Beiträge von ikarus

    Hallo JMaria


    Zitat

    Eine schöne Milieustudie der damaligen Zeit. Was meint ihr?


    Ja, fand ich auch. Obwohl Thomas Mann sehr viel Informationen in dieses 5. Kapitel hineingepackt hat, liest es sich sehr flüssig und spannend. Gerade die Geschichte mit dem verwundeten Soldaten trägt sehr zur Auflockerung bei. War wirklich schön zu lesen obwohl es letztendlich sehr traurig ist.


    Ob ich mit Ottilie aber Mitleid haben soll? Sie hätte August ja einfach den Laufpass geben können. Für mich unverständlich, was sie an ihm gefunden hat, wo die beiden scheinbar so sehr verschieden waren. Nur weil er Goethes Sohn ist? Erschreckend, wie stark sich Ottilie den gesellschaftlichen Konventionen unterworfen sah.


    Ob ich mit August Mitleid haben soll? Schon eher. Der hatte es wirklich nicht leicht. Sein Verhalten, das über die Stränge schlagen und seine Flucht in den Alkohol sind für mich schon nachvollziehbar. Das ist bei vielen Künstlerkindern ja auch heute oft der Fall. Er hat bestimmt sehr unter diesem übermächtigen Vater und den hohen Erwartungen der Gesellschaft an ihn, die er gar nie erfüllen hätte können, gelitten.


    Beim Lesen ist mir übrigens immer Thomas Manns Sohn Klaus in den Sinn gekommen. Auch er hat ja sehr unter der (vor allem künstlerischen) Übermacht seines Vaters gelitten, ist daran zerbrochen, und hat letztendlich drogensüchtig Selbstmord begangen.


    Ich komme nun zum 6. Kapitel


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo zusammen


    Ich bin nun mit dem 3. Kapitel fertig und empfand es als ganz schön anstrengend. Diese schier endlosen Monologe des Dr. Riemer - Puuh!! Da war Thomas Mann wieder so richtig in seinem Element. Manchmal war ich doch etwas überfordert und habe auch einige Abschnitte mehrmals lesen müssen.


    Aus Charlotte bin ich aber nicht richtig schlau geworden. Am Anfang des Buches bestreitet sie, Werthers Lotte zu sein, weil diese schwarze Augen, sie jedoch blaue habe. Am Ende des 3. Kapitels bricht sie jedoch in Tränen aus, weil sie befürchtet, nicht als Werthers Lotte erkannt zu werden.


    "Haßliebe" trifft das Verhältnis Riemers zu Goethe wirklich genau. Allerdings meine ich, daß die Liebe doch überwiegt. Aus seinen Ausführungen spricht schon auch etwas Stolz, in Diensten dieses Genies arbeiten zu dürfen.


    Aufgefallen ist mir noch, daß wenn Riemer von Goethe erzählt, immer nur von der Kunst, vom "Genius" und vom "Göttlichen" die Rede ist. Es werden seine Werke erwähnt, die Gedichte gelobt usw. Haben wir aus Riemers Monologen überhaupt etwas über den "Menschen" Goethe erfahren? Wenig. Und schon gar nichts schmeichelhaftes.
    Dagegen, wenn Charlotte erzählt, menschelt es. Sie berichtet von ihrem verstorbenen Mann, ihren Kindern, ihrer Schwester. Charlotte repräsentiert das Menschliche, das Leben; Goethe die Kunst. Und die beiden wollen sich jetzt treffen. Ob das gut geht?


    Könnte es vielleicht sein, daß DAS überhaupt das Hauptthema dieses Romans ist? Das Verhältnis des Menschlichen, des Lebens, zur Kunst? Ob sich das vereinbaren läßt oder nicht? Daß Thomas Mann darauf hinaus will? Ich würde es für möglich halten und werde beim Weiterlesen mal stärker darauf achten.


    JMaria

    Zitat

    4.)manche Abschnitte erinnerten mich eher an Klatsch, z.B. Dr. Riemers Äußerungen, daß Goethe seine Mutter 11 Jahre lang nicht besucht hat, obwohl er auf seinen Reisen genügend Gelegenheiten hatte.


    Klatsch würde ich das nicht unbedingt nennen wollen. Es ist schon ein bezeichnender Charakterzug Goethes und dieser Abschnitt hat für mich den Hauptunterschied zwischen Charlotte und Goethe deutlich gemacht: Sie, absoluter Familienmensch, in einer kinderreichen Familie aufgewachsen und schon früh die Mutterrolle übernehmen müssen. (Sich selbst bezeichnet Charlotte an einer Stelle mal als "leidenschaftliche Mutter", wenn ich mich recht erinnere). Er, alles andere als ein Familienmensch, eher abgehobener Künstler, der in seiner Künstler-Welt lebt und sich mit sowas wie Kindererziehung oder Haushaltsführung nicht abgibt. Auch während seiner Ehe mit Christiane Vulpius ist Goethe oft nach Jena zu seinem Freund Schiller, oder zur Kur nach Karlsbad "geflüchtet" und hat sie mit dem Haushalt (der ja nicht gerade klein war) allein gelassen. Bezeichnend auch, daß Goethe nicht mal zur Beerdigung seiner eigenen Frau gegangen ist. Die Familienbande waren bei Goethe schon sehr lose.
    Elf Kinder hätte Charlotte mit ihm jedenfalls nie haben können. Für sie war Kestner der geeignetere Ehemann und sie lobt ihn auch immer als ihren "Guten". Eine Ehe mit Goethe wäre wohl niemals gut gegangen.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo sandhofer


    Zitat

    Sind "Robinson", "Gulliver" und "Moby Dick" nicht eigentlich für Erwachsene geschrieben worden?


    Aber natürlich! Allerdings sind sie im Laufe der Jahre zu Jugendbüchern "umfirmiert" worden. Wahrscheinlich, weil die wenigsten das satirische, bzw. gesellschaftskritische Potential der Bücher erkannt haben, sondern lediglich spannende Abenteuergeschichten darin sahen.


    Karl May schrieb übrigens auch für Erwachsene.


    Da könnten wir jetzt eine neue Diskussion eröffnen. Was ist eigentlich ein "Jugendbuch"? Wer bestimmt, welche Bücher unter diesen Begriff fallen? Ich würde mir das jedenfalls nicht anmaßen wollen. Für mich existiert da keine Grenze zu "Erwachsenenbüchern" (oder wie immer man das bezeichnen möchte).


    Ich habe die Frage von JMaria so verstanden, welche Bücher man in seiner Jugend gerne gelesen hat, bzw. gerne gelesen hätte und es aus irgendwelchen Gründen nicht getan hat und nun gerne nachholen möchte.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo JMaria


    Ja, auch über den Werther liese sich lebhaft diskutieren, wie Du siehst. :D


    Zitat

    hier noch meine Frage:
    wie hat sich Werthers umgebracht? Es ist beeindruckend, daß es damals eine Selbstmordwelle im Werthersstil gab. Beängstigend


    Werther hat sich erschossen. Er schickte seinen Knaben zu Albert um von ihm seine Pistolen für eine angeblich bevorstehende Wanderung zu leihen. Lotte gab ihm diese.
    In Werthers Abschiedsbrief an Lotte schreibt er:
    "Sie sind durch Deine Hände gegangen, du hast den Staub davon geputzt, ich küsse sie tausendmal, du hast sie berührt: und du, Geist des Himmels, begünstigst meinen Entschluß! und Lotte, reichst mir das Werkzeug, du, von deren Händen ich den Tod zu empfangen wünschte und ach! nun empfange."


    Zitat

    Steffi schrieb:
    Was mich eigentlich an dem "Werther" stört (abgesehen von zu vielen oh`s und ach`s) ist, daß er Lotte seine Verliebtheit so egoistisch aufdrängt. Er sieht nur seine Gefühle und kümmert sich gar nicht um die anderen. Er ist so mit seiner Liebe beschäftigt und so überzeugt, daß das die reine wahre Liebe ist, daß ihn Lottes Gefühle gar nicht interessieren. Diese Intensität und eben auch eine gewissen Intoleranz würden mich erdrücken.


    Genau das ist ja die Tragik des ganzen. Auch Lotte fühlte sich erdrückt und bat Werther sich zurückzuhalten und sie nicht mehr so oft zu besuchen. Aber das konnte Werther nicht aushalten. Er konnte nicht mit ihr, aber noch weniger ohne sie sein. Für ihn eine hoffnungslose Situation aus der ihn nur der Tod erlösen konnte.


    Und Goethe mag sich in seinen Gefühlen zu Charlotte Buff in ähnlicher Situation gesehen haben. Er brachte sich zwar (zum Glück) nicht um, reiste aber eines Tages überstürzt, ohne von Lotte Abschied zu nehmen, aus Wetzlar ab.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo JMaria


    Da brauche ich nicht lange zu überlegen:


    1. Robinson Crusoe
    2. Tom Sawyer
    3. Der Seewolf
    4. Die Schatzinsel


    und ein Buch, daß ich mal in einer gekürzten Jugendversion gelesen hatte und mir damals auch gut gefallen hat, hatten wir ja gerade: Don Quijote. Widererkennungswert allerdings gleich Null.


    Unbedingt noch lesen, weil ich´s damals irgendwie verpaßt habe, möchte ich


    1. Moby Dick
    2. Gullivers Reisen
    3. Lederstrumpf
    4. Die drei Musketiere
    5. Der Graf von Monte Cristo
    ...


    Da würden mir aber sicherlich noch mehr einfallen :lol:


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo zusammen


    Ich bin gerade mit dem "Werther" fertig geworden. Ich habe das Buch vor allem deshalb gelesen, weil ich das Gefühl hatte, mir fehlt der "literarische Unterbau" für die "Lotte".
    Es war ein ungeheuer intensives Leseerlebnis. Und jeder der schon mal unglücklich verliebt war, wird auch heute noch nachfühlen können, wie es vor über 200 Jahren Goethe ergangen ist und auch seine eigenen Gefühle darin wiedererkennen. Ein zeitloses Werk. Man merkt dem "Werther" schon sehr stark an, in welchen Gefühlsturbulenzen sich Goethe bei seiner Niederschrift befand. Wie leidenschaftlich muß Goethe diese Charlotte geliebt haben - und wie hoffnungslos!


    In den Erläuterungen zu meinem Werther heißt es:
    "Er (Goethe) besorgte die Ringe zur Hochzeit (im April 1973), er schmückte sich mit Lottens Brautstrauß, den man ihm geschickt, er wurde Pate des Erstgeborenen. Als Ehepaar hat er Kestners nicht gesehen. Mit ihren Gaben, dem Wetsteinischen Homer, einer Schleife vom Ballkleid, dem Schattenriß Lottens, trieb er wehmütigen Reliquiendienst."
    und weiter
    "Wenn er später von dem Werk redet, auch im hohen Alter, bebt immer die Erregung der einsamen Wochen nach, in denen es entstand:>Das war ein Stoff, bei dem man sich zusammennehmen oder zugrundegehen mußte<, >So etwas schreibt sich nicht mit heiler Haut<... Nur selten und stets mit einer gewissen Scheu hat er wieder hineingesehen."


    Das glaube ich gern. Goerthe hat sich damals sicher seinen ganzen Kummer von der Seele geschrieben und sich dabei sehr entblößt. Vielleicht ist ihm das später erst so richtig bewußt geworden.


    So "gewappnet" werde ich nun die "Lotte" weiterlesen. Gespannt bin ich jetzt auf das Zusammentreffen von Lotte mit Goethe. Denn Wiedersehen mit ehemaligen Geliebten enden ja oft sehr enttäuschend (eigene Erfahrung :wink: ).



    @ JMaria


    Zitat

    Amüsant fand ich Miss Cuzzle, die mich an eine frühe Papparazi erinnerte mit ihren Zeichnungen und auf der Jagd nach Prominenz.


    Der Vergleich ist sehr gut! :D


    Du hast, wie immer, wieder tolle Links gefunden. Danke dafür!


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo Steffi


    Danke für Deine Erklärungen. Ich habe jetzt die ersten beiden Kapitel gelesen und bin auch etwas verwirrt. Darin waren nämlich schon so viele Bezüge auf den Werther, die ich wesentlich besser verstehen würde, wenn ich das Buch kennen würde.
    Nachdem Erika sowieso noch auf ihr Leseexemplar wartet, habe ich beschlossen, erstmal den "Werther" zu lesen. Müßte ich eigentlich dieses Wochenende schaffen. Dann wird vielleicht manches klarer.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo Erika


    Herzlich willkommen hier im Forum. Es freut mich, daß Du mit uns gemeinsam die "Lotte in Weimar" mitliest.
    Das Lübecker Buddenbrook-Haus wollte ich im Urlaub auch schon mal besuchen. Leider war es damals wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Ist bestimmt sehr interessant.


    JMaria: Danke, daß Du mir die Entscheidung abgenommen hast. :D Ich war hin- und hergerissen zwischen Dostojewski und Thomas Mann. Und nachdem Du schon angefangen hast, werde ich das jetzt auch tun.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo


    Ich weiß - fast schon etwas spät, aber einige von euch werden ihren Urlaub noch vor sich haben und ratlos vor dem Bücherregal stehend sich fragen: "Was nehme ich bloß zu lesen mit ?" :roll:


    Dazu ein Ratschlag von Thomas Mann:


    "Reiselektüre - ein Gattungsbegriff voller Anklänge der Minderwertigkeit. Die Meinung ist weitverbreitet, was man auf Reisen lese, müsse vom Leichtesten und Seichtesten sein, dummes Zeug, das >die Zeit vertreibe<. Ich habe das niemals verstanden. Denn abgesehen davon, daß sogenannte Unterhaltungslektüre zweifellos die langweiligste auf Erden ist, will mir nicht eingehen, warum man gerade bei so festlich-ernster Gelegenheit, wie eine Reise sie darstellt, unter seine geistigen Gewohnheiten hinabgehen und sich aufs Alberne verlegen sollte. Ist etwa durch die enthobene und gespannte Lebenslage des Reisens eine Seelen- und Nervenverfassung geschaffen, in der das Alberne weniger anwidert als gewöhnlich?"


    In diesem Sinne:


    Schönen Urlaub!


    ikarus

    Hallo JMaria und Steffi


    Da ging´s uns ja doch allen ähnlich mit dem Don Quijote. Wie tröstlich. :D


    Steffi: Bevor Du jetzt groß das Stöbern anfängst; wollen wir nicht einfach JMarias Vorschlag aufgreifen und gemeinsam die "Lotte in Weimar" lesen? Ich wäre jedenfalls sofort dabei.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo JMaria


    Da hast Du Dich jetzt aber mächtig beeilt. Hättest Dir ruhig mehr Zeit lassen können. Aber vielleicht ging Dir´s wie mir. Ich habe gegen Schluß auch etwas schneller gelesen, weil ich das Buch einfach fertig bringen wollte.


    Zitat

    Manchmal hat es mich gepackt und ich las mehrere Kapitel auf einmal und es gefiel mir, dann wieder zogen mich manche Kapitel wieder zur Lustlosigkeit

    .


    Genau das meine ich.


    Zitat

    Aber sobald werde ich D.Q. sicherlich nicht nochmals lesen. Er hat mich ganz schön strapaziert *ggg*.


    Oh ja, mich auch!


    Zitat

    Und als ich am Schluß des Romans noch über König Minos und Rhadamanth las habe ich Sehnsucht nachThomas Mann bekommen. Kam dir da nicht auch der Zauberberg in den Sinn Ikarus?


    Und was für eine Sehnsucht! Meine Sehnsucht wurde nach dieser Stelle sogar so groß, daß ich beschloß, sobald ich mit dem Don Quijote fertig bin, erstmal wieder was von Thomas Mann zu lesen. Das habe ich dann auch gemacht. Das Zitat von dir stammt aus "Meerfahrt mit Don Quijote". Und diese Erzählung bzw. Essay in Tagebuchform fand sich tatsächlich in meiner Mann-Gesamtausgabe und bot sich so natürlich an. Thomas Mann schildert darin seine Fahrt ins Exil mit dem Ozeandampfer nach New York im Jahre 1934. Die Fahrt dauert ca. eine Woche und er liest dabei den Don Quijote. "Der Don Quijote ist ein Weltbuch - für eine Weltreise genau das Rechte" begründet er die Wahl seiner Reiselektüre. Er verknüpft seine Erlebnisse an Bord des Schiffes mit seinen Gedanken und Eindrücken beim Lesen des Don Quijote. Die gehen natürlich weiter und tiefgründiger als die unseren hier - ist schließlich auch Thomas Mann. Aber manchmal konnte ich seinen Gedankengängen auch nicht folgen und wußte nicht, worauf er hinaus will. Egal.
    Aber - obacht jetzt wird´s etwas pathetisch - Thomas Mann nach dem Don Quijote zu lesen war für mich, wie wenn man von einer langen, zwar schönen, aber auch anstrengenden Reise nach Hause kommt und erstmal ein heißes Bad nimmt. Unglaublich entspannend und einfach schön. Ich habe wirklich jeden Satz genossen, regelrecht in dieser schönen Sprache gebadet und mich pudelwohl gefühlt. Das war wie "heimkommen".


    Jetzt höre ich aber lieber auf :D


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo Steffi


    Ich bin nun auch mit dem Don Quijote fertig und meine Eindrücke decken sich mit deinen


    Zitat

    Für mich waren irgendwie die Figuren und Geschichten gar nicht so wichtig sondern "der Geist" des Buches


    Genau so empfand ich es auch. Und auch mir blieben die Figuren, insbesondere Don Quijote, merkwürdig distanziert. Lediglich für Sancho Pansa konnte ich etwas Sympathie entwickeln.


    Etwas ratlos hat mich der Schluß des Buches zurückgelassen. Don Quijote hat nicht nur das fahrende Rittertum am Leben erhalten, sondern offenbar das Rittertum auch ihn. Don Quijote kehrt heim, ist geheilt, stirbt aber anschließend friedlich nach Aufsetzung seines Testaments und gesegnet mit den Sterbesakramenten. Der Arzt bestätigt, daß "Melancholie und Verdruß seinen Tod herbeiführten". Es ist der Verdruß darüber, daß seine Sendung, als fahrender Ritter in der Welt für Gerechtigkeit zu sorgen, gescheitert ist. Und genauso wie seine Umgebung (die Nichte aß, die Haushälterin trank, Sancho Pansa war recht munter) hat auch mich dieses Sterbekapitel wenig berührt. Das liegt vor allem daran, daß man merkt, daß Cervantes durch Don Quijotes Tod vor allem seine literarische Figur vor weiterer unbefugter Ausschlachtung schützen wollte. "...um die Möglichkeit zu beseitigen, daß irgendein anderer Schriftsteller als Sidi Hamét Benengeli ihn fälschlich von den Toten auferwecke und Geschichten ohne Ende von seinen Taten schreibe."
    Seitenhiebe auf diesen gefälschten Don Quijote finden sich gegen Ende des Buches ja zuhauf. Am besten hat mir die Szene gefallen, als Don Quijote träumt, daß die Teufel in der Hölle mit diesem Plagiat sich vergnügen *ggg*.


    Alles in allem habe ich das Buch sehr gerne gelesen. Auch wenn der Stil manchmal etwas hölzern und gewöhnungsbedürftig war. Wer von dem Buch lediglich einen Schelmenroman erwartet, wird sicher enttäuscht werden. Für mich ist er vor allem ein großartiges Porträt der spanischen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts. Und beim nochmaligen Lesen würde man sicher noch viele weitere Facetten entdecken.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo


    Ich lese zwar nicht mit, weil ich immer noch mit dem "Don Quijote" beschäftigt bin, verfolge aber interessiert eure Beiträge. Schon öfter wurde geschrieben, daß sich das Buch sehr zur Verfilmung eignen würde. Ich habe das Buch zwar noch nicht gelesen, soviel ich aber weiß, hat Sartre es aber auch als Filmerzählung konzipiert. Der Film wurde 1947 von Jean Delannoy inszeniert und lief auch bei uns vor nicht allzu langer Zeit im Fernsehen, auf ARTE. Der Film hat mich sehr beeindruckt, und obwohl ich ja normalerweise mit Literaturverfilmungen eher etwas auf Kriegsfuß stehe, hatte ich den Eindruck, daß der "Geist" des Buches sehr gut rüberkommt. Jedenfalls hat mir die Verfilmung große Lust gemacht, auch mal das Buch zu lesen - und eure Beiträge jetzt erst recht. Sobald ich mit dem "Don Quijote" fertig bin, werde ich das mal tun. Allzu dick scheint es ja nicht zu sein.


    Danke für die Anregung.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo JMaria


    Ich erwarte eigentlich gar nicht, daß sich Don Quijote weiterentwickelt. Er lebt in seiner Ritter-Scheinwelt und fühlt sich sehr wohl dabei. Da hast Du vollkommen recht und Cervantes hat diese Figur auch in diesem Sinne angelegt. Aber genau das macht Don Quijote als literarische Figur halt auch etwas eindimensional. Die Figur des Sancho Pansa hingegen hat sich gerade im 2. Buch dermaßen facettenreich entwickelt und eine Präsenz bekommen, die ich nie für möglich gehalten hätte. Für mich ist Sancho Pansa einfach, wie soll ich sagen, menschlicher, wärmer und spannender als Don Quijote. Dadurch wird dessen Steifheit, Borniertheit und Einfalt aber erst so richtig deutlich. Umgekehrt natürlich genauso. Die beiden Figuren bedingen sich und können nicht ohne einander.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo miteinander


    JMaria schrieb:


    Zitat

    Das war ein tolles Erlebnis und natürlich hat mich D.Q. nicht enttäuscht und so richtig mit seinem Schwert die Puppen niedergemacht *ggg*.


    Da ging mir´s genau umgekehrt. Ich war SEHR enttäuscht. Bis zu diesem Zeitpunkt glaubte ich nämlich, Don Quijote hätte solche Phasen des Realitätsverlustes überwunden. Und dann dieses Gemetzel unter den Puppen - also nee! Da empfand ich so etwas wie "enttäuschte Wut".


    Diese wurde aber zum Glück wieder kompensiert durch Sancho Pansa. Der ist für mich die Hauptfigur dieses 2. Buches und mir sehr sympathisch geworden. Hinter seiner vordergründigen Naivität kommt immer wieder seine Bauernschläue hervor. Besonders gut haben mir die Kapitel während Sanchos Statthalterschaft gefallen. Wie Cervantes in immer abwechselnden Kapiteln zwischen den Erlebnissen Don Quijotes im Schloß und Sancho Pansas Statthalterschaft auf seiner vermeintlichen Insel hin- und herblendet und sie letztendlich wieder zusammenführt.


    Das Herzogpaar wollte dem armen Sancho zwar mit seiner "Insul" einen Streich spielen und ihn durch die inszenierten richterliche Aufgaben blamieren, aber Sancho hat sich souverän geschlagen und sehr kluge Urteile gefällt. Aber vor allem haben ihm der Herzog und die Herzogin unbeabsichtigt zu Selbsterkenntnis und Zufriedenheit verholfen. Sancho wird nicht mehr weiter seinem Traum von Macht und Reichtum nachhängen, denn er hat erkannt, daß er damit nicht glücklich wird. Dafür weiß er jetzt um den Wert der Geborgenheit seines Dorfes und seiner Familie.
    Bei Teresa Pansa und ihrer Tochter haben die Geschenke der Herzogin allerdings das genaue Gegenteil bewirkt. Die beiden sehen sich schon als reiche Statthalterfamilie und könnten in ihrer bevorstehenden Enttäuschung unserem Sancho das Leben noch etwas schwer machen. Aber er wird auch diese Situation meistern. Ganz sicher. :wink:


    Viele Grüße
    ikarus


    P.S. Danke, JMaria, für dieses Zitat


    Zitat

    Nachdem ihm die Waffen abgenommen waren, stand Don Quijote in seinen engen Kniehosen da und in seinem gemsledernen Wams, hager, lang und dürr, mit Backenknochen, die von innen einander zu küssen schienen...


    Das hatte ich nämlich mal wieder geflissentlich überlesen. Es ist wirklich zu köstlich. :D



    [/quote]

    Hallo Steffi


    Ich bin auch gerade mitten in der Episode mit dieser Schmerzensreich und muß Dir zustimmen. Das ist bisher das groteskeste und komischste des ganzen Buches. Ich habe über Cervantes Einfälle auch nur so gestaunt.
    Allein dieser Dialog zwischen der Schmerzensreich und Sancho Pansa:


    "Ich hege die Zuversicht, allermächtigste anwesende und allerschönste Herrin und ihr, allerverständigste Anwesende, daß meine Allerbedrängtestheit in Euren alleredelsten Herzen einen nicht weniger freundlichen als großsinnigsten und schmerzensreichen Empfang finden wird: denn selbige ist solcher Art, daß sie ausreicht, zu rühren Marmelsteine, zu schmelzen Demanten und den Stahl der allerhärtesten Herzen von der Welt. Doch bevor sie den Bereich Eures Gehörs, um nicht zu sagen Eurer Ohren dringt, möchte ich wohl, daß ihr mich wissend mached, ob in diesem Verein, Kreis und geselligem Zirkel der allerseelenreinste Ritter Don Quijote von der allergemanschtesten Mancha anwesend ist, imgleichen sein allerschildknapplichster Sancho Pansa."
    "Der Pansa ist hier", sagte Sancho, eh noch ein andrer antworten konnte, und der don Allerquijotischste ebenfalls; und mithin, allerschmerzenreichste kammerfraulichste Dame, könnt Ihr sagen, was Euch allerbeliebtest; wir alle sind eifrigst und allerbereitest , Euch aufs allerdienerischste allergefälligst zu sein."


    Da bin ich vor Lachen bald aus dem Sessel gekippt :lol:


    Die Theaterstücke Cervantes´ waren zwar anfangs sehr erfolgreich, allerdings fiel es ihm zunehmend schwerer Verleger dafür zu finden, denn sein Konkurent Lope de Vega entwickelte sich schnell zum alleinigen Herrscher der Theaterszene.


    Shakespeare und Cervantes waren Zeitgenossen und beide sind übrigens am selben Tag gestorben: Am 23. April 1616. Ob sie sich gekannt haben, weiß ich aber auch nicht.


    Jetzt stürze ich mich aber auch erstmal wieder ins Buch, denn ich bin auch gespannt, wie die Geschichte mit dieser Trifaldi zu Ende geht und was es mit dem "Holzzapferich" auf sich hat.


    Allerbeste Grüße
    ikarus

    Hallo


    Ich wollte nur mal an einen der ganz großen der Weltliteratur erinnern, dessen 200. Geburtstag wir am 24. Juli feiern können. "Die drei Musketiere" und "Der Graf von Monte Cristo" kennt wohl jeder von ihm. Das sind allerdings nur zwei seiner ca. 100 Romane und hier im Forum haben wir letztes Jahr "Die Bartholomäusnacht" gemeinsam gelesen.


    Eine sehr schöne Dumas-Fan-Page ist


    http://www.artagnan.de/index.htm
    Ein interessanter Artikel auch heute in der "Literarischen Welt"


    http://www.welt.de/daten/2002/07/20/0720lw345404.htx


    und der Fernsehsender ARTE widmet Alexandre Dumas am Sonntag einen ganzen Themenabend


    http://www.arte-tv.com/dossier…er.jsp?node=35210&lang=de


    Viele Grüße und merci Alexandre
    vom ikarus

    Hallo JMaria


    Schön, mal wieder von Dir zu hören :D Ich habe schon befürchtet, Du hättest aufgegeben, weil Du mal schriebst, daß Du mit dem Buch etwas Schwierigkeiten hast:


    Zitat

    Wie soll ich es ausdrücken. Das Problem, warum ich noch nicht mit Buch 1 fertig bin, ist vermutlich, daß mich die Geschichte während des Lesens fesselt, aber dann wenn ich D.Q. weglege oder ein paar Tage nicht darin lese, nicht so recht Lust hatte weiter zumachen. Ich weiß nicht warum mich das Buch nur während des Lesens fesselt. Hört sich wirr an, oder?


    Ist überhaupt nicht wirr. Mir geht es nämlich genauso. Der Don Quijote ist wirklich kein Buch, das mich ständig beschäftigt. Wenn ich es lese, dann mit großem Vergnügen. Aber wenn ich das Buch weglege, ist die Geschichte im Kopf wie ausgeknipst. Da hallt überhaupt nichts nach. Ab und zu muß ich mich dann auch zwingen wieder weiterzulesen, um nicht den Faden zu verlieren. Wenn ich dann aber wieder am Lesen bin, macht´s großen Spaß. Schon etwas merkwürdig.



    Zitat

    Ich frage, weil mir im Buch 2 die Aussage aufgefallen ist, das der Erzähler sagt, daß die Menschen das Buch nicht verstanden haben.


    Hat Cervantes das auch so empfunden?


    Ich glaube schon. Kurz vor Veröffentlichung des 2. Buches hat ein gewisser Alonso Fernandez de Avellaneda (wahrscheinlich ein Pseudonym) einen "gefälschten" 2. Don Quijote herausgebracht. Cervantes war weniger darüber erbost, daß sein Werk plagiiert wurde (das war damals gang und gäbe, Urheberrechte gab es ja noch nicht), sonder vielmehr enttäuscht, auf was für primitive, plumpe Art dies geschah. Dieser "Pseudo-Don Quijote" muß lediglich eine Aneinanderreihung mehr oder weniger lustiger Begebenheiten gewesen sein. Vom beleidigenden Vorwort ganz Abgesehen. Und aus Cervantes´ Vorwort (das ja auf diesen "Autor" gemünzt ist), höre ich auch eine gewisse Enttäuschung heraus.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo Steffi


    Unser Held ist in der Tat etwas desillusioniert worden. Nicht nur Dulcinea fordert Geld, auch Sancho Pansa will plötzlich ein Gehalt! Diese Dreistigkeit haut Don Quijote ja fast aus dem Sattel und er wird sehr ausfällig und bezeichnet seinen Gefährten als "Esel" und "dummes Vieh". Bei aller Freundschaft, die sich mittlerweile zwischen den beiden entwickelt hat, ist der grundsätzliche Konflikt doch immer spürbar: Während Don Quijote aus rein idealistischen Gründen, um seine Dulcinea zu beeindrucken, die ganzen Strapazen ihrer Unternehmungen auf sich nimmt, ist es bei Sancho Pansa der rein materielle Grund, Statthalter einer Insel zu werden.


    Sein "Erlebnis" in der Höhle des Montesinos scheint einen unguten Einfluß auf unseren Helden gehabt zu haben. Plötzlich schwingt er wieder große Reden vor Publikum und schlägt ein Puppentheater kurz und klein. Verhaltensweisen, die man eigentlich als längst überwunden geglaubt hatte. Aber, wie schon gesagt, Cervantes läßt einen in seinen Erwartungen immer wieder auflaufen.


    Ich komme nun zum 29. Kapitel "Von dem merkwürdigen Abenteuer mit dem verzauberten Nachen". Bin gespannt, was für "Zauberer" da wieder am Werke sind :wink:


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo Steffi


    Wow! Da hast du jetzt aber einen Kraftakt hingelegt. Respekt! Das ist eine freudige Überraschung :D


    Zitat

    Kaum hat man sich, sozusagen dreidimensional, in den Roman und die Figuren vertieft, schon wird man durch kleine satirische Seitenhiebe wieder darauf hingewiesen, dass ja alles nur erfunden ist.


    Genau das finde ich auch so herrlich an dem Buch. Cervantes spielt wirklich mit dem Leser. Das hast Du treffend beschrieben. Ich weiß beim Lesen auch nie, wie ernst ich irgendeine Szene nehmen soll. Cervantes hat mich, gerade im zweiten Buch mit meiner Erwartungshaltung schon zu oft auflaufen lassen. Mir kommt es manchmal so vor, als ob er mir beim Lesen grinsend über die Schulter schauen würde und sich diebisch über meine Verblüffung freut, wenn eine Szene wieder eine ganz andere Richtung nimmt, als von mir erwartet.


    Ich hatte weiter oben mal geschrieben, daß die Ehe Cervantes´etwas rätselhaft gewesen sei, da er anscheinend wenig Wert darauf gelegt hat, mit seiner Frau zusammen zu sein. Im 19. Kapitel läßt Cervantes durch Don Quijote seine Einstellung zur Ehe sagen: "Die Gesellschaft der Frau ist keine Ware, die, einmal gekauft, zurückgegeben oder umgetauscht oder ausgewechselt werden kann; sie ist ein untrennbarer Bestandteil, der so lange dauert wie das Leben selbst; es ist eine Schlinge, und hast du sie dir einmal um den Hals geworden, so verwandelt sie sich in einen gordischen Knoten, der unlösbar ist, bis ihn die Sense des Todes durchschneidet."


    Jetzt wundert mich natürlich nichts mehr :wink:


    Viele Grüße
    ikarus