September 2004: Galsworthy - Die Forsyte Saga

  • Hallo Murmelito !


    Schön, dass du mitlesen willst.


    Beim Gemeinsamen Lesen versuchen wir, in etwa in gleicher Geschwindigkeit zu lesen, d.h. jeder teilt regelmäßig seine Gedanken mit und auch, wie weit er ist, damit die schnelleren Leser ein kleines Wartepäuschen einlegen können. Eine genaue Kapiteleinteilung halte ich nicht für gut, denn wir wollen ja das Lesen genießen. Falls es notwenig sein sollte, können wir uns immer noch einen Zwischenstopp überlegen. Auch wenn man mal einige Tage nicht zum Lesen kommt oder gar nicht mehr weiterlesen mag, ist eine kurze Nachricht angebracht. Posten kannst du alle deine Gedanken, die du so hast - keine Angst vor vermeintlich dummen Fragen, die gibts nämlich nicht.


    Ich gehe davon aus, dass wir die 3 Bücher und die 2 Zwischenstücke der Forsyte-Saga lesen (Der reiche Mann bzw. der Besitzmensch, In Fesseln, Zu vermieten und die Zwischenspiele "Nachsommer" und "Erwachen").


    Ob wir danach noch die weiteren 2 Fortsetzungen lesen, weiß ich nicht - ich denke, das ergibt sich dann am Ende. :zwinker:


    Gruß von Steffi

  • Hallo!


    Ich habe jetzt die ersten sieben Kapitel gelesen (leider bin ich noch nicht weiter gekommen). Ich will mich erst einmal allen anderen anschließen, denn es liest sich wirklich sehr flüssig. Auch mit den Namen ging es mir genauso. Außerdem arbeitet Galsworthy das zentrale Thema, das ja schon der Titel des ersten Buches enthält, sehr gut heraus. Das Besitzdenken der Forsytes ist eigentlich immer präsent. Das ist mir vor allem aufgefallen, als Old Jolyon seinen Sohn Young Jo zum ersten Mal nach 14 Jahren wiedersieht. Er fragt ihn nicht, wie es ihm geht oder ob er denn glücklich sei, sondern er will wissen, ob er verschuldet ist. Da kommt schon sehr klar heraus, daß bei den Forsytes gilt, daß man nur dann glücklich sein kann, wenn man reich ist.


    Genau wie die Buddenbrooks sind auch die Forsytes zu Beginn der Handlung auf ihrem Höhepunkt. Ich bin mal gespannt, ob auch hier der Verfall einsetzen wird. :zwinker:


    Grüße
    marin

  • Zitat von "marin"

    Genau wie die Buddenbrooks sind auch die Forsytes zu Beginn der Handlung auf ihrem Höhepunkt. Ich bin mal gespannt, ob auch hier der Verfall einsetzen wird. :zwinker:


    Grüße
    marin


    darauf bin ich auch gespannt.


    Hallo zusammen
    Hallo marin


    huch, 7 Kapitel hab ich noch nicht geschafft.


    ich möchte noch etwas zu Irene Forsyte schreiben. Sie wird vermutlich noch für eine Menge Aufregung sorgen. 1) Sie und Soames scheinen keine glückliche Ehe zu führen, 2) sie wirkt fremdartig.


    "fremdartig, dunkel, zigeunerhaft" - so beschreibt Galsworthy gerne seine Heldinnen, die eine Hauptrolle in seinen Geschichten spielen. Das fällt auch in seinem Jünglingswerk "Sündenfall" auf, dort heißt die Frau Jocelyn und man kann bereits Irene, die spätere Heldin, erkennen. Eigentlich wollte Galsworthy nicht, dass "Sündenfall" damals vom Verlag neuaufgelegt wird. In diesem Werk steckt viel Autobiographisches, was er in späteren Werken eher vermied. Das wollte ich noch so nebenzu einbringen.


    wißt ihr, dass ich beim Lesen an Sandhofer denken mußte? und zwar bei dieser Szene: Kapitel 2


    Er(der alte Jolyon) erhob sich, ging zum Schränkchen und begann, sein Zigarrenetui systematisch aus einem frisch gekommenen Paket zu füllen. Sie waren nicht schlecht zu dem Preis, aber man konnte je heutzutage keine gute Zigarre bekommen, nichts, was es mit jenen alten Superfinos von Hanson und Bridger aufnehmen konnte. Das waren noch Zigarren!


    :breitgrins: :breitgrins: :breitgrins:


    obwohl ich nicht weiß was Superfinos sind.


    Murmelito - willkommen in unserer Leserunde. :winken:
    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen !


    Ich bin schon im zweiten Buch von "Der Besitzmensch" - ich konnte einfach nicht aufhören :rollen:


    Ja, dieses Besitzdenken ist schon meisterhaft geschildert - beim Essen interssiert jeden, wieviel das oder jenes gekostet hat und überhaupt wird alles nur nach dem Geldwert beurteilt. Irene und Bosinney (schreibt man den so?) sind die einzigen Störenfriede - wobei ich mir über Bosinney nicht ganz im klaren bin.


    Hauptfigur scheint ja Soames zu sein - eben der Besitzmensch. Mit Irene kommt er überhaupt nicht klar, wohl weil er nicht versteht, dass es Dinge gibt, die nicht mit Geld zu messen sind. Aufschlußreich dabei auch seine Brautwerbung :breitgrins: - aber ich will nicht vorgreifen.


    Gut gefällt mir, dass Galsworthy dieses Besitzdenken nie übertrieben schildert und wie gut das Ganze in die damalige politische Welt passt (naja, bis heute hat sich daran ja nicht so viel geändert). England und dessen Burgoisie in der Blüte des Kolonialismus empfindet sich selbst als die Größten und ob z.B. die Ureinwohner in der Mine sterben, ist Soames egal - sterben müssen sie ja sowieso !!


    Gruß von Steffi

  • Hallo JMaria und Steffi :winken:


    Vielen lieben Dank für Eure netten Willkommensgrüße. Ich kann im Moment zu dem Buch noch nichts sagen, weil es noch ungelesen bei mir ruht und ich im Moment dabei bin, die Zwischenteile zu besorgen - mein Büchereibuch hat ja nur 3 Bücher.


    Danach steige ich dann voll ein. Was bis jetzt hier geschrieben wurde, macht mich schon sehr neugierig


    Ich wünsche Euch allen jedenfalls schon mal ungestörten Lesegenuß.


    :schmetterling:

    Einen schönen Tag, viel Muße zum Lesen und interessante Bücher wünsche ich jedem von Euch.
    <br />
    <br />Viele liebe Grüße von Murmelito (w)

  • Hallo zusammen,


    bevor dies nun im Sande verläuft und die Diskussion um Kafkas 'Prozess' abebbt, möchte ich noch einmal auf die interessante Frage der Gattungszuordnung von 'Prozess' und 'Michael Kohlhaas' zu sprechen kommen.
    Eigentlich hatte ich geplant, mich vor genau einer Woche näher damit zu befassen, aber leider blieb mir in der letzten Woche nicht die nötige Zeit.


    Zur Erinnerung:
    Hubert hat in einem früheren Beitrag schon ein paar Hinweise für eine mögliche Zuordnung gegeben:


    Zitat

    Hinweise können die Erzählperspektive oder Zeitliche Abfolge u.ä. geben, also z.B. in einer reinen Erzählung, sollte der Erzähler keine Kommentare oder Erklärungen abgeben, in einem Roman kann er das durchaus oder in einer Erzählung sollte es keine zeitlichen Rückblenden geben, in einem Roman ist das durchaus üblich, auch ist der Stil bei einer Erzählung eher einheitlich, in einem Roman kann er durchaus wechseln.


    Ich habe mich jetzt zunächst mal im Metzler kundig gemacht. Die Definition, die sich dort zum 'Roman' findet ist allerdings doch recht schwammig, da mehr Wert auf eine Binnendifferenzierung als auf eine Abgrenzung zu anderen epischen Textformen oder aber auf romaneigene Kriterien gelegt wird.
    Unter dem Eintrag 'Erzählung' allerdings habe ich eine recht brauchbare Abgrenzung zum Roman, sowie zu anderen epischen Gattungen, die aber weniger in unserem Interesse liegen, gefunden:

    Zitat

    [...]die Erzählung ist kürzer, weniger welthaltig, weniger figurenreich und weniger komplex in Handlung und Ideengehalt als der Roman; [...]


    Leichte Probleme habe ich mit der Definition des Begriffs "welthaltig". Ist dies gemeint als weniger realitätsbezogen oder aber als 'nur einen kleineren Auschnitt der 'Welt' betrachtend'?


    Gruß
    Berch

  • Hallo zusammen!
    Hallo JMaria!



    Hier kannst Du welche bestellen :breitgrins: :breitgrins: :breitgrins:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "Berch"

    möchte ich noch einmal auf die interessante Frage der Gattungszuordnung von 'Prozess' und 'Michael Kohlhaas' zu sprechen kommen.


    Ich habe mich jetzt zunächst mal im Metzler kundig gemacht. Die Definition, die sich dort zum 'Roman' findet ist allerdings doch recht schwammig, da mehr Wert auf eine Binnendifferenzierung als auf eine Abgrenzung zu anderen epischen Textformen oder aber auf romaneigene Kriterien gelegt wird.
    Unter dem Eintrag 'Erzählung' allerdings habe ich eine recht brauchbare Abgrenzung zum Roman, sowie zu anderen epischen Gattungen, die aber weniger in unserem Interesse liegen, gefunden:


    Hallo zusammen,
    hallo Berch,


    wenn ich mir die Abgrenzungskriterien im Metzler ansehe, dann ist m.M.n. „Der Prozeß“ eher der Gattung Erzählung zuzuordnen als „Michael Kohlhaas“


    Begründung:


    1. „Der Prozeß“ ist sowohl in Handlung als auch an Ideengehalt weniger komplex als „Michael Kohlhaas“


    2. „Der Prozeß“ ist weniger figurenreich als „Michael Kohlhaas“


    3. Egal was man unter „welthaltig“ versteht, „Der Prozeß“ ist weniger realitätsbezogen und er betrachtet einen kleineren Ausschnitt der Welt, als „Michael Kohlhaas“



    Gruß von Hubert


    PS: Leider ist das "Gemeinsame Lesen" etwas auseinander gegangen. Ich z.B. habe nach dem 7. Kapitel eine Lesepause eingelegt, um auf die anderen zu warten. Inzwischen weiß ich natürlich nicht mehr wo jeder im Buch gerade steckt (außer bei Berch, der schon lange fertig ist). Vielleicht können die anderen mal angeben, ob sie auch fertig sind, oder wo im Buch sie gerade lesen?

  • Hallo zusammen,
    hallo Hubert,


    Ja, zu diesem Ergebnis bin ich auch gekommen. Nach den Metzlerschen Kriterien würde ich auch Eindeutig eine Zuordnung "Kohlhaas" = Roman, "Prozeß" = Erzählung vornehmen. Einzig die Länge des Stückes würde vielleicht dagegen sprechen, da der "Kohlhaas" zumindest im direkten Vergleich kürzer ist. Allerdings halte ich das Kriterium 'Länge' für das am wenigsten wichtige unter den Angeführten und darüber hinaus sind beide Werke ja im Vergleich zu manch anderen Romanen mit z.T. weit mehr als 600 Seiten verhältnismäßig kurz.


    Dieses Ergebnis ist zudem das Gleiche, das auch die von Dir angeführten Kriterien m.M.n. ergeben haben.


    Vielleicht können wir ja noch ein paar weitere Meinungen zu diesem Thema einholen und im Anschluß ggf. auch einmal darüber nachdenken, weshalb die klassische Einteilung dieser beiden Werke (Du nanntest ja bereits Reich-Ranicki) eher genau andersherum läuft.


    In den letzten Tagen ist leider nicht mehr viel Substantielles zu unserer Diskussion hinzu gekommen, vielleicht können wir das Thema aber noch ein bißchen beleben, sobald wir wissen, auf welchem Lesestand alle Teilnehmer sind.
    Mich würde dies sehr freuen, denn es gäbe durchaus noch ein paar Aspekte, die mich interessieren würden.
    Mögliche Fragestellungen wären z.B.:


    - K.'s Schuldfrage, die meiner Ansicht nach noch nicht hinreichend geklärt ist
    - intertextuelle Bezüge
    - mögliche Anknüpfungspunkte des von der Realität doch recht abgehoben Textes an die Realität
    - und nich zuletzt ein über die Gattung hinausgehender Vergleich von Kleist und Kafka, der ja als übergeordnetes Thema dieser Leserunden angesetzt war


    Gruß
    Berch

  • Zitat von "sandhofer"

    Hier kannst Du welche bestellen :breitgrins: :breitgrins: :breitgrins:


    Grüsse


    Sandhofer


    die URL hat mir gefehlt, nun weiß ich wenigstens dass Superfino ein Format ist. :breitgrins:


    Hallo zusammen,


    bin nun im 7. Kapitel.


    Steffi

    Zitat


    Hauptfigur scheint ja Soames zu sein - eben der Besitzmensch. Mit Irene kommt er überhaupt nicht klar, wohl weil er nicht versteht, dass es Dinge gibt, die nicht mit Geld zu messen sind. Aufschlußreich dabei auch seine Brautwerbung - aber ich will nicht vorgreifen.


    Erschreckend seine Brautwerbung. Kann man das schon krankhaft bezeichnen? Mir scheint er hat Irene gewählt weil sie so gut zu seinem "Tisch" paßt und zwar sogar farblich. Und trotzdem kann ich Soames nicht so recht einschätzen, er tut mir fast leid, weil er sich nach Liebe sehnt und doch überhaupt nicht weiß, dass man Liebe nicht mit Geld kaufen kann.


    über Irene heißt es im Vorwort und stammt von Galsworthy selbst:


    Die Gestalt der Irene, nie anders anwesend, wie der Leser wohl gemerkt haben wird, als in den Wahrnehmungen der anderen Personen, ist eine Verkörperung Verwirrung stiftender Schönheit, die in eine besitzorientierte Welt eindringt.


    marin

    Zitat


    Das ist mir vor allem aufgefallen, als Old Jolyon seinen Sohn Young Jo zum ersten Mal nach 14 Jahren wiedersieht. Er fragt ihn nicht, wie es ihm geht oder ob er denn glücklich sei, sondern er will wissen, ob er verschuldet ist. Da kommt schon sehr klar heraus, daß bei den Forsytes gilt, daß man nur dann glücklich sein kann, wenn man reich ist.


    ja, alles deutet bisher darauf hin. Ob das so bleibt?
    Ob vielleicht der Verfall eintritt, weil das Geld nicht mehr die Bedeutung für die jüngere Generation hat, wie für die alte?


    erst die Einsamkeit und das leere Haus zwingt den alten Jolyon zu seinem Sohn Jo. Ist euch die Szene aufgefallen, als die Frau vom jungen Jolyon aus dem Zimmer stürzte und er ging ihr nach und weil er nicht die Zeit hatte sie zu beruhigen, ging er wieder, nahm aber das Rasierzeug mit.... -------> Hinweis dass die Frau des jungen Jolyon stelbstmordgefärdet ist?


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo!


    Ich muß mich auch beherrschen, daß ich nicht zu weit voraus eile. Je weiter man kommt, desto besser wird das Buch. :zwinker:


    In der Einleitung zu dieser Leserunde wurde ja die Forsyte Saga mit den Buddenbrooks verglichen. Ich habe die Buddenbrooks erst vor ein paar Wochen gelesen, so daß ich noch alles im Kopf habe. Irene erinnert mich sehr an Gerda Buddenbrook, die ja auch fremdartig erscheint. Mann deutet auch bei ihr eine Affäre an mit von Throta. Außerdem endet das erste Buch mit dem Tod von Tante Ann, dem ältesten Familienmitglied, genauso wie der erste Teil der Buddenbrooks mit dem Tod des Familienoberhauptes endet. Dann geht es in den Buddenbrooks ja auch um den u.a. finanziellen Niedergang der Familie. Auch hier steht Besitz und der Stand in der Gesellschaft an oberster Stelle. Erst als die Familienmitglieder sensibler werden und sich Philosophie und Kunst zuwenden, verfallen die Buddenbrooks. Vor allem Bosinney wird ja in der Forsyte Saga mit der Kunst in Verbindung gebracht. Auch Irene ist nicht vom Besitzdenken erfasst und hoffnungslos unglücklich in ihrer Ehe. Young Jolyon hat auch der Liebe zu einer Gouvernante den Vorzug vor dem Familienerbe und dem Stand in der Gesellschaft vorgezogen.


    Es gibt also Ausnahmen in der Familie, die nicht dem Besitzdenken verfallen sind. Unter anderem sind ja auch so ziemlich alle Forsytes Klatschtanten...


    Grüße
    marin

  • Hallo zusammen,
    hallo Hubert,



    Im Prinzip bin ich eurer Meinung. Allein mit den Begriffen "welthaltig" oder auch "realitätsbezogen" habe ich so meine Probleme. Ich finde den Prozess gar nicht so realitätsferner.
    Mir ist schon klar, dass vieles was im Prozess geschildert wird, übersteigert, vielleicht etwas entfremdet klingt. Aber eigentlich finde ich mich in der Figurenwelt sehr gut wieder und kann mir solche Situationen im Leben sehr wohl vorstellen, wenn ich sie nicht bereits genau so erfahren habe.


    (Schon einmal in einem Amt mehrere Stunden durchs Haus von einem Büro zum nächsten gelaufen? Oder versucht bei der Telekom nur eine minimale Änderung anzugeben? Im letzten Falle können, wie in meinem Falle schon mal zwei Jahre ins Land ziehen. Das würde mir auch keiner glauben, wenn ich daraus eine Erzählung machte.)


    Ich glaube, Kafkas Stil ist einfach grundsätzlich entfremdend. Er beschreibt oft völlig absurde Lebenssituationen, die er stilistisch sicherlich überzeichnet. Deswegen wirken sie M.M.n. etwas realitätsfremd. Sind sie es wirklich?


    Liebe Grüße von Michael.


    PS.: Leider habe ich die letzten beiden Kapitel + Anhang immer noch nicht geschafft. Ich weiß allerdings was passieren wird. Habe den Prozess vor Jahren schon einmal gelesen und kann mich noch ganz gut erinnern.

  • Zitat von "Michael"

    Im Prinzip bin ich eurer Meinung. Allein mit den Begriffen "welthaltig" oder auch "realitätsbezogen" habe ich so meine Probleme. Ich finde den Prozess gar nicht so realitätsferner...
    Ich glaube, Kafkas Stil ist einfach grundsätzlich entfremdend. Er beschreibt oft völlig absurde Lebenssituationen, die er stilistisch sicherlich überzeichnet. Deswegen wirken sie M.M.n. etwas realitätsfremd. Sind sie es wirklich?


    ME nein. Das "typische" bei kafka ist ja gerade, daß der einbruch des absurden von den figuren ja gar nicht als solcher wahrgenommen wird.
    Auch ist mir überhaupt nicht klar, wieso der prozeß weniger "welthaltig" sein soll als der kohlhaas.
    Und ist die psychologische entwicklung bzw. der handlungsablauf bei Kohlhaas komplexer als beim Prozeß? Wenn man das verhältnis des umfanges der "deutungsliteratur" betrachtet, könnte man eher zu einem gegenteiligen schluß kommen. Wieso zB wird am schluß noch immer nach der "Schuld von K." gefragt, nicht aber nach der von Kohlhaas?
    gruß hafis

    Nun haben zwar manche Theologen einen ebenso großen Magen, wie man ihn der Kirche nachsagt;
    <br />sie können ebenso viele gedanklichen Ungereimtheiten verdauen wie die Kirche allerlei weltliche Güter. - Heinz Zahrnt

  • Hallo zusammen,
    hallo Michael,


    ich gebe Dir durchaus Recht. Man kann sicherlich Anknüpfungspunkte finden. Mit der Telekom habe ich auch Erfahrungen gemacht, die in eine ähnliche Richtung gehen und auch im sonstigen Behörden- und Beamtendschungel in Deutschland kann man sich sicherlich verlaufen. Der Prozeß ließe sich also sicherlich in Teilen in die Realität transferieren (das gehört ja auch zu den weiteren Diskussionsanregungen, die ich noch gegeben habe), aber die Tatsache, daß man erst diese Transferleistung erbringen muß zeigt doch, daß der Text selber von der Realität enthoben ist, der Realität entfremdet, also realitätsferner ist.


    Gruß
    Berch

  • Hallo zusammen,
    hallo hafis50,


    ich denke, der Umfang der 'Deutungsliteratur', von dem ich jetzt ungeprüft einmal annehme, daß er beim 'Prozeß' tatsächlich größer ist als beim 'Kohlhaas', läßt für mich keinen sinnvollen Rückschluß auf die Komplexität des Handlungsverlaufs zu.
    Der Umfang der Literatur und der damit verbundene Diskussionsbedarf hängt meiner Ansicht nach eher damit zusammen, daß Kafka vieles deutlich offener gelassen hat als Kleist. Zudem lassen sich wohl auch zahlreiche Diskussionen darüber entzünden, welche Passagen schlicht fehlen, in welchen Teilen das Werk unfertig ist, ob die Anordnung der Kapitel korrekt vorliegt, etc.
    Mit der Komplexität des Handlungsablaufs hat das aber m.M.n. nichts zu tun.


    Gruß
    Berch

  • Hallo zusammen,


    ja ich bin auch noch da :redface: .

    Zitat

    Mit der Telekom habe ich auch Erfahrungen gemacht, die in eine ähnliche Richtung gehen und auch im sonstigen Behörden- und Beamtendschungel in Deutschland kann man sich sicherlich verlaufen.


    Jaja, ich auch. Meiner Meinung nach ist der Behördendschungel sehr treffend beschrieben, aber darum geht es meiner Meinung nach gar nicht vorrangig. Ks Reaktionen und Handlungen sind doch sehr viel interessanter. Ich glaube, daß ich schon mal geschrieben habe, daß man den Eindruck hat k wisse mehr als wir. Wie überheblich er über Mitarbeiter spricht und über alle urteilt.


    Im Kapitel "im leeren Sitzungssaal, Der Student, Die Kanzleien"



    z. B.:"Ich glaube nicht, daß Sie mir helfen könnten", sagte er," um mir wirklich zu helfen, müßte man Beziehungen zu hohen Beamten haben. Sie aber kennen gewiß nur die niedrigen Angetellten"


    Davon abgesehen, daß K in diesem Kapitel als sehr frauenfeindlich dargestellt wird, tut K so, als wisse er über das "Verfahren" irgendwie bescheid.


    Ist Euch eigentlich aufgefallen, daß es einen direkten Bezug zur Parabel" Vor dem Gesetz" gibt?
    Im Kapitel "erste Verhandlung" wird die Tür genau nach K geschlossen mit den Worten:
    " Nach Ihnen muß ich schließen, es darf niemand mehr hinein."


    Zitat

    Wieso zB wird am schluß noch immer nach der "Schuld von K." gefragt, nicht aber nach der von Kohlhaas?


    Tja, weil die Schuld von Kohlhaas klar ist. Es sagt ja niemand, daß Kohlhaas unschuldig ist. Er ist schuld und steht ja auch für seine Schuld vor Gericht und wird hingerichtet und basta. Bei K sieht die Sache doch ganz anders aus, oder nicht? Ob K eine Schuld trägt und wenn welche ist nicht eindeutig. Diese Unklarheit bietet einen großen Diskussionsrahmen.


    Viele Grüße Jacky

  • Guten Morgen :winken:


    Leider werde ich es zeitlich doch nicht schaffen, mich an der Leserunde zu beteiligen - mir ist etwas dazwischen gekommen :sauer:


    Ich wünsche Euch auf jeden Fall einen regen Austausch und eine genußreiche Lektüre.

    Einen schönen Tag, viel Muße zum Lesen und interessante Bücher wünsche ich jedem von Euch.
    <br />
    <br />Viele liebe Grüße von Murmelito (w)

  • Hallo zusammen !


    Murmelito: Schade, dass es nun doch nicht klappt :sauer:



    Maria schrieb:

    Zitat

    Ob vielleicht der Verfall eintritt, weil das Geld nicht mehr die Bedeutung für die jüngere Generation hat, wie für die alte?


    Ein guter Gedanke ! Auch der alte Joylon ergötzt sich im Zoo (!!!) an seinen Enkeln, vielleicht weil er schon soviel Geld hat und im Alter etwas sentimental wird ? Er ist mir bei weitem der sympatischte Forsyte - obwohl er auch gewisse Besitzansprüche gegenüber Jane und den Enkeln hat. Immer wieder genüßlich sind die Anspielungen Galsworthys, findet ihr nicht ? Der Hut (Maria, du hattest einen guten Riecher) und die Katze sind inzwischen zu running gags geworden :breitgrins:


    Führt denn nicht auch die Hinwendung zur Kunst bei den Buddenbrooks zum Niedergang - ist schon ewig her, als ich das gelesen habe. Und wer hat denn nun von wem abgeschaut, oder keiner ?


    Die Konzeption von Irene finde ich sehr schön. Sie bleibt wirklich unergründbar und unerreichbar. Köstlich, wie sich der unverheiratete Swithin mit ihr bei der Ausfahrt schmückt ! Ich glaube schon, dass damals dies eine wichtige Lebenberechtigung der wohlsituierten Frauen war - wer zwängt sich denn schon freiwillig in diese Korsetts usw.


    Zitat

    ging er wieder, nahm aber das Rasierzeug mit.... -------> Hinweis dass die Frau des jungen Jolyon stelbstmordgefärdet ist?


    Das mit dem Rasierzeug ist mir zwar aufgefallen aber einen Erklärung hatte ich nicht. An Selbstmord hatte ich nicht gedacht, klingt einleuchtend !


    Gruß von Steffi

  • hallo zusammen


    Die schwammigkeit, d.h. die zumindest schwierige objektivierbarkeit von begriffen wie "welthaltig" und "realitätsbezogen" zeigt sich mE im versuch, auch andere moderne "romane" in diese definition zu pressen.


    Dazu schreibt der Brockhaus unter "roman":


    Bald nach 1900, mit dem Aufkommen der revolutionären Bewegungen von Expressionismus, Dadaismus und Surrealismus, begann auch das Experiment mit dem Roman; der Bruch mit einer dem Kausalitätsprinzip verpflichteten Auffassung von Wirklichkeit und Sprache führte zu vollkommen neuen Erzähltechniken, zu kunstvollen Beziehungsgefügen zwischen äußerer und innerer Welt. Diese neuen Techniken , für die die ... Begriffe Stream of Consciousness, innerer Monolog, simultantechnik, montage stehen, wurden musterhaft umgesetzt bei...Woolfe, Rilke, Th. Mann, F. Kafka...Joyce, Proust...
    Der Roman der gegenwart ist die Gattung der unberegrenzten Möglichkeiten...


    Wie könnte man diese werke in die Metzler-definition pressen?


    Der begriff der "komplexität" bedürfte ebenfalls erst einmal einer definition:
    Wenn lektüre das Wandern auf einem entscheidungsbaum darstellt, nimmt die komplexität mit länge und verzweigtheit des baumes zu. Analog dem schachcomputer wird die aufgabe umso komplexer, je mehr deutungsmöglichkeiten und je mehr bezüge und facetten zu berücksichtigen sind. Diese werden aber umso zahlreicher, je offener ein text, je zahlreicher die logischen sprünge, bezüge und symbole.


    Nach dieser definition könnte man salopp sagen: Roman ist nichts, was für die bunten seiten der zeitung taugt.
    Der Kohlhaas dagegen ist, -entsprechend formuliert!-, nicht mehr als die finale dekompensation eines rechtsquerulanten, eine episode im leben eines einzelnen, die recht alltäglich in dieser oder anderer weise die bunten seiten füllt , die zwar interessiert, amüsiert oder schockiert, aber letztlich nicht mich selbst betrifft, bewegt, betroffen macht.


    In diesem nur ganz persönlichen sinne halte ich den Prozeß für realitätsnäher oder weltumfassender , weil das "in die existenz-schuld-geworfen-sein" eben ein Umfassenderes und länger Andauerndes ist als jene von einem konkreten ereignis ausgelöste lebensperiode von Kohlhaas.


    P.S.: die Brockhaus-definition zu erzählung: sie ist kürzer als der roman.
    - Das nenne ich eine praktikable definition...
    gruß hafis

    Nun haben zwar manche Theologen einen ebenso großen Magen, wie man ihn der Kirche nachsagt;
    <br />sie können ebenso viele gedanklichen Ungereimtheiten verdauen wie die Kirche allerlei weltliche Güter. - Heinz Zahrnt

  • Hallo Hafis,


    ich habe gerade leider nicht allzu viel Zeit, deshalb will ich nur kurz auf den letzten Punkt eingehen:


    Die Länge als Erkennungsmerkmal halte ich für kein wirklich gutes Kriterium. Ich gebe zu, so vollkommen falsch ist das sicherlich nicht, aber es ist doch recht schwierig, dieses Kriterium im Einzelfall zu überprüfen.
    Eine Möglichkeit wäre, eine Mindestzeichen-/ Seitenzahl festzulegen. Alles was diese Mindestanforderung erfüllt, ist ein Roman. Wo sollte diese dann aber liegen? Extrem schwierig zu realisieren, bei den großen Unterschieden, die es in Romanlängen gibt. Bei Kurzgeschichten mag das vielleicht noch realisierbar sein, bei Romanen m.M.n. nicht.
    Die andere Möglichkeit wäre eine Abgrenzung im direkten Vergleich. Sprich: Der 'Prozeß' ist länger als der 'Kohlhaas', also ist der 'Prozeß' ein Roman. Diese Verfahrensweise kann man aber auch leicht ad absurdum führen: Direkter Vergleich: Manns 'Zauberberg' und Nabokovs 'Lolita'. Der 'Zauberberg' ist eindeutig länger, also ist 'Lolita' eine Erzählung?
    Man könnte natürlich auch einen Mittelwert der Seitenzahlen bilden aus allen als Roman eingestuften Werken und aus allen als Erzählung eingestuften Werken. Liegt ein Werk von seiner Seitenanzahl (oder meinetwegen auch Zeichenzahl) näher an einem der beiden Mittelwerte, so zählt es zu dieser Gattung. Dies ist meiner Ansicht nach auch Blödsinn, weil dadurch zahlreiche inhaltliche gattungsprägenden Merkmale vollkommen ausgeblendet werden und die Werke statistisch zugeordnet werden.


    Ich sehe also momentan keine wirklich praktikable Umsetzungsmöglichkeit.


    Übrigens, das Kriterium 'Länge' hat auch der Metzler in seiner Definition als eine von mehreren Möglichkeiten.


    Gruß
    Berch