Beiträge von JHNewman

    Der o.g. Aufsatz aus dem Jahr 1930 ist noch harmlos. Ab 1933 schwelgt Benn in Züchtungsphantasien - Nietzsches "Übermensch" hatte ihm ziemlich mächtig zugesetzt ...


    Und wenn der Mensch züchterisch nicht auf Trab gebracht werden kann, dann helfen Drogen. Im Vorwort seines 1948 erschienenen Essaybands "Ausdruckswelt" faselt Benn von einem anthropologischen Gesetz, das uns bestimmte, eine antinaturalistische Natur zur Geltung zu bringen, eine Wirklichkeit aus Hirnrinde zu erschaffen, ein provoziertes Leben aus Traum und Reiz und Stoff … zu erleben. An anderer Stelle dann: Potente Gehirne stärken sich nicht durch Milch, sondern durch Alkaloide. Es gibt keine Zweifel: Der Mann war reif für das Methadon-Programm.


    Auch ein Berührungspunkt zu Ernst Jünger, nicht wahr?

    Benn bleibt diesbezüglich erste Wahl. Aber auch T. Mann hat bekanntlich einige Goethe-Essays produziert, wobei ich mich nicht erinnern kann, ob er Deine Thematik aufgreift.


    Danke, Sir Thomas!


    Mit Benn habe ich jetzt begonnen und seinen Essay zum Aufbau der Persönlichkeit gelesen. Da reibt man sich schon etwas verwundert die Augen, welche Sicht der Mediziner Benn seinerzeit vertreten hat. Der Humus, auf dem auch die Nazis dann mit ihrer Rasseideologie blühen und gedeihen konnten, ist sehr klar erkennbar.


    Jetzt kommt der Goethe-Essay an die Reihe.


    LG
    JHN


    An Älterem:


    Karl Viëtor - Goethe: Dichtung, Wissenschaft, Weltbild. Bern: Francke, 1949.
    Ferdindand Weinhandl - Die Metaphysik Goethes. Berlin: Junker & Dünnhaupt, 1932.


    Weinhandl hat später mit dem Nationalsozialismus sympathisiert, sich noch später wieder distanziert. Die Schrift von 1932 ist aber, iirc, noch nicht direkt infiziert.


    Danke, sandhofer!


    Ich werde mal sehen, ob ich die Bücher hier in der Bib bekomme oder über Fernleihe bestellen kann.


    Mit Steiner geht es mir übrigens ähnlich wie Dir mit Weinhandl. Von seiner Anthroposophie halte ich nicht viel, aber seine Schriften zu Goethes Naturwissenschaft sind ja doch aus einer wesentlich früheren Phase und hoffentlich verlässlicher bzw. weniger kontaminiert... :zwinker:

    Angeregt durch Per Leos Buch 'Flut und Boden' befinde ich mich gerade auf einer kleinen Lesespur.


    Per Leo vertritt in diesem Buch eine These, die er noch weitaus gründlicher in seiner Dissertation (Der Wille zum Wesen, Matthes und Seitz Verlag) ausführt: Es gab in der Weltanschauungskultur in Deutschland vor 1930 ein weitverbreitetes Denken, das es den sog. 'gebildeten' Kreisen recht einfach machte, sich mit der Rasseideologie der Nazis zu arrangieren. Dieses Denken verortet er in der Charakterologie, vertreten u.a. durch Ludwig Klages. Die Linie reicht aber weiter zurück ins 19. Jahrhundert. Vor allen anderen nennt Per Leo hier Goethe und dessen naturwissenschaftliche Schriften. Goethes Morphologie und seine Erkenntnistheorie hätten - so Leo - nach ihrer 'Wiederentdeckung' durch Rudolf Steiner am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts eine unglaubliche Breitenwirkung gehabt und die Weltanschauung mehr als einer Generation stark beeinflusst. Uns, die wir heute gänzlich anders geprägt sind (weitaus stärker von den empirischen Naturwissenschaften her denkend) ist dieses Denken nicht nur fremd, sondern auch mehr oder weniger unbekannt.


    Per Leos Bücher haben mich hier auf eine Spur gesetzt. Die Diss habe ich nur in Teilen gelesen - sie ist sehr datailliert, aber ebenso glänzend geschrieben wie der Roman. Nun würde ich gerne weiterlesen. Ich dachte eigentlich, mit Steiner sei ich durch, habe mir aber jetzt seine Schrift zu Goethes Erkenntnistheorgie besorgt. Auch Gottfried Benn.


    Hat jemand noch einen Tipp zu Goethes Naturverständnis / Erkenntnistheorie / Weltanschauung?

    Die nur ca. 70 Seiten von Christa Wolf haben nicht lange vorgehalten... :-)


    Jetzt bin ich mit Siegfried Kracauer zugange. Der war mir nur als Theoretiker bekannt, im letzten Jahr lernte ich ihn dann mit seinem Roman 'Ginster' auch als Prosaautor kennen und schätzen. Kracauer hat einen ganz eigenen, lebendigen und frischen Stil, der etwa an den Kästner des 'Fabian' erinnert. Der Roman bietet eine sehr unterhaltsame Schilderung der geistigen Welt der Weimarer Republik mit ihren Salons und Redaktionsstuben.


    Aktuell lese ich seinen Roman 'Georg':


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    Nachdem ich von Szczepan Twardochs Roman 'Morphin' nicht so ganz begeistert war, habe ich zu einem anderen Polen gegriffen:


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    Andrzej Bart kannte ich bisher noch nicht. 'Knochenpalast' ist eine ziemlich schräge Novelle (ich würde es eher einen kleinen Roman nennen), der mir gut gefallen hat. Erzählt wird die Geschichte von Sabina, die im Polen der 50er Jahre als Lektorin in einem Lyrikverlag arbeitet und auf dem besten Weg ist, zu einer alten Jungfer zu werden. Da tritt ein attraktiver Mann in ihr Leben, der sich allerdings nicht als das herausstellt, was Sabina sich von ihm erhofft… Etwas bizarr, aber durchaus gekonnt und mit Tempo und Witz geschrieben.


    Jetzt lese ich drei kleine Erzählungen von Christa Wolf:


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    Nun, für einen der schönsten Romane halte ich ihn nicht, da würde ich eher Stifters Nachsommer einordnen. Aber Witiko ist ein äußerst faszinierender Roman mit einem ungewöhnlichen Sujet und dem dazu passenden Stil. Auch meine Empfehlung.


    Gruß, Thomas


    Hallo zusammen,


    ich habe diese Diskussion hier entdeckt und freue mich, dass man irgendwo über Stifter redet. :-)


    Anlässlich einer Literatursendung im HR, in der auch über Stifter geredet wurde, ist mir letztes Jahr noch einmal bewusst geworden, warum ich den Witiko überhaupt kenne (einige kleinere Werke von Stifter habe ich auch gelesen und mag sie gerne). Das hat wohl vor allem damit zu tun, dass in unserer Familie Bonhoeffer gelesen wurde und in Bonhoeffers Haftaufzeichnungen viel vom Witiko die Rede ist. Ich habe das nach der Sendung mal ein bisschen recherchiert und zusammengestellt und dann an den Moderator geschickt, einfach nur so als Fußnote. Ich fand es ungeheuer spannend, wie hier der vermeintliche 'Idylliker' und der 'Tyrannemörder' in einen inneren Dialog treten. Vielleicht interessiert es Euch:



    LG
    JHNewman

    Ja, stimmt. Die Freimaurerei paßt eigentlich doch wenig als Gegenstück zu Hagebuck und Küster. Die beiden stehen auch für Gleichheit zwischen den Bevölkerungsschichten, indem sie z.B. Schülern ohne Ansicht ihres Standes Orden verleihen, die Ordensverleihung selbst steht wiederum für einen Ritus, der auch gut freimaurerisch sein könnte.


    Viele Grüße,
    Zola



    Hagebuck und Küster scheinen mir für eine platte Form der Aufklärung zu stehen, die Moritz selbst überwinden will. Für die Überwindung des naiven Verstandesglaubens durch die wahre "Erkenntnis" steht im Hartnknopf das Freimaurertum als sozusagen höchste Form der Aufklärung und Religion. Ein bißchen nimmt das schon Schleiermacher vorweg, der das Wesen der Religion auch in "Anschauung und Gefühl" erblickte.


    Ich habe mich gefragt ob der Ich-Erzähler Anton Reiser ist. Ich habe diesen Roman leider noch nicht gelesen, aber der Anmerkungsapparat verweist doch bei vielen Orten, wo sich Hartknopf mit dem Ich-Erzähler befindet, auf entsprechende Ortsbeschreibungen im Anton Reiser (ich habe sie auch teilweise dort nachgelesen). Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, dass der Ich-Erzähler Moritz selbst sein soll.


    Anton Reiser kann es nicht sein, da Reiser als Schauspieler sein Brot verdient, nicht als Pastor. Auch ist Reisern ein eher von Selbstzweifeln und dem Wunsch nach Emanzipation geplagter Charakter, kein Typus wie Hartknopf, der aufgeklärt seine Häresien predigt ... :smile:

    Hallo zusammen!


    Zunächst einmal bitte ich herzlichst um Entschuldigung, mich hier nicht gemeldet zu haben. Ich habe das Buch schon vor einigen Wochen ausgelesen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich wirklich viel dazu zu sagen habe.


    Mein erster Eindruck war eine gewisse Enttäuschung. Ich habe vor einer ganzen Reihe von Jahren den Anton Reiser gelesen und teilweise auch im NDR als "Am Abend vorgelesen" gehört. Ich liebte dieses Buch damals sehr, und in gewisser Weise habe ich jetzt etwas ähnliches erwartet. Diese Erwartung wurde nur sehr unzureichend befriedigt. Zwar erkannte ich an einigen Stellen den K P Moritz wieder, aber der Stil dieses Roman(fragments) ist doch sehr anders. Die eigenwillige Erzählweise und die Verschlüsselungstechniken machen ein Eintauchen in die Handlung oder gar eine Identifizierung mit den Figuren schwer möglich.


    Der Beginn des Buches hat mich an eine bekannte andere "allegorische" Dichtung erinnert: Die Pilgerreise von John Bunyan, zum Teil auch an einen Text von John Henry Newman - The Dream of Gerontius. Natürlich lockt der Untertitel des Buches auf solche Fährten. Als Leser war ich ständig versucht, nach dem doppelten Boden zu suchen, der Bedeutung hinter der Handlung, den Namen usw. Damit spielt Moritz ganz gekonnt. An einigen Stellen fand ich es witzig, mitunter sogar fast blasphemisch. Wie zum Beispiel die Transfiguration Christi als Modell hergenommen wird für das Treffen mit Elias auf dem Galgenberg, das hat schon was. Auch das Spiel mit der Trinität und deren Erweiterung durch Hartknopf um das Wort ist ganz putzig, jedoch nicht wirklich theologisch überzeugend (Christus als göttlicher "Logos" in Joh 1 ist bereits das "Wort", insofern ist die Erweiterung der Trinität um das Wort eine Verdoppelung des "Wortes", ein Gedankengang, den ich - wie vieles andere - in diesem Buch nicht wirklich verstanden habe.)


    Anderen Gedankengängen wie der "erweiterten Ichheit" (51) oder den Gedanken um Haben und Sein (101) bin ich ganz gerne gefolgt. Die Freimaurerthematik ist ziemlich an mir vorbeigerauscht.


    Als Fazit bleibt, daß das Buch zwar "interessant" war, aber insgesamt nicht den Ton getroffen hat, der mich wirklich fasziniert oder beschäftigt hätte. Die Allegorien waren entweder so überladen oder verzwickt, daß ich nicht wirklich tiefer eindringen wollte. Auch fehlte in der gesamten Handlung der realistische Bezugspunkt, der mir die Allegorien als doppelten Boden hätte interessant erscheinen lassen. Das Ganze war für mich zu sehr Spielerei.

    O, VDS ist ein wunderbares Buch mit unsterblichen Charakteren. Tante Schorlemmer und Pastor Seidentopf sind wirklich herrlich. Ich wünsche viel Freude bei der Lektüre (jetzt ist ja die Jahreszeit dafür, vor allem hilft ein bißchen Schnee...).


    LG
    JHN

    Hallo FA,


    ich habe heute auch mit Andreas Hartknopf angefangen. Viel geht mir durch den Kopf zu den einzelnen Kapiteln (habe gerade das Transfigurationskapitel beendet). Ein schönes Buch, viel Stoff zum Nachdenken, sehr rätselhaft, aber ich bin gespannt, wo es mich noch hinführt. Als altem Theolog und Bibelkenner macht es mir natürlich Freude, soviel Material hier verwurstet zu finden. :zwinker:


    Gruß
    JHN

    Ungeachtet dessen habe ich habe selbstverständlich aber auch bereits Favoriten, als da beispielsweise wären: Kishon, Tucholsky, Hölderlin, Böll, Sartre, sowie Doris Lessing
    Im Bereich Lyrik bevorzuge ich Rilke, Heine, Morgenstern, Hölderlin, Goethe und Ringelnatz
    Mein Abneingungen belaufen sich auf Stefan George, Die Lyrik Schillers und Brechts ("Der, den ich liebe hat mir gesagt..." ist die große Ausnahme!) und die moderne Trivialliterratur. Ich hoffe, hier trotz, wie angesprochen, meines Alters und meines vergleichswesie noch geringen Spektrums, für voll genommen und nicht kategorsich zurückgewiesen zu werden. :winken:


    Hallo Yom Kippur,


    herzlich willkommen bei denen hier oben. :zwinker:


    Kategorisch zurückweisen werde ich Dich gewiß nicht. Solange Du in der Auflistung Deiner Favoriten nicht H. Hesse erwähnst, werden wir gut miteinander auskommen. :smile:


    Ich habe eine Frage, bezüglich dieses Themas. Mich interessiert, ob es Autoren erlaubt ist, Namen von jedem (noch lebenden) Musiker in seinem Buch zu erwähnen und auch kurze Auszüge von Songtexten einzubringen.

    Über Antwort würde ich mich freuen,


    HG, Monolith


    Generell darf der Name von Musikern oder anderen Menschen erwähnt werden. Ein Persönlichkeitsschutz würde nur gelten, wenn über diese Menschen Dinge verbreitet würden, die gegen die Persönlichkeitsrechte verstoßen. Eine bloße Erwähnung des Namens reicht dazu aber nicht aus. Zur Zitation gilt der Paragraph des Urheberrechtes, der eine Zitation "im geringen Umfang" grundsätzlich gestattet. Zudem sind Zitationen im Rahmen von wissenschaftlichen Arbeiten grundsätzlich gestattet und frei. Wenn es über den "geringen Umfang" jedoch hinausgeht, muß eine Abdruckgenehmigung eingeholt werden. Worin denn der "geringe" Umfang besteht, ist ein bißchen Ermessensfrage. Ein paar Zeilen aus einem Songtext zu zitieren (unter entsprechender Quellenangabe bzw. Urheberangabe) ist generell ok. Ein ganzes Lied abzudrucken ist hingegen nicht gestattet.


    Hier müßte man konkrete Fälle sehen, um das zu beurteilen.


    Gruß
    JHN


    als Kind fand ich die Bibel spannend. Also die Kinderbibel, die mir & meinen Geschwistern meine Mutter vorgelesen hat. Als ich dann selbst lesen konnte, kam mit Gustav Schwab unter. Und gegen die Griechen & Römer hatte die Bibel dann aber sowas von schlechte Karten und machte keinen einzigen Stich mehr.


    Das liegt nur daran, daß in den Kinderbibeln die spannenden Stellen alle fehlen. Zum Beispiel die, in der David als Brautpreis 300 Vorhäute von getöteten Philistern abliefern muß, bevor er seine Frau Michal heiraten darf. Und dann Ehebruch mit Bathseba begeht und ihren Mann in einem Himmelfahrtskommando aus dem Weg räumen läßt. Und dann schließlich von einem Propheten mittels eines Gleichnisses überführt wird. Wo findet man sowas schon bei den öden Griechen... :zwinker:


    Echt?? Warum? Also, DAS interessiert mich wirklich.


    Ein persönlicher Eindruck.


    Für mich ist dieses Buch ein ganz besonders gelungenes Beispiel eines Gesellschaftspanormas des preußischen Landadels am Beginn des 19. Jahrhunderts. Fontane gestattet sich in diesem Buch eine epische Breite, die die anderen Bücher nicht haben (im Ansatz vielleicht der Stechlin). Die Anschauungen und Verhältnisse der Protagonisten werden mit ruhiger Hand erzählt. Nichts an diesem Buch ist aufdringlich oder inhaltlich überbetont. Spätere Romane, die ebenfalls als Gesellschaftsromane gelten können, haben diese Ausgewogenheit häufig schon verloren und zugunsten irgendeines Elementes, einer Überzeichnung oder einer Botschaft aufgegeben.


    Hinzu kommt natürlich der wunderbar dosierte Fontane'sche Humor. Man merkt sofort, bei wem Thomas Mann in die Schule gegangen ist, ohne das leicht ironische Maßhalten von Fontane zu übernehmen. Thomas Mann ist drastischer in seinen Mitteln, aber die Wurzeln findet man bei Fontane.


    Trotz des Humors und der epischen Breite hat das Buch eine Authentizität, die so stark ist, daß man es als historische Quelle nutzen könnte. Während man die meisten literarischen Werke als Kunstprodukte als Ausdruck von Zeitstimmungen und gesellschaftlichen Zuständen heranziehen kann, kann man bei diesem Buch Fontanes den Inhalt, die Figuren selbst, ihre Empfindungen und Ideen als historisch authentisch bezeichnen. Das findet man sonst kaum in der deutschen Literatur, und das finde ich so bemerkenswert.