Gott zum Gruße zusammen!
Ich bin am Wochenende kaum zum Lesen gekommen, daher jetzt erst mit dem 'Mann von fünfzig Jahren' durch.
Mich hat diese kleine Erzählung doch sehr erheitert und berührt aufgrund ihrer so nachvollziehbaren Menschlichkeit (beinah hätte ich geschrieben 'Männlichkeit'). Wie hier die Auseinandersetzung eines Mannes mit seinem beginnenden Alter und der Aussicht auf die Verbindung mit einer jungen Frau heiter und trotzdem treffend beschrieben wird, hat mir sehr gut gefallen. Der nur angedeutete Schluss irritierte mich weniger. Die Handlung der Erzählung war ja in einer gewissen Sackgasse gelandet, wo es vor allem der Zerschlagung oder Auflösung des Knotens bedurfte. Und diese wird angedeutet, zugleich durch die Einführung Markariens die Verbindung zur Haupthandlung hergestellt.
Dramaturgisch und im Hinblick auf das Romanganze empfinde ich diese Erzählung als nicht schlecht plaziert. Nach der Schilderung der etwas kühlen Idealwelt der Pädagogischen Provinz schlägt hier das pralle Leben mit seinen Verirrungen und Verwirrungen der Gefühle und Sehnsüchte zu. So werden die Handelnden Personen auch einmal als 'Verwirrte und Verirrte' angesprochen. Hier stellt Goethe eine Balance her, die die päd. Provinz als solche vermissen lässt.
Zur Rolle des Gesangs in der päd. Provinz - sowas höre ich als Sänger ja gerne. Es ist sofort nachvollziehbar und auch mittlerweile gut belegt. Jüngst hörte ich einen Radiobeitrag über das noch weiterreichende Konzept einer kunstgestützten Lernmethodik. Kinder lernen das Einmaleins oder chemische Formeln besser und nachhaltiger, wenn sie sie singen oder tanzen. Voilà: http://www.ltta.de
Noch eine Anmerkung zur Pädagogischen Provinz: Die Fruchtbarmachung aller religiösen Traditionen (Heidentum, Judentum, Philosophie und Christentum) hat etwas durchaus Faszinierendes. Bemerkenswert ist freilich, dass Goethe bei der Einbindung des Christentums in dieses Konstrukt vor allem die belehrend-gleichnishaften Aspekte der christlichen Tradition benennt - die Passion, Tod und Auferstehung Christi aber ausspart. An diesem Punkt scheitern seine ästhetischen und dogmatischen Ansprüche. Damit verfehlt er natürlich aus der Sicht der weiteren christlichen Tradition den Kern - aber umso überraschender ist dann, dass er auf einem anderen Wege zu einer Lebenshaltung und Weltanschauung gerät (einer Ehrfurcht gegenüber dem, was ist und einer Haltung der puren Präsenz), die der des Christentums sehr nahe ist.
finsbury: Ich verstehe ein gewisses Stutzen angesichts der von Dir zitierten Passage zum Judentum. Gleichwohl handelt es sich hier nicht um einen Ausdruck eines 'alltäglichen Antiseimitismus', wie man vermuten könnte. Diese Feststellung ist durchaus eine treffende Zusammenfassung dessen, was in weiten Teilen die Bücher des Alten Testamentes durchzieht - also die ewige Spannung zwischen göttlichem Ideal und menschlicher Untreue, menschlichen Unwillens und menschlichen Versagens - dargestellt am göttlichen Bundesvolk Israel. Freilich nimmt die Aussage hier die Kritik für die Wirklichkeit, was immer problematisch ist.