Klassiker versus Frischlinge?

  • Hallo,


    Zitat von "klassikfreund"


    Ich möchte hier ein neues Argument bringen, was mich immer wieder zu moderner Literatur greifen lässt: Es gibt für mich eine gewisse Faszination, einen zukünftigen Klassiker heute schon zu entdecken und somit zu den allerersten zu gehören, die ihn als solchen erkannt haben.


    stimmt, die "großen" Klassiker waren zu ihrer Zeit ja auch oft noch unbekannt oder wurden verschmäht.
    Aber ich habe die Hoffnung aufgegeben. Selbst wenn ich einen großen zukünftigen Klassiker entdecken könnte, würde es mir wohl nicht gelingen, da er nicht meinem Geschmack entspräche. Insofern könnte ich höchstens ein Beweis dafür sein, dass die Geschichte sich wiederholt.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Zitat von "sandhofer"


    Ja, richtig. Das habe ich ganz vergessen! Es ist ja so (oder war es zumindest eine Zeitlang), dass man diese Produkte praktisch blind einem Verlag zuordnen kann. Auch (gerade!) renommierte Verlage haben ihre Lektoren derart herumwüten lassen, dass man schlussendlich nicht mehr den Autor las, sondern den Lektor und den Verlag. Nur die ganz Grossen konnten dem wohl entgehen, schon der zweite Rang wurde gnadenlos totlektoriert. Mit ein Grund, warum ich bei neuerer Literatur passe.


    Das war früher manchmal aber auch schon so. Von Tolstoi ist mir mindestens eine (frühe) Erzählung bekannt, die ein Lektor völlig verunstaltete.


    Und Shakespeare - wer schrieb seine Dramen wirklich ? :breitgrins:


    Grüße,
    Zola

  • Hallo!


    Zitat von "klassikfreund"

    Ich möchte hier ein neues Argument bringen, was mich immer wieder zu moderner Literatur greifen lässt: Es gibt für mich eine gewisse Faszination, einen zukünftigen Klassiker heute schon zu entdecken und somit zu den allerersten zu gehören, die ihn als solchen erkannt haben.


    Das ist aber mehr ein theoretisches Argument, da man ja nie weiß, ob man mit solchen Vermutungen richtig liegt. Ich bin mir beispielsweise ziemlich sicher, dass Thomas Bernhard ein Klassiker werden wird.


    CK

  • Hallo,


    Zitat von "xenophanes"

    Hallo!
    Das ist aber mehr ein theoretisches Argument, da man ja nie weiß, ob man mit solchen Vermutungen richtig liegt. Ich bin mir beispielsweise ziemlich sicher, dass Thomas Bernhard ein Klassiker werden wird.
    CK


    ja, natürlich weiß man das nicht sicher. Aber nur wenn man neuere Literatur liest, hat man überhaupt die Chance, einen zukünftigen Klassiker zu entdecken.


    Thomas B zählt m.E. heute schon zu den modernen Klassikern und von daher ist dieser Autor eine risikolose Wahl. Ich meine Autoren, die noch keinen vergleichbaren Status wie Bernhard haben. Möglicherweise entdeckt man im Laufe seines Lebens nur ein einziges solches Buch, aber das ist es mir wert, auch Modernes zu lesen. Dennoch ist die Enttäuschung häufig groß - ich denke, deine Ausführungen dazu sind schon ganz richtig. Aber ich bin für eine Entdeckung wie von J. Marias dankbar.


    Es gibt andere besondere Lesemomente (auch wenn ich jetzt vom Thema abschweife), von einem will ich berichten. Ich bin ein wenig neidisch auf die Sekretärin von Günter Grass, die jeden Roman als erste fremde Person zu lesen bekommt. Der erste Leser eines Meisterwerks wie "Die Blechtrommel" zu sein, das ist etwas Besonderes, v.a. wenn man sich frei von allen Rezensionen etc. ein Urteil bilden darf. Ein solches Buch hat für mich etwas Unberührtes. (Ich überlasse anderen die psychologische Analyse solcher Spleens ;-))


    Schöne Grüße,
    Thomas

  • Hallo!


    Zitat von "klassikfreund"


    Thomas B zählt m.E. heute schon zu den modernen Klassikern und von daher ist dieser Autor eine risikolose Wahl.


    In 100 oder 200 Jahren werden vielleicht fünf deutschsprachige Autoren aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Literaturfreunden bekannt sein, Spezialisten mal ausgenommen. Man braucht sich ja nur ansehen, wie viele Autoren zwischen 1850 und 1900 wirklich noch gelesen werden.
    Würde nicht darauf wetten, dass Thomas Bernhard hier dabei ist, hoffe es aber.


    Zitat von "klassikfreund"


    Möglicherweise entdeckt man im Laufe seines Lebens nur ein einziges solches Buch, aber das ist es mir wert, auch Modernes zu lesen.


    Viele hundert Bücher lesen für einen einzigen Treffer halte ich angesichts beschränkter Lebens=Lesezeit doch für ein sehr gewagtes Unterfangen.


    Zitat von "klassikfreund"


    Der erste Leser eines Meisterwerks wie "Die Blechtrommel" zu sein, das ist etwas Besonderes, v.a. wenn man sich frei von allen Rezensionen etc. ein Urteil bilden darf. Ein solches Buch hat für mich etwas Unberührtes.


    In dieser Situation war ich schon öfter: Druckfahnen als Rezensionsexemplar oder während meines Lektoratspraktikum bei Carl Hanser. Wobei ich hier keine Meisterwerke, sondern nur normale Bücher vorher lesen konnte.


    CK

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "klassikfreund"

    Es gibt für mich eine gewisse Faszination, einen zukünftigen Klassiker heute schon zu entdecken und somit zu den allerersten zu gehören, die ihn als solchen erkannt haben.


    De gustibus ...


    Denn das wiederum fasziniert mich gar nicht. Was habe ich davon, heute einen erkannt zu haben, der in 300 Jahren noch gelesen wird? Dafür mag ich mich wirklich nicht durch den täglichen Wust an Neuerscheinungen kämpfen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "Dostoevskij"

    Ich weiß nicht, was du gegen die "Geschwätzigkeit" eines Dickens hast. Ich finde sie höchst unterhaltsam.


    Ui ... gerade bei Dickens liesse sich leicht eine ganze Perücke in der Suppe finden - man lese nur z.B., was Arno Schmidt zum Engländer meint, und so unrecht hat Schmidt ausnahmsweise nicht. (Schmidt sieht - wenn er will - die Schwächen eines Autors meist sehr genau; bei den Stärken scheint er ziemlich zu schielen ... )


    Oft zu sentimental, kompositorisch vor allem im Frühwerk mangelhaft ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich lese beides. Klassiker oder ds weas man so als solche bezeichnen mag aber auch genauso Zeitgenössisches bzw. Autoren der letzen 40 Jahre. Uwe Jonson oder Ingeborg Bachmann habe ich jedenfalls nicht eine Minute lang bereut. Gut es gab und gibt momentan echt viel Schrott auf dem Buchmarkt und es geht mir wie Sandhofer von einem Klassiker wurde ich auch fast noch nie enttäuscht. Aber andererseits gibt es auch sehr wohl Bücher auf dem heutigen Buchmarkt die es trotzdem verdient haben einmal gelesen zu werden. Nicht alles ist totaler Schrott. Da ich auch ein bissl den Buchmarkt im Auge behalten möchte gebe ich auch neuer Literatur eine Chance. (Is ne Berufskrankheit *g*und da ich auch weiterhin im Literaturbereich arbeiten möchte unbedingt notwendig)

  • Hallo zusammen,


    im Wesentlichen - denke ich - macht es uns Spaß, unseren eigenen Geschmack zu erläutern und aus dieser Perspektive heraus zu polemisieren, das ist genauso schön wie lästern.


    Wie jemand seinen Weg durch den Lesedschungel geht, ist eigentlich egal, Hauptsache, er geht ihn. Wenn es keine Leser mehr für die Gegenwartsliteratur gäbe, gäbe es in Zukunft keine Klassiker mehr, wenn alle nur noch gehobene Literatur läsen und die Unterhaltungsliteratur verschmähen würden, gäbe es bald keine Buchhandlungen mehr: Also seien wir froh, dass die Geschmäcker der Publikümer so verschieden sind.


    In diesem Sinne: Viele Bücher im Osternest!

    HG
    finsbury


  • Hi,


    genau: Friede sei mit euch!


    Aber wie gesagt: Ohne Polemik gäbe es nur den halben Spaß: Wollte der Sache nur den teutschen Ernst nehmen.


    HG
    finsbury

  • Zitat von "Zola"


    Und Shakespeare - wer schrieb seine Dramen wirklich ? :breitgrins:


    Und Homer - den gab es nicht mal, oder? :breitgrins:

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Hm bei mir ist das Ganze zugegebenermaßen eher umgekehrt als ich es hier bei den meisten heraus lese. Ich lese die großen (und "kleinen") Klassiker eher als Zugabe zur Gegenwartsliteratur, Unterhaltungs- und "ernste", wenn man das bei Literatur so nennen kann. Problem dabei ist, dass ich mir für einen Klassiker meist mehr Zeit nehme, aber an nem unheimlichen Lesedrang leide, sprich meist 2 - 3 Sachen gleichzeitig lese. Da macht es dann eben die gesunde Mischung aus allem Drei aus, wobei dann neben einem Klassiker doch mehrere verschiedene moderne Bücher nebenher gelesen werden hintereinander. Würde mich nicht wohlfühlen, wenn ich nur Bücher hätte, an denen ich 2 Wochen und mehr lesen würde. Man braucht ja auch was für Zugfahrten etc ;-). Dazu eignet sich eben ein Dan Brown mehr als ein Goethe, Shakespeare etc..


    Aktuelle Autoren, die mir beim Lesen in den letzten Monaten sehr gut gefallen haben:


    - August Wilson: US Dramenautor, 2005 gestorben, war dabei einen 10 Dramen Zyklus über das 20. Jahrhundert aus afro-amerikanischer Perspektive zu schreiben. Schreibt recht "normale" Dramen, wenn man ihn mit anderen Zeitgenossen vergleicht, dafür sehr interessant und verbindet seine Geschichten und Figuren ebenso mit afrikanischer Mystik wie mit der US Geschichte des 20. Jahrhunderts


    - Sarah Kane: Die wohl bekannteste Vertreterin des englischen "Shout in your face" Theaters. Aber imo deutlich mehr als nur eine Theaterskandalnudel, trotz aller Gewalt und aller sexuellen Direktheit (einfache Regieanweisungen wie "she performs oral sex on him") berührend und interessant, weil eben doch mehr als diese Oberfläche dahinter steckt.


    - Thomas Bernhard: Muss ich vermutlich eh nicht mehr viel zu sagen.


    - Juli Zeh: Bin gerade dabei, nebenbei "Spieltrieb" zu lesen, sehr gut geschrieben und interessant. Irgendwie stellt man sich da doch die Frage: Ist meine Generation, wenn auch sicher überzeichnet, wirklich so oder so ähnlich?


    Abgesehen von Wilson (fürs Literatur Proseminar I) habe ich alle Bücher privat gelesen. Hätte ich mich nur auf Bücher der "klassischen Klassiker" (als Abgrenzung gemeint zu den "modernen Klassikern", also nicht rein auf die Schiller / Goethe Epoche bezogen) beschränkt, hätte ich doch einiges verpasst.

  • Ich bekenne mich (Zum bereits fünften mal, wie ich glaube ;) ) ein weiteres mal zur modernen Literatur, liebe Elfriede Jelinek, Peter Handke, Thomas Bernhard, Pynchon, Beckett, diverse Lyriker und viele die im Grenzbereich zwischen klassischer und moderner Literatur dümpeln. Die Reflexion aktueller Themen interressiert mich in der Literatur schlichtweg am meisten, und da ich ja als alte Dramenfanatikerin vor Freude rotiere, triddt ein Stück wirklich den Nerv der Zeit- mein Ressort. ;)



    So, ich glaube jetzte endlich in Worte fassen zu können, warum mich die rein klassische Lektüre niemals zu fesseln vermöchte. Liest man alleine der Werke wegen- im Grunde ist es ja schließlich auch Zweck eines Dostojevsiks´, Dostojevski zu genießen, ist eine Begrenzung der zu lesenden Literatur sicherlich sinnvoll- denn selbst bei unermüdlichstem Einsatz wird selbst ein grober Umriss der bisher geschriebenen Sprache ein zur Lebensaufgabe. Natürlich lese auch ich lieber gute Bücher als schlechte. Mir geht es aber vorwiegend darum, groben Überblick zu haben welcher Mechanismen die Sprache mächtig ist, verschiedene Ausdrucksformen auszutesten, ab und an auch Schund zu lesen , schlichtweg den Blick schlussendlich für Ästethik zu schulen, und dabei nicht eine ganze Peridode kreativsten Sprachschaffens (z.B BRuch mit Konventionen nach 1945) außer Acht zu lassen, aus Furcht ein Buch zur Seite legen zu müssen (Was bei mir, im Übrigen, in etwa bei Klassikern so oft geschieht wie bei zeitgenössischer Literatur).

  • Zitat von "Titania"

    Mir geht es aber vorwiegend darum, groben Überblick zu haben welcher Mechanismen die Sprache mächtig ist,


    Um zu erkennen, was hochstehende Sprache ausmacht und ist, muss natürlich auch minderwertige Sprache bekannt, gelesen und analysiert werden. Wer nur Thomas Mann kennt, wird ihm vielleicht gar nicht ganz gerecht, da er nicht weiss, wie selten eine solch ausgefeilte Sprache ist...



    Grüsse
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Moin, Moin!


    Deinen letzten Satz finde ich sehr interessant. Warum liest du nicht das wonach dir der Sinn steht sondern zwanghaft etwas klassisches?


    Das Neue verdrängt das Alte. Es besitzt Reize, denen man erliegt. Beispiel Deutscher Buchpreis. Einige liebäugelten damit, alle Titel der Longlist zu lesen oder wenigstens dann die der Shortlist. Die Klassiker hingegen werden im Vergleich zum Jetzigen medial so viele seltener promotet. Wenn ich auf meine Buchwunschliste blicke, geht von den Klassikern ein milderer Zwang & Schein aus als von Titeln, die gerade erst auf ihr gelandet sind und irgendwie greller funkeln. Zum Beispiel lechze ich förmlich danach, Thomas Hettches "Kruso" zu lesen. Ach, ich weiß auch nicht, wie ich's erklären kann.


    Wenn ich also immer dem stärkeren, aggressiveren Reiz nachgäbe, läse ich Klassiker vielleicht gar nicht mehr!


  • Zum Beispiel lechze ich förmlich danach, Thomas Hettches "Kruso" zu lesen. Ach, ich weiß auch nicht, wie ich's erklären kann.


    Kann man auch nicht erklären. :zwinker: 'Kruso' ist nämlich von Lutz Seiler. Thomas Hettches Roman heißt 'Pfaueninsel' : :winken:


    Im übrigen habe ich letzeren gerade gestern ausgelesen und empfehle ihn vor allem der klassikeraffinen Gemeinde hier sehr. Es treten sehr viele alte Bekannte auf, u.a. ein Herr Peter Schlemihl. Ich mache mal einen eigenen Strang dazu auf, denn das Buch bedarf durchaus einiger Diskussion.

  • Dostoevskij: um ehrlich zu sein verstehe ich es immer noch nicht. Was ist so schlimm daran keine Klassiker zu lesen?
    Ich habe zudem die Erfahrung gemacht: je mehr man sich zu etwas zwingt desto weniger Lust hat man letztendlich dazu. Daher lese ich nur mehr worauf ich Lust habe. Und nicht mehr das was man "sollte" oder auf irgendeiner Liste steht.