Februar 2007 - Karl Philipp Moritz: Andreas Hartknopf

  • Hallo zusammen,


    hiermit eröffne ich die Leserunde zu "Andreas Hartknopf".
    Friedrich-Arthur und JHNewman haben ja schon etwas früher angefangen, vielleicht können sie gleich ihre ersten Eindrücke hier posten.


    Ich habe bisher etwas über 10 Seiten gelesen, da der Anmerkungsteil in meiner Ausgabe fast genauso umfangreich wie der Roman selbst zu sein scheint und wiederum häufig auf die Bibel verweist komme ich langsamer als gedacht vorwärts :zwinker:


    Ich wünsche uns viel Spaß beim Lesen, heute abend oder morgen früh werde ich meine ersten Eindrücke schildern.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo zusammen!


    Dank des Reclam-Formats, ein echtes Taschenbuchformat, habe ich das Buch immer in meiner Jackentasche bei mir. Das heißt aber nicht, dass ich deshalb zum schnellen Leser werde...


    Die Lektüre zeigt mir mal wieder, dass ich mich vor der echten Bibellektüre drücke, sicher, ich lese ab und an in der Bibel, aber zu wenig, noch viel zu wenig. Dabei habe ich hier so ein schönes Exemplar herumstehen, griffbereit sogar. Ich werde also damit leben müssen, die Leserunde mit schwacher Bibelkenntnis anzugehen. Mein Eindruck: Moritz bediente sich gern an Bibelzitaten in seinem Hartknopf, diese sogar wiederholend. Das Motto der Vorrede "Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig." ist doch auch ein Bibelzitat, oder? Ist dem so, dann legte Moritz den Begriff Geist sicher viel geräumiger aus, sozusagen als sowohl gläubigen, als auch weltlich-wissenschaftlichen Geist, oder? Ist das Zitat darüber hinaus auch eine Anspielung auf die Skribentenzunft? Die Vorrede kommt mir auch wie eine Einstimmung auf das Wechselspiel dessen vor, was alles als Geist bezeichnet und von Moritz wurde, ein Wechselspiel zwischen gläubigen Geist/Bibelauslegung auf der einen Seite und weltlich-aufklärerischen Geist/Wisschenaftlichkeit auf der anderen Seite, doch nie voneinander getrennt, wie es heute üblich ist, sondern ineinander übergreifend und sich gegenseitig beeinflussend. Wie seht ihr das?


    Mir gefällt aber Moritz' Erzählton, dieses gemächliche humorvoll gestimmte und philosophisch durchdrungende hervorsprudeln von Gedanken über seinen Zeitgeist und das witzig-ironische Anklagen. Jedenfalls macht die Geschichte trotz ihres geschichtlichen Abstandes einen frischen Eindruck. Wie gefällt euch Moritz' Erzählstil?


    Grüße in die Runde und noch einen schönen Samstag!


    FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

    Einmal editiert, zuletzt von Friedrich-Arthur ()

  • Danke Zola!


    Ich habe gleich mal beim letzten Link geprüft und siehe da, das Motto des Vorberichtes erweist sich unter 3. Kapitel "Die Herrlichkeit des Dienstes im neuen Bund" als den 2.Kor. 3,6 zugehörig, es also schnell als Bibelzitat nachweisen können. Tolle Netzseite! Das hätte ich in der Bibel nach Tagen noch nicht gefunden...


    Grüße und noch einen schönen Samstag, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo zusammen,


    ich antworte jetzt doch später als geplant, weil mich der Roman ziemlich verwirrt hat. Ich habe ihn heute morgen ausgelesen und gleich wieder von vorne angefangen. Der Untertitel "Eine Allegorie" ist sicherlich mehr als zutreffend. Ich denke, dass man nur wenige Stellen leicht entschlüsseln kann (das meiste nimmt mir glücklicherweise der Anmerkungsapparat ab), vor allem fehlen mir Kenntnisse über die Freimaurerei. In der Bibel kenne ich mich auch nur im NT relativ gut aus, Zitate aus dem AT erkenne ich normalerweise nicht außer natürlich die bekannteren aus der Schöpfungsgeschichte.


    Der Schreibstil gefällt mir gut, trotzdem erscheint mir die Geschichte durch ihre Überladenheit etwas wirr. Beim ersten Durchgang wurde der Lesefluß auch ständig unterbrochen, weil ich viele Sachen nachschlug. Jetzt möchte ich den Hartknopf noch einmal ohne Unterbrechungen lesen, vielleicht verstehe ich dann mehr.


    Ich habe mich gefragt ob der Ich-Erzähler Anton Reiser ist. Ich habe diesen Roman leider noch nicht gelesen, aber der Anmerkungsapparat verweist doch bei vielen Orten, wo sich Hartknopf mit dem Ich-Erzähler befindet, auf entsprechende Ortsbeschreibungen im Anton Reiser (ich habe sie auch teilweise dort nachgelesen). Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, dass der Ich-Erzähler Moritz selbst sein soll.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo Zola,


    den Ich-Erzähler konnte ich auch nicht recht zuordnen, er weicht wohl kaum von Moritz selbst ab. Der Ich-Erzähler scheint zu mir im "gesunden Menschenverstand" zu schreiben, selbst in der Tradition christlicher Moral- und Sittenvorstellungen, wenn auch aufklärerisch beeinflusst zu stehen und auch eine Art bürgerlicher Wertvorstellungen erlegen zu sein. Aber das ist eben nur mein Eindruck und vielleicht konnt ihr den revidieren. In seinem Lebenslauf konnte ich nachsehen, dass Moritz sehr vielseitig gebildet war und einem Elternhaus entstammte, das pietistisch geprägt war, aber seine Bibelkenntnis sind größer, als es der Lebenslauf erahnen lässt. Die theologische Prägung seines Helden Hartknopf vermute ich auch in Moritz, aber ähnlich, wie später bei Hermann Hesse, könnte vielleicht auch die pietistische Prägung die große theologische Bildung hervorgebracht haben, oder zumindest den Willen, sich mit dieser intensiv auseinanderzusetzen. Hier bin ich mir noch nicht ganz im Sichern, ob es nicht zuweit gemutmasst ist, das zu behaupten...


    Was mich freut ist die große Begeisterung, die Karl Philipp Moritz für Jean Paul empfand und die ironisch humorvolle Erzählweise Jean Pauls fand im Hartknopf Ähnlichkeiten. Auf jeden Fall lockert dieser Erzählton den an sich ziemlich schweren allegorisch-philosophisch-theologisch-aufklärerischen Stoff auf. Ich muss dir zustimmen Zola, das Buch ist zeitweise ganz schön verwirrend und überladen, aber es lässt sich vieles zum Nachdenken finden und vieles ist einfach sehr schön ausgedrückt. Diese Allegorie hat es aber ganz schön in sich und ist sicher kein "Schnellleser"...


    Noch einen schönen Sonntag!


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

    Einmal editiert, zuletzt von Friedrich-Arthur ()

  • Hallo zusammen,


    ich könnte mir vorstellen, dass Hagebuck und Küster für die Aufklärung stehen, die ja den Wahrheitsanspruch der christlichen Religion gebrochen hatte. Hartknopf steht einerseits für das Christentum (als Christus-Allegorie), aber auch für die Freimaurerei und ihre aus aufgeklärter Sicht abergläubigen Zeremonien.
    Ich denke, Moritz wollte mit der Darstellung von Hagebuck und Küster die Überheblichkeit der Aufklärung, die ja teilweise selbst denselben Wahrheitsanspruch erhob wie zuvor das Christentum, kritisieren.
    Neben ihrer Errungenschaften sind auch die Schwächen der Aufklärung und der aus ihr entstandenen Entwicklung im Laufe der Jahrhunderte ersichtlich geworden und heute gar nicht mehr von der Hand zu weisen, aber im Aufbruch des 18. Jahrhundert wurde diese Sichtweise Moritz' sicherlich als rückständig und erzkonservativ angesehen.
    Was meint Ihr?


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo zusammen!


    [...] aber auch für die Freimaurerei und ihre aus aufgeklärter Sicht abergläubigen Zeremonien.


    War es nicht vielmehr so, dass das Freimaurertum eine Hochburg der Aufklärung war? :?:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!


    Ich konnte am Wochenende nur den ersten Teil lesen, und war sehr erstaunt über den Text. Im Vergleich zu "Anton Reiser" sind die ästhetische Unterschiede doch sehr weitreichend. Manchmal hatte ich den Eindruck als hätte Moritz die meisten intellektuellen populären Versatzstücke seiner Zeit in einen großen Topf geschüttet und ordentlich umgerührt.


    Es ist ja alles da: Klassische Aufklärungsthemen (teilweise karikiert, teilweise sehr ernst genommen), romantische Versatzstücke (Religion, Klöster, Landschaften etc.), Sturm und Drangen Themen (Freundschaft, Natur).


    Ich stelle mir noch die Frage: Ist die "Rätselhaftigkeit" des Textes ästhetische Strategie von Moritz oder hat er manche Dinge einfach nicht besser auf die Reihe bekommen? :smile:
    Wobei ich aufgrund der theoretischen Schriften von ihm als Arbeitshypothese ersteres vermute.


    Ohne Zweifel ein sehr interessanter Text.


    CK


  • Hallo zusammen!



    War es nicht vielmehr so, dass das Freimaurertum eine Hochburg der Aufklärung war? :?:


    Ja, stimmt. Die Freimaurerei paßt eigentlich doch wenig als Gegenstück zu Hagebuck und Küster. Die beiden stehen auch für Gleichheit zwischen den Bevölkerungsschichten, indem sie z.B. Schülern ohne Ansicht ihres Standes Orden verleihen, die Ordensverleihung selbst steht wiederum für einen Ritus, der auch gut freimaurerisch sein könnte.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Seite 101. FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo zusammen,


    mir haben die Predigerjahre nicht ganz so gut wie der erste Teil gefallen. Der erste Teil wirkte so voller Anspielungen und Allegorien, dass man auch nach mehrmaligem Lesen noch etwas Neues und überraschendes entdecken würde. Ich habe ihn zweimal hintereinander gelesen und der zweite Durchgang war für mich genauso interessant wie der erste.
    Die Predigerjahre fand ich etwas einfacher gehalten. Weniger Anspielungen, mehr eine verhältnismäßig konkretere Handlung, die Hartknopfs Wesen und Denken aufzeigt.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo!


    Mein vorläufiges Fazit zu dem Buch:


    Zu Recht berühmt wurde Moritz durch sein autobiographisches Buch Anton Reiser, das sicher zu den interessantesten deutschen Romanen zählt. Ein früher psychologischer Roman, der die Entwicklung eines unterdrückten Kindes und jungen Mannes erzählt, samt den zahlreichen Demütigungen, denen sich ein mittelloser Intellektueller im 18. Jahrhundert ausgesetzt sah.
    "Anton Reiser" ist realistisch erzählt, mir einem starken Fokus auf die Psychologie der Figuren. "Andreas Hartknopf" und "Andreas Hartknopfs Predigerjahre" stammen etwa aus derselben Zeit, sind ästhetisch aber kaum vergleichbar.
    Statt eines frühen realistischen Erzählens, hat man hier eine Mischung aus sehr divergenten stofflichen Elementen vor sich, arrangiert in kurzen Abschnitten, die oft nur lose durch die Figuren zusammengehalten werden. Es ist (fast) alles an Motiven vorhanden, was dem 18. Jahrhundert gut und teuer war: Romantische (wilde Natur, Galgen, Klöster, Religion), Sturm und Drang (Freundschaftskult, Pathos) und Aufklärung (Pädagogik). Die Aufklärungspädagogik wird durch die Figur des Hagebuck karikiert.
    In Summe wirkt das bei der Lektüre vergleichsweise widersprüchlich, ohne dass in diesen Widersprüchen ein ästhetischer Mehrwert sichtbar wird. Trotzdem ist dieser Text schon alleine aufgrund seiner Ungewöhnlichkeit sehr interessant zu lesen. Wer das 18. Jahrhundert mag, sollte ihn sich nicht entgehen lassen.


    CK

  • Hallo zusammen!


    Zunächst einmal bitte ich herzlichst um Entschuldigung, mich hier nicht gemeldet zu haben. Ich habe das Buch schon vor einigen Wochen ausgelesen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich wirklich viel dazu zu sagen habe.


    Mein erster Eindruck war eine gewisse Enttäuschung. Ich habe vor einer ganzen Reihe von Jahren den Anton Reiser gelesen und teilweise auch im NDR als "Am Abend vorgelesen" gehört. Ich liebte dieses Buch damals sehr, und in gewisser Weise habe ich jetzt etwas ähnliches erwartet. Diese Erwartung wurde nur sehr unzureichend befriedigt. Zwar erkannte ich an einigen Stellen den K P Moritz wieder, aber der Stil dieses Roman(fragments) ist doch sehr anders. Die eigenwillige Erzählweise und die Verschlüsselungstechniken machen ein Eintauchen in die Handlung oder gar eine Identifizierung mit den Figuren schwer möglich.


    Der Beginn des Buches hat mich an eine bekannte andere "allegorische" Dichtung erinnert: Die Pilgerreise von John Bunyan, zum Teil auch an einen Text von John Henry Newman - The Dream of Gerontius. Natürlich lockt der Untertitel des Buches auf solche Fährten. Als Leser war ich ständig versucht, nach dem doppelten Boden zu suchen, der Bedeutung hinter der Handlung, den Namen usw. Damit spielt Moritz ganz gekonnt. An einigen Stellen fand ich es witzig, mitunter sogar fast blasphemisch. Wie zum Beispiel die Transfiguration Christi als Modell hergenommen wird für das Treffen mit Elias auf dem Galgenberg, das hat schon was. Auch das Spiel mit der Trinität und deren Erweiterung durch Hartknopf um das Wort ist ganz putzig, jedoch nicht wirklich theologisch überzeugend (Christus als göttlicher "Logos" in Joh 1 ist bereits das "Wort", insofern ist die Erweiterung der Trinität um das Wort eine Verdoppelung des "Wortes", ein Gedankengang, den ich - wie vieles andere - in diesem Buch nicht wirklich verstanden habe.)


    Anderen Gedankengängen wie der "erweiterten Ichheit" (51) oder den Gedanken um Haben und Sein (101) bin ich ganz gerne gefolgt. Die Freimaurerthematik ist ziemlich an mir vorbeigerauscht.


    Als Fazit bleibt, daß das Buch zwar "interessant" war, aber insgesamt nicht den Ton getroffen hat, der mich wirklich fasziniert oder beschäftigt hätte. Die Allegorien waren entweder so überladen oder verzwickt, daß ich nicht wirklich tiefer eindringen wollte. Auch fehlte in der gesamten Handlung der realistische Bezugspunkt, der mir die Allegorien als doppelten Boden hätte interessant erscheinen lassen. Das Ganze war für mich zu sehr Spielerei.


  • Ich habe mich gefragt ob der Ich-Erzähler Anton Reiser ist. Ich habe diesen Roman leider noch nicht gelesen, aber der Anmerkungsapparat verweist doch bei vielen Orten, wo sich Hartknopf mit dem Ich-Erzähler befindet, auf entsprechende Ortsbeschreibungen im Anton Reiser (ich habe sie auch teilweise dort nachgelesen). Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, dass der Ich-Erzähler Moritz selbst sein soll.


    Anton Reiser kann es nicht sein, da Reiser als Schauspieler sein Brot verdient, nicht als Pastor. Auch ist Reisern ein eher von Selbstzweifeln und dem Wunsch nach Emanzipation geplagter Charakter, kein Typus wie Hartknopf, der aufgeklärt seine Häresien predigt ... :smile:

  • Ja, stimmt. Die Freimaurerei paßt eigentlich doch wenig als Gegenstück zu Hagebuck und Küster. Die beiden stehen auch für Gleichheit zwischen den Bevölkerungsschichten, indem sie z.B. Schülern ohne Ansicht ihres Standes Orden verleihen, die Ordensverleihung selbst steht wiederum für einen Ritus, der auch gut freimaurerisch sein könnte.


    Viele Grüße,
    Zola



    Hagebuck und Küster scheinen mir für eine platte Form der Aufklärung zu stehen, die Moritz selbst überwinden will. Für die Überwindung des naiven Verstandesglaubens durch die wahre "Erkenntnis" steht im Hartnknopf das Freimaurertum als sozusagen höchste Form der Aufklärung und Religion. Ein bißchen nimmt das schon Schleiermacher vorweg, der das Wesen der Religion auch in "Anschauung und Gefühl" erblickte.