Klassiker in 500 Jahren?

  • Hallo sandhofer !


    Zitat

    "Mir fällt z.B. Gerhart Hauptmann ein oder Brecht, auch Fontane." - Kannst Du mir erklären, was Du meinst? Ich versteh jetzt wirklichnicht.


    Haben diese Autoren lediglich die Gesellschaftsstrukturen abgebildet oder die Gesellschaft mit ihrem Abbild verändert ? Ich denke schon - im Gegensatz zu dir glaube ich schon, dass Literatur die Menschen/Gesellschaft verändern kann ! Es ist lediglich die Frage, was wahre Kunst überhaupt ist und wie bzw. ob sie sich heutzutage noch durchsetzten kann.


    Joyce z.B. hat es eigentlich nur geschafft, weil er sich immer treu geblieben ist und nicht nach verlegerischen Aspekten geschrieben hat. Er hat bei Dubliners 10 Jahre auf eine Veröffentlichung gewartet, weil es sich weigerte, Teile umzuschreiben. "Verdammt" war damals ein Wort, für das die Drucker evtl. verklagt worden wären. Hätte dann Joyce nicht doch einen kleinen Beitrag für die Publizitätsfreiheit geleistet ?


    Über die Strukturen und Mechanismen der sogenannten Kunstzirkel kann ich dir nur Bernhards "Holzfällen" empfehlen - das ist leider sehr pessimistisch und realistisch. Wird man heutzutage ohne Mäzene noch verlegt und promoted ? Über dieses Thema könnte man endlos diskutieren. Vielleicht halten wir uns lieber eher an die Klassiker, weil alles nur noch George-Orwell-mäßig funktioniert ?


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    bevor die Diskussion endgültig einschläft, noch 3 Fragen?


    sandhofer
    Dos Passos ("U.S.A.'') ist ebenfalls ein Stück Weltliteratur des 20. Jahrhunderts.


    Von John Dos Passos habe ich nur „Manhattan Transfer“ gelesen. Ist die „U.S.A.-Trilogie in gleichem Stil geschrieben, und vom Inhalt vergleichbar? Oder kennst Du nur U.S.A.?


    sandhofer und Steffi
    Abgesehen von der Sprache, halte ich daran fest, dass, was überdauern soll, die ganz grossen Gefühle und Gegensätze wie Liebe und Hass, Gut und Böse ausdrücken muss.
    Könnte vielleicht wirklich das wichtigste Kriterium sein.


    Wieso soll das ein Kriterium sein? Alle guten Bücher handeln von großen Gefühlen oder wie MRR sagt, es gibt kein gutes Buch, das nicht von Liebe oder Tod handelt. Aber es können doch nicht alle guten Bücher überleben.


    Maria
    Deswegen finde ich es schwer voraus zusagen, dieser oder jener wird nicht überleben, dafür sind die Medien, die sich Klassiker zur Vermarktung benutzen einfach zu unberechenbar. Oder was meint ihr?


    Natürlich hast Du recht, Maria. Ich denke sogar, dass es nicht nur schwer ist, sondern sogar unmöglich. Trotzdem würde es mich interessieren, welchen Büchern Du das Überleben wünscht oder bei welchen Büchern Du das Überleben befürchtest. Also?



    Liebe Grüße


    Hubert


  • Hallo Hubert


    ich denke schon seit Tagen darüber nach und komme auf keinen grünen Zweig. Welche Kriterien setze ich an? Nur meine Eigenen? oder soll ich berücksichtigen, was sich über all die Jahrhunderten bereits bewährt hat als Maßstab?


    Ich bin nicht die Fachmännin in solchen Prognosen. Ich wünsche mir, daß Bücher überleben, die von Toleranz und Liebe geprägt sind (Hermann Hesse "Sidhartha", Theodor Fontane), Bücher die von einem Leser alles fordern (James Joyce: Ulysses), Bücher mit einer imposanten Sprachgewalt (Thomas Mann und Stefan Zweig), Bücher die Welten mit einander verbinden, Ozean überqueren (Thomas Wolfe, Dostoijewki, ...), Bücher die mir Einblick in andere Epochen geben (Tomasi di Lampedusa: Der Leopard, Alexander Dumas, Tolstoi...), Bücher die zeigen, daß man auch an einer unsinnigen Idee festhalten kann (Don Quijote) usw.....


    die Liste ist so ziemlich endlos.


    Bei welchen Bücher ich das Überleben fürchte? Auch hier ein großes Fragezeichen! Ich bin da tolerant eingestellt. Jeder sollte seinen Spaß am Lesen haben, egal in welchem Genre er sich wohl fühlt. Vom Gefühl her, bereitet mir Ideologisches Gedankengut in Buchform ein unangenehmes Gefühl, obwohl ich in der Richtung nichts lese. Ist nur ein Gefühl.


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen!
    Hallo Hubert!


    "Von John Dos Passos habe ich nur „Manhattan Transfer“ gelesen. Ist die „U.S.A.-Trilogie in gleichem Stil geschrieben, und vom Inhalt vergleichbar? Oder kennst Du nur U.S.A.?" - Leider ja.


    "Wieso soll das ein Kriterium sein? Alle guten Bücher handeln von großen Gefühlen oder wie MRR sagt, es gibt kein gutes Buch, das nicht von Liebe oder Tod handelt. Aber es können doch nicht alle guten Bücher überleben. " - Leider nicht. Aber die besten. Und da alle guten von Liebe und Tod handeln, müssen es die besten doch a fortiori ebenfalls. Logisch? Logisch.


    Im Gegensatz zu JMaria glaube ich nicht an 'Ulysses'. Ähnlich wie Lyrik im Allgemeinen ist er zu sehr von der Sprache abhängig.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Maria hat geschrieben:
    Ich bin nicht die Fachmännin in solchen Prognosen. Ich wünsche mir, daß Bücher überleben, die von Toleranz und Liebe geprägt sind (Hermann Hesse "Sidhartha", Theodor Fontane), Bücher die von einem Leser alles fordern (James Joyce: Ulysses), Bücher mit einer imposanten Sprachgewalt (Thomas Mann und Stefan Zweig), Bücher die Welten mit einander verbinden, Ozean überqueren (Thomas Wolfe, Dostoijewki, ...), Bücher die mir Einblick in andere Epochen geben (Tomasi di Lampedusa: Der Leopard, Alexander Dumas, Tolstoi...), Bücher die zeigen, daß man auch an einer unsinnigen Idee festhalten kann (Don Quijote) usw.....


    Hallo Maria,


    mit Deiner Zusammenstellung komme ich gut klar. Das heißt, Lampedusas „Leoparden“ muß ich erst noch lesen. Also danke für den Tipp/Tip (ich finde die alte Schreibweise besser)


    Sandhofer hat geschrieben:
    Aber es können doch nicht alle guten Bücher überleben. " - Leider nicht. Aber die besten. Und da alle guten von Liebe und Tod handeln, müssen es die besten doch a fortiori ebenfalls. Logisch? Logisch.


    Diese Logik hat mich jetzt doch überzeugt!


    Vielen Dank für die spannende Diskussion und


    liebe Grüsse


    Hubert


  • Hallo zusammen,


    Bücher von Liebe oder Tod, am besten von beidem werden überleben, das ist sicher richtig aber nicht ausreichend. Zu einem zusätzlichen Kriterium bin ich bei unserer Lesung des Romans „Effi Briest“ gekommen: In Werken von nachfolgenden Autoren muß die Erinnerung an das Werk oder den Autor aufrecht erhalten werden!!


    Warum Homers „Odyssee“ überlebte. Nun das Werk handelt von Liebe und Tod. Aber unbestritten und wahrscheinlich noch wichtiger ist, dass Autoren wie Ovid, Dante, Goethe, Joyce (eine kleine Auswahl der bekanntesten) immer wieder daran erinnern. Dabei ist natürlich klar, dass sie in ihren Werken nur daran erinnern, weil sie von der Qualität der "Odyssee" überzeugt waren.


    Eine andere spannende Frage tut sich auf:
    Hat Montaigne vor 500 Jahren gar nicht so gut vorausgesagt, sondern haben die beiden Bücher (Boccaccio: "Das Dekameron" und Rabelais "Gargantua und Pantagruel") deshalb überlebt weil sie von Montaigne erwähnt wurden? :zwinker:


    Grüße


    Hubert

  • Hallo zusammen!


    "Hat Montaigne vor 500 Jahren gar nicht so gut vorausgesagt, sondern haben die beiden Bücher (Boccaccio: "Das Dekameron" und Rabelais "Gargantua und Pantagruel") deshalb überlebt weil sie von Montaigne erwähnt wurden?"- Gute Frage!


    Aber, was ich noch loswerden muss, bevor ich mit dem Hund Gassi gehe: Ich habe meinen absoluten Liebling des 20. Jh. vergessen: Elias Canettii. Wenn einer überlebt, dann - hoffentlich - der!


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Sandhofer!


    Elias Canettii. Wenn einer überlebt, dann - hoffentlich - der!


    Ich kenne von Canetti nur „Masse und Macht“ und „Die Blendung“. Beides sicher wichtige Bücher des 20. Jahrhunderts, das erste aber, meiner Meinung nach, ein wissenschaftliches Werk, und „Die Blendung“ international zu wenig bekannt und zu anspruchsvoll um zu überleben? Kennst Du andere Werke, oder wo liegt mein Denkfehler?


    Gruß


    Hubert

  • Hallo zusammen!
    Hallo Hubert!


    "Ich kenne von Canetti nur „Masse und Macht“ und „Die Blendung“. Beides sicher wichtige Bücher des 20. Jahrhunderts, das erste aber, meiner Meinung nach, ein wissenschaftliches Werk, und „Die Blendung“ international zu wenig bekannt und zu anspruchsvoll um zu überleben?" - Ich dachte schon primär auch an die zwei. Obwohl auch seine Autobiographie oder "Die Stimmen von Marrakesch" die Jahrhunderte überleben MÜSSEN. Wenn denn wirklich Qualität überlebt und nicht Marketing. Deswegen ja auch mein Stoss-Seufzer "hoffentlich!".


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ui, schon wieder so eine spannende Diskussion :smile:


    Ich habe sie leider nur überfliegen können, möchte aber trotzdem noch meinen Senf in die RUnde werfen:


    Dostojewski: Die Brüder Karamasoff


    Ist zwar 19. Jahrhundert, aber wie anfangs bemerkt, liegen ja auch zwischen Montaigne und Boccaccio das eine oder andere Jahrhundert.


    "The Lord of the Rings" billige ich auch zumindest Außenseiterchancen zu - zwar ist das Buch unter dem langfristigen Eindruck des Ersten Weltkrieges entstanden, aber es hat (zusammen mit "The Hobbit") quasi eine neue Literaturgattung geschaffen. Und irgendetwas bewegt es in den Menschen. M. M. n. ist Fantasy neben den Sachbüchern die einzige Literturgattung, die wirklich Menschenleben beeinflusst (-> halbe Zustimmung für Sandhofer, was den Einlfuss der Literatur auf die Mnschheit betrifft, auch wenn ich "meinem" Schiller damit in den Rücken falle :zwinker:).
    Und für Tolkien gilt, mehr als für alle anderen Fantasy-Autoren: Er wusste, worüber er schrieb. Die Geschichten haben durch die Linguistik ein gutes Fundament.


    Also denke ich mir, das Buch hat 'ne Chance.


    Ich könnte mir außerdem vorstellen, dass etwas von der deutschen Weltkriegsliteratur überlebt, aber es müsste schon etwas sein, das auch ohne den Krieg zustande gekommen wäre. Die restliche Literatur sehe ich langsam hinter dem Schleier des Vergessens und der "Nicht-mehr-Aktualität" verschwinden. Man denke nur an Böll (brr)


    Hesse: Siddhartha
    Hat sicherlich Chancen, da auch im Ausland sehr beliebt. Aber na ja... Hesse ist toll, aber ob er so toll ist?


    Wie weit darf man den zurück gehen?
    Wenn rund 200 Jahre drin sind, nenne ich noch Schiller. Nicht, weil er als Klassiker gilt, sondern weil ich seinen Dramen das Potential zutraue, auch in Zukunft noch Menschen zu begeistern. Sogar denjenigen, die er selbst später nicht mehr als gut genug beurteilte.


    Zitat von "Sandhofer"

    Wie sonst hätte das Volk, das Lessing, Goethe, Schiller, Hölderlin vervorbrachte, einem Adolf Hitler derart folgen können, wie es geschah??? [...] Das Volk des Homer, Sophokles, Sokrates, Platon, Aristoteles ihren Tyrannen???


    Ich zweifle nicht an Platons großem Geist und habe auch bisher kaum etwas von ihm gelesen, aber meines Wissens ist seine Politeia ein schönes Beispiel für einen totalitären Staat. Und Aristoteles war der Lehrer des Fürsten Alexander vn Makedonien...
    Frei nach Rowling: Großartig, ja, aber schrecklich - und alles andere als freiheitlich, mehr so erobernd und totalitär und Krieg bringend.


    Oder täusche ich mich da?


    LG
    Nightfever

  • Hallo zusammen!


    Hubert, die Belohnung kannst Du mir gleich überweisen. Natürlich werde ICH - nicht jetzt, aber in 50 Jahren - DAS Buch schreiben, das die 500 Jahre überlebt. Am Besten mach ich mit der Belohnung ne Stiftung auf, das wär genug Publicity für die nächsten paar Jahrhunderte! :breitgrins:


    Bye, Ivy


    P.S. Danke noch für die vielen Tip(p)s, um einen Roman schreiben zu können, der 500 Jahre überleben soll. Vielleicht sollte ich mein in 50 Jahren erscheinendes Buch zu einem archäologischen Fundstück umstylen.
    Wer sonst noch Chancen hat? Wer erfolgreich eingescannt wurde. :zwinker:

  • Zitat von "Dostoevskij"


    [...]daß es dazu bestimmt ist, in 500 Jahren für unsere Zeit zu stehen.


    Dann haben Effenberg, Bohlen und wie sie alle heißen vielleicht doch ganz gute Karten :breitgrins:


    Martin

  • Zitat von "Lewin"


    Dann haben Effenberg, Bohlen und wie sie alle heißen vielleicht doch ganz gute Karten.


    :breitgrins:


    Das glaube ich nicht. Unter diesen Gesichtspunkten räume ich eher Autor(inn)en wie Kristof, Kafka oder Camus Chancen ein.


    Nightfever

  • Hallo zusammen


    Berlin Alexanderplatz, Die Blendung, Fabian, Big Sur, Der Gehülfe, The Ground Beneath her Feet, A la recherche du temps perdu, Tropics of Cancer/Capricorn, L'étranger, El amor en los tiempos del colera ...


    der Kandidaten sind noch viele mehr ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Huhu,


    ich glaube, ich kann nicht mehr rechnen...zu Hülf..


    H.G. Konsalik veröffentlichte "Der Arzt von Stalingrad" 1956
    Barbara Cartland veröffentliche "Jig-Saw" (dt. Titel weiß ich nicht 1923
    Hedwig Courths-Mahler veröffentlichte "Licht und Schatten" 1904


    Tjaaaa...und nu? Nach der Definition, die einige hier für Klassiker erstellt haben, dürfte es sich hierbei auch darum handeln. Upsi...:breitgrins:


    Liebe Grüße
    nimue