Romananfänge

  • „Tief ist der Brunnen der Vergangenheit.“


    [Thomas Mann: Joseph und seine Brüder. Band 1: Die Geschichten Jaakobs (1933)]


    Golo Mann, der den Wert mancher Werke seines Vaters skeptisch beurteilt hat [z. B. „Tonio Kröger“], habe „Joseph und seine Brüder“ den Rang von „Ilias“ und „Odyssee“ zugesprochen, so Marcel Reich-Ranitzki in Erinnerung an ein Gespräch mit Golo Mann [Das Literarische Quartett, 17.08.2005].


    Eckhard Heftrich hält „Faust II“, „Der Ring des Nibelungen“ und die Tetralogie „Joseph und seine Brüder“ für die drei großen Weltgedichte deutscher Sprache [Geträumte Taten. Über Thomas Mann. (1993), S. VIII].


    Die wenig gelesenen Josephsbände gelten als Th. Manns bedeutendstes Werk. Lesetipp: Die schwer verdauliche Einleitung „Höllenfahrt“ kann man getrost weglassen! Wer will, kann sie später einmal lesen, als Nachwort.


    H.-P.Haack

    "Trau deinen Augen" (Otto Dix)

  • "An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts, ein Rosshändler, Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffendsten und zugleich entsetzlichsten Menschen seiner Zeit."



    [Michael Kohlhaas. Aus einer alten Chronik. In: Heinrich von Kleist: Erzählungen. Michael Kohlhaas. Die Marquise von O. Das Erdbeben von Chili. Berlin: Realschulhandlung (1810)]

    "Trau deinen Augen" (Otto Dix)

  • "In a hole in the ground there lives a Hobbit" J.R.R. Tolkien "The Hobbit"

    "Ganze Literaturen waeren nicht, riegelten die Maedchen ihre Tueren auf" Kurt Tucholsky

  • Das ist ein Bericht aus der Zeit, da der letzte europäische Krieg ein halbes Jahrhundert zurücklag und niemand einen neuen für möglich hielt.


    [Erich Loest: Fallhöhe. Roman. Leipzig: Linden-Verlag (1989/90)]

    "Trau deinen Augen" (Otto Dix)

  • An dem Schnittpunkte von Kurfürstendamm und Kurfürstenstraße, schräg gegenüber dem “Zoologischen“, befand sich in der Mitte der 70er Jahre noch eine große, sich feldeinwärts erstreckende Gärtnerei, deren kleines, dreifenstriges, in einem Vorgärtchen um etwa hundert Schritte zurückgelegenes Wohnhaus, trotz aller Kleinheit und Zurückgezogenheit, von der vorübergehenden Straße her sehr wohl erkannt werden konnte.


    [Theodor Fontane: Irrungen, Wirrungen. Leipzig: F. W. Steffens o. J. (1888)]

    "Trau deinen Augen" (Otto Dix)


  • Ich sehe dich vor mir, guter Tolpatsch, in deiner leibhaftigen Gestalt, mit deinen kurzgeschorenen blonden Haaren, die nur im Nacken eine lange Schichte übrig hatten; du siehst mich an mit deinem breiten Gesichte, mit deinen großen blauen Glotzaugen und dem allweg halboffenen Munde.

    Berthold Auerbach: Schwarzwälder Dorfgeschichten (Der Tolpatsch)



    Nicht unbedingt der Anfangssatz, aber doch die Anfangssätze: Sören Kierkegaard: "Das Tagebuch des Verführers"; Hermann Hesse: "Narziß und Goldmund"; Theodor Fontane: "Effi Briest".


    Lieben Gruß!

  • "Da er Raat hieß, nannte die ganze Schule ihn Unrat."


    [Heinrich Mann: Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen. Roman. München: A. Langen (1905)]

    "Trau deinen Augen" (Otto Dix)

  • Vorspiel



    [Bühnenanweisung:] Jahrmarkt in Soho. Die Bettler betteln, die Diebe stehlen, die Huren huren. Ein Moritatensänger singt eine Moritat:


    Und der Haifisch, …



    [Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper. Wien-Leipzig: Universal-Edition 1928]

    "Trau deinen Augen" (Otto Dix)

    Einmal editiert, zuletzt von H.-P.Haack ()

  • "Viele Jahre später sollte der Oberst Aureliano Buendía sich vor dem Erschießungskommando an jenen fernen Nachmittag erinnern, an dem sein Vater in mitnahm, um das Eis kennenzulernen."


    Gabriel García Márquez: Hundert Jahre Einsamkeit


    Gruss,
    Peter

    Man muss alles sehen, vieles übersehen, weniges korrigieren. Johannes XXIII

  • "Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität, gehört dem Könige von Hannover, und enthält 999 Feuerstellen, diverse Kirchen, eine Entbindungsanstalt, eine Sternwarte, einen Karzer, eine Bibliothek und einen Ratskeller, wo das Bier sehr gut ist. Der vorbeifließende Bach heißt »die Leine«, und dient des Sommers zum Baden; das Wasser ist sehr kalt und an einigen Orten so breit, daß Lüder wirklich einen großen Anlauf nehmen mußte, als er hinübersprang. Die Stadt selbst ist schön, und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht. Sie muß schon sehr lange stehen; denn ich erinnere mich, als ich vor fünf Jahren dort immatrikuliert und bald darauf konsiliiert wurde, hatte sie schon dasselbe graue, altkluge Ansehen, und war schon vollständig eingerichtet mit Schnurren, Pudeln, Dissertationen, Teedansants, Wäscherinnen, Kompendien, Taubenbraten, Guelfenorden, Promotionskutschen, Pfeifenköpfen, Hofräten, Justizräten, Relegationsräten, Profaxen und anderen Faxen. Einige behaupten sogar, die Stadt sei zur Zeit der Völkerwanderung erbaut worden, jeder deutsche Stamm habe damals ein ungebundenes Exemplar seiner Mitglieder darin zurückgelassen, und davon stammten all die Vandalen, Friesen, Schwaben, Teutonen, Sachsen, Thüringer usw., die noch heutzutage in Göttingen, hordenweis, und geschieden durch Farben der Mützen und der Pfeifenquäste, über die Weenderstraße einherziehen, auf den blutigen Walstätten der Rasenmühle, des Ritschenkrugs und Bovdens sich ewig untereinander herumschlagen, in Sitten und Gebräuchen noch immer wie zur Zeit der Völkerwanderung dahinleben, und teils durch ihre Duces, welche Haupthähne heißen, teils durch ihr uraltes Gesetzbuch, welches Comment heißt und in den legibus barbarorum eine Stelle verdient, regiert werden.


    Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh; welche vier Stände doch nichts weniger als streng geschieden sind. Der Viehstand ist der bedeutendste. ................................ "


    Heine, Reisebilder, Die Harzreise

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Das Vorwort auslassend beginnt das erste Kapitel von Michel Houellebecqs 'Elementarteilchen' mit den Worten:


    "Der erste Juli 1998 fiel auf einen Mittwoch."


    Wenn das mal kein furioser Auftakt ist... :zwinker:

  • Mal wieder ein Beitrag hier. So gesehen auch ein Erster Satz. Er kam mir gerade bei einer Recherche zwischen, der Anfang eines der längsten, und schließlich auch edelsten und ursprünglichsten Werke deutscher Sprache :wink:


    A, der edelste, ursprünglichste aller laute, aus brust und kehle voll erschallend, den das kind zuerst und am leichtesten hervor bringen lernt, den mit recht die alphabete der meisten sprachen an ihre spitze stellen. a hält die mitte zwischen i und u, in welche beide es geschwächt werden kann, welchen beiden vielfach es sich annähert. Vorgeschichte und geschichte unserer sprache verkünden solche übergänge allenthalben:


    Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. 16 Bde. [in 32 Teilbänden]. Leipzig: S. Hirzel 1854-1960. -- Quellenverzeichnis 1971.


    Ich hab danach noch einige andere Buchstaben-Anfänge nachgelesen. Der hier ist auch wunderschön:


    U, der 20. buchstabe unseres alphabets (i und j als éinen buchstaben gerechnet), der 2. des runenalphabets, stellt den endpunkt unserer vocalreihe dar. um u hervorzubringen, wird die zunge nach hinten gezogen und in ihrem hinteren theile zum weichen gaumen gehoben, während sich die lippen vorschieben und zu einer kleinen kreisrunden öffnung zusammenziehen, so dasz im vordermunde ein ziemlich groszer resonanzraum entsteht, der die dumpfe klangfarbe dieses vocales bedingt. diese lippenrundung wird auch schon früh als hauptmerkmal dieses vocals erkannt: das u ist ein laut gemacht mit spitzigen lefftzen und zůsammen gezogen mund V. ICKELSAMER Avjb.

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Hier meine Favoriten unter den ersten Sätzen:


    "Es war ein verrückter, schwüler Sommer, dieser Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen und ich nicht wusste, was ich in New York eigentlich wollte."
    Sylvia Plath, "die Glasglocke"


    "This book was born when I was hungry."
    Yann Martel, "Life of Pi" (dt.: Schiffbruch mit Tiger)


    und jetzt der Klassiker...


    "Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt."
    Franz Kafka, "Die Verwandlung"

  • Einst war er sehr häufig auf den Gefilden Neuseelands anzutreffen, jetzt ist er erloschen. Den letzten, dessen man habhaft wurde, hat man ausgestopft und schätzt ihn als eine große Seltenheit; und wie ihn, den Vogel Kiwi – den letzten Vogel Kiwi –, sollte man eigentlich auch den letzten Konrektor ausstopfen und als etwas nie Wiederkommendes verehren. Was wir an gutem Willen dazu zu bieten haben, geben wir gern her; vielleicht liefern andere nachher das Stroh, den Draht und den Kampfer – letzteren gegen die Motten; denn was die Grillen anbetrifft, so wünschen wir dieselbigen uns selber zur Ausrottung vorzubehalten.


    Wilhelm Raabe, Horacker

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Wenn hier schon der Anfang von Brechts Dreigroschenoper zitiert wird, hier doch ein anderes berühmtes Sätzchen aus nem Stück. Zumindest was das Gesprochene im Stück angeht:


    "Nothing to be done"
    (Beckett - Waiting for Godot)

  • aus meinem aktuellen Lese-Buch:


    "Ich hatte den Tod, den eiskalten Tod im Herzen, ja aus dem Innersten, aus dem Herzen heraus stach es wie mit spitzigen Eiszapfen in die glutdurchströmten Nerven."
    [E.T.A. Hoffmann: Die Abenteuer der Silvester-Nacht]


    und aus einem anderen Werk Hoffmanns:


    "Unfern eines anmutigen Dorfes, hart am Wege, lag auf dem von der Sonnenglut erhitzten Boden hingestreckt ein armes zerlumptes Bauerweib."
    [Hoffmann: Klein Zaches]


    Übrigens gibt es hier schon seit längerem einen Thread mit zwar anderem Namen (Romananfänge) aber gleichem Inhalt:
    http://klassikerforum.de/forum/index.php?thread/321.0

  • Hallo Hubert!


    Schön, Dich wieder regelmässig zu lesen!


    Danke für den Hinweis auf den doppelten Thread, die beiden sind nun zusammengeführt.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus