Was lest ihr gerade?

  • Ich habe die "Vortrefflichen Frauen" eben beendet, hatte das Buch aus der Onleihe. Ich muss sagen, dass ich in der ersten Hälfte manchmal ein klein wenig gelangweilt war. Es schien mir überhaupt nicht voranzugehen, die Ich-Erzählerin beschäftigte sich mit Beobachtung ihrer Mitmenschen, Tratsch und so schwachbrüstigen Nickligkeiten wie der Frage, welcher gestiftete Blumenstrauß ins Zentrum der Altardekoration gehört.


    Ungefähr von der Mitte ab wurde es dann immer gemeiner. Oder vielleicht änderte sich auch mein eigener Blickwinkel. Die Zumutungen nahmen kein Ende. Die Protagonistin wird zum Sprachrohr im Ehekrach ihrer Nachbarn gemacht, soll das Verpacken der Möbel beaufsichtigen, dann die Herausgabe unberechtigt mitgenommener Möbel fordern ...


    "Ich rufe an, weil ich Sie fragen möchte, ob Sie heute zu mir zum Abendessen kommen möchten. Ich habe ein Stück Fleisch da."

    Ich sah mich einen kleinen Braten ins Backrohr schieben und Gemüse putzen. Ich spürte schon das Ziehen im Rücken, mit dem ich mich über die Spüle beugte.


    Das ist einfach ein Unding. Dann versucht man ihr einzureden, dass sie sich als sitzengelassenes altes Mädchen fühlen müsse, weil der Pfarrer sich mit einer anderen verlobt. Und die Schwester des Pfarrers, die diesem bis dahin den Haushalt geführt hat, soll sich gefälligst vom Acker scheren, da er ja nun eine Braut hat ...

    Im letzten Fünftel kommt endlich der Satz: "Die Wahrheit war, dass ich es leid war, anderer Leute Last auf mich zu nehmen."

    Aber eine Rebellin ist die Erzählerin nicht. Am Schluss heißt es wieder: "War irgendein Mann es wert, dass man diese Last auf sich nahm? Eher nicht, aber man schulterte sie wacker und guten Mutes, und möglicherweise erwies sie sich zuletzt als doch nicht so schwer."

    Vortreffliche Frauen, weiß Gott!


    Als Schülerin las ich mich mal durch einen ganzen Stapel Romane von Monica Dickens (Urenkelin von Charles Dickens), deren Bücher zu "Frauenthemen" in der gleichen Zeit und in einem ähnlichen Umfeld spielen. Ich kann diese Bücher heute nicht mehr lesen und fürchtete auf den ersten Seiten, dass Barbara Pym in ähnlicher Weise erzählt, was sich zum Glück als falsch erwies. Es ist (zumindest in der ersten Hälfte) nicht ganz so beißend, wie ich erhofft hatte, aber fein beobachtet und unterhaltend.

  • zu Big Ben: Man MUSS es vielleicht nicht lesen. Die erste Hälfte war auch für mich,- wie für Zefira,- zeitweise eine Durststrecke. Es wird aber immer besser und wenn man dann danach ein Glas voll Segen liest rundet sich das Bild einer doch sehr eigenständigen, interessanten ironisch-sarkastischen, aber auch toleranten, liberalen Schriftstellerin. Ein Glas voll Segen fand ich lebendiger, farbiger. Das kann aber auch damit zusammenhängen, dass "Kindern" bunte Glasperlen besser gefallen als noh so raffiniert kombinierte Grautöne (Tee und die Geistlichkeit kommen auch hier nicht zu kurz, Giesbert!). Jetzt ist mir wieder Fontanes vor dem Sturm "in die Hände gefallen". Das ist denn doch wie Heimkehr.....Werde es, fürchte ich, wieder ganz lesen. Danach WIEDER Stechlin??

    if all you have is a hammer, all you see looks like a nail.

  • Die erste Hälfte war auch für mich,- wie für Zefira,- zeitweise eine Durststrecke.

    Also ich habe jetzt die ersten vier Kapitel gelesen und bin begeistert. Dieser böse, hintergründige Humor ist einfach köstlich. Die Seitenhiebe gegen Religiöses. Wunderbar!

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • das freut mich, Big Ben, und es zeigt mir, dass bei mir (leider offenbar) doch mehr mit dem Holzhammer gearbeitet werden muss. Ich fand die Sticheleien und Seitenhiebe im ersten Teil eher sanft; habe manche vielleicht gar nicht bemerkt(?!).

    if all you have is a hammer, all you see looks like a nail.

  • Nachdem ich mich die letzten Tage literarisch fast ausschließlich von US-Nachrichtensendern, dem Guardian-Blog und Youtube-Videos zur US-Wahl ernährt habe, kann ich mich jetzt endlich wieder anderen Dingen zuwenden.


    Gestern habe ich den Mammut-Roman "Max, Mischa und die Tet-Offensive" von Johan Harstad begonnen. Bisher überraschend gut...

  • Ich habe gestern das schlechteste Buch des Jahres gelesen. Es war so trashig, dass das Lesen (mit einem Glas Rotwein und einer Schüssel Chips daneben) schon wieder Spaß machte.

    Vielleicht kommt noch ein schlechteres, aber das lese ich dann bestimmt nicht aus.


    Wenn wir im Dezember wieder einen Ordner mit den besten und den miesesten Büchern des Lesejahres haben, werde ich noch etwas dazu schreiben.

  • Ich habe mich in die Niederungen oder Höhen, das ist wohl Ansichtssache, der historischen Finanzpolitik begeben und lese einen schon lange hier lagernden Roman um John Law, einem der Erfinder der Notenbanken und der Vorstellung, dass für Papiergeld nicht unbedingt Edelmetall, sondern auch Grundbesitz als Sicherung in Frage kommt.


    [kaufen='9783453432772'][/kaufen]


    Claude Cueni: Das große Spiel

    Es handelt sich um den Schotten John Law of Lauriston, der zur Zeit Ludwigs des Vierzehnten und der Regentschaft Philipps von Orléans auf dem Kontinent als Berufsspieler und Finanztheoretiker unterwegs war und schließlich 1716 in Paris eine Notenbank gründen durfte. Das Unternehmen scheiterte allerdings später in der sogenannten Mississippi-Blase an hoch- spekulativen Geschäftspraktiken, die scheint's gar nicht Law, sondern eher seinen Kunden und Konkurrenten anzulasten waren.
    Ein konventioneller historischer Roman, aber mit einem interessanten Thema!

  • Meine letzte Lektüre:


    Marlen Haushofer, Die Taptentür. Großartig! klare Empfehlung, als nächstes möchte ich von ihr Die Mansarde und Wir töten Stella lesen.


    Franzika von Reventlow, Herrn Dames Aufzeichnungen. Nicht so dolle - Schlüsselromane, bei denen man nicht so recht weiß, wer da nun genau gemeint ist und einem die beschriebene Szenerie nicht wirklich vertraut ist, lassen einen ja eher ratlos zurück. Der Roman ist als historisches Zeugnis zur Schwabinger Boheme um 1910 und den dort zirkulierenden Ideen (Stefan George - puh) sicherlich interessant und wichtig, aber so "als Roman" eher - naja.


    Coming Up: "Zettel's Traum. Ein Lesebuch".

  • Ich bin bei "Martha Quest" von Doris Lessing. Die Meisterschaft beiin der Schilderung der südafrikanischen Landschaft (damals Rhodesien, heute Simbabwe) habe ich schon in "Afrikanische Tragödie" überaus bewundert. Obwohl dieses Buch einen richtig finsteren Plot hat, ist es eines meiner Lieblingsbücher.
    In "Martha Quest" löst die Autorin diesen Anspruch erneut ein. Niemand kann die Landschaft, die brütende Hitze, die Farbenpracht der blühenden Bäume und Sträucher so schildern. Dabei ist das Thema ernst: Martha Quest erlebt eine Jugend in den Vierzigerjahren in Rhodesien; eine Siebzehnjährige inzwischen (ich bin ungefähr in der Mitte), mit scharfem Blick, wacher Intelligenz und viel Humor. Die Beschäftigung mit den "Rassenschranken" (wobei es nicht nur um das Gefälle zwischen Schwarzen und Weißen, sondern auch um die Stellung von Briten, Buren, Juden geht) sowie ihre Bekanntschaften mit jungen Männern sind Schwerpunkte des Romans. (Ich habe kürzlich in einer Leserunde einen Roman von Ellen Sandberg gelesen, der zum Teil in den Fünfzigerjahren in Deutschland spielt, und zu meinem Erstaunen scheint man in Rhodesien zu dieser Zeit weit weniger piefig und moralinsauer zu sein als hier, was die Selbständigkeit junger Mädchen anging.)

    [kaufen='https://www.amazon.de/Martha-Quest-Zyklus-Kinder-Gewalt/dp/3608950818/ref=pd_lpo_14_t_0/261-7717854-5478362?_encoding=UTF8&pd_rd_i=3608950818&pd_rd_r=d907bb60-1f1a-442f-8b25-3cd86a990839&pd_rd_w=5jvyr&pd_rd_wg=kIiQ5&pf_rd_p=d5c9797d-0238-4119-b220-af4cc3420918&pf_rd_r=QQ6645J4YBY6S9K3YADN&psc=1&refRID=QQ6645J4YBY6S9K3YADN'][/kaufen]

  • Ich lese gerade mal wieder in Jochen Kleppers Tagebüchern 1932-1942, eine Lektüre, die ich irgendwie immer als sehr 'adventlich' empfinde, im eigentlichen Wortsinn...


    Das ist aber natürlich schwere Kost, daher gibt's zum Ausgleich den fünften Band von Rico und Oskar von Andreas Steinhöfel: Rico, Oskar und das Mistverständnis (sic!). Die ersten Bände habe ich den Kindern vorgelesen, aber aus dem Alter sind sie jetzt raus. Trotzdem bin ich immer noch ein Fan, und auch dieser fünfte Band macht mir großen Spaß, vor allem, weil diesmal Rico und Frau Dahling eine Reise nach Hessen unternehmen und tatsächlich in meiner Stadt ein paar Tage verbringen, das hat mich dann doch allerhöchst entzückt. Schon zum zweiten Mal kommt unser beschauliches Städtchen in diesem Jahr in einem Buch vor, das ich nichtsahnend gelesen habe... (zuvor im 'Mariannengraben' von Jasmin Schreiber)

  • JHNewman, verrätst Du mir den Namen des Städtchens?
    Ich wohne auch in Hessen, früher Nähe Gießen, jetzt Nähe Fulda.

    Du hast eine PN. :-)


    Mit Gießen verbinde ich nicht so wundervolle Erinnerungen, das liegt vor allem daran, dass ich dort meinen Wehrdienst abgeleistet habe, sowas kann eigentlich jede Stadt ruinieren.


    Fulda mag ich sehr gerne, die Stadt ist wunderschön, mit so beeindruckender Geschichte und der Rhön vor der Tür! Ich bin dort immer sehr gern.

  • Coming Up: "Zettel's Traum. Ein Lesebuch".

    Und gleich danach begonnen: Joseph Roth, Radetzkymarsch. Das hab ich als Student mal gelesen, aber Erinnerungen habe ich da keine mehr. Seufz.


    Das ZT-Lesebuch ist übrigens empfehlenswert. Ich bezweifle allerdings, ob es sein Ziel – nämlich die Leser dazu zu ermuntern, die Scheu vor dem Original zu verlieren – erreichen kann. Die Auszüge bieten selbst in ihrer etwas geglätteten Form immer noch Stolpersteine und Verständnishürden en masse. Bei mir (ich hab ZT vor einer Ewigkeit mal gelesen und seither immer mal wieder größere und kleinere Auszüge, aber alle Versuche, es noch einmal "am Stück" zu lesen, sind gescheitert) rief die Lektüre des Lesebuchs in Erinnerung, was für ein reicher, komischer und tief trauriger Roman das ist (oder vielleicht: hätte sein können). Das hatte ich fast vergessen, weil sich in der Erinnerung die immer gleichen und immer gleich öden Poe- und Literaturanalysen in den Vordergrund schoben (die allerdings zwingend zum Roma gehören – alles nicht so einfach …). Und mir sind dann noch einige Szenen eingefallen, die mir im Lesebuch fehlen. Das wäre ein Einwand gegen das Projekt: es ist zu kurz und hätte ruhig doppelt so lang ausfallen können.

  • Coming Up: "Zettel's Traum. Ein Lesebuch".

    Und gleich danach begonnen: Joseph Roth, Radetzkymarsch. Das hab ich als Student mal gelesen, aber Erinnerungen habe ich da keine mehr. Seufz.


    Das ZT-Lesebuch ist übrigens empfehlenswert. Ich bezweifle allerdings, ob es sein Ziel – nämlich die Leser dazu zu ermuntern, die Scheu vor dem Original zu verlieren – erreichen kann. Die Auszüge bieten selbst in ihrer etwas geglätteten Form immer noch Stolpersteine und Verständnishürden en masse. Bei mir (ich hab ZT vor einer Ewigkeit mal gelesen und seither immer mal wieder größere und kleinere Auszüge, aber alle Versuche, es noch einmal "am Stück" zu lesen, sind gescheitert) rief die Lektüre des Lesebuchs in Erinnerung, was für ein reicher, komischer und tief trauriger Roman das ist (oder vielleicht: hätte sein können). Das hatte ich fast vergessen, weil sich in der Erinnerung die immer gleichen und immer gleich öden Poe- und Literaturanalysen in den Vordergrund schoben (die allerdings zwingend zum Roman gehören – alles nicht so einfach …). Und mir sind dann noch einige Szenen eingefallen, die mir im Lesebuch fehlen. Das wäre ein Einwand gegen das Projekt: es ist zu kurz und hätte ruhig doppelt so lang ausfallen können.

  • Neben dem Klepper, der ja etwas niederdrückend ist, lese ich jetzt zum wiederholten Male die 'Buddenbrooks'. Das ist immer ein bisschen wie Nachhausekommen. Obwohl man TM ja gerne vorwirft, zu langatmig zu sein, fällt mir auf, dass die Buddenbrooks erzählökonomisch ganz ausgezeichnet gearbeitet sind. Die Handlung schreitet wirklich schnell voran und die Kapitel sind sehr leserfreundlich überschaubar. Und ein riesiger Spaß ist es jedesmal. Gestern hat mich die Lüb'sche Revolution wieder sehr erheitert.

  • @Newman hat zweimal ganz leise angeklopft mit den Tagebüchern von Jochen Klepper. Ohne Reaktion. Er selbst hat aber auch nichts dazu gesagt, außer dass es harte Kost sei. Da erlaube ich mir einen Beitrag, in der Hoffnung auf sachkundigere Ergänzung durch @Newm unter dem FRISCHEN Eindruck der Lektüre. Die Tagebücher von 1932-1942, die unter dem bibñlischen Titel " Unter dem Schatten Deiner Flügel" 1956 in der Deutschen Verlagsanstalt erschienen sind, eingeleitet durch seinen Freund Reinhold Schneider. Ein ganz außerordentlich verstörendes Buch, die Axt, im Motto von finsbury. IIch habe es in den 80er Jahren gelesen. Hatte es von einer meiner alten Großtanten "geerbt". In keinem Buch habe ich so viel angestrichen und so viele Randkommentare geschrieben, so viele Zeitungsartikel eingelegt wie in diesem. Ein Tagebuch ist ja nicht auf ein Ende hin komponiert. Wenn man sich vorher nicht informiert, weiß man ja nicht, wie es "ausgeht". Der Schreiber weiß es selbst ja auch nicht. Hätte er sonst so in Ausmalung von festlichenTischdekorationen, Antiquitätenbeschreibungen usw. geschwelgt, wenn er schon 1932 GEWUSST hätte, dass er sich 1942 mit seiner jüdischen Frau und deren Tochter das Leben nehmen würde, weil seine Vorprache bei Eichmann nichts nützte? VIELLEICHT DOCH. Und das finde ich das Verstörende. Er sah das Unglück und die Barbarei heraufziehen, aber sein Gottvertrauen verlor er nicht, auch in dem eigentlich total trostlosen Ende nicht. Mir als Atheisten unbegreiflich. Er war ein prominenter Mann, hatte 1937 seinen größten Erfolg mit seiner Biografie des "Soldatenkönigs" (Vater Friedrichsll ((d. große)). Damals ein Bestseller, nicht nur bei Lesern der sog. Inneren Emigration, sondern auch in "vaterländischen" Kreisen. In den schrägen Spuren Luthers versuchte er sogar immer wieder der Obrigkeit" ihr "Recht" zu lassen, obwohl er von Anfang an das Unmenschliche, Unchristliche und die Hybris sah und mit unglaublich treffenden Worten, oft Bibelstellen, bezeichnete. An eine erinnere ich mich (vermutlich ziemlich wörtlich) "Turmbau zu Babel und Vertreibung der Juden, man erschrickt zu Tode..." Dem Turmbau zu Babel musste er weichen: Das Grundstück auf dem die Familie wohnte, fiel in die Planung der neuen Hauptstadt Germania. Er baute dann in Nikolassee an der Rehwiese. Mit der Vertreibung kam die Familie dann aber nicht davon, weil das Regime grausamer war, als das des Pharao. Auf dem dortigen Friedhof sind auch die Gräber. Im Gesangbuch meines 1980 konfirmierten Sohnes sind drei Kirchenlieder von Jochen Klepper.

    Hier mache ich erst mal einen Punkt. @Newman, jetzt bist Du dran

    if all you have is a hammer, all you see looks like a nail.

    Einmal editiert, zuletzt von Volker () aus folgendem Grund: Berichtigungen, Ergänzungen, Schreibfehlerkorrektur

  • Ergänzung: Der damals vielgelesene Roman heißt "Der Vater". Er hatte danach eine Biografie über Luthers Frau, Katharina von Bora in Arbeit, die er nicht vollenden konnte.

    Wenn es Euch nicht langweilt, kann ich nach Newman noch aus den alten Zeitungsartikeln zitieren, die z.T. recht interessant sind.

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