, ging nicht nur Konfessionslosen auf den Zeiger, sondern auch Kirchenmännern, wie dem von mir sehr geschätzten Friedrich Schorlemmer. Für die Rekonstruktion von Kirchenbauten und gefährdeten christlichen Kunstwerken würde ich immer auch aufkommen wollen.
Mann, bin ich hier noch bei Literaturbetrachtung oder auch schon am hemmungslosen Ausposaunen von Weltsicht?
(Politik, Religion und Kindererziehung nicht am Mittagstisch oder am Stammtisch, aber wie ist es in einem "Klassikerforum"?)
Deshalb kommt jetzt natürlich Munin, denn die Religionsfrage ist dann doch zentral in dem Roman.