Nestbeschmutzer

  • Momentan vergnüge ich mich mit Witold Gombrowiczs "Tagebuch". Er beleuchtet sehr kritisch sein Heimatland, was es heißt Pole zu sein, die polnische Kunst, den polnischen Katholizismus. Und er tut das sehr beredt und lautstark.
    Ich frage mich, ob es Deutsche gab oder gibt, die sich ähnlich intensiv an ihrem Lande und den Leuten rieben/reiben und dies unverblümt und häufig kundtaten/tun. Mir fallen aber nur Österreicher ein.
    Gibt es wirklich keine oder habe ich da nur einen blinden Fleck? Für jede Hilfe der kollektiven Wissensmacht dieses Forums wäre ich dankbar. :smile:

  • Hallo Regina,


    wie wär's mit Tucholsky?
    Nicht so expressis verbis, aber deutlich auf Deutschland gezielt und vor allem klassisch: Kleist, Schiller, Jean Paul, Wilhelm Raabe
    Keine Klassiker, jedoch präzise, wenn auch ohne nur implizit: z.B. Bierbaum, Walser.


    Nur weniges Nachdenken beförderte laufend mehr Titel und Autoren mit Kritik am deutschen Wesen, wenngleich auch nicht immer sofort augenfällig diesem Thema geweihte.
    Weshalb auch der Nestbeschmutzer ein anregender Sammelthread werden könnte, wie Du es ja hoffst.


    Und, kaum wage ich zu zitieren :breitgrins:
    "Apropos, ich lege hier für den Fall meines Todes das Bekenntniß ab, daß ich die deutsche Nation wegen ihrer überschwenglichen Dummheit verachte, und mich schäme ihr anzugehören......"
    A.Sch. Handschriftl.Nachlaß, Cogitata (42)


    LG
    g.

  • Heine! *Hand an die Stirn klatsch* Das mir der nicht eingefallen ist!
    Gantenbeinins Vorschläge sind mir nicht lautstark genug. Ich gebe allerdings eine Tucholskylücke zu.
    Das Schopenhauerzitat trifft schon eher, was ich meine. :breitgrins:


    Danke euch beiden. Bin gespannt, ob noch mehr Vorschläge kommen.

  • Arno Schmidt – »(von ›Den Deutschen‹ sprach Er immer: wie=wenn Er Keiner wäre.)«

  • Ich frage mich, ob es Deutsche gab oder gibt, die sich ähnlich intensiv an ihrem Lande und den Leuten rieben/reiben und dies unverblümt und häufig kundtaten/tun. Mir fallen aber nur Österreicher ein.
    Gibt es wirklich keine oder habe ich da nur einen blinden Fleck? Für jede Hilfe der kollektiven Wissensmacht dieses Forums wäre ich dankbar. :smile:


    Die Autoren des Jungen Deutschland generell
    Karl Kraus


    Haben die Wiener Kraus nun definitiv ausgebürgert? :breitgrins:


    Zum Thema: Böll und Grass (auch wenn ich sie genau deswegen nicht so mag). Oskar Maria Graf (dass ihn die Nazis zuerst für einen der ihren hielten, beweist höchstens deren literarische Ignoranz). Erich Kästner (bevor er Kinderbücher schreiben musste ...). Karl Valentin. Ludwig Thoma.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Böll und Grass wirkten mir zu sehr als Moralapostel. Nicht frech genug.
    Arno Schmidt ja, zumindest was Adenauerdeutschland betrifft. Aber hielt er sich nicht lieber einfach raus?
    Kästner mag ich nicht (kenne aber nur die Kinderbücher), Graf und Thoma müsste ich erst erlesen und war Valentin wirklich schriftstellerisch tätig?

  • Zitat

    Ich frage mich, ob es Deutsche gab oder gibt, die sich ähnlich intensiv an ihrem Lande und den Leuten rieben/reiben und dies unverblümt und häufig kundtaten/tun.


    Hallo,
    hier wäre unbedingt noch:
    Friedrich Nietzsche
    zu nennen.


    Viele Grüße,
    R.

  • Aus den Nachkriegsjahren des 2. Weltkriegs wäre da unbedingt auch Erich Kuby zu nennen – ein 'Nestbeschmutzer' der Wirtschaftswunderjahre. In seinem Roman "Ein Mädchen namens Rosemarie" prangerte er die Doppelmoral des Westdeutschen Bürgertums an. Daneben griff er als Kolumnist spitzfindig und polemisch in gesellschaftliche Debatten ein und störte damit nicht nur die Verfechter der Aufrüstung in der BRD.

  • „Was ist eigentlich ein Nestbeschmutzer?“, frage ich mich grad? Einer, der der Staatsraison widerspricht, also letztlich national denkt & schreibt (Heine, Schmidt in Maßen, Gutkow!), oder einer, der unser aller Eitelkeit und Hochmut den Spiegel vorhält (Schopenhauer, Lichtenberg)?


    Liebe Grüße, Lena


  • Ich frage mich, ob es Deutsche gab oder gibt, die sich ähnlich intensiv an ihrem Lande und den Leuten rieben/reiben und dies unverblümt und häufig kundtaten/tun.


    Es kommt wohl immer darauf an, was man unter "reiben" versteht: Bis zu einem gewissen Grad hat sich auch Thomas Mann. "Nicht frech genug" wird wohl auch auf ihn zutreffen, wie auch auf Böll... - Sowieso ist mir bewusst, dass dieser mein Vorschlag relativ gewagt ist...



    Grüsse
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann