Klassiker in 500 Jahren?

  • Hallo zusammen,


    die angeführten Beispiele zeigen, dass es nicht viel Sinn macht Bücher schon 20 bis 30 Jahre nach Erscheinen als Klassiker zu bezeichnen. Nach der Klassikerdefinition, der ich anhänge (Buch muß 70 Jahre nach dem Tod des Autors noch regelmässig gedruckt werden und im normalen Buchhandel erhältlich sein) sieht es für die o.a. Bücher wie folgt aus:


    Konsalik ist 1999 gestorben. Seine Bücher wären nach meiner Definition ab dem Jahre 2070 Klassiker, wenn sie dann noch regelmäßig gedruckt werden. Ich gehe jede Wette ein, sie werden dann nicht mehr gedruckt.


    Ob Frau Cartland überhaupt schon tot ist, weiß ich nicht, jedenfals wurden in den 90 er Jahren noch Neuerscheinungen von ihr veröffentlicht. also ähnlich wie Konsalik.


    Frau Hedwig Courths-Mahler ist 1950 gestorben. Nach meiner Definition würden ihre Bücher 2021 Klassiker, wenn sie dann noch gedruckt und im normalen Buchhandel erhältlich sind. Ihr oben erwähntes Buch ist allerdings auch heute schon, bei Amazon nicht mehr erhältlich. Also keine Chance zum Klassiker:
    http://www.amazon.de/exec/obid…04972/028-7588620-3495700


    Und damit keine Mißverständnisse auftreten. Wüden diese Art von Büchern 70 Jahre nach dem Tod ihrer Autoren noch gedruckt, was wie gesagt nicht zu erwarten ist, dann wären sie zwar Klassiker, aber Klassiker der Trivialliteratur und aus Trivialliteratur wird auch durch Zeitablauf keine anspruchsvolle Literatur.


    Gruß von Hubert

  • Hallo Hubert,


    naja, ich gehe davon aus, dass auch wir keine Geschichte neu schreiben werden. Bücher, die wir als anspruchsvoll bezeichnen, galten vor 100 Jahren als Trivialliteratur. Warum sollte also ein Buch von Cartland nicht in 100 Jahren als anspruchsvoll gelten? Der Trend dahin ist jedenfalls so.


    Genauso wie früher Homer, Platon & Daten "verschlungen" wurden, werden heute die Bücher der genannten Autoren verschlungen (oder jedenfalls vergleichbar). Das mag zwar große Schmerzen bereiten, aber früher war der "Anspruch" doch um einiges höher - irgendwo habe ich sogar gelesen, dass die Ilias mündlich weitergegeben wurde? ;-)


    Liebe Grüße
    nimue

  • Hallo,


    xenophanes: sorry, in dem verwurschtelten Posting fragtest du nach Beispielen.


    Ich habe nicht Literaturgeschichte studiert!


    Aber ich bin mir zumindest bewusst, dass die Werke der Romantik von den Menschen der Moderne als trivial belächelt wurden. In die Romantik fallen beispielsweise ETA Hoffmans "Elixiere des Teufels" und sein "Kater Murr". Auch sehr viele Gedichte entstammen dieser Zeit.


    Und was ist mit dem Sturm und Drang? In der Schule jedenfalls habe ich gelernt, dass diese Bewegung belächelt wurde und dass sogar Goethe hinterher nichts mehr davon wissen wollte.


    Liebe Grüße
    nimue


  • Hallo nimue,


    ich bin mir nicht sicher, ob ich Dein Post richtig verstanden habe, wenn also meine Antwort nicht okay ist, sehe es mir bitte nach.


    Es kann sein, dass ein Buch von Cartland in 100 Jahren als anspruchsvoll gilt, vielleicht ist es ja auch heute schon anspruchsvoll. Ich persönlich habe den Namen Cartland heute das erste mal gehört, nichts von der Autorin? je gelesen, ich kann es also nicht beurteilen. Was ich sagen wollte, heute sind ihre Bücher (nach der Definition, der ich anhänge) noch keine Klassiker, da die Autorin? noch keine 70 Jahre tot ist.


    Dass ein Buch, dass bei seinem Erscheinen als wenig anspruchsvoll galt, später doch ein Klassiker werden kann, halte ich, wenn ich Dich richtig verstanden habe, Du auch, durchaus für möglich. Die von Dir erwähnte "Ilias" ist dafür ein gutes Beispiel. M.M.n. war die "Ilias", handwerklich zwar sehr gut gemacht, aber inhaltlich ein Auftragswerk übelster Politikpropaganda. Dass die "Ilias" mündlich überliefert wurde, glaube ich nicht, obwohl darüber noch ein wissenschaftlicher Streit besteht. M.M.n. wurde sie schriftlich von Homer fixiert, was aber widerrum nicht heißt dass der Inhalt von Homer erfunden wurde, m.M.n. ist Troja ein historisches Ereignis.


    Liebe Grüße von Hubert

  • Zitat von "nimue"


    Ich habe nicht Literaturgeschichte studiert!


    Damit zu beginnen ist es nie zu spät :zwinker:


    Zitat von "nimue"


    Aber ich bin mir zumindest bewusst, dass die Werke der Romantik von den Menschen der Moderne als trivial belächelt wurden. In die Romantik fallen beispielsweise ETA Hoffmans "Elixiere des Teufels" [...]
    Und was ist mit dem Sturm und Drang? In der Schule jedenfalls habe ich gelernt, dass diese Bewegung belächelt wurde


    Würde ich beides nicht als Beispiel für Trivialliteratur gelten lassen. Die Literatur der Romantik ist ja "Hochliteratur" (was Symbolik, Ambiguitäten, Voraussetzungen angeht) par excellence.


    Die Werke des Sturm und Drang werden und wurden auch nicht zur Trivialliteratur gezählt. Die sah im 18. Jahrhundert ganz anders und bestand überwiegend aus auf schlecht gedruckten Neuausgaben von Volksbüchern (Fortunatus, Melusine und Co.) und Ähnlichem.


    Du müsstest als Beleg schon ein triviales Buch anführen, dass es nachher bei den Fachleuten zu Ruhm und Ehren gebracht hätte. Romantik und SuD wurden in allen Literaturgeschichten seit der Romantik behandelt und damit immer als "Hochliteratur".


    Es gäbe aber ein sehr gutes Beispiel für deine These. Hier handelt es sich aber um eine Ausnahme :breitgrins:


    CK

  • Zitat von "xenophanes"

    Du müsstest als Beleg schon ein triviales Buch anführen, dass es nachher bei den Fachleuten zu Ruhm und Ehren gebracht hätte.


    Hallo zusammen,
    hallo xenophanes,


    ich bin jetzt zwar nicht nimue, aber m.M.n. gibt es für nimues These, wenn ich diese verstanden habe, mehr als einen Beleg. Mein persönliches Lieblingsbeispiel: Lewis Carrolls "Alice ...": als triviales Buch entstanden - heute bei Fachleuten zu Ruhm und Ehren gekommen.
    Ich habe "Alice" mal in Hamburg im Thalia Theater erlebt, als Musical von Robert Wilson auf die Bühne gebracht und mit Tom Waits Musik veredelt, da war von Trivialität jedenfalls nichts mehr zu spüren.


    Gruß von Hubert

  • Zitat von "Hubert"

    Lieblingsbeispiel: Lewis Carrolls "Alice ...": als triviales Buch entstanden - heute bei Fachleuten zu Ruhm und Ehren gekommen.


    Was meinst du mit "als triviales Buch entstanden"? Die Entstehung ist IMO eher zweitrangig, was zählt ist die Rezeption. Hochliteratur wurde um 19. Jahrhundert vor allem vom Bürgertum gelesen, Trivialliteratur von weniger glücklichen Schichten der Bevölkerung (Lehrlinge, Dienstmädchen etc.)


    Meiner Meinung nach wäre also zu zeigen, dass ein (nur) in diesen Kreisen populäres Buch den Aufstieg in die "Hochliteratur" geschafft hat.


    CK

  • Zitat von "xenophanes"

    Was meinst du mit "als triviales Buch entstanden"? Die Entstehung ist IMO eher zweitrangig, was zählt ist die Rezeption. Hochliteratur wurde um 19. Jahrhundert vor allem vom Bürgertum gelesen, Trivialliteratur von weniger glücklichen Schichten der Bevölkerung (Lehrlinge, Dienstmädchen etc.)


    Meiner Meinung nach wäre also zu zeigen, dass ein (nur) in diesen Kreisen populäres Buch den Aufstieg in die "Hochliteratur" geschafft hat.


    CK


    Hallo xenophanes,


    anscheinend bin ich heute schwer von Begriff. Davon abgesehen kann ich mit dem Begriff "Hochliteratur" nichts anfangen.


    Versuch:
    Wenn Du der Meinung bist, dass aus Trivialliteratur im Normalfall keine anspruchsvolle Literatur werden kann, auch nicht durch Zeitablauf, dann stimme ich Dir zu und habe einige Beiträge vorher das auch so geschrieben.


    Wenn Du der Meinung bist, dass Klassiker, auch von Fachleuten anerkannte Klassiker, immer anspruchsvolle Literatur sind, (diese Meinung wird häufig in diesem Forum vertreten), dann bin ich anderer Meinung und führte als Beispiel Lewis Carroll an. Ein anderes Beispiel wäre E.A.Poe.


    Gruß von Hubert

  • Zitat von "Hubert"


    Wenn Du der Meinung bist, dass aus Trivialliteratur im Normalfall keine anspruchsvolle Literatur werden kann, auch nicht durch Zeitablauf, dann stimme ich Dir zu


    Hier sind wir uns einig.


    Zitat von "Hubert"


    Wenn Du der Meinung bist, dass Klassiker, auch von Fachleuten anerkannte Klassiker, immer anspruchsvolle Literatur sind


    Bin ich nicht.


    Das wars dann wohl :smile:


    CK

  • Hallo zusammen


    Ich bin froh, dass dieses Thema nochmal aufgegriffen wurde, denn ich wollte meine Site literature wieder umbenennen auf classic. Doch wenn auch der enge Klassiker-Begriff tatsächlich mehr den Longseller-Aspekt betont, dann nehme ich wohl lieber den Begriff Great Literature oder ähnlich, denn für mich ist eigentlich nur der Qualitätsaspekt wichtig. Danke also für Eure Gedanken dazu!


    Bye, Ivy

  • Hi allerseits,


    Zitat von "Hubert"

    Klassikerdefinition, der ich anhänge (Buch muß 70 Jahre nach dem Tod des Autors noch regelmässig gedruckt werden und im normalen Buchhandel erhältlich sein)


    Ha, jetzt weiß ich endlich wieder, was ich dich schon vor längerem fragen wollte! (Alzi lässt grüßen :breitgrins: )
    Wie sieht es denn nach deiner Definition mit Büchern aus, die Jahrzehnte nach dem Tod des Autors nicht noch, sondern wieder gedruckt werden und im normalen Buchhandel erhältlich sind?


    Konkret beziehe ich mich auf "Flucht ins Feenland" von Hope Mirrlees. Die Dame ist zwar erst 1978 gestorben und somit noch nicht einmal 30 Jahre (anstatt der von dir geforderten 70) tot, aber ihr einziger Roman erschien bereits 1926. Wenn ich es richtig verstanden habe, gab es ihn damals nur als Neuerscheinung, dann geriet er in Vergessenheit und ist nun, nach fast 80 Jahren, in einer Neuauflage wieder erhältlich. Räumt ihr so einem Buch Klassikerchancen ein (ob nach Huberts Definition oder nach einer weniger strengen)?
    Hat vielleicht sogar jemand außer mir das Buch gelesen?


    Liebe Grüße,
    Bluebell

    "Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of books she wants to read, who has had a library card since she was twelve."

  • Hallo,


    Zitat von "Hubert"

    Klassikerdefinition, der ich anhänge (Buch muß 70 Jahre nach dem Tod des Autors noch regelmässig gedruckt werden und im normalen Buchhandel erhältlich sein)


    hm, das ist für mich eine zu einfache - eine zu sehr auf die Gegenwart fixierte Sichtweise. Wir wissen heute überhaupt nicht, was in 70 Jahren sein wird. Ob es überhaupt noch Buchhandlungen gibt. Ob es überhaupt noch Bücher gibt. Ob wir nicht vielleicht in einem Staat leben, der Bücher von Hesse, Mann & Co. verbietet und verbrennt.


    Die Sichtweise erinnert mich auch immer an diese niedliche Powerpoint Präsentation, wo die Schulentwicklung der Vergangenheit bis in die Zukunft an einem Rechenbeispiel gezeigt wird. Das Niveau nimmt immer mehr ab, bis - aus unserer heutigen Sicht - überhaupt kein Anspruch mehr besteht. Wenn nun also das Wissensniveau immer weiter abnimmt, so kann es doch durchaus sein, dass heute Triviales in der Zukunft gewissen Ansprüchen gerecht wird.


    Was ist Anspruch? Was ist anspruchsvoll? Das dürfte vermutlich an der jeweiligen Bildung gemessen sein. Wenn nun die Bildung eines Volkes konstant abnimmt - so wird auch der Anspruch an ein Buch abnehmen.


    Ich sage jetzt nicht, dass dies so kommen wird, aber ich sage auch nicht, dass es völlig unmöglich und unvorstellbar ist.


    Liebe Grüße
    nimue

  • Zitat von "Hubert"

    Klassikerdefinition, der ich anhänge (Buch muß 70 Jahre nach dem Tod des Autors noch regelmässig gedruckt werden und im normalen Buchhandel erhältlich sein)


    Ich würde sagen: Wenn alte Bücher noch regelmäßig gedruckt werden, handelt es sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit um einen Klassiker. Es ist aber umgekehrt nicht so, dass ein altes Buch, das nicht regelmäßig gedruckt wird, deshalb kein Klassiker ist.


    Es gibt eine Menge von wichtigen klassischen Büchern die nur selten auf dem Buchmarkt sind. Das gilt speziell für Klassiker der Geistesgeschichte. Eine gute deutsche Ausgabe der Werke Plotins und des Ptolemäus sind schwer zu finden und sie werden selten gedruckt, obwohl diese Bücher zu den einflussreichsten Büchern überhaupt gehör(t)en.


    Der angelsächsische Buchmarkt ist hier wesentlich besser als der hiesige (nebenbei angemerkt).


    CK

  • Zitat

    Ich könnte mir außerdem vorstellen, dass etwas von der deutschen Weltkriegsliteratur überlebt, aber es müsste schon etwas sein, das auch ohne den Krieg zustande gekommen wäre. Die restliche Literatur sehe ich langsam hinter dem Schleier des Vergessens und der "Nicht-mehr-Aktualität" verschwinden. Man denke nur an Böll (brr)


    Hallo zusammen,
    hallo Nightfever,


    obiger Meinung von Nigtfever kann ich mich nicht anschließen oder ich interpretiere falsch.
    Zunächst aber eine Frage: Wie kann man von "Weltkriegsliteratur" oder etwas allgemeiner, von Kriegsliteratur sprechen, die "ohne den Krieg" zustande gekommen ist/ wäre? Widerspricht sich das nicht? Ich kann mir schlecht vorstellen, daß in jener mörderischen Zeit ernstzunehmende Autoren andere Themen im Kopf hatten, als eben diese Zeit. Und das, was sie im Kopf hatten, durften sie nicht schreiben. Ich denke nicht an Naziliteratur oder gar - filme. Die Joseph-Tetralogie von Thomas Mann, schon 1926 in Deutschland begonnen, im Exil 1943 fertig gestellt, zähle ich nicht unbedingt zu "Weltkriegsliteratur". Wenn Nightfever sie allerdings dazu zählen möchte, wäre das ja dann eines der von ihr/ ihm gewünschten Werke. Zumal es sehr beliebt ist u. einer der meistgelesenen Romane von Mann.


    Konkret: Wäre der "Simplicissimus" ohne den 30-jährigen Krieg zustande gekommen? Manzonis "Die Verlobten" ohne die gesetzlose Lage in Oberitalien? Oder Tolstois "Krieg und Frieden"? Oder Hemingways "Wem die Stunde schlägt"? Das ist alles Kriegsliteratur und Weltliteratur zugleich.
    Die großen Themen der meisten Bücher sind Liebe, Krieg u. Tod.


    Zu Böll: Auch da bin ich anderer Meinung. Gerade seine Kriegserzählungen oder Nachkriegserzählungen, die alle den noch stattfindenden oder gerade beendeten Krieg behandeln, z. B. sein meisterliches "Wanderer, kommst du nach Spa.." oder "Lohengrins Tod" u. viele andere sind in einer derart dichten, eindringlichen Sprache geschrieben, daß ich noch heute beim Lesen schaudere. Auch seine frühen Romane sind für mich das, was ich der Literatur abverlange, nämlich, daß sie mich zum Nachdenken bringt. Man spürt, daß der Autor dieses Grauen selbst erlebt hatte. Spätere Werke wie "Gruppenbild mit Dame" oder "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" finde ich nicht so stark, bes. letzteres doch mehr eine Kolportage.
    Wenn ich also an Böll denke, ist es Aktualität, denn im Grunde sind alle Kriege und ihre Folgen gleich, auf der ganzen Welt. Ich bin der Meinung, zumindest Bölls Erzählungen werden wieder entdeckt werden.


    Grüße,
    Gitta

  • Zitat von "Gitta"

    Zu Böll: Auch da bin ich anderer Meinung. Gerade seine Kriegserzählungen oder Nachkriegserzählungen, die alle den noch stattfindenden oder gerade beendeten Krieg behandeln, z. B. sein meisterliches "Wanderer, kommst du nach Spa.." oder "Lohengrins Tod" u. viele andere sind in einer derart dichten, eindringlichen Sprache geschrieben, daß ich noch heute beim Lesen schaudere. Auch seine frühen Romane sind für mich das, was ich der Literatur abverlange, nämlich, daß sie mich zum Nachdenken bringt. Man spürt, daß der Autor dieses Grauen selbst erlebt hatte. Spätere Werke wie "Gruppenbild mit Dame" oder "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" finde ich nicht so stark, bes. letzteres doch mehr eine Kolportage.
    Wenn ich also an Böll denke, ist es Aktualität, denn im Grunde sind alle Kriege und ihre Folgen gleich, auf der ganzen Welt. Ich bin der Meinung, zumindest Bölls Erzählungen werden wieder entdeckt werden.


    Grüße,
    Gitta


    Hallo Gitta,


    da stimme ich dir zu. Obwohl Böll nicht mein Lieblingsautor ist, spürt man in vielen seiner Erzählungen einen überzeitlichen Atem und auch seine Sa-
    tiren gehen weit über die deutsche Spießigkeit und Verlogenheit der Nachkriegszeit und 60er Jahre in eine Kritik des allgemeinen Sichzurücklehnens und der bornierten Selbstgenügsamkeit hinein (Nicht nur zur Weihnachtszeit, Dr. Murkes gesammeltes Schweigen, Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral z.B.).
    Auch mit den frühen Romanen geht es mir ähnlich wie dir: Das Brot der frühen Jahre, ...und sagte kein einziges Wort und Haus ohne Hüter werden hoffentlich dem breiten Lesepublikum wiedergegeben.


    Die letzten Romane finde ich auch z.T. zu sehr der Zeitströmung anheimgegeben, wobei die Auslöschung einer Persönlichkeit durch Hetzkampagnen in den Medien nach wie vor aktuell ist.


    HG
    finsbury

  • Moin, Moin!


    Mit Böll wurde ich in der Schule nie gequält, sondern lernte ihn erst nach der Wende kennen. Vom ersten Begrüßungsgeld im Januar 1990 kaufte ich übrigens die 9bändige dtv-Kassette mit seinen Reden und Schriften für 99.- DM, deren Lektüre für mich die beste Einführung ins "neue" Land BRD war! Ich habe sein Werk damals in kurzer Zeit komplett gelesen und lese es nun nach 10 Jahren zweit, wobei das, was ich bis jetzt gelesen habe, gegenüber dem ersten Mal nicht verloren hat. Ich kann mir gut vorstellen, daß Böll nach einer Zeit des Vergessen-Werdens einst - das kann gut und gerne auch Jahrzehnte dauern - literarisch wieder glanzvoll aufersteht.

  • Zitat von "xenophanes"

    Der "Ulysses" und der "Mann ohne Eigenschaften" haben IMO gute Chancen einmal für DIE Romane des 20. Jahrhunderts zu stehen.
    CK


    Hallo xenophanes,


    wieso "einmal"? M.M.n. stehen "Ulysses" und "Der Mann ohne Eigenschaften" zusammen mit Prousts "Auf der Suche ..." auch heute schon für DIE Romane des 20. Jahrh. und wenn Qualität DAS Kriterium für ein 500-jähriges Überleben wäre: klar!


    Aber ist Qualität DAS Kriterium?

  • Zitat von "Bluebell"

    Hi allerseits,


    Ha, jetzt weiß ich endlich wieder, was ich dich schon vor längerem fragen wollte!
    Wie sieht es denn nach deiner Definition mit Büchern aus, die Jahrzehnte nach dem Tod des Autors nicht noch, sondern wieder gedruckt werden und im normalen Buchhandel erhältlich sind?


    Konkret beziehe ich mich auf "Flucht ins Feenland" von Hope Mirrlees. Die Dame ist zwar erst 1978 gestorben und somit noch nicht einmal 30 Jahre (anstatt der von dir geforderten 70) tot, aber ihr einziger Roman erschien bereits 1926. Wenn ich es richtig verstanden habe, gab es ihn damals nur als Neuerscheinung, dann geriet er in Vergessenheit und ist nun, nach fast 80 Jahren, in einer Neuauflage wieder erhältlich. Räumt ihr so einem Buch Klassikerchancen ein (ob nach Huberts Definition oder nach einer weniger strengen)?


    Hallo Bluebell,


    ich bin jetzt zwar nicht allerseits, aber ich antworte Dir doch einmal. Da ich von Deinem Beispiel bisher weder den Titel noch den Autor auch nur dem Namen nach kannte, kann ich dazu natürlich nichts sagen, sondern nur allgemein meine Meinung zu diesem Thema wiedergeben.


    Das Erscheinungsdatum eines Buches kann für die Entscheidung ob Klassiker oder nicht, m.M.n. nicht maßgebend sein, da die lexikalische Definition, was ein Klassiker ist, zunächst von einer Person ausgeht und dann in einem zweiten Schritt besagt, dass auch das Werk eines Klassikers als Klassiker bezeichnet werden kann.


    Ein Autor mit einem einzigen Roman, der bisher zwei Auflagen erfahren hat, ist sicher kein Klassiker.


    Meine Definition halte ich nicht für streng, sondern z.B. gegenüber Definitionen die nur girechische und lateinische Literatur als Klassiker anerkennen, für sehr liberal.


    Gruß von Hubert

  • Zitat von "nimue"

    Hallo,



    hm, ...Wir wissen heute überhaupt nicht, was in 70 Jahren sein wird. Ob es überhaupt noch Buchhandlungen gibt. Ob es überhaupt noch Bücher gibt. Ob wir nicht vielleicht in einem Staat leben, der Bücher von Hesse, Mann & Co. verbietet und verbrennt.


    hm, alles richtig und ich habe auch nirgens das Gegenteil behauptet. Nur - was hat das mit meiner Klassikerdefinition zu tun?


    Zitat

    Das Niveau nimmt immer mehr ab, bis - aus unserer heutigen Sicht - überhaupt kein Anspruch mehr besteht. Wenn nun also das Wissensniveau immer weiter abnimmt, so kann es doch durchaus sein, dass heute Triviales in der Zukunft gewissen Ansprüchen gerecht wird.


    Richtig, nur wäre es dann aus unserer Sicht weiterhin trivial. Und was hat das jetzt mit meiner Klassikerdefinition zu tun?


    Zitat

    Was ist Anspruch? Was ist anspruchsvoll? Das dürfte vermutlich an der jeweiligen Bildung gemessen sein. Wenn nun die Bildung eines Volkes konstant abnimmt - so wird auch der Anspruch an ein Buch abnehmen.


    Völlig einverstanden


    Liebe Grüße von Hubert