Adalbert Stifter


  • Oh, Arno Schmidt ist ernstzunehmen. Nämlich: Dort, wo er ein Anathema ausspricht, ist was Gutes zu finden.


    Dann hast Du bei Stifter ein Problem: Erst wird der Witiko als Sprachkunstwerk hoch gelobt ("Kronjuwel unserer Literatur"), später dann als "ein schlechtes Handbuch für Offiziersanwärter" niedergemacht. Gleichbleibend hohe Wertschätzung scheinen einige der Erzählungen zu genießen.

  • Guten Morgen,


    Ich habe vor ca. zwanzig Jahren den Nachsommer gelesen und fand ihn damals ziemlich behäbig. Das war nicht meine Sache... Den Witiko habe ich nach 100 Seiten entnervt aus der Hand gelegt - und das passiert mir selten: meistens halte ich durch bis zum Ende. Einige von Stifters Erzählungen dagegen haben mich beeindruckt.


    Wenn ich mir Stifter noch einmal vornehmen würden, dann zuerst die Erzählungen. Eventuell noch mal den Nachsommer: es ist denkbar, dass ich ihn heute mit anderen Augen lesen würde.


    - Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Ach, den Witiko habe ich auch erst im dritten Anlauf geschafft. Den Nachsommer hingegen lese ich regelmässig alle 3-5 Jahre. Da müsste demnach nächstens die 7. oder 8. Lektüre fällig werden ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Ach, den Witiko habe ich auch erst im dritten Anlauf geschafft. Den Nachsommer hingegen lese ich regelmässig alle 3-5 Jahre. Da müsste demnach nächstens die 7. oder 8. Lektüre fällig werden ...


    Vielleicht im November? :winken:

  • So, die Sämtlichen Erzählungen sind gerade eingetroffen. Jetzt muß ich mich nur noch überwinden, sie zu lesen. :zwinker:

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Jetzt muß ich mich nur noch überwinden, sie zu lesen. :zwinker:


    Eine Erzählung Stifter für Papa, ein Gedicht Bukowski für Mama, eine Erzählung Stifter für Schwesterchen, ein Gedicht Bukowski für Brüderchen ... :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo ihr.


    Da ich so, nein soooooo, neugierig war, habe ich eben mit den Erzählungen von Stifter begonnen. Ich war darauf eingestellt, dass ich lange Naturbeschreibungen serviert bekomme. Meine erste Erzählung: Der Condor war aber alles andere als behäbig oder langatmig :breitgrins: Nein ganz im Gegenteil. Ist das eine Vorlage für Sebald gewesen, alles Überblendungen und Schnitte. Ich musste diese "Aktion" gleich zweimal lesen :zwinker:



    LG
    Anita, die sich dann hier öfter meldet

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Ich habe nun ein Lesebuch zu Adalbert Stifter gelesen, und folgende Erzählungen waren enthalten: Der Condor, Brigitta, Der sanftmütige Obrist, Das sanfte Gesetz, Kalkstein, Bergkristall, Die Sonnenfinsternis am 8. Juli 1842, Winterbriefe aus Kirchschlag, Aus dem bairischen Walde. Nach dieser Lektüre würde ich Stifter als religiös, etwas bieder und altbacken, mit einer enormen Portion Romantik beschreiben; aber diese Mischung hat mir gar nicht so schlecht gefallen. Denn Stifter lässt beispielsweise die Natur leben, stellt sie aber nicht überhöht auf einen Sockel. Er erkennt ihr ihre wohltuende Heilwirkung an, zeigt aber gleichzeitig, dass sie auch Zähne hat, beispielsweise in „Bergkristall“. Dadurch wirkt Stifter realistischer. (Romantik ist entweder himmelhoch "Weiß" oder deprimierend "Schwarz", dazwischen gibt es nichts.)


    Seine Naturbeschreibungen sind fantastisch, ich freue mich schon sehr auf den „Nachsommer“.


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Stifter ist mir hauptsächlich aus der Schule in Erinnerung, das besonders Markante an seiner Schreibweise ist, dass er sehr lange verschachtele Sätze bildet. Unser Professor nannte sie "Stiftersätze". Diese wurden vorzugsweise als Beispiele für Satzanalysen herangezogen.
    Gelesen habe ich von Stifter die Erzählung "Der Waldsteig", diese Erzählung hat mir sehr gut gefallen. Wäre es ein Roman würde man ihn als typischen Entwicklungsroman bezeichnen.


    Zu den in diesem Thread angesprochenen Austriazismen möchte ich als Österreicherin sagen, dass es sich dabei auch um antiquierte Wörter handelt. Z. B. ist mir das Wort "Schloßen" für Hagelkörner wohl bekannt, allerdings als veraltetes Wort. Dass es typisch österreichisch ist, denke ich nicht.


    mit besten Grüßen
    Susanne

  • Hallo,


    kann mir jemand helfen bei "Der Mappe meines Urgroßvaters". Da gibt es ja verschiedene Fassungen. Welche ist denn nun am lesenswertesten? Bei Manesse ist die letzte Fassung abgedruckt, bei Artemis & Winkler kann man verschiedene Fassungen lesen.


    Gruß, Thomas

  • Zitat von "klassikfreund"

    kann mir jemand helfen bei "Der Mappe meines Urgroßvaters". Da gibt es ja verschiedene Fassungen. Welche ist denn nun am lesenswertesten? Bei Manesse ist die letzte Fassung abgedruckt, bei Artemis & Winkler kann man verschiedene Fassungen lesen.



    Hallo Thomas,


    ich habe die 2. Fassung gewählt, in einer Reclam-Ausgabe. (Herausgegeben von Karl Pörnbacher)
    Sie ist die Fassung, die Stifter noch selbst überarbeitete und fertigstellte.
    Die 3. und 4. ist, soviel ich weiß, nicht mehr von ihm fertiggestellt worden.


    In der Reclam Ausgabe sind zusätzlich noch Auszüge aus der Urfassung und der letzten Fassung enthalten, ebenso ein Nachwort und reichlich Anmerkungen.



    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Ich habe mir gesten den Nachsommer auf meinen Reader geladen. Mal sehen wann ich dazu komme ihn zu lesen. Falls mir das Buch aber zu schwer oder zu langweilig sein sollte, werde ich wohl als erstes eher zu einer seiner zahlreichen Erzählungen greifen.


    Katrin

  • Ich hab heute längere Zeit in Uwe Bresan: Das Rosenhaus gelesen.


    Abstract:
    Es mag verwegen klingen, den Ursprung der modernen Architektur ausgerechnet in der österreichischen Provinz verankern zu wollen. Doch tatsächlich finden wir hier – mit Adalbert Stifters "Nachsommer" von 1857 – die wohl früheste Formulierung einer Urhütte der Moderne. Stifter (1805-1867), der Nationalheilige der österreichischen Literatur, beschreibt in seiner Erzählung auf das ausführlichste und umfänglichste das sogenannte Rosenhaus. Vor allem die Architekten der traditionellen Richtung waren immer wieder fasziniert von diesen Beschreibungen und ließen sich von Stifter auf die vielfältigsten Weisen anregen. Die Ausführungen des Hausherren des Rosenhofes über die Produkte seiner Werkstätten und die Schilderungen des einfachen Lebens in den Räumen des Rosenhauses fanden einen immensen Widerhall bei den Baumeistern der frühen Werkbundbewegung, ebenso wie bei den Architekten aus dem Umfeld der Stuttgarter Schule. So lassen sich nachsommerliche Impulse in Leben, Werk und Lehre der traditionellen Architekten Paul Schultze-Naumburg, Theodor Fischer und Paul Schmitthenner entdecken, aber auch bei Vertretern einer dezidierten Moderne wie Erich Mendelsohn, Bruno Taut oder Walter Gropius. So kann gezeigt werden, dass Schultze-Naumburgs privates Anwesen im sachsen-anhaltinischen Saaleck eine vollständige Realisierung des Rosenhauses und der damit verbundenen Lehrwerkstättenidee darstellt. Und am Beispiel von Paul Schmitthenner und Theodor Fischer kann auf eindrucksvolle Weise nachvollzogen werden, wie Stifters "Gesetzbuch des schönen Lebens" Werk, Lehre und Alltag eines Architekten bestimmen konnte. Für Friedrich Nietzsche, der den "Nachsommer" unter die wenigen Werke deutscher Literatur nach Goethe einordnete, die es verdienten, "wieder und wieder gelesen zu werden", stellte der "Roman der heilen Welt" die Vorwegnahme seines Diktums dar, dass das Dasein nur als ein Ästhetisches zu rechtfertigen sei. Das Rosenhaus, und dessen ethisches sowie ästhetisches Ideal, bildete die dazu entsprechende räumliche Form. Der "Nachsommer" ist, mit Roland Barthes gesprochen, eine Utopie – genauer: eine häusliche Utopie – "die gestaltende Suche nach dem höchsten Gut, was das Wohnen angeht." Dabei sind die selbstgewählten, ästhetischen Verhaltensweisen, die Stifter damals – am Beginn der Moderne – begründete, bis heute Merkmal der Formen des Bürgerlichen und sein Rosenhaus das Modell einer modernen, bürgerlich-traditionellen Architektur. Für beides, für die Ästhetik des Lebens wie auch für die entsprechende Architektur, diente Goethe oder besser die Beschreibung Goethes durch seinen Sekretär Eckermann als Vorbild.


    Und mehr als nebenbei geht es auch um die literarische Stifter-Rezeption, inclusive die auch hier (und auch von mir) sehr gemochten Arno Schmidt und Thomas Bernhard.


    Kürzeres zum Thema vom Autor hier.


    Meine "Nachsommer"-Lektüre liegt wohl so 35 Jahre zurück ...


    Gruß
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Nun, für einen der schönsten Romane halte ich ihn nicht, da würde ich eher Stifters Nachsommer einordnen. Aber Witiko ist ein äußerst faszinierender Roman mit einem ungewöhnlichen Sujet und dem dazu passenden Stil. Auch meine Empfehlung.


    Gruß, Thomas


    Hallo zusammen,


    ich habe diese Diskussion hier entdeckt und freue mich, dass man irgendwo über Stifter redet. :-)


    Anlässlich einer Literatursendung im HR, in der auch über Stifter geredet wurde, ist mir letztes Jahr noch einmal bewusst geworden, warum ich den Witiko überhaupt kenne (einige kleinere Werke von Stifter habe ich auch gelesen und mag sie gerne). Das hat wohl vor allem damit zu tun, dass in unserer Familie Bonhoeffer gelesen wurde und in Bonhoeffers Haftaufzeichnungen viel vom Witiko die Rede ist. Ich habe das nach der Sendung mal ein bisschen recherchiert und zusammengestellt und dann an den Moderator geschickt, einfach nur so als Fußnote. Ich fand es ungeheuer spannend, wie hier der vermeintliche 'Idylliker' und der 'Tyrannemörder' in einen inneren Dialog treten. Vielleicht interessiert es Euch:



    LG
    JHNewman


  • Einen interessanten Zusammenhang, den du hier präsentierst.



    Ja, sehr interessant und mehr als das! Bonhoeffers Vorliebe für Stifter war mir bislang nicht bekannt. Es hat mich berührt zu lesen, dass er in der Zeit der Inhaftierung und existenziellen Bedrohung Stifters Lektüre als wohltuend und heilsam empfunden hat. Gerade habe ich Stifters Erzählung Abdias wiedergelesen und mich gefragt, warum diese simple Hiobsgeschichte um einen gefährdeten und einsamen Menschen mich so fasziniert. Das „geborgene und verborgene Leben seiner Gestalten“, Besinnung auf „die wesentlichen Lebensinhalte“, „Reinheit der Sprache und der Personen“, „seltenes merkwürdiges Glücksgefühl", die Stichworte Bonhoeffers, die du zitiertst, beschreiben ziemlich genau, wonach ich suchte.
    Ja, die Erzählung( ich hab durchaus noch andere therapeutische Literatur auf Lager :smile:) ist so etwas wie ein Rückzugsort, an dem ich wieder zu mir finde.. Dass, wie du schreibst, Bonhoeffer sich durch die Stifter-Lektüre „gegenüber den äußeren Umständen abzugrenzen“ suchte und „sein inneres Leben zu pflegen“, finde ich einleuchtend und berührend.
    Danke für Deine Ausführungen!

  • Ich habe vor drei Tagen begonnen den Nachsommer zu lesen und bin nun im vierten Kapitel angelangt.


    Mehr als ein Kapitel pro Tag schaffe ich nicht. Sonst schlafe ich vor Langeweile ein. In dem Buch passiert ja wirklich nichts.


    Ja. Die Beschreibungen der Natur und der Umwelt sind sehr ausführlich. Aber die komplette Handlung bisher lässt sich in drei Sätzen zusammen fassen.


    550 Seiten liegen also noch vor mir. Das kann ja heiter werden.