Was lest ihr gerade?

  • Wir wollten den Musil ja auch in kleinen Häppchen von ca. 100 Seiten pro Monat lesen. Dann gibt es ja noch genug Zeit für andere Werke.
    Ich lese momentan "Mutmaßungen über Jakob" von Uwe Johnson. Das ist eine sehr anspruchsvolle Lektüre für mich, weil ein ständiger Perspektiv- und zum Teil auch Zeitebenenwechsel stattfindet, ohne dass dem Leser verdeutlicht wird, wer da gerade "dran ist". Außerdem sind Passagen in Dialekt, Mecklenburgisch und Sächsisch, oder auch anderen Sprachen wie Russisch und Englisch vorhanden, ohne dass es Übersetzungen gäbe. Weiterhin benutzt Johnson über lange Passagen so eine Art biblischen Stil, der manchmal auch etwas merkwürdig anmutet und verzichtet auf die Kommasetzung.

  • Ich lese zur Zeit "Heeresbericht" von Edlev Köppen. Edlev Köppen hat als junger Mann am ersten Weltkrieg als Atillerist teilgenommen und sich im Laufe des Krieges zum Pazifisten gewandelt. September 1918 hat er sich geweigert weiter zu kämpfen und wurde in eine Heilanstalt eingewiesen. "Heeresbericht" ist ein Bericht aus der Sicht des Aterlleristen Anton Reisinger über die vier Jahre in den Schützengräben, mit Hilfe der Montagetechnik werden verschiedene Dokumente montiert, so das sich ein Gesamtbild über die Kriegszeit ergibt.


    Gruß, Lauterbach

  • Lauterbach : Waren die beiden verschriebenen Artilleristen Absicht? (Könnte ja sein, dass sie im Roman so stehen, weil Köppen seine Funktion nicht mochte.) Sieht jedenfalls interessant aus.

    Das erinnert mich an meine diesjährige Steuererklärung: Den Namen Adolf (es handelt sich um einen Unternehmer, den ich in Anspruch genommen hatte) schrieb ich dreimal hintereinander "Adlof". Da sperrten sich die Finger, oder die Tastatur, oder beides. :D

  • Stendhal habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gelesen, die "Kartause von Parma" und "Rot und Schwarz" vor Jahrzehnten. Beide haben mir ganz gut gefallen, aber bisher nicht den Wunsch nach Weiterlektüre ausgelöst. Wie sind denn die italienischen Sachen?

    Oh, Stendhal ist immer Stendhal :-)


    Ausgabe

    https://d-nb.info/454868138


    Statt selbst zu formulieren, zitiere ich aus dem Nachwort des Übersetzers Walter Widmer.


    Zitat

    Schon während seiner ersten Aufenthalte in Italien interessierte er sich aufs lebhafteste für die alten Chroniken ...

    ... er in Civita-Vecchia, wo er als Konsul tätig war, teils bei Buchhändlern, teils in Familienarchiven, die ihm zugänglich waren, ein paar dieser alten Handschriften ans Licht beförderte. Er ließ sie abschreiben oder kaufte sie den Besitzern ab ...

    Nach seinem Tod fanden sich vierzehn solcher Manuskriptbände in seinem Besitz vor; dreizehn davon waren Abschriften, nur einer eine Originalhandschrift, wahrscheinlich aus dem 17. Jahrhundert. Die Kopien, sämtlich von 1833-1839 datiert, sind mit Randbemerkungen Stendhals versehen.

    Nach Beyles Tod bot Merimée die vierzehn Bände zuerst dem Direktor des British Museum, Panizzi, an, und schließlich erstand sie die Bibliothèque Nationale für sechshundert Franken. Heute befinden sie sich in der Handschriftenabteilung dieser Bibliothek.


    Der Band enthält acht "Italienische Novellen", plus eine Vorrede; wenn ich es richtig verstanden hab, wurden sechs zu seinen Lebzeiten veröffentlicht.

    Außerdem sechzehn "Chroniken", Übersetzung von Friedrich von Oppeln-Bronikowski nach den Handschriften in der Nationalbibliothek Paris.

    Die letzte unter "Chroniken" abgedruckte Erzählung, "Filippo Ebreo", die Erzählung eines jüdischen Händlers, Marketenders, aus der Zeit der Napoleonischen Kriege, gehört da nicht hin. Das ist ein Werk Stendhals, "Le Juif".


    Soweit ein Vergleich bei ins Deutsche übersetzten Texten möglich ist, ergibt der mir, dass Stendhal, von einrahmenden historischen Bemerkungen nochmal abgesehen, sich die Texte anverwandelt. Wo die Chroniken einfach referieren, was geschah, macht Stendhal daraus ... Stendhal.

    Konnte er wohl auch nicht anders.


    Wer die Novellenliteratur des 19. Jahrhunderts liebt, sollte es vielleicht mal mit "Die Äbtissin von Castro" (mit 130 Seiten auch das längste Stück des Bandes) versuchen.

    Und hier hat sich mir doch die Frage gestellt: was steht da in der Chronik, die als Vorlage diente? Oder gibt es keine?

    Google wirft mir für Helena von Campireali

    https://it.wikipedia.org/wiki/Elena_Orsini

    aus. Wenn ich es richtig verstehe, muss Stendhal also den Ursprungstext, so denn einer existiert, bearbeitet haben.

    Denn hätte es Helena wirklich gegeben, hätte Google ja an sich irgendwas finden müssen. Das gilt auch für Giulio Branciforti.

    Vittoria Accoramboni dagegen hat's wirklich gegeben und gibt's auch von Tieck.


    Für gründliche Stendhal-Forschungen braucht's wohl Kenntnisse des Französischen (und auch des Italienischen).

    Die Editionsgeschichte scheint bei den unvollendeten und posthum veröffentlichten Werken etwas verwickelt zu sein.


    Traum, nicht Plan:

    in der Rente beginnen, Französisch zu lernen. (Aber ich will ja schon Russisch ...)

    Forschen: sind die erwähnten Handschriften der Bibliothèque Nationale digitalisiert? Vergleichen. Dazu also lernen, solche alten Handschriften zu lesen.

    Öffz. Also, vielleicht gibt es ja den Buch-Dickleiber, der schon all das erledigt hat.

    Immerhin reicht es, um einige Textexegesen mit Hilfe der französischen Wikisource zu betreiben.


    Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mal die Biographie von Robert Alter

    https://d-nb.info/921021909

    hatte. Finde sie in meinem überfüllten Biographienregal nicht wieder. Muss wohl weggekommen sein.


    Dies hat ein Fan geschrieben, dem Objektivität nicht möglich ist :-)


    Weil es so schön ist, jetzt "Armance" und "Lamiel"

    https://d-nb.info/454868308

    Auch die beide schon mal gelesen, vor langen Jahren, damals in Ausgaben des Diogenes Verlags.

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Auch ich sage danke für die schöne Besprechung, die Lust auf eine weitere Lektüre macht (die in meinem Fall schon die dritte wäre ...).
    Wenn ich es richtig behalten habe, wird Daniel Nothaffts Tochter Eva später eine berühmte Tänzerin. Ich weiß nicht mehr, in welchem weiteren Roman sie vorkam; kann sein, dass es "Christian Wahnschaffe" war. Auch Sylvester von Erfft kommt in einem weiteren Roman von Wassermann vor.

    Will ich auch noch lesen und habe ich schon hier stehen...wie auch "Die Masken Erwin Reiners", auf den ich mich jetzt besonders freue. ^^

    Stendhal habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gelesen, die "Kartause von Parma" und "Rot und Schwarz" vor Jahrzehnten. Beide haben mir ganz gut gefallen, aber bisher nicht den Wunsch nach Weiterlektüre ausgelöst. Wie sind denn die italienischen Sachen?


    Bin immer noch mit dem "Kindheitsmuster" von Christa Wolf beschäftigt, eine hoch interessante, aber auch emotional sehr berührende und anstrengende Lektüre, weil Wolf die Indoktrination gerade der Kinder, aber auch der Gesellschaft im Nationalsozialismus thematisiert und sich dabei intensiv mit der Frage der Schuld auseinandersetzt.

    "Die Kartause von Parma" hat mir sehr gut gefallen (in der Hanser Neuübersetzung von Elisabeth Edl), "Rot und Schwarz" habe ich noch ungelesen hier. Die Edl-Übersetzungen von Flaubert wurden vom Feuilleton ebenfalls einhellig gelobt und gefielen mir sehr (ohne da Vergleiche anstellen zu können).

    Die von Leibgeber erwähnten Titel habe ich auch noch in der Übersetzung von Walter Widmer aus dem Winkler Verlag. Die Beschreibung macht Lust darauf.

    Letzte Woche habe ich zwei neue Bücherregale gekauft und zusammengebaut. So konnte ich endlich eine ganze Menge an Büchern aus ihrem düsteren Dasein im Dunkel der dritten Reihe ans Licht holen. Da waren unter anderem auch die kleinen Winkler Bände (wahrscheinlich Klein-Oktav) von Stendhal dabei.

  • Die von Leibgeber erwähnten Titel habe ich auch noch in der Übersetzung von Walter Widmer aus dem Winkler Verlag. Die Beschreibung macht Lust darauf.

    Letzte Woche habe ich zwei neue Bücherregale gekauft und zusammengebaut. So konnte ich endlich eine ganze Menge an Büchern aus ihrem düsteren Dasein im Dunkel der dritten Reihe ans Licht holen. Da waren unter anderem auch die kleinen Winkler Bände (wahrscheinlich Klein-Oktav) von Stendhal dabei.

    Ja, die sind geringfügig höher als das klassische Reclamheft.

    Und die fünf, die ich gekauft hatte, sind für ihre jeweils knapp 70 Jahre gut in Schuss, nur ganz leicht muffig riechend. Möge es mir auch so gehen.


    Einige Sätze zu "Armance", den ich heute beendet habe.

    Anfang des Vorworts:


    Zitat

    Eine geistreiche Frau, deren Urteil über literarische Werte nicht sonderlich fest steht, hat mich Unwürdigen gebeten, ich möchte den Stil dieses Romans verbessern.


    Das ist noch doppelsinnig, so kommt es mir auch im französischen Text vor. Aber zwei Sätze später ist sie die "liebenswürdige Verfasserin".

    Dass Stendhal fingiert, der Roman sei von einer Frau geschrieben - und die englischsprachige Wikipedia bescheinigt, dass es wirklich eine thematische Vorlage einer Autorin gab -

    setzt dem "geheim" bleibenden Plot nochmal eins drauf. Ich war jedenfalls nicht darauf gekommen (worüber ich betrübt bin, bin eben doch kein so geübter Leser), sondern hatte Octave

    einfach für trübsinnig, melancholisch, nach heutigem Krankheitsbild vielleicht (manisch) depressiv gehalten.

    Leibgeber, der sonst Subtexte, Sub-Sub-Texte et ad infinitum wittert, blieb seltsam naiv.

    Aber jetzt, nachdem ich bei Rolf Vollmann "Über"-gelesen hab, fügt sich das über die 260 Seiten schon zusammen.


    Zitat

    "Ja, teure Freundin", sagte er und blickte sie jetzt endlich an, "ich bete dich an, du zweifelst nicht mehr an meiner Liebe. Doch was für ein Mann betet dich an? Er ist ein Ungeheuer."


    Na sowas.

    Schöne Schilderung eines Duells übrigens, welche der Absurdität dieser (Un-)Sitte Rechnung trägt.

    Sehr lesenwert, meine ich.

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Und die fünf, die ich gekauft hatte, sind für ihre jeweils knapp 70 Jahre gut in Schuss, nur ganz leicht muffig riechend. Möge es mir auch so gehen.

    [...]

    Aber jetzt, nachdem ich bei Rolf Vollmann "Über"-gelesen hab, fügt sich das über die 260 Seiten schon zusammen.

    Sehr hübscher Wunsch eines Bücherfreundes fürs Altern :belehr: :elch:.


    In welchem Vollmann hast du das denn gelesen? Ich bin ein großer Fan seiner "wunderbaren Falschmünzer", obwohl ich einen etwas anderen Buchgeschmack habe. Er hat eine unglaublich charmante Art , kenntnisreich und witzig über seine endlosen Lektüreeindrücke zu plaudern.

  • George Meredith, Der Egoist.

    https://d-nb.info/575079045

    Die Übersetzung von Hans Reisiger scheint die einzige zu sein. Nach öfteren Vergleichen mit dem Original meine ich, dass sie in Ordnung ist.

    Für den Fan der dickleibigen englischsprachigen Literatur des Langen Neunzehnten Jahrhunderts eine Entdeckung: der Name des Autors war mir immer mal wieder begegnet, aber noch nie hatte ich was von ihm gelesen.

    Diese Angabe korrigiere ich hiermit.

    Gibt es auf deutsch auch von Julie Sotteck.

    Ich sollte mich bei meinen Exegesen nicht nur auf den Katalog der Deutschen Nationalbibliothek beschränken.


    Nachdem mir dieser Roman so gefallen hatte, lese ich jetzt, auf dem Kobo, Richard Feverel

    https://www.mobileread.com/forums/showthread.php?t=319806


    Und ein Googlen nach der Übersetzerin brachte mir zwar nichts Biographisches über sie, aber den auch interessanten Hinweis auf die Thomas Mann Nachlassbibliothek, die vier Romane von Meredith enthält

    https://nb-web.tma.ethz.ch/digbib/view?pid=004151422#12


    Zitat

    Man hatte Hippias Feverel früher für das Genie der Familie gehalten. Sein Unglück war, daß er einen starken Appetit und einen schwachen Magen hatte, und da ein Mann, der dauernd im Kampfe mit seinen Mahlzeiten liegt, für den Kampf des Lebens nicht sehr geeignet ist, so ließ Hippias die Aussichten, die ihm die Richterlaufbahn bot, im Stich und verfaßte, von seinen Magenbeschwerden sehr in Anspruch genommen, ein gewichtiges Werk über die Feensagen Europas.


    Es lässt sich gut an und geht auch so weiter.

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • In welchem Vollmann hast du das denn gelesen? Ich bin ein großer Fan seiner "wunderbaren Falschmünzer", obwohl ich einen etwas anderen Buchgeschmack habe. Er hat eine unglaublich charmante Art , kenntnisreich und witzig über seine endlosen Lektüreeindrücke zu plaudern.

    Ja, ich meine den Roman-Verführer.

    Von dem ich mir vor schon vielen Jahren ein sehr schön erhaltenes Exemplar der Ausgabe Büchergilde Gutenberg für eher wenig Geld gekauft hatte.


    Also, "Lamiel" ist in keinster Weise fertig, viel unfertiger noch als "Lucien Leuwen".

    Laut Nachwort ist auch dieser allenfalls erste Teil Entwurf.


    "Lucien Leuwen" nicht vollendet, weil er seinen Posten als Konsul nicht riskieren wollte (wenn ich es richtig verstanden habe) - nur, warum.

    Er hätte doch fertigschreiben und liegenlassen oder unter Pseudonym veröffentlichen können.

    "Lamiel" nicht vollendet, weil er verstarb.


    Vielleicht macht mir ja gerade das Fragmentarische diese Romane so "modern".


    "Lamiel" beschreibt eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen, die sich, aus Desinteresse an Konventionen, vielleicht auch aus Langeweile, emanzipiert.

    Und, durch "Armance" sensibilisiert, frage ich mich, ob hinter ihrem Verhalten Männern gegenüber noch etwas anderes steckt ...

    ( Das Herr Vollmann nicht erwähnt. )


    Die härteste Szene ist, so meine ich, wie Lamiel mal eben so "ihre Unschuld verliert" (so schrieb man es doch wohl früher ..?), an einen Fuhrknecht, für Geld.

    Das sie bezahlt.


    Zitat

    Was staunte Lamiel, die Liebe ist nichts weiter als das? Ist schon der Mühe wert, daß man sie so streng verbietet.


    So ist es. Und wir Männer sind langweilig. Klar. Stendhal musste es ja wissen.

    To the happy few ...


    Und nun

    "Das Leben des Henry Brulard und autobiographische Schriften / Stendhal. Übertr. von Walter Widmer"

    https://d-nb.info/454869274

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Zumindest tun die entsprechend beschäftigten Damen anscheinend mehr als die Herren (zumindest der Stendhal'sche Fuhrknecht) für das Geld, das sie dafür bekommen :wink:.

    Das ist ja auch alles so anstrengend :belehr:


    Ich beiß mich gerade in Exegesen fest.

    3. Kapitel, über den Großvater:


    Zitat

    Er litt an Depressionen (wie ich Bedauernswerter), an Rheumatismus, das Gehen fiel ihm schwer ...


    Es interessierte mich - da ich auch Lucien und Octave für depressiv halte - oder trübsinnig, melancholisch, das klingt doch viel besser - und ich forsche jetzt nicht nach, wann eigentlich der Begriff definiert wurde -

    was da im Original steht:


    Zitat

    Il avait des vapeurs (comme moi misérable), des rhumatismes, marchait avec peine, ...


    Quelle https://fr.wikisource.org/wiki…enri_Brulard/Chapitre_III


    Leo, und einige andere, auch Deepl, geben mir nur: Dämpfe, etc.

    oder

    https://dict.leo.org/forum/vie…dForum=14&lang=de&lp=frde

    Hitzewallungen, Schweißausbrüche etc.


    Vapeurs in der Bedeutung, die Übersetzer Widmer ihr gibt, finde ich nicht.

    Ich hatte - typisch !! - gemeint, es könne Blähungen heißen.


    Ist jemand hier dieser seltsamen Sprache mächtig und kennt ein französisch-deutsch-Wörterbuch der Zeit? (Das digital vorliegt.)

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Ich weiß nicht, ob ich es erwähnt habe, wir waren ein paar Tage im Bayrischen Wald an der tschechischen Grenze und in unserem Reiseführer war ein langes Kapitel über Adalbert Stifter, das mein Interesse geweckt hat. Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas von Stifter gelesen zu haben. Da mich MoE und ein weiteres Buch, das ich parallel lese, etwas anstrengen, habe ich mir heute mittag für ein Lesestündchen in der Hängematte "Bergkristall" vorgenommen. Diese Geschichte hat eine unfassbare Wucht, um so heftiger, als sie von der ganz leisen Sorte ist. Der Reiseführer behauptet zwar, man könne Stifter nicht lesen, ohne einzuschlafen; deshalb stelle ich meine endgültige Meinung noch zurück ...

  • Die Erzählungen von Stifter, gerade die Steine, sind toll, und " Der Nachsommer" ist einer meiner Lieblingsromane. Man muss sich halt auf den ruhigen Fluss des Erzählens einlassen, nicht darüber einschlafen. Reiseführer sind halt keine Literaturführer, auch wenn hin und wieder ein Tipp abfällt. ;-)

  • Zefira Stifter ist seeeeehhhhhrrr langsaaaaaam.

    Ich habe vor langer Zeit "Bunte Steine" gelesen und Bergkristall


    Damals ich war so in den frühen 20ern hat es mich viel Überwindung gekostet mich durch zu quälen, ich habe es aber für ein Seminar gebraucht. Was ich schon witzig fand war seine Vorrede, in dem er sich auf Hebbels Kritik an den "Naturbeschreibern" bezieht.


    Ist aber schon lange her und ich habe Stifter in anstrengender Erinnerung

  • Stifter mag man oder man mag ihn nicht. Und manchmal ist es kompliziert. Es gab eine Zeit, da habe ich den Nachsommer einmal im Jahr wieder gelesen. Den Witiko habe ich dagegen erst im zweiten Anlauf geschafft und ich möchte es auch nie wieder tun. Schlachten liegen Stifter so gar nicht.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Vapeurs in der Bedeutung, die Übersetzer Widmer ihr gibt, finde ich nicht.

    Ich hatte - typisch !! - gemeint, es könne Blähungen heißen.


    Ist jemand hier dieser seltsamen Sprache mächtig und kennt ein französisch-deutsch-Wörterbuch der Zeit? (Das digital vorliegt.)

    Ich kenne in alten Übersetzungen "Wallungen" für "vapeurs", gerne auch bei unbeschäftigten, sich langweilenden Damen der besseren Gesellschaft, das kann von Wechseljahresbeschwerden bis zu nervösen Zuständen reichen.

  • Ich glaube, der seltsame, so wuchtige Zwiespalt des Empfindens (ich meine das Leseempfinden) in "Bergkristall" kommt von der Gewichtung der Themen. Als Leserin ist man in jeder Minute bei den beiden kleinen Kindern, die in so entsetzlicher Gefahr sind. Diese haben aber gar keine Angst und sind völlig frei von der Lähmung und Erschöpfung, die einen Erwachsenen, der sich der Gefahr bewusst wäre, befallen würde. Sie laufen einfach zuversichtlich immer weiter. Man empfindet die Geschichte gleichsam auf zwei unterschiedlichen, völlig unvereinbaren Ebenen. Das ist so großartig, ich merkte erst am Ende der Geschichte, wie stark sie mich mitgenommen hatte, im wahren Wortsinn.

    Danach habe ich "Der Waldsteig" gelesen, ein feines Stückchen Ironie und Charakterisierung, wobei mich die Zeichnung der jungen Frau gefreut hat, die ganz allein im Wald rumwandert und macht, was sie will (sie kommt doch sicher ins Gerede, wenn sie ständig mit einem männlichen Bädergast umherzieht). Interessanterweise betonen sowohl ihr Vater als auch Tiburius' Doktorfreund, die zweitwichtigste Nebenperson, dass Frauen vollkommene Handlungsfreiheit haben.

    Gestern abend im Bett habe ich noch mit "Nachkommenschaften" angefangen - auch das voll feiner Ironie und sprachlich hinreißend. Nur, die Bücher, die ich eigentlich lesen sollte, nämlich MoE und "Kälte" von Twardoch, schleifen ein bisschen.


    ps. Ich fand auch die Schilderung des Nordlichts in "Bergkristall" so schön, zumal ich gerade in der Nacht davor ein wunderbares Nordlicht über der Rhön beobachten durfte - was bei uns nur ganz, ganz selten vorkommt, bei mir war es das zweite Mal im Leben.