Heimatroman

  • Hallo zusammen,


    ich stolpere die letzten Monate oft über den Begriff Heimatroman !
    Wiki gibt mir die Auskunft, dass sich der (klassische) Heimatroman als ein Gegenpol zum Naturalismus sah, später die damit verbundene Weltanschauung von der „Blut-und-Boden-Literatur“ in der Nazi-Zeit aufgegriffen wurde, heute würde man den Heimatroman in die Trivialliteratur einordnen.


    Doch es hat den Anschein, als ob der Begriff entweder von den Verlagen oder von den Autoren entstaubt wird, denn mit Auftauchen von Autoren wie Andreas Maier (Das Zimmer), Michael Buselmeier (Wunsiedel), Josef Bierbichler (Mittelreich), Catalin Dorian Florescu (Jacob beschließt zu lieben) ... taucht der Begriff auffallend oft auf.


    Ist euch das auch bereits aufgefallen?
    wird der Heimatroman (wieder) gesellschaftsfähig nach jahrzehntelanger Heftchenroman Dasein ?


    was sind für euch die bedeutendsten Heimatromane ?


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,


    ich bin ein ganz großer Bewunderer von Edgar Reitz' Heimat-Trilogie. Sie ist ein Beleg dafür, wie man ganz ohne "Blut-und-Boden" und Nazi-Ideologie dem Begriff "Heimat" wieder eine nicht-triviale Bedeutung geben kann.


    Allerdings muß ich zugeben, dass ich im Bereich der Literatur (noch) nichts Gleichwertiges kenne.


    LG
    Klaus

  • Hallo JMaria,


    mir ist ebenfalls aufgefallen, dass Heimatromane in letzter Zeit vermehrt auftauchen. Ernstgemeinte Heimatromane bestehen für mich aus Lanschafts- und Milieustudien und die Heimat wird stark thematisiert.


    Vielleicht könnte man auch die Romane von Herta Müller dazurechnen ? Dann fällt mir noch Jan Brandt: Gegen die Welt ein.

  • Hallo zusammen,




    mir ist ebenfalls aufgefallen, dass Heimatromane in letzter Zeit vermehrt auftauchen. Ernstgemeinte Heimatromane bestehen für mich aus Lanschafts- und Milieustudien und die Heimat wird stark thematisiert.


    Vielleicht könnte man auch die Romane von Herta Müller dazurechnen ? Dann fällt mir noch Jan Brandt: Gegen die Welt ein.



    ein Definition des Heimatroman fehlte noch. Ich würde hinzufügen, dass der Heimatroman in ländlicher Gegend spielt.


    Herta Müller:
    ich glaube, der "Stern" bezeichnete einer ihrer Romane als Heimatroman aus der Hölle.


    mir fällt noch ein:
    Stephan Thome: Grenzgang - wird als ein hessischer Heimatroman genannt.


    ja, ich denke schon, dass der Begriff zur Zeit aufpoliert wird.


    Klassiker:
    Wie steht es mit Ludwig Ganghofer? Zuviel Heile-Welt um als Klassiker zu gelten?



    klaus
    Edgar Reitz' Heimat-Trilogie sagt mir rein garnichts. Muß mal schauen gehen.


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Klassiker:
    Wie steht es mit Ludwig Ganghofer? Zuviel Heile-Welt um als Klassiker zu gelten?


    Den wollte ich gerade erwähnen, und er soll überhaupt keine Heile-Welt beschrieben haben, sondern hemmungslos den Finger in die Wunden gehalten haben. Allerdings muss ich das erst nachlesen, und dazu ist "Waldrausch" zumindest schon einmal auf meinem kindle :zwinker:


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • ein Definition des Heimatroman fehlte noch. Ich würde hinzufügen, dass der Heimatroman in ländlicher Gegend spielt.


    Hallo Maria :smile:,


    warum in ländlicher Gegend? Heimat kann doch überall sein.


    Einige Romane von Walter Kempowski spielen in Rostock, ich würde ihn als Heimatschriftsteller sehen.

  • Zitat von Autor: klaus« am: Gestern um 20:34

    ...ich bin ein ganz großer Bewunderer von Edgar Reitz' Heimat-Trilogie.


    Ich auch! Vielleicht sollte man dazu sagen, dass es sich dabei um Filmzyklen handelt.
    @didonia:Kempowskis Romane (bes. die über Rostock) zur Heimatliteratur zu zählen, finde ich sehr sinnvoll.
    Ich hätte noch anzubieten: Oskar Maria Graf mit seiner Chronik von Flechting, seinem Bollwieser und dem Leben meiner Mutter … Heimatromane vom Feinsten!


  • Den wollte ich gerade erwähnen, und er soll überhaupt keine Heile-Welt beschrieben haben, sondern hemmungslos den Finger in die Wunden gehalten haben. Allerdings muss ich das erst nachlesen, und dazu ist "Waldrausch" zumindest schon einmal auf meinem kindle :zwinker:


    praktisch ;-)
    es gibt ja echt viele von ihm zum kostenlosen Download. Da weiß man garnicht für welchen man sich entscheiden soll.



    Zitat von "Gontscharow"

    ... Edgar Reitz' Heimat-Trilogie.


    Ich auch! Vielleicht sollte man dazu sagen, dass es sich dabei um Filmzyklen handelt.



    auch als Film ist mir die Trilogie nicht bekannt. Danke für den Hinweis.



    Zitat von "Didonia"

    warum in ländlicher Gegend? Heimat kann doch überall sein.



    ja, das wäre interessant zu beobachten, ob sich die ursprüngliche Definition des Heimatromans in neuer Zeit wandelt. Ich habe bisher nicht darauf geachtet, meine bisherigen Leseerfahrungen waren diesbezüglich so wie es in Wiki definiert wird:


    ...entstand Ende des 19.Jahrhunderts als Gegenbewegung zur im Naturalismus beliebten Grosstadtdarstellungen und im Zuge politischer Entwicklungen wie der Bauernbefreiung oder der Industrialisierung........die Schaffung einer Gegenwelt zum Städtischen, Zivilisatorischen und die Kritik an Verstädterung, Industrialisierung und Technisierung......


    http://de.wikipedia.org/wiki/Heimatroman


    ich habe den Eindruck, dass der Trend wieder weg von der Großstadt geht und deswegen das häufige Auftreten des Begriffs
    Heimatroman.


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Ein Gedankenspiel von mir:


    Heimat definiert jeder für sich anders. Normalerweise würde ich sagen, Heimat ist das, wo man geboren und aufgewachsen ist. Heute weiß ich aus persönlicher Erfahrung, dass Heimat auch das ist, wo man gerade lebt und sich wohlfühlt oder auch nicht wohlfühlt.
    Ich frage mich, warum Heimat mit dem Ländlichen verbunden wurde. Da müsste es doch einen anderen Begriff für geben. Ansonsten dürfte ein Schriftsteller, der aus der Stadt kommt, keinen Heimatroman schreiben.
    In Walter Kempowskis Büchern geht es ihm nicht um die Groß- und Hafenstadt Rostock, er schreibt über seine Heimat, in der er geboren und aufgewachsen war.


    Man müsste sich da wahrscheinlich mal näher mit diesem Thema befassen. Heimtromane in dem Sinne kenne ich noch nicht, dann eher einige Filme von früher, an deren titel ich mich nicht mehr erinnere. Und die Heimat-Groschenhefte, die überall zu sehen sind.

  • Hallo Maria,
    hallo Didonia,


    meiner Meinung nach habt ihr beide Recht. Natürlich ist Heimat nicht auf einen ländlichen Raum beschränkt. Heimat kann, wie Didonia sagt, auf dem Land aber auch in einer Großstadt sein. Aber der Thread heißt nicht Heimat, sondern Heimatroman und unter einem Heimatroman verstehe ich wie Maria, einen Roman der in einer ländlichen Heimat spielt.


    Ein Beispiel:


    Im Roman „Berlin Alexanderplatz“ ist Berlin selbstverständlich die Heimat von Franz. Trotzdem würde ich bei „Berlin Alexanderplatz“ nicht von einem Heimatroman sprechen, sondern von einem Großstadtroman.


    Typische Heimatromane sind in der Tat die Ganghoferromane, wobei es da, Ganghofer war ein Vielschreiber wie Balzac und Karl May, sehr gute und weniger gute und sogar sehr schlechte gibt. An eines erinnere ich mich aber noch, und da muss ich Anita Recht geben: heile Welt ist bei Ganghofer selten, da gibt es nicht selten Mord und Totschlag.

  • Hallo zusammen,
    hallo montaigne,


    danke für deine Gedanken dazu und das Beispiel. Heimat als Begriff kann auf verschiedene Ebenen thematisiert werden, doch ich denke auch, dass der Heimatroman gewissen Kriterien unterworfen ist und dass er sich heutzutags aus der Trivialecke, wo er nach dem II. WK landete, wieder herausarbeitet. Was nur gut für das Genre ist.


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Buselmeiers "Wunsiedel" würde ich nun nicht als Heimatroman bezeichnen. Höchstens als einen umgestülpten: es geht ja um die Geschichte einer Abwesenheit von physischer Heimat, um die Unmöglichkeit, am aktuellen Ort Wurzeln zu ziehen - und um die Begegnung mit einer intellektuellen Heimat, nämlich die bei Jean Paul.


    Heimatroman ist ein Roman dann, wenn er nicht nur vor der Folie von irgendwessen Heimat spielt, sondern die Beziehung zu dieser Heimat thematisiert. Ob man "Berlin Alexanderplatz" dann noch hinzuzählen kann, hängt davon ab, was man mit dem Begriff "Heimat" anfängt. Intuitiv würde ich auch sagen, dass ein gewisses Verhältnis von Einwohnerzahl und Fläche eine Rolle spielt, aber das kann wohl nicht alles sein. Vielleicht ist die Kategorie ja auch überflüssig. Man sollte mal überlegen, ob nach der Aufteilung auf andere Genres (Entwicklungsroman, historischer Roman etc.) überhaupt noch ein Rest bleibt, der nach einem Namen verlangt. Mich jedenfalls würde ein Roman, der nichts als "Heimat" zum Thema hat, nicht übermäßig anziehen.

  • Wie ist es mit dem plattdeutschen Autoren Fritz Reuter?


    Seine Romane
    Ut de Franzosentid (1859)
    Ut mine Festungstid (1862)
    und der berühmteste
    Ut mine Stromtid (1862)


    vereinen Lokalkolorit mit zeitgenössischen und stark autobiografischen Elementen. Zu stark besiedelt ist das Bezuggebiet auch gerade nicht :zwinker:.



    finsbury


  • Zu stark besiedelt ist das Bezuggebiet auch gerade nicht :zwinker:.


    finsbury


    finsbury


    Ja, und außerdem arm, und die Menschen sind bodenständig. Und der Bräsig urig :smile:


    Kann man einen Begriff, eine literarische Gattung anwenden auf Autoren einer Zeit, zu der dieser Begriff, diese Gattung wohl noch nicht eindeutig fixiert waren?


    Wikipedia bietet zwar nicht Reuter unter den Vorläufern, aber er gehört da rein, so viel oder wenig wie die anderen, die da stehen.


    Muss nicht ein Unterschied gemacht werden zwischen Heimatliteratur, und Literatur, in der es auch um Heimat geht?


    Ich hab seit längerem eine Roman von Josef Winkler aufliegen.
    Und der wird zur "modernen" Heimatliteratur gerechnet.
    Siehe mal nicht die Wikipedia, sondern hier.


    Dieses Wiki hat mich gerade auch zu ihm geführt, was es alles für Autoren gibt ...


    Muss man nicht Thomas Bernhard auch unter (kritische) Heimatliteratur rechnen?


    Grüezi
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)


  • Muss man nicht Thomas Bernhard auch unter (kritische) Heimatliteratur rechnen?


    Die Frage habe ich mir gestern auch gestellt, als ich auf den Thread gestoßen bin. Und noch etwas ist mir eingefallen, nämlich Elfriede Jelineks "O Wildnis, o Schutz vor ihr", das ich letztes Jahr gelesen habe. Ich bilde mir aber ein, bei letzterem steht sogar der Begriff Anti-Heimat-Roman im Klappentext ... "kritisch" wäre hier doch etwas untertrieben. :zwinker:


    Unwillkürlich musste ich auch an "Die Wand" von Marlen Haushofer denken, wahrscheinlich, weil da die Lektüre noch recht frisch ist - aber dieses Buch hat mit einem Heimatroman außer dem Schauplatz ja wirklich nichts zu tun.

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

  • Hallo Bluebell,


    ich glaube, den Begriff Anti-Heimatroman habe ich auch schon in Zusammenhang mit Thomas Bernhards Romanen gelesen. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern um welche/n Roman/e es ging.


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • ich glaube, den Begriff Anti-Heimatroman habe ich auch schon in Zusammenhang mit Thomas Bernhards Romanen gelesen. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern um welche/n Roman/e es ging.


    Diese Bezeichnung trifft insbesondere auf "Frost" zu.


    LG


    Tom

  • Die Frage habe ich mir gestern auch gestellt, als ich auf den Thread gestoßen bin. Und noch etwas ist mir eingefallen, nämlich Elfriede Jelineks "O Wildnis, o Schutz vor ihr", das ich letztes Jahr gelesen habe. Ich bilde mir aber ein, bei letzterem steht sogar der Begriff Anti-Heimat-Roman im Klappentext ... "kritisch" wäre hier doch etwas untertrieben. :zwinker:


    In Vorbereitung auf ein Handke-Seminar im kommenden Wintersemester lese ich gerade mal wieder Handkes Erzählung „Wunschloses Unglück“. In den Anmerkungen fand ich nun folgendes:


    „Wunschloses Unglück“ wäre auch im Kontext der spezifisch österreichischen Gattung des Anti-Heimatromans zu sehen. Zu nennen sind hier z.B. Gert Jonkes „Geometrischer Heimatroman“, Franz Innerhofers „Schöne Tage“, Elfriede Jelineks „Die Liebhaberinnen“ und Michael Scharangs „Der Sohn eines Landarbeiters“.



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    Was aber genau ist nun ein Anti-Heimatroman? Die Steigerung eines kritischen Heimatromans? Bei Bernhard und Jelinek für mich nachvollziehbar, aber bei Handke eigentlich nicht, oder?