Was lest ihr gerade?

  • "Doktor Schiwago" hat ene merkwürdige Wirkung. Im Wiki-Artikel zu dem Roman steht, dass eine Fülle von Personen vorkäme, die auf eine nicht gerade wirklichkeitsnahe Weise miteinander vernetzt sind, also einander immer wieder in den unwahrschenlichsten Situationen begegnen. Das erfordert hohe Aufmerksamkeit - ich habe angefangen, mir kleine Verweise (Seitenzahlen) an den Seitenrand zu schreiben. Außerdem stellt Pasternak das Geschehen um seine Romanfiguren immer wieder in den geschichtlichen Zusammenhang, allerdings so nebenbei und unaufdringlich, dass man leicht darüber hinwegliest.

    Andererseits schreibt Pasternak ungemein bildhaft, stark in der Schilderung von Umgebung, Wetter und Stimmung und auch in der Charakterschilderung. Das Buch ist in kurze, oft sehr kurze Kapitel unterteilt, und jedes Kapitel schildert eine Einzelsituation derart stark und mitreißend, dass ich anfangs über die größeren Zusammenhänge einfach weggelesen habe. Ich hatte das Buch schon halb durch, als ich merkte, dass ich den Faden so gut wie völlig verloren hatte - obwohl ich noch immer mit Genuss weiterlesen konnte! Aber so, machte ich mir klar, ging es nicht weiter. Also machte ich mir eine Personenliste und fing noch einmal von vorne an. Diesmal langsam, mit Sorgfalt und mit meinen Querverweisen.

    Ein Beispiel: Larissa ist als Jugendliche einmal bei einem Kirchenbesuch heftig ergriffen und sagt sich selbst vor: "Selig sind die Leidtragenden, die Schwachen und Unterdrückten. Sie haben der Welt etwas Besonderes zu sagen, ihnen gehört die Zukunft. Das also hatte Er gedacht. Das war Seine Meinung." Sehr viel später und sehr viele Seiten weiter wird einmal, als sie einen Bekannten ihrer Jugend wiedertrifft, auf "Gottes Meinung" angespielt. "Sie erinnerte sich an Gottes Meinung." Das ist alles, was da steht. Die meisten Autoren würden an dieser Stelle deutlicher werden, den Leser an die Kirche erinnern. Pasternak begnügt sich mit dem kurzen Hinweis und überlässt es dem Leser, ob er sich erinnert, evtl. zurückblättert oder sich die Mühe nicht machen möchte. Ich lese jetzt sehr aufmerksam, kann aber sicher nicht hundertprozentig vermeiden, dass mir einiges entgeht. Ein wenig hilft der Wiki-Artikel.

    Das Buch ist wunderbar!

  • Nach der beeindruckenden Prosa von Angelika Klüssendorf, die leider viel zu kurz war, bin ich nun auf der Suche.

    Vielleicht sollte ich mal was vom letztmaligen Nobelpreisträger, Kazuo Ishiguro lesen, der ja hier im Forum schon gut, soweit ich mich

    richtig erinnere, besprochen wurde. Damals in Nagasaki habe ich mir aus der Bibliothek ausgeliehen. Ich werde mal reinlesen.


    Gruß, Lauterbach

  • Ich bin jetzt auf den letzten Seiten von "Damals in Nagasaki" von Kazuo Ishiguro, und es gefällt mir sehr gut.

    Ich hatte schon Befürchtungen, das mir das so wie mit anderer japanischer Literatur gehen würde, sie mir fremd bleiben würde.

    Das hat sich nicht bewahrheitet.


    Gruß, Lauterbach

  • "Die Bücherdiebin" von Markus Zusak und weiterhin den "Don Quichote".

    Ersterer Roman ist im Stil eines Jugendbuches verfasst, von Form, Sprache und Inhalt her aber durchaus herausfordernd, wenn auch gut zu lesen.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Ich bin nun im 3. Teil in MoE. An einem Stück kann ich nicht dranbleiben, aber nun habe ich die,Hälfte des Buches erklommen und trotz, dass ich manche Gespräche zwischen Arnheim und Ulrich nicht ganz folgen kann, so,gibt es mir doch langsam ein Gesamtbild. Und irgendwie fasziniert mich das Buch doch.


    Zwischen durch las ich als Kontrast „Die Europäer“ von Henry James. Die Dialoge die in MoE fehlen, gibt es in den „Europäer“ zu genüge. :-)


    Und „Das blaue Buch“ von Erich Kästner. Sein Kriegstagebuch. Interessante Lektüre.

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Von Kazuo Ishiguro hab ich mir jetzt "alles was wir geben mussten" ausgeborgt.

    Dazu habe ich den Film gesehen, der auch sehr gut ist. Kira Knightley in einer ihrer ersten Rollen. Nicht Hollywood, sondern sehr britisch, sehr intensiv. Sollte die Romanvorlage gut umgesetzt worden sein, kann das Original nur noch besser sein.

    "Die Bücherdiebin" ist durchaus empfehlenswert, wenn ich auch eigentlich nicht dieses Jugendbuch-Outfit mag.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Ich habe gerade meinen russischen Lesemonat und bin in Tschechows Dramen unterwegs. Gerade 'Die Möwe'. Zuvor von Turgenjew die neue Ausgabe des Romans 'Das Adelsgut' bei Manesse. Ich bin ja etwas genervt von Manesse, weil sie einfach die Gestaltung der Reihe so verändert haben, dass die neuen Bände nicht zu den alten passen. Aber der Turgenjew-Band ist hübsch gemacht. Der Roman selbst ist jedoch eher zweite Wahl - verglichen mit 'Väter und Söhne' und den wundervollen 'Aufzeichnungen eines Jägers'. Eher ein etwas rührseliges Histörchen mit Entsagung und schließlichem 'Ins-Kloster-Gehen'. Hat mich nicht so recht begeistert. Dann doch lieber Tschechow.


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    Ach, und noch eine wirkliche Entdeckung, eine junge polnisch-ukrainische Autorin: Żanna Słoniowska und ihr Roman 'Das Licht der Frauen'. Leider ein völlig dämlicher Titel (das poln. Original heißt 'Das Haus mit der Glasmalerei'). Und leider ist auch die Covergestaltung ziemlich fürchterlich. Beides verkauft diesen bemerkenswerten und literarisch anspruchsvollen Roman völlig unter Wert... Und wenn ich nicht gesehen hätte, dass Olaf Kühl das Buch übersetzt hat und die Autorin in Polen mit hochrangigen Preisen dekoriert wurde, hätte ich das Buch gar nicht gekauft. Der Roman ist exzellent: die Geschichte einer Lemberger Familie, mehrfach gebrochen durch Generationenwechsel und Entwurzelung sowie ethnische Selbtverortung. Im Stil ganz eigenwillig und kraftvoll, ein bisschen hat es mich an Bruno Schulz erinnert.


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  • Ich habe den Schiwago schon seit ein paar Tagen durch, habe danach einen Krimi gelesen, den ich mir aus der Onleihe bestellt hatte und der endlich frei geworden war, und jetzt einen südamerkanischen Roman begonnen. Aber noch immer sind Jurij und Lara an meiner Seite ...

    Auch wenn Jurijs Frau Tonja nur eine undankbare Ehefrauenrolle einnimmt, erinnere ich mich besonders gern an einige häusliche Szenen im Moskau. Besonders der wunderbare Ausspruch von Jurij, als er nach langer Zeit der Abwesenheit wieder an der Haustür klingelt. Die Eheleute fallen sich in die Arme und es beginnt ein hektischer Austausch von Berichten, was sie während der Trennungszeit erlebt haben. Jurij zwischendurch: "Wenn wir auf jeder Treppenstufe eine halbe Stunde stehenbleiben, kommen wir nie hinauf."

    Wunderbare Szenen mit Menschen, die sich noch die Zeit genommen haben, lange Gespräche zu führen.

  • Das "Adelsgut" habe ich mir auch gekauft, JHNewman. Schade, dass es dich nicht ganz überzeugen konnte. Mal sehen, wann ich dazu komme, es zu lesen. Danke auch für den Lesetipp. Das Buch "Das Licht der Frauen" schau ich mir mal näher an.


    Im Moment lese ich "Die Pyramide" von Ismail Kadare. Wie nicht zu erwarten, eine gute Story. Er versteht es Historie so zu beschreiben, dass man es in die Jetzt-Zeit transportieren kann. Keine Geschichte ist sehr weit entfernt uns.



    "Fliegenpalast" von Walter Kappacher hat mir auch gut gefallen.


    Dr. Schiwago wollte ich schon längst mal lesen. Danke für deinen Bericht Zafira.

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Ne ... da schiebe ich eine ruhigere Kugel (fast im wahrsten Sinne des Worts). Ich habe - nach Abschluss der Schmidt-Wollschläger'schen Briefwechsels - nun mit dem zweiten Band von Kurd Laßwitz' Geschichte der Atomistik begonnen. Und gleich mitten rein in in Descartes...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • @ Jacqui: Schreib mal, wie Dir der Fitzek gefallen hat. Ich lese sehr gern gute Thriller, sie sind aber immer schwerer zu finden. For Jahren hatte ich mal ein Buch von Fitzek, das ich nach zwanzig Seiten abgebrochen habe, weil es mir nicht gefiel.