Zitat von "Sir Thomas"Ich habe es nicht zu Ende gelesen und mir geschworen, nie wieder auf die Feuilletons zu hören. Nie wieder!
Genau. Höre lieber auf das Klassikerforum! :smile:
Zitat von "Sir Thomas"Ich habe es nicht zu Ende gelesen und mir geschworen, nie wieder auf die Feuilletons zu hören. Nie wieder!
Genau. Höre lieber auf das Klassikerforum! :smile:
Hallo Hubert,
Ich habe sogar direkt am Abend nach der Aufführung eine Nachricht an das Fritz Remond Theater über deren Website geschickt, um meiner Enttäuschung über die Aufführung Ausdruck zu verleihen. Es ist leider keine Antwort gekommen... Ich weiß also auch nicht, was sie sich gedacht haben.
ZitatWas bleibt: nach England fahren – das Original ansehen?
Tja, was tun? Man kann das Original oder eine passende Übersetzung lesen und sich so seine eigene Aufführung im Kopf aufbauen. Oder man besorgt sich eine DVD mit einer renommierten Inszenierung. Aber wenn mir jemand unbedingt eine Reise auf die Insel und Theaterkarten z.B. in Stratford spendieren wollte, würde ich auch nicht Nein sagen :zwinker:
Um auf Deine ursprüngliche Frage zurückzukommen: normalerweise ist mir der gedruckte Text lieber: ich kann so schnell oder langsam lesen, wie es mir passt, den Kommentar zu Rate ziehen etc. Auch sind mir viele moderne Inszenierungen zu schrill, unecht und nicht überzeugend in der Darstellung der Emotionen und der Handlung. Trotzdem gehe ich ab und zu gerne ins Theater. Es gibt immer Aspekte, die mir bei der Lektüre entgehen und erst durch eine Aufführung bewusst werden.
Manchmal sind es Improvisationen, die den meisten Spaß machen. Die Aufführung von Tartuffe hier in Frankfurt am ersten Weihnachtsfeiertag hatte eine von Moliere ungeplante Komik. Eine Schauspielerin war wegen der Bahn-Winterwetter-Probleme verspätet. Eine Regieassistentin hat in den ersten Szenen mit dem Textbuch in der Hand deren Rolle übernommen. Sie ist dann mitten in der Szene, mitten im Satz durch die auf die Bühne laufende Schauspielerin ersetzt worden... es gab Szenenapplaus
- Harald
Hallo Hubert,
Zitat von "Hubert"
Da heißt es ganz klar:
VERLORENE LIEBESMÜH
Komödie von William Shakespeare
Ja, so heisst es da. Es hätte aber heißen müssen:
"Verlorene Liebesmüh. Eine Komödie von Horst Jüssen, frei nach Motiven von Shakespeare."
Du hast das Stück gesehen. Kannst Du auch nur eine Sekunde lang glauben, dass der Diener Schädel, der über Ehescheidungen, Steuererhöhungen und über Kindererziehung schwadroniert, einen Text von Shakespeare spricht?
Die Aufführung des Remond-Theaters hat den Boyet gestrichen, Armado, Motte, Holofernes den Schulmeister, den Konstabler Anthony Dull, den Dorfpfarrer Nathaniel sowie das Milchmädchen Jaquenetta. Es gibt keine Maskerade, keine Moskowiter, keine "worthies" (Schauspiel der neun Helden), keinen Tod des Königs von Frankreich. Die Sache mit den vertauschten Briefen dagegen, aus der die Jüssen-Handllung im Wesentlichen besteht, kommt bei Shakespeare nicht vor.
Die in verschiedenen Abwandlungen von Sprachwitz bestehende Komplexität des Stückes ist völlig vernichtet worden. Die Latinismen und Pedanterie von Holofernes, Armados rhetorischer Schwulst, überhaupt die intelligente Auseinandersetzung mit Sprache, alles ist verschwunden.
Hier findest Du eine Kritik, die ich Wort für Wort bestätigen kann (mit Ausnahme des ersten Absatzes, der sich auf einen andere Inszenierung bezieht).
Fazit: Unter Shakespeares Namen wurde eine Boulevardkomödie verkauft. Ein Etikettenschwindel.
- Harald
Hallo,
Nach 1981/1982 und 1999/2000 lese ich nun das erzählerische Werk von Dostojewskij zum dritten Mal. Ich bin wieder einmal begeistert. Ich kenne niemanden, der die menschliche Seele in ihrer inneren Widersprüchlichkeit tiefer ergründet hat als er... Dazu sein Sinn für Komik: Man hat viel zu lachen in seinen großen Romanen. (Ich denke gerade an Lebedjew und General Iwolgin in Der Idiot). Eine russische menschliche Komödie.
Nach der Lektüre von Verbrechen und Strafe und Der Idiot kann ich die Übersetzungen von Swetlana Geier empfehlen. Auf die monumentale Biographie von Joseph Frank bin ich durch einen Hinweis von xenophanes aufmerksam geworden. Die Lektüre lohnt sich: Die Konflikte zwischen den geistigen Strömungen in Dostojewskijs Zeit und ihre Darstellung in seinen Werken sind mir dadurch besser verständlich geworden, wie auch die Auseinandersetzung mit "Kollegen" wie Turgenjew ("Väter und Söhne") und Tschernyschewski ("Was tun?").
- Harald
Hallo Hubert,
Gestern jedenfalls im Fritz Rémond Theater in Frankfurt habe ich mich sehr gut unterhalten. Die Komödie ist einfacher gestrickt als Shakespeares spätere Werke, aber von Anfang bis Ende ein reines Vergnügen. Auch die Rollen waren durchweg hervorragend besetzt, sowohl der junge König von Navarra mit seinen Hofherren, als auch die Prinzessin von Frankreich mit ihren Hofdamen, - herausragend Karsten Kramer als Diener Schädel.
Ich habe mir die Aufführung heute abend angesehen. Das war nicht "Verlorne Liebesmüh" von Shakespeare, sondern eine freie Bearbeitung durch den ehemaligen Klimbim-Schauspieler Horst Jüssen. Das Grundgerüst der Handlung ist erhalten geblieben, die Ausführung und die Texte sind von Jüssen. Eine nette Komödie mit Unterhaltungswert, aber eben nicht Shakespeare.
- Harald
Hallo Maria,
[quote author=JMaria]
was mir 2010 noch aufgefallen ist, dass ich vermehrt zeitgenössische Literatur gelesen habe und viel weniger Klassiker als geplant.
[/quote]
Bei mir ist es umgekehrt - ich lese fast nur noch Klassiker. Selbst die Krimis, die ich immer mal zwischendurch einschiebe, sind beinahe schon Klassiker: Agatha Christie, Dorothy Sayers, Robert van Gulik... Zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur fehlt mir der Zugang. Als Herta Müller den Literaturnobelpreis bekommen hat, habe ich es mit "Atemschaukel" versucht - und habe es nicht einmal zuendegelesen.
- Harald
Hallo,
Ich bin nach wie vor mit drei Langzeitprojekten beschäftigt: Melville, Dostojewskij, Lessing. Eine Entdeckung waren Melvilles Erzählungen: Benito Cereno, Billy Budd... Melville ist demnächst abgeschlossen, dann nehme ich mir Montaigne vor. Dostojewskij braucht seine Zeit: Ich habe mir die "Elefanten" in der neuen Übersetzung von Swetlana Geier vorgenommen, sowie die Biographie von Joseph Frank.
Ich habe eben in meine Leselisten aus 2003 und 2004 reingeschaut und musste feststellen, dass ich entweder langsamer, oder aus anderen Gründen weniger lese als noch vor sechs, sieben Jahren. Erschreckend ist auch, wieviel ich vergessen habe. Wenn ich mir anschaue, was ich vor so und so viel Jahren gelesen/gedacht/getan habe, ist mir das eigene Leben von damals schon etwas fremd geworden. Geht Euch das auch so?
Ich wünsche allen schöne Feiertage!
- Harald
Hallo Hubert,
ZitatEine Frage bleibt offen: "Warum hat der intellektuelle Adrian Leverkühn (Thomas Manns Doktor Faustus) ausgerechnet diese leichte Komödie vertont?"
Wie wäre es damit: Weil diese Komödie ein Motiv seines Lebens abbildet!? Nämlich, zugunsten der Kunst/Wissenschaft auf das Leben zu verzichten?
Wobei in der Komödie (anders als in Leverkühns eigener Lebensgeschichte) dieses wunderschöne Projekt von den Damen kunstvoll zum Scheitern gebracht wird.
Gruß,
Harald
[kaufen='9783446171213'][/kaufen]
Pierre oder die Doppeldeutigkeiten (Pierre: or, The Ambiguities). Erschienen 1852.
Ein Jahr nach Moby Dick erschienen. Es wurde von den Kritikern verrissen und vom Publikum abgelehnt. Nachdem ich den Roman gelesen habe, kann ich verstehen, warum.
Bis heute sind die Meinungen über dieses Buch geteilt. Ist es eine Inzestgeschichte? Eine griechische Tragödie in Romanform? Eine Bigamistenfantasie? Amerikanische Kulturkritik? Ein philosophischer Roman? Oder einfach nur schlechte Literatur? Oder alles gleichzeitig?
Es ist die Geschichte von Pierre Glendinning, 21 Jahre alt, einzigem Nachkommen und Erben einer wohlhabenden, alteingesessenen Familie mit einem Gut irgendwo im Staat New York. Er ist mit der blonden Lucy verlobt und lebt alleine mit seiner Mutter; der Vater war gestorben, als er 12 war. (Hier fangen schon die Merkwürdigkeiten an. Pierre und seine Mutter pflegen sich häufig "Bruder und Schwester" zu nennen, und Pierre droht, nur halb im Scherz, jeden anzugreifen, der es wagen sollte, seiner Mutter einen Heiratsantrag zu machen. Was soll man davon halten?)
Das Verhängnis bricht in Pierres Leben ein, als die junge Isabel ihm brieflich mitteilt, dass sie seine Halbschwester sei. Für Pierre, der seinen Vater mehr als alles andere verehrt, und in ihm die moralische Vollkommenheit verkörpert gesehen hat, bricht eine Welt zusammen. Um nun das Andenken seines Vaters rein zu erhalten und seiner Mutter diesen Schmerz zu ersparen, gleichzeitig aber Isabel in ihre Rechte einzusetzen (was er für seine Pflicht hält), kommt er auf die irrsinnige Idee, vorzugeben, er sei mit Isabel verheiratet, um fortan mit ihr zusammen zu leben. Gleichzeitig fühlt er eine starke Leidenschaft für Isabel, die über das Erotische noch hinausgeht und letztendlich unerklärt bleibt (und es wird auch nicht ganz klar, wieviel davon ihm selbst bewusst ist).
Er teilt also seiner Mutter mit, dass er bereits verheiratet ist - ungeachtet seiner Verlobung mit Lucy. Ohne auch nur nach dem Wieso und Warum zu fragen, wirft sie ihn aus dem Haus und enterbt ihn auf der Stelle. Pierre zieht nach New York, wo er sich (erfolglos) in der Schriftstellerei versucht. Seine Mutter stirbt; Lucy folgt ihm nach und beschliesst, mit ihm und Isabel zusammen zu leben (ohne von der Natur ihrer Beziehung zu wissen...).
Der Roman ist reich an literarischen Verweisen (u. a. Hamlet und Dantes Inferno werden erwähnt), Melville war ja sehr belesen. Der Roman enthält eine Menge Stoff, an dem man seine analytischen Zähne ausbeißen kann. Trotzdem ist mein vorläufiger Eindruck, dass das Ganze künstlerisch misslungen ist. Auf hohem Niveau gescheitert.
- Harald
ZitatIch weiß natürlich nicht, ob in der DKV Ausgabe noch irgendwelche Bildtafeln sind.
Nein, da sind keine Bildtafeln.
- Harald
Übrigens, Bouvard und Pécuchet kann man sich m.E. sparen. Salammbô dagegen
ist der Hammer - definitiv nichts für schwache Nerven. Wobei es nicht so sehr die
vielen Grausamkeiten sind, die einen schockieren, sondern die Genüßlichkeit, mit
der Flaubert sie vor seinem Publikum ausbreitet.
- Harald
Hallo Maria,
L'education sentimentale habe ich vor langer Zeit gelesen. Er gehört zu den Romanen,
die ich unbedingt wiederlesen möchte. An die Handlung kann ich mich zwar so gut wie
gar nicht mehr erinnern ... aber mein Eindruck war, dass hier der "Realismus" auf
die Spitze getrieben wird gleichzeitig seine Demontage begonnen wird. Präzision im
Detail, auch in der psychologischen Beobachtung, und insgesamt das Gefühl der
Desillusionierung, einer Art Leere, die mir sehr modern vorkam.
Wie gesagt, dies ist nur aus der Erinnerung rekonstruiert. Zweitlektüre ist geplant.
- Harald
Hallo Christian,
Danke für den Hinweis auf die Neuausgaben von Kein und Aber.
Den "Kammerherrn" habe ich vor Jahren in der Haffmans Ausgabe gelesen.
Ein sehr interessantes Buch, das eine Neulektüre verdienen würde.
"Die Kinder der Finsternis" würde ich aber auch gerne lesen. Wenn die Zeit
nur reichen würde...
- Harald
Hallo BigBen,
Lesen möchte ich diese Romane (oder Epen) auf jeden Fall. Nur Zeit dafür zu finden wird schwierig werden...
- Harald
Hier ein Link zum Thema.
Ich würde Mombour zustimmen. Zwar ist der Hauptschurke in Soll und Haben ein Jude, aber nicht alle Schurken im Roman sind Juden, und nicht alle Juden sind Schurken. Freytag verwendet m.E. die Stereotypen seiner Zeit.
Hat man übrigens Dickens den Vorwurf des Antisemitismus gemacht? Immerhin ist eine der Hauptfiguren von Oliver Twist der jüdische Verbrecher Fagin.
Ich habe Soll und Haben vor einigen Monaten gelesen und habe die knapp 900 Seiten nicht bereut. Ich denke z.B. an den Herrn von Fink... vielleicht die interessanteste Figur im Roman. Interessant waren für mich auch die Schilderung des polnischen Aufstandes. An Thackeray oder Fontane allerdings reicht Freytag m.E. nicht heran.
- Harald
Zitat von alphaSchliesslich war Descartes davon überzeugt, dass seine Methode "universel" anwendbar sei, d.h. gleichermassen auf geistige wie auch auf geometrische Probleme
Das mag ja sein, dass Descartes von der Universalität seiner Methode überzeugt war, aber stimmt es auch? Welches bis heute allgemein anerkannte Resultat wurde denn mit dieser Methode erzielt?
Das, was man heute unter "Philosophie" versteht, hat, soweit ich weiß, nicht ein einziges Ergebnis vorzuweisen, das auch nur annähernd Erkenntnissen wie beispielsweise dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik oder dem Gödelschen Unvollständigkeitssatz zu vergleichen ist.
Mir scheint, dass Philosphie als Tätigkeit viel enger mit Dichtung als mit Wissenschaft verwandt ist.
- Harald
Hallo Alpha,
Interessante Frage.
Zunächst mal würde ich den Sachverhalt so formulieren, dass sich die Naturwissenschaften von der Philosophie abgespalten haben, nicht umgekehrt.
Den Grund sehe ich darin, dass die Wissenschaften ein Instrumentarium entwickelt haben, dass es ihnen ermöglicht hat, nachprüfbare (weil falsifizierbare) Aussagen über die Wirklichkeit zu machen, während die Philosophie rein spekulativ geblieben ist. Die wissenschaftliche Methode war überaus erfolgreich; die (verbleibende!) Philosophie hat nichts dergleichen vorzuweisen - bis heute keine einzige Erkenntnis... so passen Naturwissenschaft und Philosophie von der Methodik einfach nicht (mehr) zusammen.
Die exponentiell anwachsende Wissensmenge hat m.M.n. zur weiteren Differenzierung der Wissenschaften geführt, nur dass die Grundlagen die gleichen geblieben sind, so dass von einem Ausanderdriften wie im Fall Philosophie - Naturwissenschaften nicht die Rede sein kann.
Übrigens, soweit ich weiß, waren die Naturwissenschaften an den deutschen Universitäten noch lange Zeit Teil der philosophischen Fakultät. Z.B. an der Uni Münster wurde die philosophische Fakultät 1903 in philosophisch-naturwissenschaftliche Fakultät umbenannt und erst 1948 wurde die naturwissenschaftliche Fakultät abgespalten.
Den tatsächlichen Differenzierungsprozess (d.h. Entstehung der modernen Naturwissenschaften) würde ich im Zeitalter der Aufklärung vermuten.
- Harald
Hahaha...
Ein Blick ins Original hilft da weiter:
Of man's first disobedience, and the fruit
Of that forbidden tree, whose mortal taste
Brought death into the world, and all our woe,
With loss of Eden, till one greater man
Restore us, and regain the blissful seat,
Sing, Heav'nly Muse, ...
Es handelt sich um die obligatorische Anrufung der Musen. Die ersten fünf Verse sind als Objekt von "Sing" zu konstruieren: "Von all dem... singe uns, himmlische Muse". Du bist also ausgestiegen, bevor Du das erste Verb des ersten Hauptsatzes erreicht hast...
Von Gift ist im Original nicht die Rede. "Mortal taste" bedeutet wohl, dass die Menschen sterblich werden, nachdem sie vom Apfel probiert ("ge-tasted") haben.
"One greater man" ist Jesus.
Und ja, death, woe und loss ist quasi eine Aufzählung.
Interessant auch die Form "restore" (und nicht "restores"). Ein Konjunktiv-Relikt wie in "God save the Queen"? Oder Futur mit zu ergänzendem "will"?
- Harald
Maria und sandhofer,
Danke für die Infos. Insbesondere das FAZ-Interview war aufschlußreich.
- Harald