Kennt von euch jemand Karl Philipp Moritz, einen nach Buchjournal fast vergessenen, aber von Johann Wolfgang von Goethe, Arno Schmidt und Jean Paul empfohlen Schriftsteller? Der Name sagte mir nichts, aber von "Anton Reiser" habe ich schon mehrfach gehört. Ich werde mich mal schlau machen, vielleicht könnt ihr Klassiker ja mehr darüber berichten und raten. FA
Karl Philipp Moritz
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Hallo zusammen!
Natürlich kenne ich Moritz. Der von Dir genannte Anton Reiser gehört m.M.n. in die Elementarbibliothek jeden deutschsprachigen Lesers. Der Ahnherr der introspektiven Literatur, Urgrossvater von Sigmund Freud und Friedrich Nietzsche. Nur, dass Moritz, was er über sich selber zu berichten hatte, nicht auf die Menschheit verallgemeinert hat ...
Grüsse
Sandhofer
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Hallo zusammen,
Habe erst vor kurzem den autobiographischen "Anton Reiser" gelesen, und gern gelesen. Moritz war auch mit Goethe bekannt (Italien) und sein "Anton Reiser" beeinflusste Goethe sogar dahingehend, als dass dieser nach der Lektüre seinen Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre" nochmals überarbeitete.
Imrahil
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Hatte Karl Philipp Moritz vor kurzem nicht ein Jubiläum zu feiern? Zumindest kann ich mich an einige verschiedene Zeitungsartikel erinnern, die ich im Sommer über ihn las. Diese Artikel waren auch der Anlass dafür, "Anton Reiser" auf meine Wunschliste zu setzen. Seitdem hat sich aber bei mir nichts getan . . . so freue ich mich über diesen Ordner. Vielleicht wird er mich ja ein bisschen vorantreiben.
Lieben Gruß!
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Hallo Knabe,
Karl Philipp Moritz feierte am 15. September seinen 250. Geburtstag (also exakt den gleichen Geburtsjahrgang wie Mozart). :zwinker:
Imrahil
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Hallo zusammen!
Danke für die Antworten!
Also doch eine "peinliche" Bildungslücke meinerseits... daran muss sich etwas ändern...
Grüße, FA
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Hallo FA,
ja, "Anton Reiser" habe ich auch gelesen. Ich hatte mir etwas anderes darunter vorgestellt und war positiv überrascht, wie modern seine Sprache und auch die psychologischen Studien sind.
Anton Reiser ist größtenteils autobiografisch und erzählt Kindheit und Jugend eines aus armen Verhältnissen stammenden, introvertierten Jungen, der total theaterverrückt ist. Er leidet sehr unter seiner Armut und man kann seine Abhängigkeit und inneren Gefühle sehr gut nachempfinden. Natürlich werden auch die Gesellschaft und die Lebensverhältnisse sehr gut abgebildet. Eines meiner Lesehighlights in diesem Jahr !
Gruß von Steffi
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Hallo!
Der Ahnherr der introspektiven Literatur, Urgrossvater von Sigmund FreudAlso DAS hat der arme Moritz aber nicht verdient :breitgrins:
Seine psychologischen Einsichten überschneiden sich wenigstens ab und zu mit der Wirklichkeit.
CK
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Hallo FA,
hast Du (und natürlich jeder andere interessierte) Lust etwas von Karl Phlipp Moritz gemeinsam zu lesen ?
Ich kenne bisher auch noch nichts von ihm, den "Andreas Hartknopf" fände ich sehr interessant ( hier ein ZEIT-Artikel zu dem Roman ), würde aber natürlich auch gerne den "Anton Reiser" mitlesen, wenn Dir das lieber wäre.Viele Grüße,
Zola -
Hallo Zola,
danke für den Link auf den Artikel.
Ich könnte mich für eine Leserunde erwärmen, schließlich ist die letzte Runde einige Zeit her.
Der Andreas Hartnopf wäre sogar sehr erschwinglich. Aber vor Dezember ist nichts möglich. Ich setzte mir aber das Buch schon mal auf die Beschaffungsliste...
Grüße, FA
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Hi,falls es nicht schon zu spät ist und es Euch vor dem Stoff nicht graust: "Blunt" von Karl Philipp Moritz wäre noch eine Idee. Genau sechs Personen, 12 Szenen, das sollte jedenfalls quantitativ kein Problem sein. Und Ihr hättet den Ruhm, etwas auf die Bühne gebracht zu haben, wovor ein gestandenes Staatstheater vor ein paar Jahren zurückschreckte.
Gruß,
Gronauer
Moin moin,
bin über die Suche auf das Thema gestossen. Wo finde ich den Blunt von Moritz? Wußte bisher nicht, daß er auch ein Drama verfasst hat. Nach dem ich den Anton Reiser gelesen hab, welches das Buch der Bücher ist, bin ich auf der Suche nach weiteren Werken von ihm.
Wäre nett einen Tip zu erhalten wo ich das Stück her bekomme.
Danke
Gruß
Thomas -
Hi,
es gibt im Deutschen Klassiker-Verlag (Suhrkamp-Verlag) eine broschierte Moritz-Studienausgabe ("Dichtungen und Schriften zur Erfahrungsseelenkunde", in der neben dem Anton Reiser und den Hartknopf-Romanen auch beide Blunt-Versionen enthalten sind. Kostet 18 €.
Gruß,
Gronauer
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Hallo Testament & Gronauer!
Ich habe Eure Beiträge mal an den - eh viel zu kurzen und vernachlässigten - Moritz-Thread angehängt!
Grüsse
sandhofer
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Ich wusste auch nicht, dass Moritz ein Drama schrieb. Das klingt aber spannend, danke für den Hinweis.
Inzwischen habe ich übrigens sowohl den Anton Reiser als auch den Hartknopf gelesen.
An Anton Reiser erinnere ich mich gerne. Ich hatte das Gefühl, mit einem sehr sehr einsamen Menschen zu tun zu haben, und an seinem Leben teilzunehmen. Ich habe mich eigentlich noch nie so mitgefreut mit einem Protagonisten aus einem Roman, wie mit Anton Reiser, wenn ihm plötzlich schöne Aussichten vor Augen stellten. Aber bei Reiser ging doch alles bergab, es war ein im Großen und Ganzen sehr niederdrückendes Buch. Interessant fand ich die Beschreibung von Iffland, der mit Anton Reiser / K. P. Moritz in die gleiche Klasse ging. Und wie er Klopstock las. Und wie er an einem Hang lag und die Menschen beobachtete und seine eigene Existenz sich wegdachte, um keine Scham zu empfinden wenn er entdeckt wurde. Und seine langen unermüdlichen Wanderungen, um ein geringes Ziel zu erreichen, das er fixierte. Und das Kartäuserkloster. Und wie er im Chor sang, der Einsame unter so vielen Altersgenossen, und wie er nur hässliches abgenutztes Gewand trug. Anton Reiser erschien mir sehr demütig, jede Freundlichkeit empfand er als Herablassung, alle seine Mitmenschen empfand er nicht als ebenbürtig sondern als höhergestellt, als irgendwie besser. Und jeden Morgen waren das seine ersten Gedanken:
"Vielleicht ist dies der Morgen
der aller meiner Sorgen
Erwünschtes Ende bringt."Ist das nicht ein eigentlich abgrundtiefes Unglück?
Im Gegenteil dann Andreas Hartknopf: Da hatte ich das Gefühl, K. P. Moritz vergöttere Hartknopf (oder sich selbst). Es wird ja auch sehr oft die Bibel zitiert. Ich fand das Werk sehr pathetisch, und habe den demütigen Anton Reiser viel lieber als den als Held dargestellten Hartknopf.
Sehr sonderbar, dass Moritz beide Romane zur gleichen Zeit schrieb... !
Gruß.
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Meine Tochter erzählte mir kürzlich von einem Gespräch, das sie mit einer Deutschstudentin (auf Lehramt) geführt hat. Es ging darin um "unsympathische oder irgendwie verdächtige" Erzähler bzw. Hauptpersonen im Roman. Die Studentin führte als Beispiel aus ihrem eigenen Studium Anton Reiser an.
Ich kannte das Buch bisher noch gar nicht - krasse Bildungslücke vermutlich. Habe es jetzt angefangen zu lesen und bin erstaunt, wie "modern" es mir erscheint. Bisher - ich weiß nicht, ob es so bleibt; bei meinem jetzigen Lesestand ist Anton Hutmacherlehrling - liegt der Fokus sehr stark auf einem gewissen histrionischen Zug ins Antons Persönlichkeit, so dass ich mich bereits frage, ob Anton tatsächlich aufgrund seiner frühkindlichen Erlebnisse tatsächlich ein histrionischer Typ ist oder ob es sich nur um eine allgemein "menschliche" Eigenart handelt, die deshalb so beherrschend erscheint, weil der Erzähler so stark darauf fokussiert. (Falls irgendjemand diesen Satz verstanden hat ... )
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ein histrionischer Typ
Wenn Du damit die Persönlichkeitsstörung meinst: Die wurde m.W. erst in der zweiten Hälften des 20. Jahrhunderts "entdeckt". So etwas auf einen Autor der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts anzuwenden, löst bei mir ein gewisses Unbehagen aus ...
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Ich meinte natürlich keine Persönlichkeitsstörung im engeren Sinn. Ich habe von "einem gewissen histrionischen Zug" gesprochen, um folgende Eigenarten zusammenzufassen: ängstliches Darauf-bedacht-Sein, wie man von anderen wahrgenommen wird; die Gewohnheit, eingeübte Mimiken und Gesten zur Schau zu stellen, um andere zu manipulieren; die Sehnsucht nach einer "Bühne". Ich stehe ja erst am Anfang (habe gerade den ersten Teil beendet), vielleicht lässt dieser Zug noch nach, aber in Anton Reisers Braunschweiger Zeit habe ich jedenfalls den Eindruck, dass dieser Zug sein ganzes Wesen dominiert.
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Ich liebe den Anton Reiser sehr. In dem, was Du als histrionischen Zug beschreibst, habe ich vielmehr die Folge einer pietistisch-frommen Erziehung gesehen. Der Pietismus als Frömmigkeitsrichtung drängt ja zu fortwährender Selbstanalyse, Selbstbeobachtung und Selbstoptimierung. Anton ist zum einen durch seine soziale Stellung eher unterprivilegiert, es fehlt ihm an Bildung, Status und finanziellen Möglichkeiten, daher ist er aber davon abhängig - innerlich und äußerlich - auf andere Menschen einen guten Eindruck zu machen. So begründet sich sein mitunter seltsames, linkisches oder auch überkontrolliertes Verhalten.