Elizabeth Gaskell: Norden und Süden (North and South)


  • Du hast sicher recht, aber ich denke trotzdem: Wenn jemand wirklich ganz fest daran glauben wuerde, dass es dem Verstorbenen unvergleichlich viel besser geht als den Lebenden und er ausserdem sicher waere, dass man sich - mit Erinnerung an das, was man auf Erden einander war (und so liest sich ja die Stelle im Joh.-Ev. Euer Herz erschrecke nicht...) - wiedersehen wuerde, duerfte die Trauer nicht SOOOO herzzerreissend sein wie bei Vater Hale, bei dem es ja so weit ging, dass er nicht mehr beten konnte.
    Es gehoert vielleicht nicht hierher, aber dann kann man ja auch gleich unglaeubig sein(?). )


    Dazu müsste man den Glauben dann schon irgendwie utilitaristisch verstehen (im Sinne von: "Ich glaube, damit dies oder jenes funktioniert...")


    In der Tat gibt es in einigen christlichen Kreisen so eine Art Leidensverneinung und Übergehen der Trauer. Da werden dann Tod und Verlust überspielt durch eine Betonung der Hoffnung und des ewigen Lebens. Mich befremdet das immer. Meinem Verständnis nach ist christliche Hoffnung immer eine Hoffnung im Angesicht von Leid und Tod. Beide (Leid und Tod) verlieren dabei nichts von ihrer Gewalt und manchmal auch nichts von ihrem Schrecken. Sie sind da und sie sind real. Die christliche Hoffnung stellt ihnen allerdings etwas gegenüber, sodass sie nicht die einzigen Erfahrungen bleiben und auch nicht die endgültigen.


    Und damit sind wir dann wirklich ziemlich auf die Meta-Ebene gelangt. :winken: :zwinker:

  • Inzwischen bin ich auch mit dem Buch fertig. Der Schluss ist etwas abrupt aber eigentlich ganz gut gelöst. Schmalzige Liebesszenen zwischen Margaret und Thornton wären etwas fehl am Platze gewesen.


    Ich kann verstehen, dass Margaret den Aufenthalt bei den Lennoxes in London langweilig und deren Beschäftigungen oberflächlich empfindet. Trotzdem hat es mich etwas gewundert, dass sie offensichtlich der Zeit in Milton hinterhertrauert. Es war ja doch keine angenehme Zeit dort. In der englischen Wikipedia wird erwähnt, dass Gaskell ihren Roman scherzeshalber gerne "Death and Variations" genannt hätte, da der Tod bzw. die verschiedenen Tode eine große Rolle in der Entwicklung der Geschichte spielen. Schade, dass auch Mr Bell noch sterben musste, er war ja so etwas wie der "Lichtblick" des Romans.


    Ich habe mir jetzt übrigens Hard Times von Dickens gekauft, da dieses Buch ja direkt vor North and South in Dickens' Zeitschrift Household Words erschien und erfolgreicher war.

  • vielleicht habe ich noch einen Gefaehrten in Lauterbach(?), das waere schoen, weil ich immr noch gefaehrlich hinterherhinke. Ich staune, was Ihr alles wisst. Newman, bist Du etwa selbst Pfarrer?
    Worueber ich gerne noch etwas "gehoert" haette, evtl von Macneth, sind die den Kapiteln vorangestellten kleinen Gedichte. Diese und die zahlreichen Zitate im Text, zeigen, dass die Gaskell ein Ausbund an Belesenheit gewesen sein muss. Die Gedichte sind auch m.E. sehr schoen uebersetzt, soweit sie nicht - was erstaunlich oft der Fall ist - von deutschen Dichtern stammen. Meine Frau sagt, dass sie wenig mit den Gedichtchen anfangen konnte. Das kann ich von mir so nicht sagen. Ich finde, sie geben den einzelnen Kapiteln eine durchaus passende "Grundierung".
    Wie gesagt, ich lese das Buch zum dritten Mal kurz hintereinander und ich finde es bei jedem Mal Lesen noch besser. Es ist ein erstaunliches Buch. Der Gedanke von Macneth, dass die Gaskell einen Weg aufgezeigt hat, der heute noch zukunftsweisend sein koennte, wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Wohl aller miteinander umgehen sollten, spricht mich zwar auch an, ich weiss aber zu wenig darueber. Gegen diese Idee koennte moeglicherweise sprechen, dass "notwendige" Gegensaetze verkleistert werden(?).

    if all you have is a hammer, all you see looks like a nail.

  • Mal schauen, ich lese das Buch aktuell auch, bin aber erst auf S. 125 - vielleicht schreibe ich hier auch noch das eine oder andere.


    Ich habe übrigens Christina auf der Leipziger Buchmesse getroffen, einen kurzen Bericht findet Ihr =>hier<=. :zwinker:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo,


    ich bin erst in Kapitel 25, es folgte die Liebeserklärung von Thornton an Margaret.
    Die Absage von Margaret fand ich etwas verworren. Vorher die Szene beim
    Streik der Arbeiter, die Thornton gefährlich nahe gekommen sind, fand ich sehr
    spannend erzählt. Bisher fesselt mich das Buch sehr.


    Gruß, Lauterbach

  • Ich habe mir jetzt übrigens Hard Times von Dickens gekauft, da dieses Buch ja direkt vor North and South in Dickens' Zeitschrift Household Words erschien und erfolgreicher war.


    Wir haben Hard Times hier auch in einer Leserunde gelesen, und ich finde, dass er als Pendant hervorragend zu "Norden und Süden" passt, ein ähnliches Sujet, aber ein ganz anderer Stil, auf der einen Seite viel bissiger als Gaskell, auf der anderen Seite sehr melodramatisch und viel weniger elegant als Gaskells "Schreibe". Aber beide Romane haben ihre berechtigte Stellung in der Literatur und auch in diesem Sujet der "Industrieromane".
    Und im Übrigen mag ich Dickens -trotz allen Kitsches- wegen seiner wunderbaren Figuren.


  • Wir haben Hard Times hier auch in einer Leserunde gelesen, und ich finde, dass er als Pendant hervorragend zu "Norden und Süden" passt, ein ähnliches Sujet, aber ein ganz anderer Stil, auf der einen Seite viel bissiger als Gaskell, auf der anderen Seite sehr melodramatisch und viel weniger elegant als Gaskells "Schreibe". Aber beide Romane haben ihre berechtigte Stellung in der Literatur und auch in diesem Sujet der "Inudstrieromane".
    Und im Übrigen mag ich Dickens -trotz allen Kitsches- wegen seiner wunderbaren Figuren.


    Danke für den Hinweis, finsbury! Da bin ich gespannt, was ihr in der Leserunde dazu geschrieben habt.


    Momentan lese ich gerade Nice Work von David Lodge, quasi ein moderner Industrieroman und eine Art Pastiche zu North and South im Speziellen und die englische "industrial novel" im Allgemeinen. Der Roman ist der dritte Teil der Campus-Trilogie, die ich sehr mag und sehr amüsant finde. (Hier dann also: "campus novel" trifft "industrial novel".)


  • Worueber ich gerne noch etwas "gehoert" haette, evtl von Macneth, sind die den Kapiteln vorangestellten kleinen Gedichte. Diese und die zahlreichen Zitate im Text, zeigen, dass die Gaskell ein Ausbund an Belesenheit gewesen sein muss. Die Gedichte sind auch m.E. sehr schoen uebersetzt, soweit sie nicht - was erstaunlich oft der Fall ist - von deutschen Dichtern stammen.


    Ich mag die vorangestellten Gedichte auch recht gerne.


    Mrs. Gaskell ist regelmäßig gereist, u.a. war sie auch in Deutschland (zweimal?). In der englischen Wikipedia heißt es: "In July 1841 the Gaskells travelled to Belgium and Germany, and German literature came to have a strong influence on her short stories." - Der Einfluss der deutschen Literatur hat sich also nicht nur in den Kurzgeschichten gezeigt ...


    Ja, sie muss sehr belesen gewesen sein!! Ich habe eben in der Gaskell-Biographie von Jenny Uglow geblättert ("A Habit of Stories") und das zweite Kapitel heißt "Books and the World": Elizabeth Gaskell hat früh gelesen und sie hat viel gelesen! Beim flüchtigen Überfliegen des Kapitels wurde mir leicht schwindelig. :zwinker:


    Gruß, Gina


  • Ich habe übrigens Christina auf der Leipziger Buchmesse getroffen, einen kurzen Bericht findet Ihr =>hier<=. :zwinker:


    Interessant, was ihr über das Übersetzen gesprochen habt.
    Ich war auf die Übersetzung des Dialekts der Higgins' gespannt, im Original fand ich den nicht einfach zu lesen. In der Übersetzung hat mich anfangs die "Einfachheit" der Lösung überrascht, aber beim Lesen war es absolut stimmig! Irgendein deutscher Dialekt hätte schlichtweg verkehrt oder gar lächerlich gewirkt.


    Gruß, Gina


  • Hallo,


    ich bin erst in Kapitel 25, es folgte die Liebeserklärung von Thornton an Margaret.
    Die Absage von Margaret fand ich etwas verworren. ...


    Etwas verworren und nicht wirklich überzeugend, finde ich. Sie hätte sich wohl kaum jedem so an den Hals geworfen - das war zur "Rettung" ja nicht unbedingt notwendig. :zwinker:


    Gruß, Gina


  • Interessant, was ihr über das Übersetzen gesprochen habt.
    Ich war auf die Übersetzung des Dialekts der Higgins' gespannt, im Original fand ich den nicht einfach zu lesen. In der Übersetzung hat mich anfangs die "Einfachheit" der Lösung überrascht, aber beim Lesen war es absolut stimmig! Irgendein deutscher Dialekt hätte schlichtweg verkehrt oder gar lächerlich gewirkt.


    Gruß, Gina



    ich bin zwar bei eurer Leserunde nicht dabei, doch wäre es möglich, ein Beispiel zu zeigen wegen der "Einfachheit". Das würde mich interessieren.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • ich bin zwar bei eurer Leserunde nicht dabei, doch wäre es möglich, ein Beispiel zu zeigen wegen der "Einfachheit". Das würde mich interessieren.


    Gruß,
    Maria


    Mir ist kein besserer Ausdruck als "Einfachheit" eingefallen, aber vielleicht zeigt das kurze Beispiel, was ich meine.


    In Kapitel 17 sagt Higgins über Bessy:
    "Hoo's rather down i' th' mouth in regard to spirits, but hoo's better in health. Hoo doesn't like this strike. Hoo's a deal too much set on peace and quietness at any price."


    In der Übersetzung:
    "Sie is' ziemlich am Boden, was ihre Stimmung angeht, aber gesundheitlich geht's ihr besser. Sie mag diesen Streik nich'. Sie is' viel zu sehr auf Ruhe und Frieden um jeden Preis aus."



    Hoo wurde also "einfach" mit sie übersetzt und nicht in etwas "Dialektartiges" übertragen (keine Ahnung, ob es in einem deutschen Dialekt etwas Vergleichbares gibt).


    Gruß, Gina

  • Ich bin ja voellig von den Socken! Da habe ich in Angst und Schrecken gelebt, dass jetzt alles von der Fahne eilt und ich am Schluss allein im Wald pfeifen muss und nun nimmt der Sandhofer erst richtig Fahrt auf und Finsbury, Gina und Thopas schreiben auch noch mit, Maria, die gar nicht mitliest, stellt interessante Fragen und erhaelt interessante Antworten. Toll. Lauterbach, freut mich dass wir beide unseren Spaziergang gemuetlich fortsetzen koennen.
    Das "Interview" von Sandhofer mit unserer Uebersetzerin ist uebrigens auch sehr interessant.
    Ich freue mich sehr, dass ich auf dieses Forum gestossen bin. Allerdings werde ich vermutlich nach Norden und Sueden einen laengere Pause einlegen - ich bin aber nicht ganz weg wie der Gronauer - , weil ich dabei war, die Bibel von Anfang bis Ende zu lesen (bin jetzt bei den letzten Psalmen), nicht aus Froemmigkeit, sondern aus Interesse. Ist ja bekannt, dass sie ein -auch literarisch - interessantes Buch und die Quelle fuer ganze Berge von Literatur ist.
    Danke Euch allen fuer alles (werd aber sicher hier auch noch was schreiben, auch unter N&S.

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  • Ich werde allerdings sehr, sehr langsam lesen - weil noch anderes daneben auf mich wartet - und bin im Moment in Kapitel 15, wo der Streik so langsam am Horizont erscheint. Bisher scheinen mir die Figuren sehr gut gezeichnet, auch wenn die ständigen Missverständnisse zwischen Margaret und Frau Thornton Senior etwas an den Haaren herbeigezogen wirken...

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  • An dieser Stelle möchte ich mich nochmals bei sandhofer für das nette Gespräch auf der Leipziger Buchmesse bedanken! Genau wie Volker hätte er sich mehr Anmerkungen zu den Gedichten und Zitaten gewünscht. Ein Grund, warum ich mich bei den Anmerkungen (sowohl in Bezug auf die Anzahl als auch in Bezug auf die Ausführlichkeit) eher kurz gehalten hatte, waren die bis zum Herbst 2014 hohen Preise für dicke Bücher bei Books on Demand. Gerne hätte ich das Buch großzügiger gesetzt und auch eine Kopfzeile eingeführt, aber das Taschenbuch sollte irgendwie bezahlbar bleiben.
    finsbury: Die knappe Formulierung ist es wohl auch, die den Leser der Anmerkung bezüglich des Fliegens (Nr. 89, Seite 419) zum Schmunzeln bringt – auch mich, wenn ich sie ganz unvoreingenommen lese. :zwinker:
    In die nächste Auflage werde ich mehr zu den Gedichten schreiben. Wenn Ihr konkrete Fragen zu einzelnen Gedichten oder Zitaten habt, beantworte ich sie Euch gern bereits jetzt und hier.


    Volker: Was nun einen Verlagswechsel angeht, bin ich etwas skeptisch. Die Buchverträge bei BoD sind zeitlich begrenzt und werden bei Nichtkündigung verlängert. Ein Wechsel wäre also möglich. Aber wäre er wünschenswert? Einerseits würde das Buch in den Buchhandlungen stehen und einem größeren Leserkreis auffallen. Andererseits kann eine Übersetzung darunter leiden, wenn ein Lektor der fertigen Übersetzung seinen Stil aufdrückt. Es würde mir keinen Spaß machen, die Übersetzung nach dem Sprachgefühl eines Dritten umzuschreiben. Von Vorteil wäre es natürlich, wenn durch die kritische Lektüre vielleicht verschiedene Stellen verbessert werden könnten, deren Verbesserungswürdigkeit sich mir entzieht, weil ich sie lediglich aus meiner eigenen Perspektive sehe. Bei Volker möchte ich mich für die Mühe bedanken, verschiedene Stellen mit mir zu diskutieren, die ihm aufgefallen waren. Dadurch habe ich bereits eine Korrektur für die nächste Ausgabe gewonnen. Wenn Ihr über einzelne Stellen gestolpert seid und an ihrer Richtigkeit zweifelt, zögert bitte nicht, mir das zu sagen!


    GinaLeseratte: Elizabeth Gaskell hat ihre eigene Belesenheit an ihre Hauptfigur Margaret "weitergegeben". Mir wurde schwindelig, als es in Kapitel 3 (deutsche Ausgabe S. 31) hieß, dass Margaret das "Paradiso" von Dante im Original liest. Im Übersetzerstudiengang war Italienisch meine erste Fremdsprache. Trotzdem würde ich es aufgrund der alten Sprache als harte Arbeit betrachten, dieses Buch im Original zu lesen. Margaret macht das mal so nebenbei aus Langeweile. Hut ab!
    Es freut mich auch, dass Dir die Art, in der ich den Dialekt übersetzt habe, gefällt. Für viele Dialektwörter gibt es kein entsprechendes deutsches Pendant. Beispielsweise bezeichnet das Wort "wench" ein weibliches Wesen im weitesten Sinne, ähnlich dem veralteten deutschen Wort "Weib". Ich habe es jeweils dem Kontext entsprechend übersetzt, oft als "Mädchen", einmal "young wench" als "junges Ding". Da die Wirkung auf den Leser in einer Übersetzung erhalten bleiben muss, wollte ich es unbedingt vermeiden, den Leser durch eine zu ungewöhnliche Wortwahl vor den Kopf zu stoßen. Durch die schnoddrige Umgangssprache wollte ich den Effekt erzielen, den der Dialekt im Original hat: die Arbeiter einer niedrigeren sozialen Schicht zuzuordnen als die Thorntons und die Hales. sandhofer und ich waren uns in dem Interview einig, dass das Sprechen im Dialekt im Deutschen durchaus anders aufgefasst wird. Insbesondere im süddeutschen Raum wie auch in der Schweiz oder in Österreich charakterisiert es den Sprecher nicht als Angehörigen der unteren Schichten.

  • An dieser Stelle möchte ich mich nochmals bei sandhofer für das nette Gespräch auf der Leipziger Buchmesse bedanken!


    Gern geschehen. Ich habe gerade noch etwas vergessen Gegangenes nachgeholt und in einem Kommentar Deine Homepage ergänzt.


    GinaLeseratte: Elizabeth Gaskell hat ihre eigene Belesenheit an ihre Hauptfigur Margaret "weitergegeben". Mir wurde schwindelig, als es in Kapitel 3 (deutsche Ausgabe S. 31) hieß, dass Margaret das "Paradiso" von Dante im Original liest. Im Übersetzerstudiengang war Italienisch meine erste Fremdsprache. Trotzdem würde ich es aufgrund der alten Sprache als harte Arbeit betrachten, dieses Buch im Original zu lesen. Margaret macht das mal so nebenbei aus Langeweile. Hut ab!


    Das hatte ich ganz überlesen. Jetzt, wo Du es sagst: In Gaskells Kurzgeschichte "Cousine Phillis" von 1865 ist es die im Titel genannte Cousine, die von ihrem Geliebten (der dann abreist und sich später einer andern zuwendet) ins Italienische von Dante eingewiesen wird. Sie kann zwar ein bisschen Italienisch, hat auch ein Wörterbuch, aber der Geliebte, der mal in Italien gearbeitet und somit gelebt hat, weiss natürlich viel mehr...

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  • Christiane, es ist wunderbar, dass Du hier mitschreibst. Ich habe uebrigens bisher keine Antwort von Reclam. Deine Ueberlegungen finde ich uebrigens gut. Ich bin da zu forsch vorgeprescht.

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    Einmal editiert, zuletzt von Volker ()


  • GinaLeseratte: Elizabeth Gaskell hat ihre eigene Belesenheit an ihre Hauptfigur Margaret "weitergegeben". Mir wurde schwindelig, als es in Kapitel 3 (deutsche Ausgabe S. 31) hieß, dass Margaret das "Paradiso" von Dante im Original liest. Im Übersetzerstudiengang war Italienisch meine erste Fremdsprache. Trotzdem würde ich es aufgrund der alten Sprache als harte Arbeit betrachten, dieses Buch im Original zu lesen. Margaret macht das mal so nebenbei aus Langeweile. Hut ab!


    Ich bin bei der Dante-Stelle kurz in Ehrfurcht erstarrt ... (Meine mickrigen Italienischkenntnisse reichen bei weitem nicht für einen auch nur annähernd so anspruchsvollen Text.)


    Mir kam auch gleich "Cousine Phillis" in den Sinn, auf die sandhofer schon hingewiesen hat (Danke sandhofer :winken:). Phillis sagt einmal: "... wenn ich nur dieses alte Italienisch entziffern könnte!" - Mrs. Gaskell wusste also auch um die Mühen der alten Sprache. :zwinker:



    Durch die schnoddrige Umgangssprache wollte ich den Effekt erzielen, den der Dialekt im Original hat: die Arbeiter einer niedrigeren sozialen Schicht zuzuordnen als die Thorntons und die Hales. sandhofer und ich waren uns in dem Interview einig, dass das Sprechen im Dialekt im Deutschen durchaus anders aufgefasst wird. Insbesondere im süddeutschen Raum wie auch in der Schweiz oder in Österreich charakterisiert es den Sprecher nicht als Angehörigen der unteren Schichten.


    Durch die schnoddrige Sprache ist die Abgrenzung der Schichten sehr gut gelungen!


    Als ebenfalls "süddeutsches Pflänzchen" teile ich eure Auffassung. :smile:


    Gruß, Gina

  • Am Anfang unserer schoenen Leserunde hat ja finsbury die wunderschoene Stelle mit dem Kirchturm (den beiden K.) zitiert. Es gibt viele Stellen im Buch, die mir gut und sehr gut gefallen haben, aber gestern Abend hat mich eine Stelle sehr angesprochen( Kap. 44,zweite Seite, bei mir im Buch S.438), vielleicht ist es Euch auch so gegangen. Die Sprachmelodie finde ich auch besonders schoen (auch hier Danke an Christina Neth):
    Dann wanderten ihre Gedanken nach Milton zurueck und vermittelten ihr ein seltsames Gefuehl des Gegensatzes zwischen dem Leben dort und hier. Sie wurde der ereignislosen Ruhe, in der keine Anstrengung oder Bemuehung erforderlich war, allmaehlich ueberdruessig. Sie befuerchtete, sie wuerde sogar so weit eingschlaefert und abgestumpft werden, dass sie alles, was jenseits des sie mit Luxus umschmeichelnden Lebens lag, vergessen koennte. Es mochte auch in London Menschen geben, die sich abrackerten, aber sie bekam sie nie zu Gesicht; selbst die Bediensteten, von denen sie weder die Hoffnungen, noch die Aengste kannte, lebten in ihrer eigenen Welt unter der Erde; sie schienen nur dann ploetzlich ins Leben gerufen zu werden, wenn ein Wunsch oder eine Laune ihres Herrn und ihrer Herrin ihrer bedurfte. In Margrets Herzen und in ihrer Lebensweise herrschte eine seltsame unzufriedene Leere, und als sie das einmal Edith gegenueber leicht angedeutet hatte, streichelte Letztere, muede vom Tanzen am Vorabend, matt Margrets Wange, wie sie da in der altgewohnten Haltung bei ihr sass - auf einem Schemel neben dem Sofa, auf dem Edith lag.
    ´Armes Kind!´ sagte Edith, ´es ist ein wenig traurig fuer dich, gerade in dieser Zeit, wenn alle so froehlich sind, Abend fuer Abend daheim gelassen zu werden. Aber wir werden bald unsere Dinnerparty geben - sobald Henry von seiner Rundreise im Gerichtsbezirk zurueckkommt - und dann wird es ein wenig angenehme Abwechslung fuer dich geben. Kein Wunder, dass es truebsinnig fuer Dich ist, armes Herz!´
    Margret hatte nicht das Gefuehl, als wuerden Dinnerpartys ein Allheilmittel darstellen......."
    Uff, ein langer Text zum Abschreiben, aber schoen.

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