August 2002: Thomas Mann - Lotte in Weimar

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    Kurzbeschreibung
    Mit der Arbeit an Lotte in Weimar, die Thomas Mann am 11. November 1936, unmittelbar im Anschluss an den dritten Josephband begann, verwirklichte er seinen alten Traum: "...Goethe einmal persönlich wandeln zu lassen." So wird für ihn die Tatsache, dass die unsterbliche Geliebte der Werther-Zeit sich nach 44 Jahren als ehrwürdige Matrone nach Weimar aufmacht, um den Gefährten ihrer Jugendtage wiederzusehen, "ein buchenswertes Ereignis". "Das Modell ist nach so vielen Jahren immer noch nicht ganz mit dem Erlebnis fertig, und es erhofft sich aus einem Wiedersehen mit dem würdig und berühmt gewordenen Jugendfreund sozusagen ein Happy-End, eine Aussprache, die den befreienden Schlusspunkt unter die alte quälende Frage setzt: warum jene 'Liebe zu einer Braut'..." Doch sie, die nach Weimar gekommen ist, um ein wenig menschliches Verständnis zu finden, sieht sich unversehens mit der "Tragödie des Meistertums" konfrontiert. -- Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.


    Autorenportrait
    Thomas Mann wurde 1875 in Lübeck geboren und wohnte seit 1894 in München. 1933 verließ er Deutschland und lebte zuerst in der Schweiz am Zürichsee, dann in den Vereinigten Staaten, wo er 1938 eine Professur an der Universität in Princeton annahm. Später hatte er seinen Wohnsitz in Kalifornien, danach wieder in der Schweiz. Er starb in Zürich am 12. August 1955.


    Auszug
    Erstes KapitelDer Kellner des Gasthofes "Zum Elephanten" in Weimar, Mager, ein gebildeter Mann, hatte an einem fast noch sommerlichen Tage ziemlich tief im September des Jahres 1816 ein bewegendes, freudig verwirrendes Erlebnis. Nicht, daß etwas Unnatürliches an dem Vorfall gewesen wäre; und doch kann man sagen, daß Mager eine Weile zu träumen glaubte.Mit der ordinären Post von Gotha trafen an diesem Tage, morgens kurz nach acht Uhr, drei Frauenzimmer vor dem renommierten Hause am Markte ein, denen auf den ersten Blick - und auch auf den zweiten noch - nichts Sonderliches anzumerken gewesen war. Ihr Verhältnis untereinander war leicht zu beurteilen: Es waren Mutter, Tochter und Zofe. Mager, der, zu Willkommensbücklingen bereit, im Eingangsbogen stand, hatte zugesehen, wie der Hausknecht den beiden ersteren von den Trittbrettern auf das Pflaster half, während die Kammerkatze, Klärchen gerufen, sich von dem Schwager verabschiedete, bei dem sie gesessen hatte, und mit dem sie sich gut unterhalten zu haben schien. Der Mann sah sie lächelnd von der Seite an, wahrscheinlich in Gedanken an den auswärtigen Dialekt, den die Reisende gesprochen, und folgte ihr in einer Art von spöttischer Versonnenheit mit den Augen, indes sie, nicht ohne unnötige Windungen, Raffungen und Zierlichkeiten, sich vom hohen Sitze hinunterfand. Dann zog er an der Schnur sein Horn vom Rücken und begann zum Wohlgefallen einiger Buben und Frühpassanten, die der Ankunft beiwohnten, sehr empfindsam zu blasen. Die Damen standen noch, dem Hause abgekehrt, bei dem Postwagen, die Niederholung ihres übrigens bescheidenen Gepäcks zu überwachen, und Mager wartete den Augenblick ab,.....


    Infos über:
    Charlotte Buff:
    http://www.zum.de/Faecher/D/Saar/gym/bufftxt.htm


    Friedrich Wilhelm Riemer:
    http://www.zum.de/Faecher/D/Saar/gym/riemetxt.htm


    http://www.literaturkritik.de/…2001-09/2001-09-0069.html


    mit einem Portrat der Dame:
    http://www.zum.de/Faecher/D/Saar/gym/bufftxt.htm



    Hallo zusammen


    sorry, daß ich nicht eine Wahl abwarte, aber nach dem Don Quijoten habe ich einen Drang nach Thomas Mann bekommen, der nicht aufzuhalten war :erroet:


    Ich bin im 2. Kapitel, S. 31, also noch nicht weit. Mit dem Faktotum Herr Mager hat sich Thomas Mann sehr gut in die Geschichte eingeführt. Ein Mann bei dem man eigentlich nicht den Literaturkenner vermuten könnte, umso überraschender für Frau Lotte. Die Sprache finde ich sehr interessant, wie immer bei Thomas Mann, trifft er den Stil m.E. wunderschön :-)


    Begleitet wird Lotte von ihrer Tochter Charlotte und der Zofe Clärchen.
    Die Tochter ist sehr ernst, ins humorlose gehend und mir scheint es ist hier ein gewisser Generationenkonflikt zu sehen, oder auch Eifersucht auf ihre Mutter. Das wird sich noch herauskristallisieren. Bin schon gespannt.


    Möchte noch wer mitlesen? Ich glaube Ikarus und Steffi machen auch mit.
    Würde mich freuen.


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo JMaria !


    Nachdem ich gestern schon ruhelos in die Bücherei getigert bin, habe ich vorsichtshalber "Lotte in Weimar" mitgenommen, da ich das antiquarische Buch, das ich bestellt habe, noch nicht bekommen habe. Obwohl ich mich auch für den Dostojewski interessiert hätte, würde ich also heute mit Thomas Mann anfangen! :lol:


    Ich bin schon sehr gespannt, da ich bisher von Thomas Mann nur "Der Zauberberg" und "Tod in Venedig" gelesen habe. Und obwohl der Zauberberg eigentlich zu den 10-Bücher-die-ich-auf-eine-einsame-Insel-mitnehmen-würde gehört, konnte ich mich nie dazu entschließen, noch etwas anderes von ihm zu lesen.


    Außerdem habe ich eine etwas skeptische Einstellung zu Goethe, ich kann ihn bisher nicht als den uneingeschränkten größten Dichter aller Zeiten sehen (ich bin da mehr auf Schillers Seite) und ich hoffe, daß Thomas Mann mit Goethe auch kritisch umgeht.




    Gruß von
    Steffi

  • Hallo zusammen,
    eben habe ich mich bei Euch angemeldet und bin gespannt darauf, wie es ist, ein Buch zusammen zu lesen.


    Im Urlaub war ich im Buddenbrook-Haus in Lübeck und habe richtig Lust bekommen, mich mit Thomas Mann zu beschäftigen. Leider habt Ihr "Josef und seine Brüder" schon gelesen. Das hätte mich auch interessiert.


    Ich habe mir "Lotte in Weimar" über booklooker bestellt und hoffe, dass das Buch bis Mitte der Woche da ist.


    Herzliche Grüße
    Erika

    Wer Klugheit erwirbt, liebt das Leben und der Verständige findet Gutes.
    <br />Sprüche Salomo 19,8

  • Hallo Steffi
    ehrlich gesagt kenne ich die Geschichte des jungen Werthers überhaupt nicht und ich hoffe zu 'Lotte in Weimar' benötige ich nicht die Vorgeschichte. Aber bisher hat sich Thomas Mann gut eingeführt mit Hinweisen wie z. B. das Lesen des Liedes Ossians, der Kuss, ihr Eheversprechen mit Albert Kestner. Nur einmal erscheint, ich glaube im Kapitel 2 als Lotte zurückblickt der Name Hans Christian und das hat mich verwirrt. Bin noch nicht dahinter gekommen um wen es sich da handelt. Eigentlich müßte dort der Name Albert stehen, dem sie vom Kuss erzählt *grübel*
    Vielleicht achtest du mal darauf?


    Sie hat ein Kleid mitgebracht mit roten Schleifen und eine fehlt. Ihre Tochter schlägt vor, daß sie das Kleid umändert und mit lila Schleifen versieht, da sich das fürs Alter schickt. Eine sehr besorgte Tochter ;-)



    Zitat von "Erika"

    Hallo zusammen,
    eben habe ich mich bei Euch angemeldet und bin gespannt darauf, wie es ist, ein Buch zusammen zu lesen.


    Hallo Erika
    willkommen und ich hoffe dir wird es gefallen :-)
    Hier sind einige Thomas Mann Leser und das gemeinsame Lesen von Joseph und seinen Brüdern war toll, kann ich dir nur empfehlen. Auch wenn es etliche Seiten sind ;-)
    Ich finde es ist ein Meisterwerk und kommt für mich gleich hinterm Zauberberg.


    Zitat

    Im Urlaub war ich im Buddenbrook-Haus in Lübeck und habe richtig Lust bekommen, mich mit Thomas Mann zu beschäftigen


    sollte ich jemals nach Lübeck kommen, dann ist es natürlich ein Muß für mich das Buddenbrook zu besichtigen. Ich vermute du hast die Buddenbrooks bereits gelesen?


    Ikarus war dieses Jahr am Grab von Thomas Mann, er war schon ein großartiger Schriftsteller.


    Zitat

    Ich habe mir "Lotte in Weimar" über booklooker bestellt und hoffe, dass das Buch bis Mitte der Woche da ist.


    ich lese nicht sehr schnell, du kommst uns bestimmt noch nach :-)
    Schön, daß du dabei bist.


    Hallo Ikarus
    ich hoffe es macht dir nichts aus, daß ich eine Wahl vorweg genommen habe. Habe ein schlechtes Gewissen, konnte mich aber nicht bremsen :erroet: Ich hoffe du machst mit.
    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Erika


    Herzlich willkommen hier im Forum. Es freut mich, daß Du mit uns gemeinsam die "Lotte in Weimar" mitliest.
    Das Lübecker Buddenbrook-Haus wollte ich im Urlaub auch schon mal besuchen. Leider war es damals wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Ist bestimmt sehr interessant.


    JMaria: Danke, daß Du mir die Entscheidung abgenommen hast. :D Ich war hin- und hergerissen zwischen Dostojewski und Thomas Mann. Und nachdem Du schon angefangen hast, werde ich das jetzt auch tun.


    Viele Grüße
    ikarus

    &quot;Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand&quot; (Erasmus von Rotterdam)

  • Erika: Schön, daß du mitliest !


    Hallo JMaria !


    Bevor ich mit der "Lotte in Weimar" angefangen habe, habe ich heute ein bißchen im "Werther" geblättert. Du schreibst:


    Zitat


    Sie hat ein Kleid mitgebracht mit roten Schleifen und eine fehlt. Ihre Tochter schlägt vor, daß sie das Kleid umändert und mit lila Schleifen versieht, da sich das fürs Alter schickt. Eine sehr besorgte Tochter ;-)


    Wie du dir sicher schon gedacht hast, hat es mit dieser roten Schleife (die anderen sind nun durch das Alter verblichen!) etwas auf sich: Lotte schenkt sie Werther zum Geburtstag. Sie trug das Kleid auf dem Ball, als die beiden sich kennenlernten. Wahrscheinlich hat Lotte deshalb dieses Kleid mitgebracht, aber ob sie auch noch hineinpaßt ?
    Laut Thomas Mann hat sie doch nun etwas matronenhaftes ! Allerdings wird ja im ersten Kapitel schon klargestellt, daß Werthers Lotte nicht identisch ist mit Goethes Lotte und vielleicht auch nicht mit Thomas Manns Lotte ? Das fand ich sehr elegant gelöst ! Nun müssen wir Leser erstmal herausfinden, wie und wer Lotte eigentlich ist.


    Zitat

    Nur einmal erscheint, ich glaube im Kapitel 2 als Lotte zurückblickt der Name Hans Christian und das hat mich verwirrt. Bin noch nicht dahinter gekommen um wen es sich da handelt. Eigentlich müßte dort der Name Albert stehen, dem sie vom Kuss erzählt


    Ja, ja etwas verwirrend ... Also, in meinem Nachwort zu "Werther" steht, daß die reale Lotte mit einem Johannes Christian verheiratet war, ich glaube, den könnte Thomas Mann meinen. :)


    He, ich muß sagen, je mehr ich über das ganze (erste Kapitel) nachdenke, desto begeisterter bin ich ! JMaria, ich verstehe dich voll, daß du sofort mit dem Buch anfangen wolltest ! :D


    Gruß von
    Steffi

  • Hallo Steffi


    Danke für Deine Erklärungen. Ich habe jetzt die ersten beiden Kapitel gelesen und bin auch etwas verwirrt. Darin waren nämlich schon so viele Bezüge auf den Werther, die ich wesentlich besser verstehen würde, wenn ich das Buch kennen würde.
    Nachdem Erika sowieso noch auf ihr Leseexemplar wartet, habe ich beschlossen, erstmal den "Werther" zu lesen. Müßte ich eigentlich dieses Wochenende schaffen. Dann wird vielleicht manches klarer.


    Viele Grüße
    ikarus

    &quot;Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand&quot; (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo zusammen


    Steffi: danke auch von mir, daß du Lotte und Werthers Geschichte zusammengefaßt hast. An die verschiedenen Lottes muß ich mich erst gewöhnen, ist aber doch typisch Thomas Mann. Er hat sich bestimmt einige Gedanken über diese Figur gemacht.


    ikarus: wenn du den Werthers liest, dann wirst du bestimmt einige Gedanken für uns haben. Ich freu mich darauf.


    Ich bin im 3. Kapitel und Friedrich Wilhelm Riemer hat seinen Auftritt. In die Jahre gekommen und ziemlich unzufrieden. Dies ist auch geschichtlich bewiesen und man sieht hier die gute Recherche T. M's.


    Hier 2 sehr interessante Links:


    http://www.zum.de/Faecher/D/Saar/gym/riemetxt.htm


    http://www.literaturkritik.de/…2001-09/2001-09-0069.html


    Amüsant fand ich Miss Cuzzle, die mich an eine frühe Papparazi erinnerte mit ihren Zeichnungen und auf der Jagd nach Prominenz.


    Ob eine literarische Figur heute noch einen Menschenauflauf vor einem Hotel hervorrufen würde? Ich glaube kaum, das müßten dann schon Pop-Idole sein wie Madonna o.ä.
    Mir wäre eine Lotte lieber ;-)


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen


    Ich bin gerade mit dem "Werther" fertig geworden. Ich habe das Buch vor allem deshalb gelesen, weil ich das Gefühl hatte, mir fehlt der "literarische Unterbau" für die "Lotte".
    Es war ein ungeheuer intensives Leseerlebnis. Und jeder der schon mal unglücklich verliebt war, wird auch heute noch nachfühlen können, wie es vor über 200 Jahren Goethe ergangen ist und auch seine eigenen Gefühle darin wiedererkennen. Ein zeitloses Werk. Man merkt dem "Werther" schon sehr stark an, in welchen Gefühlsturbulenzen sich Goethe bei seiner Niederschrift befand. Wie leidenschaftlich muß Goethe diese Charlotte geliebt haben - und wie hoffnungslos!


    In den Erläuterungen zu meinem Werther heißt es:
    "Er (Goethe) besorgte die Ringe zur Hochzeit (im April 1973), er schmückte sich mit Lottens Brautstrauß, den man ihm geschickt, er wurde Pate des Erstgeborenen. Als Ehepaar hat er Kestners nicht gesehen. Mit ihren Gaben, dem Wetsteinischen Homer, einer Schleife vom Ballkleid, dem Schattenriß Lottens, trieb er wehmütigen Reliquiendienst."
    und weiter
    "Wenn er später von dem Werk redet, auch im hohen Alter, bebt immer die Erregung der einsamen Wochen nach, in denen es entstand:>Das war ein Stoff, bei dem man sich zusammennehmen oder zugrundegehen mußte<, >So etwas schreibt sich nicht mit heiler Haut<... Nur selten und stets mit einer gewissen Scheu hat er wieder hineingesehen."


    Das glaube ich gern. Goerthe hat sich damals sicher seinen ganzen Kummer von der Seele geschrieben und sich dabei sehr entblößt. Vielleicht ist ihm das später erst so richtig bewußt geworden.


    So "gewappnet" werde ich nun die "Lotte" weiterlesen. Gespannt bin ich jetzt auf das Zusammentreffen von Lotte mit Goethe. Denn Wiedersehen mit ehemaligen Geliebten enden ja oft sehr enttäuschend (eigene Erfahrung :wink: ).



    @ JMaria


    Zitat

    Amüsant fand ich Miss Cuzzle, die mich an eine frühe Papparazi erinnerte mit ihren Zeichnungen und auf der Jagd nach Prominenz.


    Der Vergleich ist sehr gut! :D


    Du hast, wie immer, wieder tolle Links gefunden. Danke dafür!


    Viele Grüße
    ikarus

    &quot;Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand&quot; (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo zusammen !


    JMaria: Danke für die tollen links! Ich war richtig überwältigt :lol:


    Was mich eigentlich an dem "Werther" stört (abgesehen von zu vielen oh`s und ach`s) ist, daß er Lotte seine Verliebtheit so egoistisch aufdrängt. Er sieht nur seine Gefühle und kümmert sich gar nicht um die anderen. Er ist so mit seiner Liebe beschäftigt und so überzeugt, daß das die reine wahre Liebe ist, daß ihn Lottes Gefühle gar nicht interessieren. Diese Intensität und eben auch eine gewissen Intoleranz würden mich erdrücken.


    Und Lotte hat sich ja dann für den strebsamen phantasielosen Beamten Kestner entschieden. Im 2. Kapitel klingt ja schon an, daß sie sich überlegt, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie Goethe gewählt hätte.
    Auf jeden Fall genießt sie ja die Aufmerksamkeit ganz Weimars !! Und eine schnellporträtierende Paparazza sieht man ja auch nicht alle Tage, oder ? :lol:


    Nun taucht also im 3. Kapitel Riemer auf. Ziemlich unsympathisch und eifersüchtig erzählt er von seinem Leben mit Goethe. Und Lotte, so scheint es mir, freut sich insgeheim, daß Goethe doch nicht als der positive wunderbare Mensch geschildert wird. Jaja, vielleicht war ihre Entscheidung damals doch richtig ? Also, ich hatte ja gehofft, daß Thomas Mann kritisch mit Goethe umgeht, aber was dieser Riemer da alles erzählt, das ist ja wohl dann doch etwas zuviel !!


    Auf jeden Fall atme ich jetzt die Luft in Weimar, so realistisch sind für mich bisher die Schilderungen Thomas Manns !


    Gruß von
    Steffi

  • Hallo Ikarus und Steffi
    Eure Berichte zu 'Werthers' bringen mir die Geschichte noch näher. Vielen Dank. Das 3. Kapitel ist, man kann sagen, eine Zusammenfassung von Goethes Leben und Werk. Es werden div. Werke angesprochen wie: Faust, Wahlverwandtschaften, Lehrjahre... (ich übernehme hier Dr. Riemers Abkürzungen) aber über 'Werthers' wurde noch nicht gesprochen (bin auf S. 79).


    Zitat

    Steffi schrieb:
    Also, ich hatte ja gehofft, daß Thomas Mann kritisch mit Goethe umgeht, aber was dieser Riemer da alles erzählt, das ist ja wohl dann doch etwas zuviel !!


    Ich sehe hier eine Art Haßliebe Riemers zu Goethe. Er hat 30 Jahre seines Lebens ihm gewidmet, hat sogar seine Briefe verfaßt und wie er sagt, goethischer als Goethe es selbst könnte, daß sich sogar die Leute fragen, wer wohl diesen oder jenen Brief geschrieben habe :)


    Auf der anderen Seite war Goethe auch derjenige der Riemer in seinen Werken unterstützte. Ich bin auch Poet, anch'io sono poeta sagt Riemer


    T.M. geht das Leben Goethes kritisch an, die Werke Goethes läßt er Riemer in einer etwas tattrigen, nicht ernst zunehmender Art vorführen. Vielleicht ist euch aufgefallen, daß zwar die Dichtkunst Goethes mal kritisiert wird, dann aber sofort wieder korrigiert und auf äußerste gelobt
    wird.


    Ein Beispiel auszugsweise zu Goethes Leben (Kritik):
    Riemer: Wozu also viel Zwang und systematische Lernquälerei? Man muß bedenken, daß die Jugend des Meisters selbst davon frei gewesen ist. Nennen wird die Dinge beim Namen: eine eigentliche Schulung hat er seinerzeit nicht erfahren und als Knabe und Jüngling nur weniges gründlich durchgearbeitet. Das wird ihm niemand so leicht abmerken, höchstens bei sehr langem, genauem Umgange und eigenem ausnehmend gediegenem gelehrten Fundament....


    Charlotte: ...und kann nur bestätigen: mit seinen Studien, seiner Arbeitsamkeit, seinem Amtseifer war es wenig oder nichts, er hat recht eigentlich nie etwas getan zu Wetzlar....


    nun Kritik zu seiner Dichtkunst:
    Riemer: Warum nur er? frage ich mich oft, wenn ich andere Dichter lese, den frommen Claudius, den lieben Hölty, den edlen Matthisson. .... Man kann nur froh sein, daß neben ihm sich andere frisch behaupten, sich nicht von seiner Größe erdrücken und lähmen lassen...


    daraufhin läßt sich Charlotte zu einer Kritik hinreißen, so daß Riemer einen Rückzieher macht:
    [b]Offen gestanden weiß ich nicht, was ich gesagt habe, aber Ihren Worten entnehme ich, daß es mir zustieß, mich zu versprechen. Die Zunge spielt uns wohl einen Streich im Kleinen...


    Hier macht, meines Erachtens, T.M. einen Balanceakt. Er gibt dem Leser etwas zum Nachdenken indem er kritisiert, ohne Goethe herabzusetzen. Vielleicht wäre das auch sehr undiplomatisch für sein Werk gewesen?


    Mal sehen wie es weiter geht.


    Achja - ich wollte noch auf diesen Text hinweisen:

    Riemer: Sagen sie mir....Wie haben Sie und der selige Hofrat sich auf die Dauer mit dieser bestürzenden Erfahrung, mit dem Lose unfreiwilliger Opfer abgefunden? Ich meine: wie und wie weit ist es Ihnen gelungen, den durch die empfangene Wunde verursachten Schmerz, die Kränkung darüber, Ihre Existenz als Mittel zum Zweck behandelt zu sehen, in Harmonie zu bringen mit anderen, späteren Gefühlen, die die Erhöhung, die gewaltige Ehrung dieser Existenz Ihnen erwecken mußte?


    ich glaube es war zu anfangs bestimmt nicht einfach für die jungen Eheleute Kestner mit diesem Werk Goethes zurecht zukommen. Wie sich Herr Kestner wohl fühlte?


    Ich kann mich aber auch erinnern, daß auch gern Thomas Mann seinen literarischen Figuren reale Personen dahinter stellte und nicht immer zu deren Wohlgefallen :wink: Da konnte T.M. schon mal gemein werden *g*


    Falls ihr es noch nicht gemerkt habt, mich hat T.M. wieder gepackt. Wie schafft er das nur? Ich komme mir nach Don Quijote vor, als ob ich aus einem Winterschlaf erwacht bin.


    Jetzt höre ich aber auf mit Schreiben, sonst wird es noch ein Roman.


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Nochmals Hallo


    hab was vergessen:


    Zitat

    Steffi schrieb:
    Was mich eigentlich an dem "Werther" stört (abgesehen von zu vielen oh`s und ach`s) ist, daß er Lotte seine Verliebtheit so egoistisch aufdrängt. Er sieht nur seine Gefühle und kümmert sich gar nicht um die anderen. Er ist so mit seiner Liebe beschäftigt und so überzeugt, daß das die reine wahre Liebe ist, daß ihn Lottes Gefühle gar nicht interessieren. Diese Intensität und eben auch eine gewissen Intoleranz würden mich erdrücken.


    Auszugsweise heißt es in diesem Link: http://www.zum.de/Faecher/D/Saar/gym/werthepr.htm


    Der absolute Geltungsanspruch von Werthers Gefühl ist unvereinbar mit den Institutionen der Gesellschaft (Ehe, Beamtenberuf...). Es ist seine Tragik, dass ihn seine Empfindungsfülle zerstört, dass sein unbedingter Freiheitswille ihn in den Tod treibt. Der Schwärmer, der aus der Ichseligkeit seiner Empfindungen in die Leere hinabstürzt, wirkt als Protestfigur gegen die enge Ständegesellschaft.
    Auf kirchlicher Seite entfachte der "Werther" einen Proteststurm. Die junge Generation hingegen fühlte sich verstanden und nahm den Roman begeistert auf. Ein Werther - Fieber brach aus, Werther - Mode wurde getragen, begleitet von einer Selbstmordwelle im Wertherstil


    Mir scheint 'Werthers' hat die damalige junge Generation angesprochen. Die Mode sah wie folgt aus:


    auszug aus Werthers:

    Aus dem Blut auf der Lehne des Sessels konnte man schließen, er habe sitzend vor dem Schreibtische die Tat vollbracht, dann ist er heruntergesunken, hat sich konvulsivisch um den Stuhl herumgewälzt. Er lag gegen das Fenster entkräftet auf dem Rücken, war in völliger Kleidung, gestiefelt, im blauen Frack mit gelber Weste


    hier noch meine Frage:
    wie hat sich Werthers umgebracht? Es ist beeindruckend, daß es damals eine Selbstmordwelle im Werthersstil gab. Beängstigend.


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo JMaria


    Ja, auch über den Werther liese sich lebhaft diskutieren, wie Du siehst. :D


    Zitat

    hier noch meine Frage:
    wie hat sich Werthers umgebracht? Es ist beeindruckend, daß es damals eine Selbstmordwelle im Werthersstil gab. Beängstigend


    Werther hat sich erschossen. Er schickte seinen Knaben zu Albert um von ihm seine Pistolen für eine angeblich bevorstehende Wanderung zu leihen. Lotte gab ihm diese.
    In Werthers Abschiedsbrief an Lotte schreibt er:
    "Sie sind durch Deine Hände gegangen, du hast den Staub davon geputzt, ich küsse sie tausendmal, du hast sie berührt: und du, Geist des Himmels, begünstigst meinen Entschluß! und Lotte, reichst mir das Werkzeug, du, von deren Händen ich den Tod zu empfangen wünschte und ach! nun empfange."


    Zitat

    Steffi schrieb:
    Was mich eigentlich an dem "Werther" stört (abgesehen von zu vielen oh`s und ach`s) ist, daß er Lotte seine Verliebtheit so egoistisch aufdrängt. Er sieht nur seine Gefühle und kümmert sich gar nicht um die anderen. Er ist so mit seiner Liebe beschäftigt und so überzeugt, daß das die reine wahre Liebe ist, daß ihn Lottes Gefühle gar nicht interessieren. Diese Intensität und eben auch eine gewissen Intoleranz würden mich erdrücken.


    Genau das ist ja die Tragik des ganzen. Auch Lotte fühlte sich erdrückt und bat Werther sich zurückzuhalten und sie nicht mehr so oft zu besuchen. Aber das konnte Werther nicht aushalten. Er konnte nicht mit ihr, aber noch weniger ohne sie sein. Für ihn eine hoffnungslose Situation aus der ihn nur der Tod erlösen konnte.


    Und Goethe mag sich in seinen Gefühlen zu Charlotte Buff in ähnlicher Situation gesehen haben. Er brachte sich zwar (zum Glück) nicht um, reiste aber eines Tages überstürzt, ohne von Lotte Abschied zu nehmen, aus Wetzlar ab.


    Viele Grüße
    ikarus

    &quot;Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand&quot; (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo !


    Mir ist schon klar, daß Goethe natürlich absichtlich die ganzen Empfindungen Werthers in den Vordergrund stellte. Genau deshalb ist das ganze ja auch ein Briefroman. Die Geschichte erfährt der Leser aus der Sicht Werthers - dadurch ergibt sich eben aber auch ein einseitiges Bild der anderen betroffenen Personen. Es bringt aber den Leser auch dazu, sich Gedanken zu machen - über Kestner und über Lotte - ohne von Goethe beeinflußt zu werden. Spannend natürlich auch, daß es sich um reale Personen handelte.


    Ob wohl Goethe auch so war ? Egozentrisch war er sicher und die gesellschaftlichen Konventionen hat er ja auch eher mißachtet, wenn man an Christiane Vulpius denkt. Und wie hat sich Thomas Mann als Genie gefühlt ? Auch ein bißchen so, wie er Goethe beschreibt ? Hat er darunter gelitten, berühmt zu sein oder hat es ihm geschmeichelt ? Ist ihm alles so leicht zugeflogen oder war er ein harter Arbeiter ?


    Gruß von
    Steffi

  • Hallo zusammen
    wie weit seit ihr? Ich bin mit Kapitel 3 fertig und habe mit 4 begonnen, Adele Schopenhauer hat ihren Auftritt.


    Vorher würde ich aber gern noch über das Gespräch Lottes mit Dr. Riemer diskutieren. Wie fandet ihr es?


    T.M. geht hier hart und zugleich besänftigend zu Werke, oder was meint ihr? Es fällt sogar das Wort 'Schmarutzertum', aber auch 'Menschwerdung des Göttlichen, wenn von Goethe die Rede ist.


    Lotte entpuppt sich u.a. als eitel, sie empfindet es als quälend, daß einige Menschen evtl. nicht sie in der Lottes Gestalt sehen könnten, nur weil Goethe der Werthers Lotte schwarze Augen gab.


    Aber ich kann Lotte auch verstehen, daß sie einige Fragen mit sich trägt die sie quälen und das seit Jahrzehnten.


    Ich glaube, trotz allem Vertrauen das ihr Hans-Christian in sie hatte, wünschte sie sich, daß er ein wenig resoluter zu ihr gestanden hätte. SIE ganz alleine mußte in ihren jungen Jahren der 'Versuchung' widerstehen.


    Sehr schöne Metapher für Freundschaft verwendet T.M. 'den Arm um des Freundes Schulter'.


    Welche Eindrücke habt ihr bisher gewonnen in diesem Gespräch?


    Nebengedanken:
    1.) Scherenschnitt war bereits aus der Mode wie es im Buch heißt. Ich habe mir über diese Kunstfertigkeit noch nie Gedanken gemacht. Finde ich aber sehr schön und schwierig.


    2.)Hat man in späteren Jahren von Goethe Rezensionen gefunden? Weil im Buch von einer 'Juden-Recension' die Rede ist und Dr. Riemer es so außerordentlich wichtig fand?


    3.)Als T.M. über das Christentum schrieb, über Geist und Natur, und sehr großen Wert auf das Wort: Apprehension' legt, fühlte ich mich an die Joseph-Saga erinnert. Da hatte ich ein ähnliches Gefühl, daß ich mit T.M. nicht Schritt halten konnte und mußte einige Absätze mehrmals lesen :-)


    4.)manche Abschnitte erinnerten mich eher an Klatsch, z.B. Dr. Riemers Äußerungen, daß Goethe seine Mutter 11 Jahre lang nicht besucht hat, obwohl er auf seinen Reisen genügend Gelegenheiten hatte.


    Welche Eindrücke habt ihr?


    Zitat

    Ob wohl Goethe auch so war ? Egozentrisch war er sicher und die gesellschaftlichen Konventionen hat er ja auch eher mißachtet, wenn man an Christiane Vulpius denkt. Und wie hat sich Thomas Mann als Genie gefühlt ? Auch ein bißchen so, wie er Goethe beschreibt ? Hat er darunter gelitten, berühmt zu sein oder hat es ihm geschmeichelt ? Ist ihm alles so leicht zugeflogen oder war er ein harter Arbeiter ?


    Steffi: deine Fragen sind sehr interessant. Bisher läßt T.M. den Egoismus Goethes nicht aus dem Auge, bin auf die weiteren Entwicklungen im Buch gespannt. T.M. nimmt ja gern Romanfiguren um sich selbst zu spiegeln, ob es hier Goethe ist, kann ich noch nicht beurteilen, wenn überhaupt. Mal sehen. Ansonsten glaube ich, daß in jedem Genie 2 Seelen stecken, die eine genießt die andere leidet.


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo!


    Heute ist mein Exemplar "Lotte in Weimar", das ich über booklooker bestellt hatte, angekommen. Es handelt sich um eine Ausgabe aus dem Aufbau-Verlag aus dem Jahre 1967, die 417 Seiten hat. Die Ränder an den Seiten sind schön breit, so dass man sich die eine oder andere Notiz machen kann.


    Ich habe mit Vergnügen das erste Kapitel gelesen, in dem der übereifrige Mager die arme Hofrätin Kestner mit seiner überschwenglichen Verehrung kaum zur Ruhe kommen lässt. Da kommt sie mit ihrem Gefolge nach langer und beschwerlicher Reise endlich in einem Gasthof an und muss diese Ergüsse über sich ergehen lassen.


    Für die Tochter muss es sicher nicht einfach gewesen sein, eine solche Mutter zu haben. Da kann man schon bitter werden, wenn man sich selber in der Betreuung des verwitweten Bruders nebst seiner Kinder aufopfert und die Mutter Hof hält. Es ist halt nicht einfach, die Tochter einer schönen und bemerkenswerten Frau zu sein - zumal wenn man selber nicht ganz so schön ist.


    Bis bald!


    Erika

    Wer Klugheit erwirbt, liebt das Leben und der Verständige findet Gutes.
    <br />Sprüche Salomo 19,8

  • Hallo zusammen!


    Ich lese ja nicht mit - irgendwie habe ich nicht soviel Zeit wie Ihr zum Lesen. (Bin mit Sartre immer noch nicht fertig - seufz!)


    Aber ich verfolge Eure Diskussion. Die Brüder Mann gehören ja zu meinen Lieblingsautoren. Nun ist mir in der Diskussion etwas aufgefallen. JMaria sagt:


    "nun Kritik zu seiner Dichtkunst:
    Riemer: Warum nur er? frage ich mich oft, wenn ich andere Dichter lese, den frommen Claudius, den lieben Hölty, den edlen Matthisson. .... Man kann nur froh sein, daß neben ihm sich andere frisch behaupten, sich nicht von seiner Größe erdrücken und lähmen lassen...


    daraufhin läßt sich Charlotte zu einer Kritik hinreißen, so daß Riemer einen Rückzieher macht:
    Offen gestanden weiß ich nicht, was ich gesagt habe, aber Ihren Worten entnehme ich, daß es mir zustieß, mich zu versprechen. Die Zunge spielt uns wohl einen Streich im Kleinen...


    Hier macht, meines Erachtens, T.M. einen Balanceakt. Er gibt dem Leser etwas zum Nachdenken indem er kritisiert, ohne Goethe herabzusetzen. Vielleicht wäre das auch sehr undiplomatisch für sein Werk gewesen?"


    Ich habe diese Stellen immer so verstanden, dass Th. Mann hier ein Bild des Charakters von Riemer zeichnet. Seine eigene Meinung zu Goethe oder seine eigene Diplomatie sind imo zur zweitrangig.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus