Romananfänge

  • "Der Anfang ist immer das entscheidende, hat man's darin gut getroffen, so muß der Rest mit einer Art von innerer Notwendigkeit gelingen, wie ein richtig behandeltes Tannenreis von selbst zu einer graden und untadeligen Tanne aufwächst." (Fontane)


    Beim Bücherkauf ist bei mir ein starkes Kriterium der allererste Satz. Bei einigen Büchern ist der erste Satz prägnanter, aussagekräftiger und schöner, es steckt mehr Weisheit darin als in ganzen Romanen. Deshalb würde mich interessieren, welche ersten Sätze euch am besten gefallen.
    Ich fange einfach mal an:


    Im achtzehnten Jahrhundert lebte in Frankreich ein Mann, der zu den genialsten und abscheulichsten Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen Epoche gehörte. (P. Süßkind, Das Parfüm)


    Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Art. (L. Tolstoi, Anna Karenina)


    Die Geschichte Hans Castorps, die wir erzählen wollen, -- nicht um seinetwillen (denn der Leser wird einen einfachen, wenn auch ansprechenden jungen Mann in ihm kennenlernen), sondern um der Geschichte willen, die uns in hohem Grade erzählenswert scheint (wobei zu Hans Castorps Gunsten denn doch erinnert werden sollte, daß es seine Geschichte ist, und daß nicht jedem jede Geschichte passiert): diese Geschichte ist sehr lange her, sie ist sozusagen schon ganz mit historischem Edelrost überzogen und unbedingt in der Zeitform der tiefsten Vergangenheit vorzutragen.
    (Der erste Satz im Vorsatz des Zauberbergs von Th. Mann)


    Das sind die drei Sätze, die mir jetzt beim Blick ins Regal als erste einfielen.


    Liebe Grüße,
    Phistomefel

    &quot;Sobald ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich Bücher; und wenn noch was übrig bleibt, kaufe ich Essen und Kleidung.&quot;<br /><br />( Desiderius Erasmus)

  • Hallo Mephistopheles,


    ich rücke mir Deinen Namen erst einmal bequem zurecht. Eine tolle Idee, gelungene erste Sätze zusammenzutragen!


    Mit dem ersten Satz will der Autor den Leser einstimmen: Bei Fontane habe ich den Eindruck, dass es so ist.


    Eine pointierte Einleitung: "Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt." [Heinrich Mann: Der Untertan (1918)].


    Eine grandiose Einleitung, die typographisch wiedergegeben werden muss:

    I

    DIE PYRENÄEN


    Die Herkunft


    Der Knabe war klein, die Berge waren ungeheuer. ...



    [Heinrich Mann: Die Jugend des Königs Henri Quatre (1935): Seite 1 der Erstausgabe].


    Demnächst mehr. - Ich hatte in der Schule einen Deutschlehrer, der von vielen Romanen den ersten Satz auswendig wusste . Werde es ihm, nachdem Du diese Seite eingerichtest hast, gleichtun.


    Gruß
    H.-P.Haack

    &quot;Trau deinen Augen&quot; (Otto Dix)

  • Habe mich noch nie besonders auf den Anfang konzentriert :redface: - Der Schluss war mir jeweils wichtiger. - Auswendig weiss ich jedoch weder erste noch letzte Sätze.
    Vielleicht lohnt es sich, dies zu ändern :smile:


    Grüsse
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Weil seine Lage unabänderlich war, mußte Abschaffel arbeiten.
    (Genazino, Abschaffel)


    Als Mary K.s Gatte noch lebte, Oskar hieß er, und sie selbst noch auf zwei sehr schönen Beinen ging (das rechte hat ihr, unweit ihrer Wohnung, am 21. September 1925 die Straßenbahn über dem Knie abgefahren), tauchte ein gewisser Doktor Negria auf, ein junger rumänischer Arzt, der hier zu Wien an der berühmten Fakultät sich fortbildete und im Allgemeinen Krankenhaus seine Jahre machte.
    (Doderer, Die Strudlhofstieg)

  • "Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hatte, wurde er eines Morgens verhaftet."


    [Franz Kafka: Der Prozess (1925)]

    &quot;Trau deinen Augen&quot; (Otto Dix)

  • Ist die Frage, ob der Roman mit dem Romantext anfängt, oder schon mit dem Vorwort / den Vorworten.
    Bei Jean Paul zum Beispiel.


    Beim "Doktor Katzenberger" entscheide ich mal für zwei von drei.
    Denn den Anfang der Vorrede zur zweiten Auflage mag ich nicht. :zwinker:


    Mit den Taschenkalendern und Zeitschriften müssen die kleinen vermischten Werkchen so zunehmen - weil die Schriftsteller jene mit den besten Beiträgen zu unterstützen haben -, daß man am Ende kaum ein großes mehr schreibt. Selber der Verfasser dieses Werks (obwohl noch manches großen) ist in acht Zeitschriften und fünf Kalendern ansässig mit kleinen Niederlassungen und liegenden Gründen.


    Dies frischte im Jahre 1804 in Jena die Voigtische Buchhandlung an, »kleine Schriften von Jean Paul Friedrich Richter«, ohne mich und ihr Gewissen zu fragen, in den zweiten Druck zu geben.
    (Vorrede zum ersten und zweiten Bändchen der ersten Auflage)
    Eine Vorrede ist unter anderem dafür da, einem Raubdrucker eins draufzugeben. :breitgrins:


    »Ein Gelehrter, der den ersten Juli mit seiner Tochter in seinem Wagen mit eignen Pferden ins Bad Maulbronn abreiset, wünscht einige oder mehre Reisegesellschafter.« - Dieses ließ der verwittibte ausübende Arzt und anatomische Professor Katzenberger ins Wochenblatt setzen. Aber kein Mensch auf der ganzen Universität Pira (im Fürstentume Zäckingen) wollte mit ihm gern ein paar Tage unter Einem Kutschenhimmel leben; jeder hatte seine Gründe - und diese bestanden alle darin, daß niemand mit ihm wohlfeil fuhr als zuweilen ein hinten aufgesprungener Gassenjunge; gleichsam als wäre der Doktor ein ansässiger Posträuber von innen, so sehr kelterte er muntere Reisegefährten durch Zu- und Vor- und Nachschüsse gewöhnlich dermaßen aus, daß sie nachher als lebhafte Köpfe schwuren, auf einem Eilboten-Pferde wollten sie wohlfeiler angekommen sein und auf einer Krüppelfuhre geschwinder.
    (Erste Abteilung, 1. Summula, Anstalten zur Badreise.)


    Gruß
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • "Vielleicht sind in unserem Land noch nie so merkwuerdige Baeume gefaellt worden, als die sieben Platanen auf der Schmalseite der Baracke III."


    [Anna Seghers: Das siebte Kreuz. Roman aus Hitlerdeutschland. Mexiko: El libro libre 1942]

    &quot;Trau deinen Augen&quot; (Otto Dix)

  • "La France a-t-elle exercé une influence bienfaisante ou funeste sur la destinée des hommes de nos jours?"
    "L'ancien régime et la révolution" Alexis de Toqueville



    Kein Klassiker, aber ein netter Anfang:
    "Tout est provisoire: l'amour, l'art, la planète Terre, vous, moi."
    "14.99€" Frédérique Beigbeder

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Es wundert mich, daß ihr meinen ersten Brief aus England vom 2./14. November 1852 und den zweiten aus Hongkong nicht erhalten habt, aus Orten just, wo man um das Schicksal eines Briefes ebenso besorgt ist wie um das eines neugeborenen Kindes.
    (Iwan A. Gontscharow, Fregatte Pallas)

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • "Zugegeben: ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt, mein Pfleger beobachtet mich , läßt mich kaum aus dem Auge; denn in der Tür ist ein Guckloch, und meines Pflegers Auge ist von jenem Braun, welches mich, den Blauäugigen, nicht durchschauen kann."


    [Günter Grass: Die Blechtrommel (1959)]

    &quot;Trau deinen Augen&quot; (Otto Dix)

  • Der Vorschlag meiner Frau:


    "Mitten in der Nacht entschloss ich mich, meinen Mann umzubringen".


    [Traude Goldberg-Engelmann: Eines Tages werden ich mich rächen. Leipzig: Leipziger Kommissions- und Großbuchhandelsggesellschaft (1994)]


    H.-P.Haack

    &quot;Trau deinen Augen&quot; (Otto Dix)

  • Hallo zusammen!


    Mein Liebling (noch immer):

    »Und ist es wirklich wahr, Sihdi, daß du ein Giaur bleiben willst, ein Ungläubiger, welcher verächtlicher ist als ein Hund, widerlicher als eine Ratte, die nur Verfaultes frißt?«

    [Karl Mays Werke: Durch die Wüste, S. 2. Digitale Bibliothek Band 77: Karl Mays Werke, S. 41459 (vgl. KMW-IV.1, S. 9)]


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • „Ich schnallte in Grimma meinen Tornister, und wir gingen.“


    [Johann Gottfried Seume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig und Leipzig: [Hartknoch] 1803. Mit einem Kupferstich als Frontispiz, einen Wanderer darstellend, von hinten gesehen, mit Tornister und Wanderstock]




    „In der Mitte seines Lebens, im Sommer 1981*, beschließt der Kellner Paul Gompitz aus Rostock**, nach Syrakus auf der Insel Sizilien zu reisen“.


    [Friedrich Christian Delius: Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (1995)]


    * Die Mauer stand noch,
    ** Rostock lag östlich der Mauer.



    H.-P.Haack, Leipzig

    &quot;Trau deinen Augen&quot; (Otto Dix)

    Einmal editiert, zuletzt von H.-P.Haack ()

  • "Der Himmel über dem Hafen hatte die Farbe eines Fernsehers, der auf einen toten Kanal geschaltet war."
    (glaube im Original: "The sky above the port was the color of a TV, tuned to a dead channel.") William Gibson, Neuromancer


    Gruß!

  • Der Kellner des Gasthofes > Zum Elephanten < in Weimar, Mager, ein gebildeter Mann, hatte, hatte an einem fast noch sommerlichen Tage ziemlich tief im September des Jahres 1816 ein bewegendes, freudig verwirrendes Erlebnis.



    [Thomas Mann: Lotte in Weimar. Stockholm: Bermann-Fischer (1939)]



    Beschrieben ist der Kellner Mager in wikipedia - Thomas Mann - Romane - Lotte in Weimar.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Lotte_in_Weimar

    &quot;Trau deinen Augen&quot; (Otto Dix)

    Einmal editiert, zuletzt von H.-P.Haack ()

  • "Ich bin nicht Stiller! - Tag für Tag seit meiner Einlieferung in dieses Gefängnis, das noch zu beschreiben sein wird, sage ich es, schwöre ich es und fordere Whisky, ansonst ich jede weitere Aussage verweigere."


    Max Frisch, Stiller