Ich habe da ein "Verdikt" Marcel Reich-Ranickis im Ohr, das sinngemäß lautet: Freytag ist zurecht ein Fall ausschließlich für die Germanistik geworden. Was wohl heißt: Eine breite Leserschaft hat dieser Autor nicht verdient. Aber es wird noch besser: Ich erinnere mich, dass MRR dieses Urteil auch auf Wilhelm Raabe ausdehnte. Ob sich diese Ablehnung auch auf angeblichen oder tatsächlichen Antisemitismus bezieht, ist mir entfallen. Wäre ein solcher Vorwurf überhaupt berechtigt? Ich kenne mich mit W. Raabe nicht aus.
Raabes Roman "Der Hungerpastor" ist gewiss antisemitisch. Auch dort werden zwei Charaktäre in ihrer Entwicklung gegenübergestellt. Auf der einen Seite der verschlagene Judenspross, dessen Vater jeden Heller hortet um seinem Jungen aller Vorteile zu verschaffen, auf der anderen der verarmte aber strebsame deutsche Bursche, der sich durch eigenes Mühen und Redlichkeit seinen Platz erarbeitet.
Beim grünen Heinrich von Keller dagegen findet sich in der Nebenhandlung einiges, das um Verständnis für die problematischen Lebensumstände der jüdischen Bevölkerung wirbt.