Volker: Jetzt hast Du mich wirklich überrascht, denn ich hätte nicht gedacht, dass hier jemand den Klepper kennt, auf meine Bemerkung kam ja auch keine Reaktion. Klepper ist heute auch nicht mehr so mainstreamig, wie er es mal zu bestimmten Zeiten war - immerhin erschienen seine Bücher bei der DVA und bei dtv, was ja schon eine gewisse Aufmerksamkeit bezeugt. Er war Teil eines prostestantisch-bildungsbürgerlichen Kanons, und wurde in diesem Milieu viel gelesen, das aber mittlerweile fast komplett untergegangen ist. Hauptsächlich seine Lieder sind geblieben, davon stehen im heute aktuellen Ev. Gesangbuch 12, im kath. Gotteslob immerhin noch sechs.
Klepper ist eine spannende intellektuelle Persönlichkeit: geboren im schlesischen Beuthen an der Oder, Studium in Breslau und Erlangen, zunächst Theologie (sein Vater war Pfarrer), dann aber wendet er sich eher der Literatur zu, arbeitet als Redakteur und Lektor, zieht nach Berlin. Da ist der Ästhet Klepper, mit einem kleinen Hauch des Dandyhaften, der Hang zu Kunst und Mode. Zugleich ist aber auch der tief gläubige Klepper da, der seine Tätigkeit als Schriftsteller immer theologisch versteht, als Auftrag, die Schöpfung der Welt in der Sprache weiterzuführen und dem Auftrag Gottes zu folgen, Namen und Begriffe für die Dinge zu finden. Zunächst schreibt er einen heiteren Roman über Oderschiffer (Der Kahn der fröhlichen Leute), wendet sich dann aber dem ersten großen Thema zu: dem Preußentum, dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm, der in der Historiographie eine ausgesprochen schlechte Presse hat (man denke an die Katte-Episode!), der aber zugleich die Grundlagen dafür geschaffen hat, dass Preußen unter Friedrich II. dann so richtig zu kontinentalen Macht aufsteigen konnte.
Als Klepper an diesem Thema arbeitet, ist seine Ehe schon bedroht, er hat die deutlich ältere Jüdin Johanna Stein geheiratet, die zwei Töchter mit in die Ehe brachte. Für Kleppers Eltern ein Drama, für ihn selbst eine Verpflichtung. Die gesamten Nazijahre über versucht er, für sich und die Familie einen äußeren und inneren Raum zum Überleben zu finden. Wenigstens die Töchter zu retten und eine Ausreise für sie zu erwirken, es gelingt nur bei Brigitte, der älteren, die jüngere, Renate, stirbt schließlich mit den Eltern 1942. Wegen seiner Ehe fliegt er aus der Reichsschrifttumskammer und muss jedes Manuskript neu mit Sondergenehmigung freigeben lassen. Das ist das eine große Drama dieser Tagebücher - wie eine Familie um ihr Überleben kämpft. Wie Klepper auch nicht bereit ist, sich von ihnen zu trennen. Es hätte sein Leben als Schriftsteller ja sehr vereinfacht.
Das andere große Drama ist ein inneres und doppeltes. Das ist wirklich faszinierend, weil es uns heute so fremd ist. Zum einen nimmt Klepper alles, was geschieht, unmittelbar von Gott an. Sein Gott ist kein 'lieber Gott', kein Kuschel- und Wohlfühlgott, wie man ihn heute oft findet. Sein Gott ist einerseits der Träger und Erhalter für ihn, aber auch dunkel und unverständlich. Sein Gott sendet tatsächlich 'Prüfungen' und legt seine harte Hand auf die Familie. Klepper lebt beständig in dieser Spannung, in dem Fragen nach der dunklen Seite Gottes und im Hören auf das gnadenhafte Wort, auf die Verheißungen und Zusagen. Darin ist er sehr nah an Luther - und sehr weit weg von heutigen Gottesbildern. Aber auch sehr tief.
Die andere Spannung ist die seiner Haltung zu Deutschland. Das hat mich immer fasziniert. Einerseits steht er der SPD nahe, andererseits ist er aber vom Gedanken der Monarchie, von Herrschaft und ihrer Legitimation ungeheuer fasziniert. Das verbindet ihn mit Reinhold Schneider, der ein enger Freund der Familie war. In seiner Behandlung des Preußenstoffes geht es ihm auch immer um die Frage, welche Verantwortung der König hat, vor allem vor Gott, und wie er ihr gerecht wird. Darin schafft er natürlich ein klares Gegenbild zum Naziregime - was aufgrund der historischen Thematik nicht allen Nazis gleich auffiel. Den sensibleren Lesern aber doch. Innerlich ist er so weit weg von den Nazis, wie man nur sein kann. Aber trotzdem und unbegfreiflicherweise trennt ihn das nicht von den Deutschen und ihrem Schicksal. Er ist kein Emigrationstyp. Er hängt an diesem Volk auf Gedeih und Verderb. Und wenn dieses Volk ins Unglück geht, dann ist das sein Schicksal und er geht mit. Es ist darin auch etwas von diesem dunklen Gottesbild. Es ist ein völlig anderes Denken als wir es heute haben: man kann sich seinen Platz in der Geschichte nicht einfach auswählen. Nicht einfach weggehen. Das, was ihm aufgegeben wurde, muss gelebt und durchlitten werden. Auch, wenn es am Schluss bedeutet, sich das Leben zu nehmen.
Darin liegt ein Ernst, den ich so faszinierend finde. Den findet man ebenso bei Reinhold Schneider oder Dietrich Bonhoeffer. Bonhoeffer war ja auch 1939 als Gastprofessor in den USA und ist bewusst wieder nach Deutschland zurückgekehrt, weil er sich in einer Verantwortung sah.
Das zweite große Romanprojekt sollte ein Luther-Roman werden, der Luther aus der Perspektive des Hausvaters und Ehemanns betrachtet. Der Titel sollte sein "Das ewige Haus". Davon hat Klepper aber nur noch den ersten Teil fertig gestellt, der später unter dem Titel 'Die Flucht der Katharina von Bora" veröffentlicht wurde und schildert, wie Luthers Ehefrau mit ihren Gefährtinnen aus dem Kloster Nimbschen flieht und sich auf den Weg nach Wittenberg macht, wo sie Luther um Hilfe bitten wollen. Ein schönes und immer noch sehr lesbares Stück Literatur!