Was lest ihr gerade?


  • Ich habe mich nun doch entschieden, die Strudlhofstiege erstmal abzubrechen. Auch nach 550 Seiten werde ich nicht richtig warm mit dem Roman. Die wenigen brillianten Stellen, die man so findet, wiegen die dazwischen ausgebreitete gähnende Leere nicht auf. Also, vielleicht denke ich in 10 Jahren anders darüber. Jedenfalls finde ich die Merowinger um einiges besser.



    Die Merowinger sind - oder wirken zumindest als ob sie es wären - locker-flockig vom Hocker geschrieben. Doderer kann darin seine Bösartigkeit so richtig ausleben. In der Strudlhofstiege ist er nicht bösartig. Oder nur manchmal, ein bisschen. Die Strudlhofstiege - präzise durchkomponiert mit ihren Sprüngen in Ort, Zeit, Handlung und Protagonist, dennoch immer um die Hauptperson (die Stiege) geordnet - ist m.M.n. aber wegen ihrer Sprünge schwieriger zu lesen als die Dämonen. Auch wenn in den Dämonen sogar der Erzähler wechselt, bleibt die Handlung m.M.n. übersichtlicher.

    Zum Thema: Die Wasserfälle von Slunij.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus



  • Die Merowinger sind - oder wirken zumindest als ob sie es wären - locker-flockig vom Hocker geschrieben. Doderer kann darin seine Bösartigkeit so richtig ausleben. In der Strudlhofstiege ist er nicht bösartig. Oder nur manchmal, ein bisschen. Die Strudlhofstiege - präzise durchkomponiert mit ihren Sprüngen in Ort, Zeit, Handlung und Protagonist, dennoch immer um die Hauptperson (die Stiege) geordnet - ist m.M.n. aber wegen ihrer Sprünge schwieriger zu lesen als die Dämonen. Auch wenn in den Dämonen sogar der Erzähler wechselt, bleibt die Handlung m.M.n. übersichtlicher.


    Du meinst, ich sollte es erst als nächstes mal mit den Dämonen versuchen.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Eine Empfehlung von Maria aus dem Jahre 2006 :zwinker:*


    Dieter Forte: Auf der anderen Seite der Welt hier


    Der Roman rundet in gewisser Weise die Trilogie "Das Haus auf meinen Schultern" ab: Es geht um einen jungen Mann, der in den 50er Jahren wegen einer unheilbaren Lungenkrankheit in ein Sanatorium auf eine kleine Nordseeinsel fährt und dort mit anderen Sanatoriumsbewohnern und ihren Geschichten aus der Kriegs- und Nachkriegszeit konfrontiert wird.
    Eine sehr dichte und poetische Sprache, manchmal zu überladen, insgesamt sehr melancholisch, aber von intensivem und nachhaltigem Eindruck.
    Kein Buch zum Nebenbeilesen!


    *Habe es direkt nach deiner Empfehlung gekauft, Maria, dann aber so gut weggeräumt, bis es mir jetzt erst wieder einfiel, nachdem ich den tollen Norddeutschland-Roman von Jan Christophersen (s.o.) gelesen hatte und Lust auf einen ähnlichen Zeit- und Raumbezug hatte.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Du meinst, ich sollte es erst als nächstes mal mit den Dämonen versuchen.



    Helmut Qualtinger - der Doderer noch persönlich kannte - hat irgendwo mal empfohlen, bei Doderer mit dem Mord den jeder begeht anzufangen. Was dann kommen sollte, weiss ich gerade nicht auswendig, wenn Du willst, suche ich das Zitat heute Abend zu Hause noch 'raus. Irgendwann jedenfalls kamen die Dämonen und explizit zum Schluss die Strudlhofstiege. Scheichsbeutel mit Zirkonflex - also nicht der aus der Strudlhofstiege - ist m.W. anderer Meinung ... :breitgrins:

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  • Hallo finsbury,


    mir ist der Roman von Dieter Forte noch so nachhaltig in guter Erinnerung.
    nun werde ich mir den Roman von Jan Christophersen nochmals eingehender widmen; ich hatte deinen Eintrag vor kurzem bemerkt, doch nicht so recht in mich aufgenommen. Die Atmosphäre von der du schreibst ....


    Zitat von "finsbury"

    Der Roman spielt zwischen den Jahren 1978/79 während des großen Schneesturms. In einem Wirtshaus an der Grenze zu Dänemark bricht der Wirt todkrank zusammen, und sein Ziehsohn erinnert sich zurück an die Zeit nach dem Krieg und entdeckt die Hintergründe seines eigenen Schicksals (den letzten Teilsatz formuliere ich nach den Infos auf dem Waschzettel, ich bin erst auf S. 60).
    Bisher toll und dicht formuliert und ganz nah an der Landschaft dort.



    ... dürfte mir auch liegen.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Ich lese den "Jahrmarkt der Eitelkeit" von Thackeray auf dem kindle weiter; die Anaconda-Ausgabe war mir viel zu klein gedruckt, das kann ich einfach nicht mehr lesen; und so ein e-book ist wirklich optimal, wenn man trockene Augen hat wie ich. Und in der Bib ausgeliehen: "Der Hals der Giraffe" von Schalansky, ich habe jetzt auch eine gute Bibliothek in der Nähe, ich brauche Neuerscheinungen nicht mehr zu kaufen, ich kann sie bequem testen und evtl. anlegen :klatschen: (Mir geht es gut hier oben in Ostfriesland. :breitgrins: )

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Helmut Qualtinger - der Doderer noch persönlich kannte - hat irgendwo mal empfohlen, bei Doderer mit dem Mord den jeder begeht anzufangen.


    [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,911.msg48824.html#msg48824]Hier[/url] das ganze Zitat. :winken:

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  • mir ist der Roman von Dieter Forte noch so nachhaltig in guter Erinnerung.


    Mir leider nicht, Maria. Nur ungefähr das erste Drittel(?) hat mir gefallen. Ich entsinne mich, dass der Roman in der zweiten Hälfte sehr konfus und damit ärgerlich wird. Sorry ... :redface:


    LG


    Tom

  • Da ich gerade in einer Briefwechsel/Tagebuch-Phase bin, folgt als nächstes "Alkor. Tagebuch 1989" von Walter Kempowski.

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  • Lese immer noch Dieter Forte, s.o.. Zieht sich, denn es ist reichlich düster in diesen düsteren Tagen. Manchmal ist es mir auch zu plakativ, wie z.B. das Neureichentum und die Verdrängung in den 50er JAhren geschildert werden.
    Daneben habe ich mit Laxness' frühen Erzählungen begonnen, erstaunlich, was der Mann schon mit 17 und früher bezüglich des Aufbaus und "settings" konnte, wenn auch die Ausführung noch deutlich den unerfahrenen Autor zeigen.
    Außerdem ist die Biografie auch weiterhin wirklich gut!


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Kuno Raeber - eine echte Entdeckung.


    Was liest du den von dem? Ich hab’ mal auf Empfehlung einen Roman von ihm gelesen: Das Ei, - d.h. ich hab’ angefangen zu lesen, - aber abgebrochen. Nichts gegen pornographische Passagen wie z.B. in Charlotte Roches "Schoßgebete", aber der Mann hat ja eine sehr kranke Phantasie. Dass der zur Gruppe 47 gehörte ist mir aber neu, habe ich in deinem Link erstmals gelesen.

  • Was liest du den von dem? Ich hab’ mal auf Empfehlung einen Roman von ihm gelesen: Das Ei, - d.h. ich hab’ angefangen zu lesen, - aber abgebrochen. Nichts gegen pornographische Passagen wie z.B. in Charlotte Roches "Schoßgebete", aber der Mann hat ja eine sehr kranke Phantasie. Dass der zur Gruppe 47 gehörte ist mir aber neu, habe ich in deinem Link erstmals gelesen.


    Gehörte er auch nicht, Wikipedia ist die einzige Quelle, die davon zu wissen glaubt. Er hat mal dort gelesen - aus "Die Düne". Die Lesung wurde für ihn zum "débâcle", wie er selber in seinem Tagebuch schrieb, und hat ihm als freischaffendem Schriftsteller de facto seine Karriere ruiniert. Jens warf dem Text so ungefähr jenes vor, das Du auch tust, ohne dass er Raebers poetologisches Konzept überhaupt kannte oder sich dafür interessierte. Raebers beste Texte - ich habe unterdessen die fünfbändige Ausgabe seiner Werke gelesen (Nagel und Kimche, mittlerweile m.W. vergriffen) - sind m.M.n. "Alexius unter der Treppe oder Geständnisse vor einer Katze" und ""Wirbel im Abfluß". Das zweite ist das letzte, das er zu Lebzeiten veröffentlichen konnte, bei Amman, unter dem Titel "Sacco di Roma". Als Einstieg in Raeber würde ich "Mißverständnisse" vorschlagen, eine Sammlung von Kurzgeschichten, die z.T. auch interagieren. Da gibt's im Buchhandel m.W. keine aktuelle Ausgabe von, antiquarisch lässt es sich aber finden.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Kuno Raeber - eine echte Entdeckung.


    Das ist ein sehr interessanter Tipp. Danke!
    So wie auch der hier öfters vorkommende Reinhard Jirgl.
    Wenn ich nur Zeit hätte ...
    Und Lobo Antunes, von dem ich dann vorletztes Jahr wirklich mal sechs Romane gelesen hatte.


    Hier liegt auf:
    Josef Winkler: Der Leibeigene.
    Hab ich für lau, aus einem Bücher-Tauschregal.
    Ob ich damit anfange, weiß ich aber noch nicht.


    Denn ich hab was Neues begonnen, neben Joseph Conrad.
    E.M. Cioran: Werke.
    Könnte etwas länger dauern ... :winken:

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Gehörte er auch nicht, Wikipedia ist die einzige Quelle, die davon zu wissen glaubt. Er hat mal dort gelesen - aus "Die Düne".


    Nun, - wenn er mal bei einer Tagung der Gruppe 47 gelesen hat, gehört er zur Gruppe 47. Ich hatte mal eine Liste in der alle Tagungen der Gruppe mit den jeweiligen Anwesenden aufgeführt waren, leider hab’ ich die Liste inzwischen verschenkt und so kann ich nicht nachprüfen ob er tatsächlich nicht aufgeführt war, oder was ich eher glaube ich ihn überlesen habe. Man hört ja oft der oder jener sei Mitglied der Gruppe 47 gewesen, als ob die Gruppe 47 ein eingetragener Verein gewesen wäre, bei der man Mitglied werden konnte – Mitnichten! Jeder der von Richter mindestens einmal zu einer Tagung eingeladen wurde, kann von sich behaupten und die meistens tun das mit Stolz zur Gruppe 47 gehört zu haben unabhängig ob er/sie dort auch gelesen hat oder nicht.


    Im übrigen war das Konzept der Gruppe, das der gelesene Text beurteilt wurde und nicht das poetologische Konzept des jeweiligen Autors, das man deshalb auch nicht kennen musste. Walter Jens kann man deshalb sicher keinen Vorwurf machen – da hat der Kuno Raeber einfach den falschen Text ausgewählt, vielleicht hätte er besser eine seiner Kurzgeschichten wählen sollen, so wie das z.B. Böll getan hat und der hat dafür sogar den Preis der Gruppe 47 erhalten.