Eduard von Keyserling

  • Hallo !


    Danke für den link, Saturnia ! Ich finde, der Artikel gibt sehr schön die Empfindungen bei Keyserling wieder.


    Ich hab ja neben den Wellen bisher nur noch "Beate und Mareile" gelesen, das mir sehr viel besser gefallen hat. Der Erzähler blickt immer ein bißchen von außen auf die Personen, das Innere, so fand ich, muß sich der Leser erspüren.


    Gruß von Steffi

  • Da ich besonders die Balten (die alten deutschsprachigen Livländer) seit einiger Zeit beobachte, ist mir natürlich auch der eigentliche Kurländer E.v.K. wichtig.
    Stilistisch ist er überhaupt der interessanteste von den alten Balten (herber, klarer, prägnanter, historisch sehr beredet und hellsichtig).
    Ich lese z. Zt. wieder die kleine, schmerzhafte Geschichte "Nicky" (gab's auch schon mal als Fi-TaBu mit "Im stillen Winkel").


    Lese-Gruß:


    Stephanie
    - ein bisschen gesteltzt als "Saturnia" (wg. kosmischer Eigenarten des Saturn); würde ich heute nicht mehr so eingeben. -

    Goethe: „...wodurch wir uns abermals überzeugen, daß es eine allgemeine Weltpoesie gebe und sich nach Umständen hervortue; weder Gehalt noch Form braucht überliefert zu werden, überall, wo die Sonne hinscheint, ist ihre Entwicklung gewiß.“

  • Hallo,


    der WELT-Artikel ist wirklich sehr treffend.

    Zitat

    Mir geht's so schlecht - und doch so gut. Jawohl, es gab eine Zeit, da waren selbst Depressionen und Verlassenheitsgefühle noch Ermunterungen zum Genuß. Bei Keyserling nimmt diese Zeit noch einmal, ein allerletztes Mal, Gestalt an.


    "Nicky" ist auch eine ergreifende Erzählung. Sensibilität und Krieg prallen aufeinander. Und die arme Nicky muß eine Entscheidung treffen. Zum obigen Zitat passend:

    Zitat

    Einsam sein ist gut; aber einsam sein zu zweien ist ein Glück


    Das sah Kästner wohl ein wenig anders...


    Gruß
    Holk


    Und im übrigen bin ich der Meinung, dass Keyserling eine Leserunde verdient hat. :zwinker:

  • Zitat von "Holkenäs"


    Und im übrigen bin ich der Meinung, dass Keyserling eine Leserunde verdient hat. :zwinker:


    Hallo Holk


    du hast absolut recht. Eigentlich hatte ich Keyserling vor der nächsten Leserunde (Thackeray: Jahrmarkt der Eitelkeiten) noch eingeplant, aber es klappt bei mir vorher leider nicht. :sauer:


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Keyserling-Freunde,


    ich habe in dieser Woche eine Keyserling -Sammlung begonnen. Nach "Wellen", das mich zu seinem Werk führte, habe ich nun auch
    Fürstinnen, Schwüle Tage und Dumala erworben.


    Ich freue mich schon aufs Lesen!


    HG
    finsbury

  • Salut zusammen,


    Habe auf eure Empfehlung hin nun auch "Wellen" gelesen, und war davon sehr angetan. Die elegante Sprache Keyserlings, die Beschreibung der melancholischen und bedrohlichen Atmosphäre mit dem Meer im Hintergrund (welches ja bedrohende und befreiende Komponenten vereint) haben mir sehr gefallen. Übrigens auch die Hauptfigur Doralice mit ihrer Verträumtheit, wundervoll.
    Wird bestimmt nicht mein letzter Keyserling sein, welchen seiner Romane oder Erzählungen könntet ihr sonst noch empfehlen?


    Mit den besten Grüssen,
    Imrahil

    "Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Hallo Imrahil,


    ich habe neben den Wellen noch Beate und Mareile und Abendliche Häuser gelesen. Abendliche Häuser erinnert ein bißchen an den Stechlin von Fontane, Beate und Mareile hat mir bisher am besten gefallen.


    Gruß von Steffi

  • Hallo,


    letzte Woche habe ich einen schönen Sommerabend auf dem Balkon mit der Novelle "Schwüle Tage" verbracht: eine melancholische Adoleszenzgeschichte, die einen morbiden Charme verbreitet.
    Kritisch empfinde ich, dass von Keyserling die bäuerlichen und dienstbaren Charaktere als völlig andere Menschen beschreibt als seine Adelswelt. Man erhält manchmal den Eindruck, dass er ihnen nicht nur nicht die gleiche Intellektualität, sondern auch nicht die gleiche Leidensfähigkeit und -intensität zutraut: DAs hinterlässt bei mir -trotz aller sprachlichen Schönheit und Tiefe der dargestellten Schicksale - doch einen etwas bitteren Beigeschmack.


    Werde ihn dennoch weiterlesen: Auf dem SUB liegen noch "Fürstinnen" und "Dumala".


    HG
    finsbury

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "finsbury"

    Kritisch empfinde ich, dass von Keyserling die bäuerlichen und dienstbaren Charaktere als völlig andere Menschen beschreibt als seine Adelswelt. Man erhält manchmal den Eindruck, dass er ihnen nicht nur nicht die gleiche Intellektualität, sondern auch nicht die gleiche Leidensfähigkeit und -intensität zutraut [...].


    Gerade letzteres - das Leiden - ist meiner Meinung nach wohl eher der Fluch, der auf Keyserlings Protagonisten ruht. Die "einfachen" Leute geniessen die "einfachen" Dinge mehr oder besser. Und Keyserlings Protagonisten, will mir scheinen, beneiden sie heimlich darum. Der Adel im Allgemeinen scheint mir bei Keyserling allerdings eher irgendwie gefühllos, also weder wirklich genuss- noch wirklich leidensfähig. Es sind nur "Auserwählte", die leiden können (und müssen).


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen !


    sandhofer schrieb:

    Zitat

    Der Adel im Allgemeinen scheint mir bei Keyserling allerdings eher irgendwie gefühllos,


    Das habe ich auch so empfunden. Es ist eben die Melancholie einer untergehenden Klasse, die ihren Untergang nicht aufhalten kann bzw. versucht, mit extremen Gefühlsanregungen sich selbst zu spüren. Insofern sehe ich hier eine Verwandschaft zu den Geschichten z.B. von F. Scott Fitzgerald. Eine dekadente, reiche Gesellschaftsschicht versucht sich emotionale Kicks zu geben, weil sie keine Zukunft mehr hat - schließlich mündet das in den 1. Weltkrieg.


    In den "Wellen" meine ich einen gewissen Neid auf die Fischer zu verspüren, die eben nicht die intellektuelle Möglichkeit haben, endlos über Gefühle nachzudenken, sondern um des Überlebens willen pragmatisch reagieren müssen. Keyserling sieht ja eben diese rein auf theoretische und intellektuelle Bereiche beschränkte Gesellschaft als bedauernswert an.


    Mich stört dann eher, dass er keine Lösungsansätze aufzeigt, sondern ebenso intellektuell mit seinen Protagonisten versinkt.


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi und Sandhofer,


    eurer Einschätzung stimme ich durchaus zu. Dennoch finde ich, dass v.Keyserling, wenn er über die "einfachen" Menschen schreibt, den Eindruck vermittelt, als würde man im Zoo eine Herde gemütlich dasitzender Primaten zuschauen, die nicht mit unseren zivilsatorischen Problemen zu kämpfen haben oder diese locker bewältigen.


    Zitat aus "Wellen":


    Diese rauhe Stimme, die grob und vertraulich von dem Furchtbaren da draußen sprach, tat Doralice wohl.


    Zitat aus "Schwüle Tage":


    Margusch seufzte: "Ja, ja, den Herrschften geht es auch nicht immer gut. Alle haben was. Der Herr gibt nun auch sein Fräulein fort. Was kann man machen." 'Sein Fräulein', das klang in dem Munde dieses Mädchens wie eine klare, melancholische Geschichte, eine Geschichte wie die zwischen Jacob und Margusch.


    Das klingt doch so, als seien "Einfache Leute" nur zu einfachen Gefühlen fähig. Schon ein elitärer Standpunkt!


    HG
    finsbury

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "finsbury"

    Das klingt doch so, als seien "Einfache Leute" nur zu einfachen Gefühlen fähig. Schon ein elitärer Standpunkt!


    Elitär nur dann, wenn man davon ausgeht, dass "einfache" Gefühle weniger wert sind als "komplizierte". Meines Erachtens denkt Keyserling genau umgekehrt, bzw. spricht dem Adel Gefühle eher ab. Es erinnert mich an die Kältestarre eines Insekts im Spätherbst. Das Insekt stirbt, während die warmblütigen Lebewesen, die "einfachen Leute", überleben. Wobei "einfache Leute" hier wohl der falsche Ausdruck ist - "naturnah, nicht degeneriert" trifft es imho besser.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "sandhofer"

    Meines Erachtens denkt Keyserling genau umgekehrt, bzw. spricht dem Adel Gefühle eher ab. Es erinnert mich an die Kältestarre eines Insekts im Spätherbst. Das Insekt stirbt, während die warmblütigen Lebewesen, die "einfachen Leute", überleben. Wobei "einfache Leute" hier wohl der falsche Ausdruck ist - "naturnah, nicht degeneriert" trifft es imho besser.


    Grüsse


    Sandhofer


    Hallo,
    dennoch beschreibt er dieses "Absterben" mit Wehmut und Sympathie.
    Es ist aber auch eine leidige Diskussion.
    Eine gewisse Arroganz der "Gebildeten, Arrivierten" gegenüber den "ungebildeten, einfachen" Leuten ist wohl leider Bestandteil weiter Teile des europäischen und anderer Literaturen.


    HG
    finsbury

  • Hallo finsbury !


    Trotz deiner Zitate sehe ich bei Keyserling keinen elitären Standpunkt gegenüber den einfachen Menschen. Ich werde aber beim nächsten Keyserling darauf achten.


    Liebe Grüße von Steffi

  • Hallo,


    in der heutigen FAZ gibt Florian Illies "eine Leseanleitung in Sachen Eduard von Keyserling" und bezeichnet ihn als "Autor der Stunde". Begründet wird dies nicht nur mit dem "schwülen Wetter", sondern auch mit der Untergangsstimmung einer veralteten Gesellschaft.


    "Literaturgeschichtliche Interpretation wird zum tagesaktuellen politischen Kommentar." Ein weiterer Grund für eine baldige Keyserling-Leserunde.


    Gruß
    Holk

  • In Prestels großartigem Lovis-Corinth-Buch fand ich ein sehr schönes Porträt des Eduard Graf von Keyserling von 1900. Zur Erklärung des Bildes steht geschrieben:

    Zitat

    Der baltische Schriftsteller Eduard Graf von Keyserling (Kurland 1855 – 1918 München) gehörte bereits in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre zu dem Literatenkreis, in dem Corinth in München verkehrte. Er hatte ihn durch Max Halbe kennengelernt, auf dessen Sommersitz in Tutzing das Porträt entstand. Das Bild gehört in der Art der Erfassung des Menschen und der Persönlichkeit des Dargestellten zu den besten und psychologisch interessantesten Porträts des Malers.
    Schonungslos realistisch ist die hagere Gestalt in ihrer äußeren Erscheinung wiedergegeben. Auf dem überaus schmalen, unproportionierten Körper mit fallenden Schultern sitzt auf dem langen Hals der Kopf mit den vergeistigten Gesichtszügen. Die seherisch aufgerissenen Augen liegen in großen Höhlen. Die schmalen eingefallenen Wangen mit dem zurückspringenden Kinn betonen die knochige Kieferpartie. Das ernste, in sich gekehrte Gesicht und die Hände im Schoß des sitzend Dargestellten charakterisieren die Persönlichkeit des feinnervigen Erzählers, der in seinem Werk stimmungsvoll-verhalten, impressionistisch andeutend Leben, Menschen und Landschaft seiner baltischen Heimat geschildert hat. Es ist zugleich das Erscheinungsbild des stetig Kränkelnden, der unter seiner fortschreitenden Rückenmarkserkrankung litt und acht Jahre nach der Entstehung des Bildes erblindete.
    Corinth schätzte dieses Bild unter seinen Werken sehr: “Der >Keyserling< von mir ist nun endlich zu Ehren gekommen.” (Brief an Dr. Karl Schwarz vom 22. Juni 1919 nach der Erwerbung des Gemäldes für die Münchner Pinakothek, in: Lovis Corinth. Eine Dokumentation, 1979, S. 152) “Ich dachte, du würdest zu mindesten den >Keyserling< als das Beste finden.” (Brief an seine Frau vom 18. Juni 1921 von Berlin nach Urfeld, nachdem diese das Bild in der Münchner Sammlung wiedergesehen hatte, in: Ebd., S.278) Vgl. Eine gegenseitige Radierung von 1919 (Schwarz 362).

    Das Porträt ist wirklich bewegend. Während ich die letzten Wochen öfter in diesem Lovis-Corinth-Buch las, stellte ich wieder einmal fest, wie sehr doch die bildenden und literarischen Künste dieser Zeit (Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts) miteinander verwoben waren und sich gegenseitig befruchteten und beschäftigten. Natürlich war ich neugierig und kaufte mir sogleich Keyserlings Roman “Wellen” und begann begierig zu lesen. Wirklich ein sehr malerisches Buch, im wahrsten Sinne des Wortes und herrlich ironisch. Mein erster Leseeindruck sagt mir, dass Keyserlings Beiname “baltischer Fontane” gut gefunden wurde/ist. Doch genug für heute… Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo Friedrich-Arthur,


    danke für die Erklärung zu dem Bildnis Eduard von Keyserling, sehr interessant.


    Zitat


    Während ich die letzten Wochen öfter in diesem Lovis-Corinth-Buch las, stellte ich wieder einmal fest, wie sehr doch die bildenden und literarischen Künste dieser Zeit (Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts) miteinander verwoben waren und sich gegenseitig befruchteten und beschäftigten.


    du hast vielleicht bereits gesehen, dass ich dein Zitat hier ausgekoppelt habe und einen neuen Thread "Bloomsbury Group" im Forum 'Bildende Künste' eröffnete.


    Zitat


    Natürlich war ich neugierig und kaufte mir sogleich Keyserlings Roman “Wellen” und begann begierig zu lesen. Wirklich ein sehr malerisches Buch, im wahrsten Sinne des Wortes und herrlich ironisch. Mein erster Leseeindruck sagt mir, dass Keyserlings Beiname “baltischer Fontane” gut gefunden wurde/ist. Doch genug für heute… Grüße, FA


    ein sehr schöner stimmungsvoller Roman, ich habe mich in diesem Thread ja bereits dazu geäußert.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    mir war mal wieder nach einem Roman von Eduard von Keyserling und habe mich für "Dumala" entschieden. Ich hatte ganz vergessen wie psychologisch gut Keyserling seine Romane aufbaut und wie dramatisch und sinnlich er schrieb. Es wahrer Genuß. In Dumala gehts um eine adlige Baronin, die ihren gelähmten Mann pflegt und von drei Männern geliebt wird; dem Pfarrer, dem jungen Sekretär ihres Mannes und dem Nachbarn Baron von Rast. Eine sehr explosive Atmosphäre baut sich auf.


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    "Abendliche Häuser" liegt auch noch parat und wird wohl demnächst gelesen werden.


    Was mich in "Dumala" an Fontane erinnert hat, war u.a. das Lied zu anfangs das das Pastorenpaar spielt und singt, nämlich ein Lied von Heinrich Heine "Das Meer erglänzte weit hinaus" ...


    Ich hab von deiner weißen Hand
    Die Tränen fortgetrunken.


    diese Zeilen werden bezeichnenderweise nicht erwähnt, doch fielen sie mir auf, als ich das Gedicht nachlas, denn der Pastor entzückt von den weißen Händen der Baronin, rät seiner Frau ihre rotgearbeiteten Hände mit einer Lösung wieder weiß zu bekommen.


    Solche versteckten Hinweise gibt auch gerne Fontane.



    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Im Dezember erscheint eine gebunde (!) Ausgabe um 8,-€ mit Bunte Herzen, Dumala und Fürstinnen.
    Vielleicht wird's dann auch mal was mit mir und Keyserling! :smile: Was ich bis jetzt über ihn aufgeschnappt habe, hat mich zumindest sehr neugierig gemacht.


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