Hallo zusammen
Jetzt bin ich doch wieder früher zurück, als ich dachte. Wandern gewesen - Knie verstaucht - Urlaub vorbei. Die Sache hat aber auch ihr Gutes. So habe ich jetzt noch mehr Zeit zum Lesen und kann auch hier wieder meinen Senf dazugeben 
JMaria: Angelique hat Dich ja schon etwas vorbereitet, auf das, was Dich noch erwartet. Dem kann ich nur beipflichten. Du wirst noch staunen, was für ein reiches Füllhorn an Personen und Geschichten Cervantes für Dich bereithält.
Ich bin jetzt bei Kapitel 44 und das Buch übt mittlerweile einen richtigen Sog auf mich aus. Es hat eine ungeheure Weite und Tiefe erreicht, die ich nicht vermutet hätte. In der Geschichte von Don Quichote ergeben sich immer wieder neue Geschichten. Sehr schön z. B., wie Cervantes die Novelle "vom törichten Vorwitz" eingeflochten hat. Vor allem gefällt mir aber, wie farbig und facettenreich Cervantes seine Figuren zeichnet. Die Figuren sind nicht statisch, sondern ändern sich und sind deshalb auch schwer einzuschätzen. Menschlich eben. Z. B. Don Quichote trat bisher immer als einfältiger Narr auf. In der Schenke hält er plötzlich eine brillante Rede über das Soldatentum und man merkt: Der hat ja Verstand. Ein Intellektueller. Oder der Pfarrer: Kommt auf die Idee sich als Frau zu verkleiden und so Don Quichote aus dem Gebirge zu holen und zu "heilen". Ein Geistlicher, eine studierte, höchstangesehene Respektsperson in Frauenkleidern!? Ja, ist der denn noch ganz dicht? Wer ist jetzt der Verrückte?
Diese Fülle an Personen und Ereignissen kann man sich wirklich nicht alle merken. Da geht es mir wie Dir, Angelique. Bei den Ereignissen in der Schenke habe ich auch manchmal den Überblick verloren, wer mit wem und warum. Das macht aber nichts, denn Cervantes hilft einem immer wieder auf den richtigen Weg. Einige Personen tauchen mehrmals auf und immer wieder werden frühere Ereignisse in die Erinnerung zurückgerufen.
Was zuerst wie ein einfacher Ritter- oder Schelmenroman, bzw. deren Parodie, ausgesehen hat, entpuppt sich als grandioses Epos der damaligen spanischen Gesellschaft. Cervantes deckt das gesamte menschliche Spektrum ab. Es treten sowohl Adelige und Edelleute wie auch Hirtenjungen und Sklaven auf.
Besonders stark finde ich die Frauenfiguren. Auch dort ist alles vertreten. Aufblühendes Mädchen, biedere Hausfrau, Prostituierte und selbstbewußte Emanzipierte. Wobei die Sympathie Cervantes´ eindeutig letzterer gehört. Es ist sicher ungewöhnlich, daß zu einer Zeit, als eine Frau vor allem jung, schön, keusch, gehorsam zu sein hatte und brav zu Hause wartete, bis sie verheiratet wurde, Cervantes z. B. Marcela sagen läßt: "Die wahre Liebe muß frei und ungezwungen sein...Ich wurde frei geboren. Um frei leben zu können wählte ich die Einsamkeit der Natur. Ich bin ungebunden. Ich will mich nicht unterwerfen." Oder die selbstbewußte Dorotea zu ihrem Verführer: " Deine Vasallin bin ich, aber nicht Deine Sklavin. die Vornehmheit Deines Blutes hat und soll keine Macht haben, mich zu entehren und die Bescheidenheit meines Blutes gering zu schätzen, solange ich, eine gewöhnliche Bäuerin, mich achte, wie Du Dich als Herr und Edelmann." Starke Frauen!
Ich lese das Buch jedenfalls mit zunehmender Begeisterung weiter. Hab´ja jetzt Zeit 
Viele Grüße
ikarus