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  • Mal sehen, ob ich das durchhalte, den "Gil Blas", auf den sich Smollett bezieht, hab ich jedenfalls ungefähr nach der Hälfte beiseite gelegt. Am Gil Blas kritisiert Smollett (imho völlig zurecht) die lockere, ziemlich unzusammenhängende Reihung diverser Szenen / Episoden als unrealistisch, entsprechend hängen bei ihm die einzelnen "Abenteuer", die sein Ich-Erzähler zu bestehen hat, auch besser zusammen, es gibt anscheinend so etwas wie einen roten Faden.

    Durch den "Gil Blas" habe ich mich seinerzeit auch ziemlich durchgequält, wie mir dein Beitrag jetzt in Erinnerung bringst: ist aber schon sehr lange her.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Mal sehen, ob ich das durchhalte,

    Tja, das war wohl nichts … Ich hab jetzt um die 200 Seiten gelesen und mich durch die letzten doch sehr gelangweilt geschleppt, pikareske Romane sind anscheinend einfach nichts für mich ;-). Da reiht sich Episode an Episode, es ist immer schon klar, wie etwas ausgehen wird (der unerfahrene Ich-Erzähler vom Land wird in London ein ums andere Mal übers Ohr gehauen, muss sich mit Bürokratie und Korruption herumschlagen, braucht ständig Geld, wenn er zufällig was bekommt, wird es ihm gleich geklaut etc.), die Figuren lernen nichts, sie entwickeln sich nicht, es ändert sich einfach immer nur die Kulisse. Das wirkt ein wenig so, als habe sich Smollett überlegt, was für einen Blödsinn sein Held denn nun noch machen kann oder welches Thema er im nächsten Kapitel satirisch beschreiben will. Es ist nicht ganz so schlimm wie Gil Blas (Smollett baut einiges Autobiographisches ein und scheint mir im Ganzen realistischer), aber das ist mir zu wenig, als dass ich das weiterlesen möchte. – Die Wikipedia fasst das eigentlich gut zusammen:


    The naive Random then embarks on a series of adventures and misadventures, visiting inter alia: London, Bath, France, the West Indies, West Africa and South America. With little money to support himself, he encounters malice, discrimination and sharpers at every turn. His honest and trustworthy character and medical skills do however win him a few staunch friends.


    Das ist literaturwissenschaftlich und für die Entwicklung des Romans als Erzählform wichtig und auch interessant – aber als Lektüre doch eher nix. Wenn man eine lange Bahnfahrt vor sich und sonst keine Lektüre eingepackt hat, mag das hingehen. Sonst eher nicht.

  • Das geht mir ähnlich mit dem Genre des pikaresken Romans. Thackerays "Die Geschichte des Barry Lyndon", die ich neulich halb durchlitten, halb genossen habe, gehört ja auch teilweise in dieses Genre, nur ist sie eben sehr viel sozialkritischer.
    Vielleicht waren die pikaresken Romane für die Leute früher das, was später die Dick und Doof-Filmchen und heute die unsäglichen Fremdschämshows sind, irgendwem muss das ja Spaß machen.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Tja. Das hat mir übrigens auch die Wiederlektüre des Don Quijote verleidet. Den hab ich, in Tiecks Bearbeitung, als Jugendlicher gelesen (und wenn ich mich richtig erinnere: mit Vergnügen). Dann hab ich mir irgendwann mal die Werkausgabe bei Zweitausendeins zugelegt und vor ein paar Jahren versucht, den Roman noch einmal zu lesen. Es ging nicht. Natürlich ist Cervantes bedeutender als Smollett oder Lesage, natürlich sind seine Satiren gehaltvoller, sein Held tragisch und nicht einfach nur albern, er erzählt, gut 100 Jahre früher, moderner und reflektierter, der DQ ist für die Entwicklung der Romanform bedeutend etc. – aber es hilft alles nichts, es ist ein Roman vom Beginn des 17. Jahrhunderts und das merkt man halt. Mir ging der burschikose Humor doch sehr auf die Nerven: Da fällt Sancho Pansa in die Jauchegrube, kriegt noch den Inhalt eines Nachttopfs übergegossen, Prügel bekommt er auch alleweil - ne. Das hat mir irgendwann gereicht und ich hab die zweite Lektüre abgebrochen.


    Der Smollett ist übrigens ein Band aus der "Bibliothek des 18. Jahrhunderts", die Anfang der 1980er-Jahre gemeinsam bei Beck (München) und Kiepenheuer (Leipzig) erschienen ist, aus der Reihe habe ich seit gut 30 Jahren noch einen Band im Regal stehen: Johann Gottlieb Schummel, "Spitzbart. Eine komi-tragische Geschichte für unser pädagogisches Jahrhundert". Das sind gut 200 Seite, dem geb ich jetzt auch mal eine Chance.

  • Danke Giesbert, dass Du meine Erfahrung mit dem Don Quijote bestätigst. Ich dachte immer, nur mir geht es so. Sonst wird das Buch ja allerorten nur gelobt. Aber ich habe mich irgendwann einfach nur noch gelangweilt. Es liegt noch irgendwo unbeendet und harrt der Dinge die da kommen werden.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Sonst wird das Buch ja allerorten nur gelobt.

    durchaus zurecht – aber das gilt letztlich nur aus der literaturhistorischer Perspektive, nicht für sagenwirmal normale Leser, die einfach einen guten Roman lesen möchten. Das ist natürlich ein großer, tiefsinniger Roman, aber mit sagenwirmal deutlichen Mängeln in der Durchführung ;-).


    Vor ein paar Jahren hörte ich mal einen Literaturpodcast, in dem Grimmelshausens Simplicissimus über den grünen Klee gelobt wurde, der Roman biete nicht nur Einblick in die Wirklichkeit des 30jährigen Krieges, sondern sei auch ein sehr komisches Buch. Den Roman hatte ich kurz zuvor in der Übersetzung von Reinhard Kaiser gelesen – wer das für sehr komisch hält, lässt sich aber sehr leicht unterhalten. Das Beispiel für den gelungenen Humor im Simplicissimus war dann auch danach: Der Ich-Erzähler geht auf Pilgerfahrt (oder irgendwas in der Art, so genau weiß ich das nicht mehr) und soll zur Buße oder dergleichen Erbsen in die Schuhe tun. Weil das weh tut, kocht Simplicissimus die Erbsen und schmiert sich den weichen Erbsenbrei in die Schuhe: Haha, Spitzenwitz. Seufz.


    (Jetzt hab ich's mal rausgesucht: Buch 5, Kapitel 1)


    Auch für den Simplicissimus gilt imho: Sehr wichtiger Text – aber wirklich Spaß macht die Lektüre nicht. Auch als Zeugnis für die Lebenswirklichkeit des 30jährigen Krieges taugt das übrigens auch nicht bzw. nur zu einem sehr kleinen Teil, der spielt nämlich (wenn ich mich da richtig erinnere) nur zu Beginn eine Rolle (die ersten 20, 30 Seiten sind dann auch in meiner Erinnerung die besten).

  • Der Simplicissimus hat aber den Vorteil, dass er sich nicht ständig wiederholt. Don Quijote wird irgendwo verprügelt, rausgeschmissen, hält Volksreden und dann wieder von vorn. Dieses Repetitive hat mich gelangweilt.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • "Die Hochzeit des Mönchs". Bei dem letzteren verrate ich nicht zu viel, wenn ich die Meinung kundtue, dass die Einrahmung der Handlung durch zwei desaströs endende Hochzeitsfeste ohne weiteres als Kommentar zu Meyers traumatischen Eheerfahrungen gelten darf.

    Ich habe mittlerweile "Die Hochzeit des Mönchs" gelesen. Die Novelle hat mich wieder großartig unterhalten und mir sogar noch etwas besser gefallen, als "Das Amulett". Nun ist es das Wesen der Novelle, straff komponiert zu sein und beispielsweise auf ausschweifende Beschreibungen zu verzichten,vielleicht ist das aber auch der Grund, dass ich das Gefühl hatte, dass kaum ein Wort zu viel oder ohne Bedacht gewählt wurde und für mein Verständnis Sprache und Stil als meisterhaft zu bezeichnen sind.


    Wie schon im "Amulett", wird hier mehrschichtig erzählt, wobei die Haupthandlung von keinem Geringeren als Dante Alighieri scheinbar aus dem Stegreif aus einer Grabinschrift erdacht wird. Die Figuren dieser Erzählung spiegelt Dante mit seinen Zuhörern (ebenso historische Figuren aus dem Umfeld Dantes, z.B. Cangrande, Ezzelino u.a.) bzw. deren Charakterzügen oder Äußerlichkeiten, was dem Publikum natürlich nicht verborgen bleibt. So wird die Handlung etliche Male durch empörte Zwischenrufe, Kommentare, Erläuterungen oder durch die bloße Beschreibung der Zuhörer unterbrochen. Dieses Spannungsfeld, das dadurch eben nicht nur zwischen den Figuren der Haupthandlung, sondern zeitgleich auch der Rahmenhandlung besteht, übt einen zusätzlichen Reiz aus und mündet an einer Stelle in einen scharfen Disput zwischen Dante und Cangrande.


    Den Boden der Novelle bildet wieder der geschichtliche Hintergrund und es ist von Vorteil, wenn man diesen nicht das erste Mal betritt. Mit den Anmerkungen und ein wenig Lust an Recherche und Nachbetrachtung offenbart sich so auch manche Anspielung.


    Ohne auf den Inhalt der Haupthandlung, die ihrerseits einen bunten Strauß an Themen – allein der paradoxe Titel "Die Hochzeit des Mönchs" sollte schon neugierig machen – eingegangen zu sein, ist da auf vielerlei Ebenen schon mehr geboten, als in manchem Roman.


    Ich habe vor einiger Zeit gerne Zitate, Worte und Eigenarten aus Texten, die mir besonders gefielen, aufgeschrieben. Irgendwann hat mich die Motivation verlassen, zumal ich das eher chaotisch denn irgendeiner Ordnung unterworfen gehandhabt habe. Also auf Zettel(chen), die irgendwo griffbereit herumlagen. Dementsprechend stecken die manchmal (eher selten) noch in Büchern oder sind irgendwann im Müll oder Ofen (sehr wahrscheinlich) gelandet.

    Die beiden Novellen von Conrad Ferdinand Meyer haben mich dazu gebracht, das spontane Aufschreiben wieder aufzunehmen.


    Zum Schluß noch ein kleines Zitat, das zu berücksichtigen auch heutzutage im Umgang miteinander so manches Mal von Vorteil sein könnte:


    Zitat

    “Astorre hatte sich von den Germanen bald losgemacht, war auf die Brücke zurückgeeilt, ohne dort den Ring noch die Frauen mehr zu finden, und sich darüber Vorwürfe machend, obschon im Grunde nur der Zufall anzuklagen war, hatte er in der ihm bis zur Vesper bleibenden Stunde den Entschluß gefaßt, in Zukunft immerdar nach den Regeln der Klugheit zu handeln. Mit diesem Vorsatz trat er in den Saal und in die Mitte der Versammelten. Der Druck der auf ihn gerichteten Aufmerksamkeit und die sozusagen in der Luft fühlbaren Formen und Forderungen der Gesellschaft ließen ihn empfinden, daß er nicht die Wirklichkeit der Dinge sagen dürfe, energisch und mitunter häßlich wie sie ist, sondern ihr eine gemilderte und gefällige Gestalt geben müsse. So hielt er sich unwillkürlich in der Mitte zwischen Wahrheit und schönem Schein und redete untadelig.”

  • Habe mit dem vierten, offiziell dritten Band von Gustav Freytags "Ahnen" begonnen: "Die Brüder vom deutschen Haus". Da geht es wohl um den Deutschherrenorden und vielleicht die Landnahme im Osten.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Johann Gottlieb Schummel, "Spitzbart. Eine komi-tragische Geschichte für unser pädagogisches Jahrhundert". Das sind gut 200 Seite, dem geb ich jetzt auch mal eine Chance.

    Ich hab ja völlig vergessen, dazu was zu notieren. Also rasch zwischendurch:


    Schummels Roman erzählt von den Geschicken des "Matthias Theophilus Spitzbart, Inspektor und Pastor des Städlein Rübenhausen". Als Inspektor, so belehrt mich der Kommentar, hatte man "die gemeinsame Oberaufsicht über Kirche und Schule der Gemeinde". Spitzbart hat also keine oder kaum praktische pädagogische Erfahrung, was ihn aber nicht davon abhält, das Buch "Ideal einer vollkommenen Schule" zu schreiben und auf seine Kosten drucken zu lassen. Das ganze wird mit vielen satirischen Querverweisen auf Basedow, das Philantropin in Dessau und diverse andere Ideen & Ideale der Zeit, genauer: 1777 (das Jahr wird im Roman genannt) versehen, der Untertitel heißt nicht umsonst "Eine komi-tragische Geschichte für unser pädagogisches Jahrhundert".


    Spitzarts Theorien schweben in völlig praxisfernen Wolkenkuckucksheimen, aber für die Finanzierung hat er sich was hübsches ausgedacht: Die Regierungen müssen nur darauf verzichten, das Geld fürs Militär auszugeben und schon kann man die tollsten Sachen finanzieren (womit er, nebenbei bemerkt, natürlich völlig Recht hat). Spitzbart findet im Stadtdirektor Heineccius aus Arlesheim einen begeisterten Leser, der ihn als Schuldirektor nach Arlesheim holt, um dort seine ideale Schule zu verwirklichen. Das geht natürlich alles ganz fürchterlich schief, Spitzbart blamiert sich als großsprecherischer Stümper, dem es noch nicht einmal gelingt, seinen völlig missratenen Sohn Israel zu erziehen. Am Ende stirbt Spitzbart mehr oder weniger aus Schmach an Nervenfieber.


    Drumherum gibt es einige Figuren,die die Romanmaschinerie in Gang halten: Spitzbarts Frau, der Sohn Israel, seine Tochter Fiekchen, zwei "gute Lehrer" als nunja Gegenentwürfe etc. Generell sind aber alle Figuren Schablonen, die Schummel auch schon mal beiseite schiebt, wenn sie ihn stören (Israel etwa, den er irgendwann aus dem Roman wirft und gegen Ende notdürftig wieder hervorholt oder Spitzbarts befreundeter Gegenspieler Senft, der ausführlich eingeführt und komplett vergessen wird, sobald der Roman Rübenhausen verlässt), es gibt einen zusammengklitterten Schluss (Spitzbart nimmt einen reichen jungen Russen auf, der unbedingt von ihm unterrichtet werden will, Fieckchen und der Russe kommen sich näher, Fieckchen wird schwanger (der letzte Schlag gegen Spitzbarts angegriffene Gesundheit), großer Skandal etc., aber das wird alles auf den letzten 20 Seiten ratzfatz abgehandelt.


    Vom Tonfall her unverkennbar Sterne oder Jean Paul als Vorbild, mitunter auch ganz amüsant, aber letztlich hat Schummel einfach viel zu wenig satirische Einfälle und weiß mit seinen Figuren nichts anzufangen.


    Unterm Strich wieder eine dieser "Entdeckungen eines vergessenen Autors", der letztlich völlig zu recht vergessen wurde. Kann man an einem verregneten Nachmittag mal lesen, aber da würde ich dann doch amüsanteres vorziehen.


    Nach dem Schummel hab ich mal wieder kaum Zeit gefunden, jetzt hatte ich partout keine Lust, meine Leselist abzuklappern und hab kurzerhand Collins’ "Die Frau in Weiß" in der Übersetzung von Arno Schmidt angefangen. Ob ich das allerdings tatsächlich noch einmal lese, weiß ich nicht so recht (ich hab's schon 2x gelesen).

  • Zitat
    und hab kurzerhand Collins’ "Die Frau in Weiß" in der Übersetzung von Arno Schmidt angefangen. Ob ich das allerdings tatsächlich noch einmal lese, weiß ich nicht so recht (ich hab's schon 2x gelesen)

    Das hatte ich auch neulich in der Hand ... Ich hatte eine Taschenbuchausgabe davon, die ich mir in meiner ersten Collins-Phase in den Achtzigern gekauft habe. Der erste Band ist verschwunden und ich habe monatelang die ganze Verwandtschaft mit meinen Nachfragen genervt. Jetzt ist bei uns in der Bücherzelle ein Hardcover dieser Übersetzung aufgetaucht, dem Anschein nach vollständig, ich habe es sofort abgegriffen.


    Ich finde Collins' stilistische Qualität erstaunlich unterschiedlich. In meinem Sammelband "Der geheimnisvolle Palazzo" konnte ich denjenigen der drei Kurzromane, bei dem Dickens mitgeschrieben hat, sofort ausmachen. In Collins' Werk, soweit mir bekannt, finde ich "Poor Miss Finch" trotz des irgendwie bemühten Plots besonders gut erzählt, was an der Perspektive liegen mag. Den "Monddiamanten" finde ich in erster Linie krimiliteraturwissenschaftlich interessant, für sich eher unspannend. "Der rote Schal" ist dramatisch, aber eher auf schlichtem Niveau, naja, es sind einige gewitzte, durchaus feministische Seitenhiebe drin. So richtig klasse ist eigentlich nur die Frau in Weiß, was man wohl hauptsächlich der Übersetzung zugute halten muss.

    Es gibt noch ein paar Werkchen von Collins online zum Download und ich habe mir auch dieses und jenes runtergeladen, in der Hoffnung, irgendwann dazu zu kommen. Ähnlich wie bei A.J. Cronin finde ich sein Werk sehr divergent. Von Dickens kann man eher gleichbleibende Qualität erwarten.

    ps. Mir fällt bei dem Thema übrigens immer Sheridan Le Fanus "Onkel Silas" ein. Dass ich in den 70ern/80ern soviel Collins gelesen habe, liegt an den "Plüschkrimi"-Verfilmungen, die mein Interesse geweckt haben. Darunter war auch eine Verfilmung von Onkel Silas. Über den Film kann ich nichts mehr sagen, aber das Buch ist einfach faszinierend. Ich habe es vor sieben oder acht Jahren ein zweites Mal gelesen und kann mich erinnern, dass ich damals schrieb, die ganzen modernen Thrillerautoren sollten sich doch bitte eine dicke Scheibe davon abschneiden. Unglaublich spannend, ausweglos erscheinend, ein Thrill erster Klasse.

  • Nach dem Schummel hab ich mal wieder kaum Zeit gefunden, jetzt hatte ich partout keine Lust, meine Leselist abzuklappern und hab kurzerhand Collins’ "Die Frau in Weiß" in der Übersetzung von Arno Schmidt angefangen. Ob ich das allerdings tatsächlich noch einmal lese, weiß ich nicht so recht (ich hab's schon 2x gelesen).

    Wollte ich neulich auch noch einmal lesen (im Original allerdings, nicht in einer Übersetzung). Ich habe es genervt nach etwas mehr als 100 Seiten weggelegt. Es sind gute Szenen drin - aber dann halt doch wieder allzu viel Viktorianisches und für den Schauerroman Typisches: Personen, die nicht alles erzählen, was sie wüssten; welche, die im entscheidenden Moment abwesend oder krank sind, so dass sie über Seiten hinweg wieder gut machen müssen, was sie gar nicht erst müssten, wären sie gleich da gewesen ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • im Original allerdings, nicht in einer Übersetzung

    Das Original hab ich noch nie gelesen, nur die Übersetzung. Und auch nur, weil das halt gewissermaßen zum Schmidt-Kanon gehört ;-). Aber die liest sich wiesollichsagen "süffig". Das ist ein ganz eigener Tonfall, den Schmidt da für seine Collins-/ Bulwer-Übersetzungen entwickelt hat, dem man problemlos hundert Seiten am Stück lauschen möchte, bei Schmidt wird Die Frau in Weiß ein echter Schmöker, ob der Roman das auch im Original ist, weiß ich nicht.


    Wenn Figuren gleich zu Beginn alles erzählen, was sie wissen, gäbe es das Genre "Krimi" nicht. Wenn ich so darüber nachdenke: Dann gäbe es überhaupt keine Erzählungen ;-). Müsste man mal drauf achten, es gibt ja eine Reihe von Romanen etc., bei denen gleich zu Beginn das Ende zumindest angedeutet wird, um dann zu erzählen, wie man von A nach B gekommen ist. Wobei mir jetzt der grandiose Einsteig von Wilders Double Indemnity einfällt: "Yes, I killed him. I killed him for money - and a woman - and I didn't get the money and I didn't get the woman. Pretty, isn't it?" Oder Lovecraft: "Es ist wahr, daß ich meinem besten Freund sechs Kugeln durch den Kopf gejagt habe, und doch hoffe ich, mit dieser Erzählung beweisen zu können, daß ich nicht sein Mörder bin."


    Ich bin übrigens bei rund Seite 150, und glaube, dass ich das weiter lesen werde. Ich hab derzeit einfach keinen Kopf für komplexere Literatur und nur recht wenig reine Lesezeit.

  • Der erste Band ist verschwunden

    Ah, die zweibändige dtv-Ausgabe! Ja, die hatte ich auch mal und vermisse sie sehr, die ist sehr viel handlicher als dieses einbändige Trum. Ich hatte schon überlegt, ob ich mir die nicht einfach noch einmal kaufe, aber es gibt sie nicht mehr. Hatte die nicht auch noch ein paar hübsche Beigaben wie ein Personenverzeichnis oder so?


    Gehofft hatte ich, dass die Schmidt-Stiftung die Übersetzung mal neu auflegen würde, Bulwers "Was wird er damit machen?" wurde ja in einer sehr schönen mehrbändigen Version rausgebracht, aber das hat sich wohl nicht so dolle verkauft, da hat man bei der Stiftung wohl Abstand davon genommen, die anderen Übersetzungen auch in der Form rauszubringen. Seinen Faulkner gibt's noch, und den Stanley Ellin, aber die dicken Dinger - den zweiten Bulwer "Dein Roman" (den Schmidt übrigens gekürzt und umbenannt hat, der heißt im Original "My novel"), der Collins, die Cooper-Übersetzungen - werden wohl nicht neu aufgelegt. Die Frau in Weiß ist auf dem Buchmarkt einfach zu präsent, Bulwer und Cooper für den Verlag wohl zu riskant. Das ist schade, denn Bulwers "Dein Roman" kenne ich noch nicht.

  • Aber die liest sich wiesollichsagen "süffig". Das ist ein ganz eigener Tonfall, den Schmidt da für seine Collins-/ Bulwer-Übersetzungen entwickelt hat,

    Stimmt wohl. Ich kenne nur seine Übersetzung "Was wird er damit machen?". (Oder war's doch "tun"? - Ich habe das Buch im Moment nicht bei der Hand.) Klingt ganz anders als er sonst klingt.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus