Hallo Fee,
Ich hatte den Text gestern abend fast komplett, und dann hat das Forum mich rausgeworfen... grrrr!
Also noch mal:
Zitat
... ich bin auch der Meinung, dass die Anordnungen der Buchstaben im Alphabet wie auch in der Buchstabensuppe Zufall ist, schön, dass wir das noch mal explizit herausgearbeitet haben. Nur sah man das von den Pythargoreern an bis weit in die Neuzeit hinein anders. Man betrachtete Zahlen und Buchstaben als Ausdruck einer göttlichen Ordnung, die man durch derlei Tüfteleien zu erforschen versuchte. Ich finde also schon, dass dieses Thema, auch wenn man die Prämissen persönlich nicht teilt, kultur- und mentalitätsgeschichtlich sehr interessant ist.
Zahlen kann man durchaus als Ausdruck göttlicher Ordnung ansehen. Das lateinische Alphabet aber nicht. Und was beweist schon die Tatsache, dass Jahrtausende lang über Wortgleichungen, die auf A=1, B=2 usw. beruhen, nachgegrübelt wurde? Man hat auch darüber debattiert, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz finden. Durch die Jahrtausende wird so etwas nicht sinnvoller. Ich stimme Dir aber zu, dass man dies als historische Tatsache der Geistesgeschichte, etwa als Ausdruck einer bestimmten menschlichen Sehnsucht, spannend finden kann. Allerdings scheint das nicht die Perspektive der Dissertation zu sein. Diese hat für mich eher den Charme einer "Malen nach Zahlen" Vorlage. Die Hauptidee dieses Textes, nämlich Wörter nach ihrer Quersumme zu gruppieren, hat Grundschulniveau. Und das wenige, was z.B. über Lullus oder Leibniz gesagt wird, ist sehr mager.
Erlaube mir ein einziges Zitat:
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Lullus (1223 – 1316) hatte in seinen über dreihundert Schriften, namentlich in seiner Ars magna et ultima im Anschluss an die kabbalistische Kombinatorik auf der Basis der Grundzahl 9 mit Hilfe von Permutationstabellen und konzentrischen Kreisscheiben (Alphabetum divinum) den Schlüssel für eine Art Urtext gesucht, aus dessen Elementen sich die Essenz religiösen Wissens gewinnen lässt. Dabei unterscheidet er zwischen jeweils neun principia absoluta (bonitas, magnitudo) und principia relativa (differentia, concordia), die mit symbolischen Buchstaben codiert und kombiniert werden können.
Das ist auch schon alles, was wir über Lullus erfahren. Da bleibt so gut wie alles offen. Wie hat sein System konkret funktioniert? Wie unterscheidet es sich konzeptionell von anderen, ähnlichen Systemen? Enthält sein System neue mathematische Konzepte? Hat Lullus den Urtext (oder den Schlüssel dazu) gefunden? Warum hat er überhaupt danach gesucht? Welches religiöse Wissen hat ihm (und vermutlich auch vielen seiner Zeitgenossen, wenn er als Repräsentant einer geistesgeschichtlichen Epoche gilt) gefehlt? Darüber weiß der Autor nichts zu sagen.
In diesem Stil ist die ganze Dissertation abgefasst. Eine Collage von oberflächlich behandelten Zitaten, ausgefüllt mit hochtrabendem Jargon.
Als historische Studie wertlos. Mathematisch plump. Analyse und Kritik fehlen völlig. Eine intellektuelle Leistung ist nicht erkennbar.
Gegen Spielerei mit Sprache ist ja gar nichts einzuwenden. Aber eine Dissertation soll eine wissenschaftliche Leistung darstellen. Die sehe ich hier einfach nicht.
Selbst der Titel klingt falsch. "Der Wert der Wörter" müsste es heißen. (Aber vielleicht wollte der Autor subtil seinen Wunsch ausdrücken, dass aus den Wörtern Worte werden mögen.)
Dabei gibt es wirklich interessante Themen an der Schnittstelle von Mathematik und Sprache. Zum Beispiel:
- Gibt es eine Universalgrammatik, d.h. ein System von Metabegriffen und Metaregeln, aus dem sich durch Spezialisierung die Grammatik jeder menschlichen Sprache ableiten lässt?
Meines Wissens bis heute nicht beantwortet.
- Gibt es statistische Parameter (Worthäufigkeit, Verwendung bestimmter grammatischer Formen etc.), aus denen die Textsorte ableitbar ist?
So dass eine bestimmter Satz von Werten für einen Familie von Parametern eine Art linguistischen "Fingerabdruck" darstellen würde. Intuitiv würde ich sagen, dass jeder Mensch seine eigenen sprachlichen "Fingerabdruck" hat. Es gibt tatsächlich Sprachwissenschaftler, die sich mit solchen Fragen beschäftigen (z.B. zur Analyse von Erpresserbriefen), dies aber quasi "zu Fuß" machen. Ansätze zu einer Theorie, oder auch nur systematische empirische Erkenntnisse darüber sind mir nicht bekannt. Aber vielleicht gibt es sie irgendwo? Würde mich sehr interessieren.
- Gibt es eine Korrelation zwischen Sprachbautyp (analytisch, agglutinierend, isolierend, ...) und den in einer Sprache bevorzugten poetischen Formen (Hexameter, Haiku, ...)?
- Vergleich und Bewertung verschiedener Verfahren für maschinelle Übersetzung.
Auch zur Beantwortung dieser Frage braucht es etwas mehr als A=1, B=2 etc.
- (von Sir Thomas:) Was ist der Unterschied zwischen Musik und tönender Mathematik? Oder gibt es keinen?
Stoff für viele Dissertationen. Ist aber alles nichts für Dünnbrettbohrer.
So, genug "Strenge" für heute Die Sonne scheint, der Laptop wird zugeklappt. Ich wünsche allen ein schönes Wochenende.
- Harald