Beiträge von ikarus

    Hallo zusammen


    Steffi hat schon ein paar mal auf die Aktualität des Buches hingewiesen. Völlig zu recht. Ich weiß nicht, ob es euch auch so geht, aber ich muß jedesmal an Raskolnikoff denken, wenn in den Nachrichten über diesen unheimlichen Heckenschützen in Washington, der scheinbar wahllos Menschen erschießt, berichtet wird. Der spielt auch Gott und bestimmt, wer leben darf und wer nicht. Vielleicht hat er ja auch so eine abstruse Gesellschaftstheorie wie Raskolnikoff. Sicher wird dieser Mörder eines Tages geschnappt werden, psychologisch untersucht und auch das Motiv seines abscheulichen Handelns wird er preisgeben. Die Medien werden darüber berichten und ich werde diese Geschichte jedenfalls mit größerem Interesse verfolgen, als ich es getan hätte, wenn ich den Dostojewski nicht gelesen hätte.
    Da lesen wir wirklich das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo Steffi


    Zitat von "Steffi"

    Hallo !


    Neuübersetzung ? ikarus, soll ich da noch zuschlagen ??


    Gruß von
    Steffi


    Dazu würde ich Dir raten. In wie weit sich die beiden Übersetzungen unterscheiden, kann ich nicht beurteilen. JMaria und ich haben mal eine kurze Textstelle verglichen und nur sehr geringe Unterschiede festgestellt. Allerdings enthält die neu übersetzte Ausgabe über 50 Seiten Anhang mit hilfreichen Anmerkungen des Übersetzers (Burkhart Kroeber), was in den anderen Ausgaben, glaube ich, nicht der Fall ist. Schon deshalb würde ich an Deiner Stelle bei Zweitausendeins zuschlagen.


    Viele Grüße
    ikarus


    http://www.zweitausendeins.de/

    Hallo JMaria


    Da täuschst Du Dich leider. Dieser Film hat mit dem gleichnamigen Roman Manzonis gar nichts zu tun. Ich habe das aber aufgrund des Titels auch erst gedacht.


    Aber gut, daß Du mal wieder an das Buch erinnert hast. Es liegt immer noch sehr weit oben auf meinem SUB und wartet darauf gemeinsam von uns gelesen zu werden. Ob´s vielleicht nach dem Dostojewski klappt?


    Wer übrigens noch eine Neuübersetzung des Romans ("Die Brautleute") erwerben möchte, sollte sich beeilen. Bei Zweitausendeins ist nur noch ein Restbestand vorhanden und der Titel wird im nächsten Katalog nicht mehr aufgeführt sein.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo


    Die Geschichte ist ja sehr vielschichtig. "Verbrechen und Strafe" ist zwar die genaue Titelübersetzung und bezeichnet die rein juristische Sicht des Romans, "Schuld und Sühne" finde ich aber auch angemessen. Der Titel bezeichnet eher die moralisch-religiöse Sichtweise. Welcher Titel der treffendere ist, werden wir erst am Ende des Buches beurteilen können. Übrigens soll es 19! verschiedene Titelübersetzungen geben. Mein Exemplar (aus dem Zweitausendeins-Verlag) heißt z. B. einfach "Rodion Raskolnikoff".


    Zitat

    Zu Sonja muss ich mir noch mal ein paar Gedanken machen, ich bin noch nicht so ganz genau hinter ihre Rolle im Ganzen gestiegen. Wie seht Ihr sie denn und was stellt sie für Raskolnikow dar? Ein weiteres unglückliches Wesen, dem geholfen werden muss, weil es sich selbst nicht helfen kann?


    Ich sehe das so, daß sich da einfach zwei verwandte Seelen gefunden haben. Der Mörder und die Hure. Beide stehen außerhalb der Gesellschaft. Beide sind mehr oder weniger unfreiwillig in ihre Lage gekommen. Sonja aus materieller Not, Raskolnikoff aus seelischer "Not".


    Schöne Grüße
    ikarus

    Hallo zusammen


    Steffi zitierte folgendes:


    Zitat

    Es ging mir um das Überschreiten, so schnell wie möglich... ich habe nicht einen Menschen ermordet, ich habe ein Prinzip ermordet! Ich habe zwar das Prinzip ermordet, aber das Überschreiten, das habe ich nicht fertiggebracht, ich bin auf dieser Seite geblieben...Ich habe nicht gekonnt als Töten.


    (diese Stelle habe ich mir auch angestrichen)


    und schrieb dann:


    Zitat

    Aber er hat Gewissensbisse, moralische Bedenken, plötzlich fällt ihm auch sein zweiter Mord wieder ein, das Experiment hat nicht geklappt.


    Genau. Sein erstes Motiv zu töten, der materielle Grund, wird Raskolnikoff sehr schnell als Selbsttäuschung bewußt. Deshalb will er auch die Beute wieder schleunigst loswerden. Auch sein zweites Motiv, lebensunwertes Leben zu töten, ist nicht haltbar, da er ja die von ihm geachtete Schwester der Pfandleiherin auch erschlagen hat. Deshalb kommt er zu der Selbsterkenntnis, daß er völlig sinnlos gemordet hat. Er merkt auch, daß er unter der Last dieser Erkenntnis zu zerbrechen droht. Immer stärker wird der Wunsch, die Wahrheit möge endlich ans Licht kommen, um diese Last los zu sein. Sich zu offenbaren traut ers ich aber doch nicht, obwohl er ahnt, daß Porphyri ihn längst durchschaut hat. Grandios fand ich das 5. Kapitel des 4. Teils. Mit welch subtiler "psychologischen Gewalt" Porphyri Raskolnikoff da in die Enge treibt - da habe ich richtig den Atem angehalten. Wahnsinnig spannend!


    Zitat

    "Verbrechen und Strafe" wäre für einen Profiler Pflichtlektüre, findet ihr nicht?


    Ja. Dieser Mordfall wäre für einen Profiler aber schon eine harte Nuß. Es deutet wenig auf Raskolnikoff als Täter hin. Im Grunde ist er ja kein schlechter Mensch. Sehr hilfsbereit sogar. Das stärkste Argument für eine Täterschaft wäre für mich dieser juristische Aufsatz. Aber daraus ein Mordmotiv abzuleiten, käme mir allerdings schon sehr absurd vor.


    Ich komme nun zum 5. Teil.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo zusammen


    Ist das 5. Kapitel des 3. Teils vielleicht ein Schlüsselkapitel des Buches?


    Langsam scheint sich das Puzzle zusammenzufügen. Anhand der Diskussion über Raskolnikoffs juristischen Aufsatzes kristallisiert sich sein wahres Mordmotiv heraus. Er hat getötet um sich selbst zu erfahren. Ein ungeheuerliches Weltbild tritt zutage. Raskolnikoff teilt die Menschheit in zwei Klassen ein: "in eine niedrigere (die gewöhnlichen), das heißt sozusagen in Material, das einzig zur Weitererzeugung von seinesgleichen dient, und in eigentliche Menschen, das heißt in solche, die die Gabe oder das Talent haben, in ihrer Umgebung ein 'neues Wort' zu sagen...Die ersten sorgen für die Erhaltung der Welt und vermehren sie der Zahl nach; die zweiten bewegen die Welt und führen sie zum Ziel." Aber: "Sowohl die einen wie die anderen haben das vollkommen gleiche Recht auf ihr Dasein." Allerdings haben diese Außergewöhnlichen oder "Übermenschen" das Recht, den gewöhnlichen für ihren Vorwitz "ab und zu ein wenig die Rute zu geben, um sie an ihren Platz zu erinnern" und sogar umzubringen. Zum Wohle der Menschheit, um diese zu "straffen".

    Ein Psychopath? Der Kerl wird mir jedenfalls immer unheimlicher und unsympathischer. Seine eiskalte Berechnung läßt mich beim Lesen manchmal richtig schaudern. Ich glaube auch, daß Porphyrij längst von der Schuld Raskolnikoffs überzeugt ist, ihm aber die Beweise fehlen. Es wird immer spannender.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo Steffi


    Ich muß gestehen, daß ich noch nichts von Zola gelesen habe. Diese Artikel zu seinem 100. Todestag haben mich aber schon sehr neugierig gemacht.



    Zitat

    Wäre ja vielleicht auch mal was fürs Gemeinsame Lesen !?


    Auf jeden Fall! Mich als (Hobby)-Börsianer würde "Geld" natürlich am meisten interessieren. :D "Germinal" würde ich aber, als eines seiner Hauptwerke, geeigneter finden. Aber das wirst Du wohl schon kennen.

    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo


    Heute vor 100 Jahren starb Emile Zola. Anlaß zur Veröffentlichung verschiedener Zeitungsartikel um aufzuzeigen, warum und für wen es sich auch heute noch lohnt, sich mit Leben und Werk dieses großen Schriftstellers zu beschäftigen.


    Interessiert an Alkoholismus, Mord, Vergewaltigung, Ausplünderung, Geschlechtskrankheiten, allen Arten von Dekadenz und Zerstörung? Zola lesen!


    http://www.zeit.de/2002/40/Kultur/200240_l-zola.html


    http://www.welt.de/daten/2002/09/28/0928lw359014.htx



    An der Börse ruiniert? Zola genau richtig!


    http://www.faz.net/IN/Intemplates/faznet/default.asp?tpl=faz/content.asp&rub={2D82590A-A70E-4F9C-BABB-B2161EE25365}&doc={8764416F-F543-462C-ACB4-1885A300B699}



    Weiblich? Im Konsumrauch? Beides! Unbedingt Zola lesen!


    http://www.frankfurter-rundschau.de/fr/140/t140017.htm



    Der Mörder ist nicht immer der Gärtner...


    http://www.faz.net/s/Rub76B8D5…pl~Euptoday~Scontent.html


    http://www.nzz.ch/2002/09/28/li/page-article8EYAM.html



    Viele Güße
    ikarus

    Hallo zusammen


    Ich bin überrascht, wie wenig Unterschied zwischen den Übersetzungen besteht. Aber anhand zweier kurzer Zitate läßt sich das schwer beurteilen. Ich weiß jetzt nicht, ob noch jemand ein Buch in der alten Übersetzung liest, oder ob ihr alle die Neuübertragung habt, aber ich war erstaunt, wie flüssig und modern sich die Geschichte liest. Das hatte ich mir irgendwie sperriger und altmodischer vorgestellt. Zumal in meiner Ausgabe steht, daß E. K. Rashin die Werke Dostojewskis zwischen 1906 und 1919 erstmals übersetzt hat und der Text dieser Ausgabe folgt.


    Zitat

    Habe soeben von einer Kollegin erfahren, dass "Raskol" übersetzt soviel wie "Spaltung" oder "gespalten" heißt. Der Name ist wohl bewusst so gewählt, oder?


    Der Name ist mit Sicherheit von Dostojewski bewußt gewählt. Ein sprechender Name. Ich werde aus diesem Raskolnikoff auch einfach nicht schlau. Aber das geht ihm ja auch selbst so.
    Schön, daß Du das herausgefunden hast, Heidi. Sehr interessant.


    Ich komme jetzt im 2. Teil zum 5. Kapitel.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo JMaria


    Zitat

    Ein sonderbarer Gedanke begann sich in seinem Kopf durchzupicken, wie ein Küken, das aus der Eierschale will..."


    Zitat

    "...wie wenn ihn jemand an der Hand genommen und unwiderstehlich, blindlings, mit einer übernatürlichen Kraft nach sich gezogen hätte, ohne Widerrede, ganz als wäre er mit einem Zipfel seines Rockes in das Rad einer Maschine geraten und mitgerissen worden."


    Das interessiert mich auch, wie sich das in der neuen Übersetzung von Frau Geier liest.


    Also: Das erste Zitat steht im 1. Kapitel, Ende des 2. Absatzes des 6. Abschnitts. Das zweite Zitat steht auch im 6. Abschnitt in meiner Ausgabe auf Seite 99. Kurz bevor er sich auf den Weg zur Mordausführung macht.


    Zitat

    Seine Gedanken, seine Träume, sein Fieber, seine Beweggründe sind für mich noch wie ein Puzzle, es fehlen noch die wichtigsten Teile um das Gesamtbild zu sehen.


    So sehe ich das auch. Vor allem hat sich der Mord jetzt als absolut sinnlose Gewalttat herausgestellt. Denn Raskolnikoff versucht ja panisch seine Beute möglichst schnell und spurlos zu beseitigen. Seltsames Verhalten. Sein ursprüngliches Motiv war doch, Geld zur Fortsetzung des Studiums zu erbeuten. Materielle Gründe können es also doch nicht gewesen sein. Aber welche dann? Bin gespannt, wie sich das Puzzle zusammenfügt.



    @Heidi
    Klasse, daß Du mitliest :D Hast ja auch schon mächtig aufgehohlt. Aber das Buch fesselt einen auch schon sehr.


    Zitat

    Ganz durchblicke ich aber nicht, warum Raskolnikow auf Pjotr Petrowitsch Luschin so schlecht zu sprechen ist, wenn dieser doch seiner Familie hilft? Ich habe es erstmal als "Stolz trotz Armut" definiert, mal sehen ob die Geschichte noch mehr Aufschluss gibt.


    Das habe ich auch nicht ganz verstanden. Ich sehe das aber auch wie Du, als verletzten Stolz.


    Ich bin jetzt auf Seite 180.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo


    Ganz so weit bin ich noch nicht. Erst auf Seite 105.


    Ich bin vom Erzählstil Dostojewskis auch sehr angetan. Er schreibt sehr prägnant und intensiv. Das buch liest sich wirklich spannend ich es fällt mir immer schwer es aus der Hand zu legen.


    Bisher wußte ich nicht so recht, was ich von Raskolnikow halten soll. Einerseits hegt er Mordgedanken, andererseits hilft er der Familie Marmeladow mit etwas Geld und kümmert sich um das Mädchen auf der Parkbank. Jetzt bricht aber doch das Böse in Raskolnikow durch. Besonders gut hat mir die Metapher gefallen: "Ein sonderbarer Gedanke begann sich in seinem Kopf durchzupicken, wie ein Küken, das aus der Eierschale will..." Der Gedanke, den er schon längere Zeit ausgebrütet hat und der in ihm gereift ist, hat nun konkrete Gestalt angenommen. Es gibt kein zurück mehr: "...wie wenn ihn jemand an der Hand genommen und unwiderstehlich, blindlings, mit einer übernatürlichen Kraft nach sich gezogen hätte, ohne Widerrede, ganz als wäre er mit einem Zipfel seines Rockes in das Rad einer Maschine geraten und mitgerissen worden."
    Ich habe das so verstanden, daß Raskolnikow ein im Grunde böser Mensch ist und diese Pfandleiherin nur ein Zufallsopfer dieses "Bösen", das jetzt aus ihm herausbricht. Wäre sie es nicht, wäre es jemand anders. Das Motiv, diese Frau zu ermorden, erscheint mir bisher nämlich nicht sehr plausibel. Aber darauf wird uns der weitere Verlauf der Geschichte sicher ein paar Antworten geben.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo Erika


    Zitat

    Bei Kapitel 7 habe ich ein wenig geschummelt und einige Seiten überschlagen. Der innere Monolog Goethes hat mich etwas gelangweilt

    .


    Das kann ich Dir nachsehen. Durch dieses Kapitel mußte ich mich auch durchbeißen. Hat sich aber doch gelohnt.


    Zitat

    Bei der Einladung zum Abendessen bei Goethe habe ich mit Lotte gelitten.


    So ging mir´s auch. Beim Lesen habe ich mich so richtig unwohl gefühlt und war auch erleichtert als Lotte von dieser Gesellschaft wieder erlöst war.


    Zitat

    Ein richtiges Tischgespräch findet ja nicht statt. Dazu hätte es gleichberechtigter Gesprächspartner bedurft.


    Ja, eine reine Selbstdarstellung Goethes. Wer aber hätte überhaupt ein adäquater Gesprächspartner sein sollen? Auf dem Gipfel ist es nun mal einsam. Diese Einsamkeit habe ich auch beim Lesen des 7. Kapitels immer wieder gespürt.


    @alle: Wann beginnen wir mit dem Dostojewski? Gleich, oder wollt ihr lieber noch etwas warten? Von mir aus können wir jederzeit beginnen.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo Steffi


    Schön, daß du wieder da bist :D


    Vielen Dank für Deine Ausführungen über Goethe. Das sind wirklich sehr interessante Aspekte. Welche Goethe-Biographie hast Du denn gelesen?


    Den Dostojewski habe ich auch parat. Allerdings noch in der alten Übersetzung.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo JMaria


    Zitat

    Im Kapitel 8, als sich die Gesellschaft zu Tisch begab, erinnerte mich die Beschreibung der Sitzordnung (Goethe in der Mitte der langen Seite des Tisches) an 'Das Abendmahl' von Leonardo da Vinci



    Dieses Bild ist mir auch in den Sinn gekommen. Ich habe sogar nachgezählt, ob nicht sogar 13 Leute am Tisch sitzen. Sowas hätte ich Thomas Mann nämlich zugetraut. :D

    Zitat

    Ich hatte durch Thomas Mann's Beschreibung eher den Eindruck von Manipulierung seiner Umgebung und wenn es ihm in den Kram passte, dann machte er auch auf "Opfer".


    Das kann auch sein. Trotzdem fand ich diese Opferrolle in der sich Goethe sieht etwas merkwürdig.


    Zitat

    Gerade dieser erkennbare Wechsel der Sprache von Kapitel 1-6 zu Kapitel 7, als zum erstenmal Goethe erscheint, fand ich überragend.


    Stimmt! Das fand ich auch ganz grandios. Überhaupt gefiel mir der Aufbau des Romans sehr. Durch die Besucher bekommt Charlotte, und der Leser, zuerst verschiedene Eindrücke über Goethe vermittelt, sein Wesen wird von unterschiedlichen Seiten beleuchtet, bevor er dann endlich selbst in Erscheinung tritt. Aber wie! Mit einem regelrechten "Gedanken-Gewitter" Goethes. "Oh daß es schwindet" ist der erste Satz. Und ich war auch sehr froh, als Goethe endlich aufgewacht ist :D War aber schon interesant, dieser Einblick in das Alltagsleben eines Dichter-Genies, da hast Du recht. Ob uns da aber vielleicht Thomas Mann in ein einer Goethe-Maske erschienen ist? Manchmal kam es mir so vor.

    Zitat

    PS: 'Verbrechen und Strafe' liegt bereit. Wann beginnen wir?


    Da Steffi noch im Urlaub ist und sie das Buch auch gern mitlesen wollte würde ich vorschlagen der Fairneß halber noch eine Woche zu warten, wenn es nichts ausmacht.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo Nele


    Welcome back :D


    Dieses Buch von Sigrid Damm habe ich vor ein paar Jahren auch mal gelesen und kann Dir uneingeschränkt zustimmen. Es ist überaus lesenswert und ich war auch schwer begeistert. Ich fand es bemerkenswert, wie genau und penibel die Autorin recherchiert hat und wie sie es verstanden hat ihr Thema trotz der ungeheuren Faktenfülle sehr interessant aufzubereiten und spannend rüberzubringen. Hätte ich das Buch nicht gelesen gehabt, wäre ich bei der "Lotte in Weimar" ziemlich auf dem Schlauch gestanden.


    Mit Dostojewski als Nächstes wäre ich einverstanden.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo JMaria


    Ich bin heute mit dem Buch fertig geworden und habe eine etwas zwiespältige Meinung davon.


    Zitat

    Er ist dem Weine zugetan, kann also genießen. Das hat er wohl von seiner Mutter


    Aus Adeles Schilderungen hatte ich eher den Eindruck, daß August mehr aus Kummer zu viel trinkt. Weniger des Genusses wegen. Trotzdem hast Du recht. seine Mutter konnte das Leben sehr genießen, weniger den Wein. Diesem war wiederum mehr sein Vater zugetan, was Thomas Mann im 8. Kapitel auch zum Ausdruck bringt. 2 Liter Wein pro Tag waren für Goethe normal.


    Zitat

    Wie fandet ihr das Einbinden dieser Liebe August zu Achim von Arnim in diese Geschichte? War das nicht typisch Thomas Mann? Egal ob kameradschaftlich oder homosexueller Art, Thomas Mann greift in seinen Geschichten gern darauf zurück, oder

    ?


    Das fand ich auch sehr typisch. Manns versteckte Homosexualität kommt in seinen Werken immer wieder zum Vorschein. Wenn ich solche Stellen lese, bekomme ich immer ein wenig Mitleid mit dem Autor, weil man oft merkt, daß das Schreiben die einzige Form war, in der er seinen Gefühlen freien Lauf lassen konnte.


    Die lang erwartete Begegnung von Charlotte mit Goethe verläuft ja mehr als entäuschend. Das war allerdings zu erwarten nach Goethes Bemerkung zu August: "Konnt´ sie sich´s nicht verkneifen, die Alte, und mir´s nicht ersparen?" Goethe empfängt Lotte sehr kühl und steif bei einem offiziellen Mittagessen. Ich hatte den Eindruck, daß alle Beteiligten froh waren, als sie´s endlich hinter sich gebracht hatten. Erst zum Schluß dann ein vertrauliches Gespräch in der Kutsche. Und auch dort wirkte Goethe eingebildet und hochnäßig. Mir sehr unsympathisch. Aber Charlotte sagt ihm auch die Meinung: "So sehr wohl und behaglich war mir´s nicht eben in deiner Wirklichkeit, in deinem Kunsthaus und Lebenskreis, es war eher eine Beklemmung und eine Apprehension damit, das laß mich gestehen, denn allzusehr riecht es nach Opfer in deiner Nähe...Diese Riemer, die immer mucken und maulen, und deren Mannesehr´ auf dem süßen Leime zappelt, und dein armer Sohn mit seinen siebzehn Gläsern Champagner uin dies Persönchen, das ihn also zu Neujahr heiraten wird und wird in die Oberstuben fliegen wie die Mücke ins Licht...-was sind sie denn als Opfer deiner Größe." Goethe sieht sich allerdings selbst als Opfer. Als Flamme, in die sich die anderen stürzen, aber auch als brennende Kerze, die ihren Leib opfert damit das Licht leuchte. Selbstmitleid?


    Insgesamt hatte ich mit dem Buch oft enorme Verständnisschwierigkeiten. Eine Goethe-Biographie zu lesen, wie Steffi in ihrem Urlaub vor hat, ist sicher nicht die schlechteste Idee. So gut kenne ich mich aber im Leben und Werk Goethes beileibe nicht aus, wie es für das Verständnis des Romans notwendig wäre. Ich finde, Thomas Mann setzt beim Leser zu viel Wissen voraus. Besonders das 3. und 7. Kapitel waren schon harte Brocken. Sehr schön fand ich das 2. Kapitel, in dem sich Charlotte an die Zeit mit Goethe zurückerinnert, und vor allem natürlich das 5. Kapitel "Adeles Erzählung". Ein Hochgenuß!
    "Lotte in Weimar" war für mich, trotz seiner Kürze, der bisher anstrengendste Roman von Thomas Mann. Das lag sicher auch an dem überaus gestelzten Sprachstil, mit dem er sich an Goethe anpassen wollte. Und ich glaube kaum, daß, wenn ich dieses Buch als erstes von Thomas Mann gelesen hätte, noch weitere gefolgt wären. Zum Glück war´s aber ja nicht so.


    Viele Grüße
    ikarus

    Hallo zusammen


    Ich bin nun auch mit dem 6. Kapitel durch und dort bekommt man von August ja ein sehr positives Bild. Ganz entgegen den Erwartungen nach Adeles Schilderung.
    Die Beziehung von Ottilie zu Goethe sehe ich weniger als Vaterkomplex, sondern eher als "Prominentenkomplex". Sie möchte über August an Goethe rankommen. Charlotte bringt es in ihrem Gespräch mit August auf den Punkt: "Kurzum, dies Persönchen Ottilie - liebt sie Sie, wie sie da sind, ohne Umstände, oder liebt sie Ihre Umstände, die die eines berühmten Sohnes sind, so daß sie eigentlich den Vater liebte?". Genau so sehe ich das auch.


    Zitat

    Ist euch eigentlich auch aufgefallen, daß Thomas Mann immer "Charlotte" und nie "Lotte" verwendet. Müsste dann der Titel nicht "Charlotte in Weimar" lauten ? Oder hat er den Titel nur wegen des besseren Verständnisses gewählt ?


    Ich denke, daß Thomas Mann damit die Unterscheidung zwischen Werthers Lotte, also der literarischen Figur und der realen Charlotte deutlich machen wollte.


    Viele Grüße
    ikarus


    ...und schönen Urlaub, Steffi (falls Du das noch vorher liest) :D