August 2002: Thomas Mann - Lotte in Weimar

  • Hallo zusammen


    Ich bin nun mit dem 3. Kapitel fertig und empfand es als ganz schön anstrengend. Diese schier endlosen Monologe des Dr. Riemer - Puuh!! Da war Thomas Mann wieder so richtig in seinem Element. Manchmal war ich doch etwas überfordert und habe auch einige Abschnitte mehrmals lesen müssen.


    Aus Charlotte bin ich aber nicht richtig schlau geworden. Am Anfang des Buches bestreitet sie, Werthers Lotte zu sein, weil diese schwarze Augen, sie jedoch blaue habe. Am Ende des 3. Kapitels bricht sie jedoch in Tränen aus, weil sie befürchtet, nicht als Werthers Lotte erkannt zu werden.


    "Haßliebe" trifft das Verhältnis Riemers zu Goethe wirklich genau. Allerdings meine ich, daß die Liebe doch überwiegt. Aus seinen Ausführungen spricht schon auch etwas Stolz, in Diensten dieses Genies arbeiten zu dürfen.


    Aufgefallen ist mir noch, daß wenn Riemer von Goethe erzählt, immer nur von der Kunst, vom "Genius" und vom "Göttlichen" die Rede ist. Es werden seine Werke erwähnt, die Gedichte gelobt usw. Haben wir aus Riemers Monologen überhaupt etwas über den "Menschen" Goethe erfahren? Wenig. Und schon gar nichts schmeichelhaftes.
    Dagegen, wenn Charlotte erzählt, menschelt es. Sie berichtet von ihrem verstorbenen Mann, ihren Kindern, ihrer Schwester. Charlotte repräsentiert das Menschliche, das Leben; Goethe die Kunst. Und die beiden wollen sich jetzt treffen. Ob das gut geht?


    Könnte es vielleicht sein, daß DAS überhaupt das Hauptthema dieses Romans ist? Das Verhältnis des Menschlichen, des Lebens, zur Kunst? Ob sich das vereinbaren läßt oder nicht? Daß Thomas Mann darauf hinaus will? Ich würde es für möglich halten und werde beim Weiterlesen mal stärker darauf achten.


    JMaria

    Zitat

    4.)manche Abschnitte erinnerten mich eher an Klatsch, z.B. Dr. Riemers Äußerungen, daß Goethe seine Mutter 11 Jahre lang nicht besucht hat, obwohl er auf seinen Reisen genügend Gelegenheiten hatte.


    Klatsch würde ich das nicht unbedingt nennen wollen. Es ist schon ein bezeichnender Charakterzug Goethes und dieser Abschnitt hat für mich den Hauptunterschied zwischen Charlotte und Goethe deutlich gemacht: Sie, absoluter Familienmensch, in einer kinderreichen Familie aufgewachsen und schon früh die Mutterrolle übernehmen müssen. (Sich selbst bezeichnet Charlotte an einer Stelle mal als "leidenschaftliche Mutter", wenn ich mich recht erinnere). Er, alles andere als ein Familienmensch, eher abgehobener Künstler, der in seiner Künstler-Welt lebt und sich mit sowas wie Kindererziehung oder Haushaltsführung nicht abgibt. Auch während seiner Ehe mit Christiane Vulpius ist Goethe oft nach Jena zu seinem Freund Schiller, oder zur Kur nach Karlsbad "geflüchtet" und hat sie mit dem Haushalt (der ja nicht gerade klein war) allein gelassen. Bezeichnend auch, daß Goethe nicht mal zur Beerdigung seiner eigenen Frau gegangen ist. Die Familienbande waren bei Goethe schon sehr lose.
    Elf Kinder hätte Charlotte mit ihm jedenfalls nie haben können. Für sie war Kestner der geeignetere Ehemann und sie lobt ihn auch immer als ihren "Guten". Eine Ehe mit Goethe wäre wohl niemals gut gegangen.


    Viele Grüße
    ikarus

    "Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand" (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo zusammen !


    Ich bin froh, daß es mit dem 3. Kapitel nicht nur mir so ging ! Vor allem, als Riemer dann noch mit Nihilismus anfing, blickte ich manchmal nicht mehr richtig durch. Riemer wird ja richtig philosophisch, als er versucht zu erklären, warum er es überhaupt so lange bei Goethe aushält.


    Zitat


    Könnte es vielleicht sein, daß DAS überhaupt das Hauptthema dieses Romans ist? Das Verhältnis des Menschlichen, des Lebens, zur Kunst?


    ikarus, das hast du treffend ausgedrückt ! Wirklich, der Großteil dieses Kapitels beschäftigt sich mit der Frage, was ist Kunst ?


    Riemer beschreibt an einer Stelle die Kunst als "absolute Liebe und die absolute ...Gleichgültigkeit"zugleich. Goethes "großer Geist" wird ihm von Gott geschenkt, Arbeitseifer, erkennt Riemer, führt nicht zum Genie. Kunst oder Poesie beugt sich nicht der Gesellschaft und Moral. Demgegenüber steht Lotte, die reale Lotte, die Goethe als eine Art "Liebes-Schmarotzer" kritisiert, von ihm fühlt sie sich ausgenützt, da er sich nicht an Moral und gesellschaftliche Konventionen hält, dies aber gleichzeitig auf sie sehr anziehend gewirkt hat. Genauso empfindet ja Riemer auch. Er opfert sich in "bitterer männlicher Ehre" und gleichzeitig bewundert er die Persönlichkeit, den "Gottesozon", Goethes. Bezeichnend fand ich auch die Beschreibung "...wenn er stumm ist, wer soll da reden?".


    Ich glaube auch, daß Thomas Mann hier Aspekte der Poesie darstellen möchte. Und wenn Riemer erläutert, daß Poesie schließlich harte Arbeit ist, die nur ein großer Geist mit großer Persönlichkeit zustandebringt, dessen negative Eigenschaften wie Egoismus, Gleichgültigkeit, Ungläubigkeit alle der höheren, absoluten Kunst dienen, blickt vielleicht auch Thomas Mann zwischen den Zeilen hervor. Ich könnte mir vorstellen, daß auch er mit all diesen Urteilen kämpfen musste.


    Liebe Grüße
    Steffi

  • Zitat

    Ich habe diese Stellen immer so verstanden, dass Th. Mann hier ein Bild des Charakters von Riemer zeichnet. Seine eigene Meinung zu Goethe oder seine eigene Diplomatie sind imo zur zweitrangig.


    Grüsse


    Sandhofer


    Hallo Sandhofer
    es waren meine ersten Eindrücke. Doch ich denke du hast recht, Sandhofer. Ich habe mich zu sehr auf Goethe und Thomas Mann konzentriert und die Charakterisierung Dr. Riemers kam bei mir garnicht so recht an. :)


    ikarus und Steffi
    eure Gedanken aus dem 3. Kapitel haben mir die Zusammenhänge mehr verdeutlicht. Ich werde im weiteren Verlauf darauf achten. :-)


    Das 4. Kapitel mit Adele Schopenhauer gibt noch mehr Aufschluß über Goethes Kunst und seine Eigenarten.


    Besonders kommt zu tage, daß der alternde Goethe sich schwer tut mit der neuen Generation an Künstlern.


    über David Caspar Friedrich von dem er erklärt, man könne seine Bilder ebenso gut verkehrt herum ansehen.


    Hier mal ein Bild von ihm (der einsame Baum) http://www.poster.de/Friedrich…einsame-Baum-2401113.html


    aber die Damen um Adele Schopenhauer lieben die Verse Uhlands und die skurrilen Geschichten von Hoffmann. Doch dürfen sie es dem Meister nicht gestehen, da er eine "Aversion gegen schöngeistige Frauenzimmer hat " [Zitat].


    Lotte gibt sich ganz als Kunstmuse und ordnet und organisiert alles für die Nachwelt. Erstaunlich. Eine weitere Facette ihrer Persönlichkeit.


    Manchmal sind es Kleinigkeiten die mich schmunzeln lassen. Zum Beispiel der mehrmalige Ausruf von Adele: Ich bin Weimaranerin


    Erika:
    schön, daß du das Buch bekommen hast. Für die Tochter Lottes kann man wirklich Mitleid empfinden.


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo, liebe Mitleser,
    das ist ja etwas ganz Tolles, beim Lesen nicht allein zu sein. Ich kämpfe mich gerade durch das verflixte dritte Kapitel und frage mich die ganze Zeit, was ich wohl mit solch einem Vielredner wie Riemer machen würde. Geduldig zuhören oder vielleicht doch unterbrechen. Aber vielleicht war man zu Zeiten Goethes ausdauernder im Zuhören.


    Von Riemer hatte ich vorher noch nie gehört. Eckermann war mir bekannt, aber den wissenschaftlichen Mitarbeiter Riemer habe ich erst hier kennengelernt.


    Mir tut der Mann trotz allem leid. Da opfert er sein Leben für das Genie Goethe und ist voll Eifersucht auf andere in seiner Umgebung.


    "Meyer also, auf den er nun einmal wunder welche Stücke hält, rühmt sich höchlichst, der Meister habe ihm aus den`Wahlverwandtschaften´, als er sich noch damit trug, des langen und breiten erzählt, und das mag wohl richtig sein, denn auch mir hat er eines Tages den Plan auf das ergreifendste entwickelt, nämlich schon bevor er sich Meyern darüber eröffnete, mit dem Unterschied, daß ich mich dessen nicht bei jeder Gelegenheit berühme."


    "... es ist Zelter in Berlin, von dem ich spreche, der Musikant und Chordirektor, den er ein wenig befremdenderweise des brüderlichen Du würdigt, ...."


    Es menschelt also auch bei Herrn Riemer.


    Bis bald


    Erika

    Wer Klugheit erwirbt, liebt das Leben und der Verständige findet Gutes.
    <br />Sprüche Salomo 19,8

  • HURRA!


    Ich hab´s geschafft - das dritte Kapitel ist geschafft. Gegen Ende wurde es ja noch einmal richtig dramatisch. Da ist viel gekränkte Eitelkeit im Spiel. Vielleicht auch die Erkenntnis, dass sie dieser Mann vier Jahrzehnte lang beschäftigt hat und sie den Verdacht hat, dass es ihm umgekehrt nicht so gegangen ist.


    Ein Wort habe ich in keinem Lexikon gefunden. Es lautet: [size=18px][/size]Elbisch


    Das Wort taucht mehrmals in diesem Kapitel auf, z. B. im Zusammenhang mit dem Kuckucksei.


    Wer weiß, es bedeutet?


    Erika

    Wer Klugheit erwirbt, liebt das Leben und der Verständige findet Gutes.
    <br />Sprüche Salomo 19,8

  • Hallo Erika !


    Toll, dass du so schnell aufgeholt hast !!


    "elbisch", also Elben (aus althochdeutsch "Alp" oder "Alb") sind Wesen aus der nordischen Mythologie, Wesen zwischen Menschen und Göttern, vielleicht könnte man auch Naturgeister dazu sagen. Ich verstehe Thomas Mann so, daß er wohl das naturhaft-dämonische meint.


    Im "Herr der Ringe" hat Tolkien dann eine Reihe von Elben (Lichtelben und Dunkelelben) entstehen lassen, die aber etwas von der mythologischen Bedeutung abweichen. Im übrigen besteht auch Uneinigkeit darüber ob Elfen und Elben identisch sind; ich halte aber Elfen für kleine Lichtgeister und Elben für die "wildere Sorte".


    Gruß von
    Steffi

  • Hallo !


    Ich bin noch mitten im 5. Kapitel - Adele Schopenhauer erzählt vom Krieg 1806. Goethe hat als Napoleon-Fan da offensichtlich keine so patriotische Rolle gespielt,obwohl er als Geheimer Rat doch auch eine politische Funktion hatte.


    Adele Schopenhauer war übrigens die Schwester des Philosophen Schopenhauers. Ihre Mutter war eine bekannte Schriftstellerin und auch sie hat gedichtet. Dazu hab ich einen interessanten link gefunden:


    http://www.wortblume.de/dichterinnen/schope_i.htm


    Und hier noch ein Scherenschnitt von ihr, wirklich beeindruckend finde ich:


    [Blockierte Grafik: http://mitglied.lycos.de/poeterey/adschop.gif]


    Gruß von
    Steffi

  • Hallo zusammen
    ich bin auch mitten im 5. Kapitel. Eine große Last und Verantwortung setzt die Bevölkerung auf August von Goethe, dem Sohn des Meisters.
    Kein Wunder, daß er von Adele als Düster beschrieben wird.


    Die Worte des Philosophen Professor Fichte:

    Die Nation hat große Anforderungen an Sie, einziger Sohn des Einzigen in unsrem Zeitalter.


    Als er sich als Jäger einschreiben läßt, macht sein Vater ihm einen Strich durch die Rechnung und er hat den Mackel des Feiglings zu tragen :(
    Auch wenn seine Freunde wissen, daß August das Sprachrohr seines Vaters ist. Er hatte es wahrlich nicht einfach.


    Die Beschreibung des Krieges und das Abenteuer Adeles und Ottiliens mit dem verwundeten preußischen Soldaten hatte viel Schwärmerisches. Ob Ottilie diesen Ferdinand nochmals trifft. Mal sehen wie das 5. Kapitel zuende geht.
    Später wurden die Töne des Krieges ernster. Typhus und viel Trauer wurde von Adele beschrieben.


    Eine schöne Milieustudie der damaligen Zeit. Was meint ihr?


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo JMaria


    Zitat

    Eine schöne Milieustudie der damaligen Zeit. Was meint ihr?


    Ja, fand ich auch. Obwohl Thomas Mann sehr viel Informationen in dieses 5. Kapitel hineingepackt hat, liest es sich sehr flüssig und spannend. Gerade die Geschichte mit dem verwundeten Soldaten trägt sehr zur Auflockerung bei. War wirklich schön zu lesen obwohl es letztendlich sehr traurig ist.


    Ob ich mit Ottilie aber Mitleid haben soll? Sie hätte August ja einfach den Laufpass geben können. Für mich unverständlich, was sie an ihm gefunden hat, wo die beiden scheinbar so sehr verschieden waren. Nur weil er Goethes Sohn ist? Erschreckend, wie stark sich Ottilie den gesellschaftlichen Konventionen unterworfen sah.


    Ob ich mit August Mitleid haben soll? Schon eher. Der hatte es wirklich nicht leicht. Sein Verhalten, das über die Stränge schlagen und seine Flucht in den Alkohol sind für mich schon nachvollziehbar. Das ist bei vielen Künstlerkindern ja auch heute oft der Fall. Er hat bestimmt sehr unter diesem übermächtigen Vater und den hohen Erwartungen der Gesellschaft an ihn, die er gar nie erfüllen hätte können, gelitten.


    Beim Lesen ist mir übrigens immer Thomas Manns Sohn Klaus in den Sinn gekommen. Auch er hat ja sehr unter der (vor allem künstlerischen) Übermacht seines Vaters gelitten, ist daran zerbrochen, und hat letztendlich drogensüchtig Selbstmord begangen.


    Ich komme nun zum 6. Kapitel


    Viele Grüße
    ikarus

    &quot;Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand&quot; (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo zusammen


    Zitat von "ikarus"

    Ja, fand ich auch. Obwohl Thomas Mann sehr viel Informationen in dieses 5. Kapitel hineingepackt hat, liest es sich sehr flüssig und spannend. Gerade die Geschichte mit dem verwundeten Soldaten trägt sehr zur Auflockerung bei. War wirklich schön zu lesen obwohl es letztendlich sehr traurig ist.


    Am Schluß sagt Adele "Und mit dieser Zeitung schließe ich mein Novelle..."


    Und das war sie wirklich, eine Novelle in einem Roman, die auch gut und gern extern betrachtet werden kann. Mir ähnelte sie der Geschichte "Tamar" aus der Joseph-Saga. Ich fand die Novelle als etwas besonderes und sehr wichtig für den weiteren Verlauf der Geschichte.


    Ich sehe jetzt, nachdem ich das Kapitel 5 zuende gelesen habe, August wie auch Ottilie als Opfer. Beide wissen, daß Goethe es nicht dulden würde, wenn die Verbindung gelöst wird und beide sind zu schwach dagegen anzugehen. (S. 179) Kann hier vielleicht Lotte helfen? Erhofft sich das Adele? Warum sonst erzählt sie die Geschichte?


    Irgendwie habe ich das Gefühl, daß auch der Weggang Ottiliens Vater etwas mit ihrem Gemütszustand und ihren Entscheidungen später zu tun hat. Die Einleitung von Adele fand ich sehr eindringlich. Hatte Ottilie vielleicht einen Vaterkomplex und ließ sich deswegen von Goethe beeinflussen?


    Bin nun im 6. Kapitel


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo !


    JMaria schrieb:

    Zitat

    Hatte Ottilie vielleicht einen Vaterkomplex und ließ sich deswegen von Goethe beeinflussen ?


    Genau danach sieht es aus. Obwohl sich Ottilie von August getrennt hatte, läßt sie sich von Goethe überreden. Dieses geheimnisvolle Gespräch erzählt sie nicht einmal ihrer Freundin Adele - was da wohl vorgefallen ist ? Ottilie hat auch eher mütterliche Gefühle für August, von Liebe ist da nicht die Rede. Zumindest stellt Adele es so dar. Ob diese selbst in Ottilie verliebt ist - auf jeden Fall wirkt sie ziemlich eifersüchtig.


    Im 6.Kapitel lernen wir endlich August kennen. Für mich wirkt er gar nicht so unsympathisch. Allerdings hat er ein sehr distanziertes Verhältnis zu seinem Vater - wieder keine Liebe. Ganz unbeteiligt schildert er Goethes Leben, seine Liebschaften usw. So scheint es, daß das Thema Liebe bisher nur mit Lotte und Werther in Verbindung steht.


    Auf ihre Rolle im Werther scheint sie ja ziemlich stolz zu sein, aber auch dafür, daß sie Goethe abgewiesen hat. Über Goethes einstige Verlobte sagt sie:


    "Ist doch bei dem Verhältnis nicht gar viel herausgekommen. Einige Lieder, aber kein weltbewegendes Werk."


    "Ich bedauere dieses Frauenzimmer", sagte Charlotte, "dem es an Resolutheit gebrach, sich zu einem Leben ehrbaren Glückes aufzuraffen und in einem ländlich tüchtigen Mann den Vater ihrer Kinder zu lieben."


    Aber manchmal kommt es mir so vor, daß sie sich selbst einredet, daß es die richtige Entscheidung war. Vielleicht hat sie diese Entscheidung auch ihr Leben lang bedauert ?


    Ist euch eigentlich auch aufgefallen, daß Thomas Mann immer "Charlotte" und nie "Lotte" verwendet. Müsste dann der Titel nicht "Charlotte in Weimar" lauten ? Oder hat er den Titel nur wegen des besseren Verständnisses gewählt ?


    Gruß von
    Steffi


    Die nächsten 2 Wochen bin ich getrennt von PC und www im Urlaub! Lotte reist natürlich mit, ebenso hoffe ich, dass ich dazu komme, eine Biografie über Goethe zu lesen.

  • Zitat von "Steffi"

    Hallo !



    Aber manchmal kommt es mir so vor, daß sie sich selbst einredet, daß es die richtige Entscheidung war. Vielleicht hat sie diese Entscheidung auch ihr Leben lang bedauert ?


    Diesen Gedanke führe ich beim Lesen auch mit. Ob der Roman uns eine Antwort geben wird ?


    Zitat

    Ist euch eigentlich auch aufgefallen, daß Thomas Mann immer "Charlotte" und nie "Lotte" verwendet. Müsste dann der Titel nicht "Charlotte in Weimar" lauten ? Oder hat er den Titel nur wegen des besseren Verständnisses gewählt ?


    des Verständnisses wegen bestimmt. Der Titel spricht schon für sich.
    Aber vielleicht will er auch zeigen daß aus der Lotte eine Charlotte wurde. Reife.


    Zitat


    Die nächsten 2 Wochen bin ich getrennt von PC und www im Urlaub! Lotte reist natürlich mit, ebenso hoffe ich, dass ich dazu komme, eine Biografie über Goethe zu lesen.


    Wünsche dir einen schönen Urlaub :)


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen


    Ich bin nun auch mit dem 6. Kapitel durch und dort bekommt man von August ja ein sehr positives Bild. Ganz entgegen den Erwartungen nach Adeles Schilderung.
    Die Beziehung von Ottilie zu Goethe sehe ich weniger als Vaterkomplex, sondern eher als "Prominentenkomplex". Sie möchte über August an Goethe rankommen. Charlotte bringt es in ihrem Gespräch mit August auf den Punkt: "Kurzum, dies Persönchen Ottilie - liebt sie Sie, wie sie da sind, ohne Umstände, oder liebt sie Ihre Umstände, die die eines berühmten Sohnes sind, so daß sie eigentlich den Vater liebte?". Genau so sehe ich das auch.


    Zitat

    Ist euch eigentlich auch aufgefallen, daß Thomas Mann immer "Charlotte" und nie "Lotte" verwendet. Müsste dann der Titel nicht "Charlotte in Weimar" lauten ? Oder hat er den Titel nur wegen des besseren Verständnisses gewählt ?


    Ich denke, daß Thomas Mann damit die Unterscheidung zwischen Werthers Lotte, also der literarischen Figur und der realen Charlotte deutlich machen wollte.


    Viele Grüße
    ikarus


    ...und schönen Urlaub, Steffi (falls Du das noch vorher liest) :D

    &quot;Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand&quot; (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo Ikarus


    Zitat von "ikarus"

    Ich bin nun auch mit dem 6. Kapitel durch und dort bekommt man von August ja ein sehr positives Bild. Ganz entgegen den Erwartungen nach Adeles Schilderung.
    Die Beziehung von Ottilie zu Goethe sehe ich weniger als Vaterkomplex, sondern eher als "Prominentenkomplex". Sie möchte über August an Goethe rankommen. Charlotte bringt es in ihrem Gespräch mit August auf den Punkt: "Kurzum, dies Persönchen Ottilie - liebt sie Sie, wie sie da sind, ohne Umstände, oder liebt sie Ihre Umstände, die die eines berühmten Sohnes sind, so daß sie eigentlich den Vater liebte?". Genau so sehe ich das auch.


    Ein beeindruckender Satz. Prominentenkomplex könnte es natürlich auch sein, oder vielleicht sogar beides? Vielleicht finden wir die Antwort ja im Buch selbst :)


    Adele befürchtet wohl, daß sich in Ottilie die Geschichte Lottes wiederholt, nur daß diesmal nicht die Vernunft siegt, denn sie sagt:

    Retten Sie Ottilien! Sie könnte Ihre Tochter sein, sie scheint es zu sein: eben darum schwebt sie heute in einer Gefahr, der Sie selbst einst die ehrwürdigste Besonnenheit entgegensetzten. Seien Sie Mutter dem Ebenbilde Ihrer Jugend, - denn das ist sie, als solches wird sie geliebt - von einem Sohn, durch einen Sohn. Behüten Sie das 'Persönchen', wie der Vater sie nennt- behüten Sie sie, gestützt auf das, was Sie diesem Vater einst waren, davor, das Opfer einer Fascination zu werden, die mir so unaussprechlich bange macht!


    mmh - Vernunft. Wie es Steffi letztens in einem Beitrag erwähnt, bin ich mir auch noch nicht klar, ob Charlotte zu ihren Lebensweg, den sie vernünftigerweise einging, steht. Auf diese Beantwortung bin ich auch schon sehr gespannt.


    Nochmals zurück zu der Ähnlichkeit zwischen Charlotte/Lotte und Ottilie, August von Goethe bestätigt dies in seinem Gespräch mit Charlotte:


    Ich bin nicht so dreist, Ihnen zu sagen, daß Sie aussehen wie ein jungen Mädchens, aber man muß nicht das zweite Gesicht haben, um durch die Hülle der Würde ganz leicht des jungen Mädchens, des Schulmädels, gewahr zu werden, das Sie einst waren, und alles, was ich behaupte, ist, daß dieses junge Mädchen Ottiliens Schwester sein könnte,... Ihre Tochter sein könnte. ...die Identität des Typus, dies allem Junonischen Ferne, dies Leichte, Liebliche, zierliche, Zärtliche...


    Hat August hier die Worte seines Vaters wieder übernommen, wie so oft?
    Denn er kannte Lotte nicht in jungen Jahren, außer aus dem Werther-Roman.


    Ansonsten ist mir August sympathisch. Er ist praktisch veranlagt und übernimmt gewissenhaft die Verhandlungen mit dem Verlag (Cotta) für seinen Vater, kümmert sich um die Steuern, streitet sich sogar mit der Stadt Weimar um Erlaß dieser. Er ist dem Weine zugetan, kann also genießen. Das hat er wohl von seiner Mutter :-)
    Humor hat er auch, wenn sie einen auch nicht direkt anspringt ;-)


    ...und beide Insassen (Goethe und Professor Meyer) purzeln übereinander auf die mit soviel Selbstbeherrschung gewählte Straße, wobei Meyer recht blutig an der Nase verletzt wurde. ..Aber es ist beschämend, obgleich es auch wieder zu einer peinlichen Heiterkeit reizt, sich die feierlich ihrer bewußte Größe vorzustellen, wie sie längst gewohnt, sich nur noch in bedachter Gemessenheit zu bewegen, mit besudelten Kleidern und aufgelöster Kragenbinde in einem Straßengraben krabbelt."


    Eine Szene im Kapitel 6 möchte ich auch noch erwähnen.
    Es ging um Lili Schönemann, die Exverlobte Goethes. Wie sagt sie da so schön?

    Arme Lili... Ist doch bei dem Verhältnis nicht gar viel herausgekommen. Einige Lieder, aber kein weltbewegendes Werk
    .


    Sie braucht also schon die Bestätigung, daß sie eine besondere Rolle im Leben Goethes gespielt hat und mißt die Wichtigkeit an seinen Werken.


    Wie fandet ihr das Einbinden dieser Liebe August zu Achim von Arnim in diese Geschichte? War das nicht typisch Thomas Mann? Egal ob kameradschaftlich oder homosexueller Art, Thomas Mann greift in seinen Geschichten gern darauf zurück, oder?


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo JMaria


    Ich bin heute mit dem Buch fertig geworden und habe eine etwas zwiespältige Meinung davon.


    Zitat

    Er ist dem Weine zugetan, kann also genießen. Das hat er wohl von seiner Mutter


    Aus Adeles Schilderungen hatte ich eher den Eindruck, daß August mehr aus Kummer zu viel trinkt. Weniger des Genusses wegen. Trotzdem hast Du recht. seine Mutter konnte das Leben sehr genießen, weniger den Wein. Diesem war wiederum mehr sein Vater zugetan, was Thomas Mann im 8. Kapitel auch zum Ausdruck bringt. 2 Liter Wein pro Tag waren für Goethe normal.


    Zitat

    Wie fandet ihr das Einbinden dieser Liebe August zu Achim von Arnim in diese Geschichte? War das nicht typisch Thomas Mann? Egal ob kameradschaftlich oder homosexueller Art, Thomas Mann greift in seinen Geschichten gern darauf zurück, oder

    ?


    Das fand ich auch sehr typisch. Manns versteckte Homosexualität kommt in seinen Werken immer wieder zum Vorschein. Wenn ich solche Stellen lese, bekomme ich immer ein wenig Mitleid mit dem Autor, weil man oft merkt, daß das Schreiben die einzige Form war, in der er seinen Gefühlen freien Lauf lassen konnte.


    Die lang erwartete Begegnung von Charlotte mit Goethe verläuft ja mehr als entäuschend. Das war allerdings zu erwarten nach Goethes Bemerkung zu August: "Konnt´ sie sich´s nicht verkneifen, die Alte, und mir´s nicht ersparen?" Goethe empfängt Lotte sehr kühl und steif bei einem offiziellen Mittagessen. Ich hatte den Eindruck, daß alle Beteiligten froh waren, als sie´s endlich hinter sich gebracht hatten. Erst zum Schluß dann ein vertrauliches Gespräch in der Kutsche. Und auch dort wirkte Goethe eingebildet und hochnäßig. Mir sehr unsympathisch. Aber Charlotte sagt ihm auch die Meinung: "So sehr wohl und behaglich war mir´s nicht eben in deiner Wirklichkeit, in deinem Kunsthaus und Lebenskreis, es war eher eine Beklemmung und eine Apprehension damit, das laß mich gestehen, denn allzusehr riecht es nach Opfer in deiner Nähe...Diese Riemer, die immer mucken und maulen, und deren Mannesehr´ auf dem süßen Leime zappelt, und dein armer Sohn mit seinen siebzehn Gläsern Champagner uin dies Persönchen, das ihn also zu Neujahr heiraten wird und wird in die Oberstuben fliegen wie die Mücke ins Licht...-was sind sie denn als Opfer deiner Größe." Goethe sieht sich allerdings selbst als Opfer. Als Flamme, in die sich die anderen stürzen, aber auch als brennende Kerze, die ihren Leib opfert damit das Licht leuchte. Selbstmitleid?


    Insgesamt hatte ich mit dem Buch oft enorme Verständnisschwierigkeiten. Eine Goethe-Biographie zu lesen, wie Steffi in ihrem Urlaub vor hat, ist sicher nicht die schlechteste Idee. So gut kenne ich mich aber im Leben und Werk Goethes beileibe nicht aus, wie es für das Verständnis des Romans notwendig wäre. Ich finde, Thomas Mann setzt beim Leser zu viel Wissen voraus. Besonders das 3. und 7. Kapitel waren schon harte Brocken. Sehr schön fand ich das 2. Kapitel, in dem sich Charlotte an die Zeit mit Goethe zurückerinnert, und vor allem natürlich das 5. Kapitel "Adeles Erzählung". Ein Hochgenuß!
    "Lotte in Weimar" war für mich, trotz seiner Kürze, der bisher anstrengendste Roman von Thomas Mann. Das lag sicher auch an dem überaus gestelzten Sprachstil, mit dem er sich an Goethe anpassen wollte. Und ich glaube kaum, daß, wenn ich dieses Buch als erstes von Thomas Mann gelesen hätte, noch weitere gefolgt wären. Zum Glück war´s aber ja nicht so.


    Viele Grüße
    ikarus

    &quot;Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand&quot; (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo zusammen,
    bin wieder aus dem Urlaub zurück 8) und habe gerade Eure Diskussion hier gespannt nachverfolgt. Wenn Euch Goethe interessiert, kann ich Euch das Buch "Christiane und Goethe - Eine Recherche" von Sigrid Damm wärmstens ans Herz legen. Wir lasen das jüngst im Literaturcafé zusammen und ich war schwer begeistert. Man lernt viel über die damalige Zeit, Sitten, Christiane, mehr noch Goethe, auch über dessen Werk, sehr viel jedoch über den Menschen Goethe.


    Schaut doch mal nach unter : http://www.literaturcafe.de/


    Was lesen wir als Nächstes, wenn alle fertig sind? Den Dostojewski?
    Viele Grüsse, Nele

  • Hallo Nele


    Welcome back :D


    Dieses Buch von Sigrid Damm habe ich vor ein paar Jahren auch mal gelesen und kann Dir uneingeschränkt zustimmen. Es ist überaus lesenswert und ich war auch schwer begeistert. Ich fand es bemerkenswert, wie genau und penibel die Autorin recherchiert hat und wie sie es verstanden hat ihr Thema trotz der ungeheuren Faktenfülle sehr interessant aufzubereiten und spannend rüberzubringen. Hätte ich das Buch nicht gelesen gehabt, wäre ich bei der "Lotte in Weimar" ziemlich auf dem Schlauch gestanden.


    Mit Dostojewski als Nächstes wäre ich einverstanden.


    Viele Grüße
    ikarus

    &quot;Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand&quot; (Erasmus von Rotterdam)