Gerade ein Forum an Klassikerfreundinnen und -freunden müsste ein guter Resonanzraum sein zu einem Fragenkomplex, die mich umtreibt:
Nimmt die Intensität der Lektüre mit zunehmendem Alter ab?
Es gab in meiner Jugend Lektüreerfahrungen, die in ihrer Intensität Weltoffenbarungen waren. Nach der Lektüre von "Welt als Wille und Vorstellung" hatte ich ein Gipfelerlebnis, das Gefühl, die Welt aus der Vogelperspektive zu sehen und zugleich in ihrem Innersten zu verstehen. In Anna Karenina habe ich mich verliebt. Die Welt von Dickens "Bleak House" war so erschreckend düster, dass ich den Roman erst gar nicht weiterlesen konnte. All das waren unmittelbare Erfahrungen, die direkt, ohne Filter, auf mich gewirkt haben.
Und heute? Heute gibt es schon die Freude über einen guten Aufbau einer Geschichte, über schöne Sätze, einen gelungenen Charakter, durchaus auch mal Gänsehaut bei einer guten Passage. Aber durchaus seltener. Auch seltener, dass mich ein Buch wirklich in seinen Bann zieht.
Weil ich anspruchsvoller geworden bin? Abgestumpfter?
Wie geht euch das? Habt ihr auch mit 40, 50, 60 Lektüreoffenbarungen, wo euch ein Buch wirklich trifft wie die Axt das gefrorene Meer?
Neugierig,
Christian