Moin, Moin!
Christa Wolf: “Sie schreiben in Ihrem Dostojewski-Essay sehr eindringlich über Ihre frühen Eindrücke von anderer Literatur, zum Beispiel gerade von der Erregung, die Sie und Ihre Freund während Ihrer Studienzeit für Dostojewski erfaßt hatte. Woher kam diese Erregung?”
Anna Seghers: “Ich habe das, meine ich, in dem Essay sehr genau beschrieben. Eine Wirklichkeit ist uns aus den Büchern gekommen, die wir im Leben noch nicht gekannt haben. Für uns war es eine erregende, eine revolutionäre Wirklichkeit. Ich spreche jetzt nicht von der politischen Revolution, die ja nah war, zeitlich nah war damals, sondern ich spreche von einem revolutionären Herauswühlen, In-Bewegung-Gehen des menschlichen Schicksals, etwas durch und durch Unkleinbürgerliches.” (Christa Wolf: Ein Gespräch mit Anna Seghers)
Einem Moskauer Freund schreibt sie [Anna Seghers] auf eine Frage nach der Wirkung russischer Literatur: “… Da kamen in den russischen Büchern die Gedanken und Handlungen, auch die größten, aus dem Leben heraus. Das Leben war dichter als meins, die Menschen waren mehr Menschen, ihr Leid war mehr Leid, ihre Freiheit war mehr Freiheit, der Schnee war auch mehr Schnee, das Korn mehr Korn. Weil aber alles unmittelbar aus dem Leben kam, gewann ich sozusagen den Mut zum Schreiben. Ich verstand, daß es nichts gibt, was man nicht schreiben kann… (Christa Wolf: Das siebte Kreuz)