Die beiden Teile des Henri IV. waren für mich als Fünfzehn/Sechzehnjährigen eine bevorzugte Lektüre, der in einigen Szenen vorgestellte Michel de Montaigne wurde mein "Leib- und Magenphilosoph" (zentrale Frage des Skeptikers, die auch für Henri wichtig wurde: "Was weiß ich?").
Das historische Material hatte Heinrich Mann wiederum, wie ich später festellte, der umfangreichen Biographie von Saint-Rene Taillandier entnommen, und er nahm in der Zeit seiner Immigration historische Stätten in Südfrankreich, etwa Schloß Pau, selbst in Augenschein. In diesem Alter war auch das Verhältnis Henris zu den Frauen fesselnd, die er so zahlreich in seine Nähe zog; selbst war für mich besonders die vernünftige Corisande anziehend, und ich bedauerte den als Ermordung dargestellten Tod der schönen Gabriele.
Der "Henri Quatre" war um 1935 ein historisches Gleichnis. Die Gefahr des aufkommenden Nationalsozialismus, auch faschistischer Bestrebungen in Frankreich selbst, ließ Heinrich Mann zu einem führenden Politiker der "Volksfrontbewegung" in Paris werden, der auch den Kontakt mit Kommunisten nicht scheute, im Gegensatz zu seinem Bruder Thomas. In seinen Erinnerungen "Ein Zeitalter wird besichtigt", die ich ebenfalls las, ist der gleiche Schreibstil mit den Gleichnissen und Überhöhungen zu bemerken, wie im "Henri Quatre". Er gab offen zu, dass er auf die Sowjetunion als Hoffnung im Kampf gegen den Faschismus setzte. Der stalinistische Terror wurde aber, wie bei seinem Freund Lion Feuchtwanger, ausgeblendet und von letzterem schließlich in grotesker Weise legitimiert und verherrlicht.
Die Liga in Paris als Verkörperung der Unvernunft und des Hasses, die die "Bartholomäusnacht" 1572 herbeiführte, bot sich Heinrich Mann zu Vergleichen mit den Faschisten an, was unhistorisch, ihm als Schriftsteller, der sich in die Auseinandersetzungen seiner Zeit einmischt, aber sicher erlaubt war.
Als im Frühjahr 1971 sein 100. Geburtstag an der "Heinrich-Mann-Oberschule" begangen wurde, an der ich Oberschüler war, stellte ich eine Gruppe von Schülern zusammen, die Dialogszenen aus dem "Henri" vortrug. "Humanisten müssen streitbar sein". Sie müssen nicht nur lernen, zu dichten und zu schreiben, sondern auch das Reiten und Zuschlagen üben. Die leisen Zweifel, die sich damals bei meiner Lektüre Montaignes und Manns "Untertan" einstellten, bezogen sich zu dieser Zeit aber noch nicht auf das gesamte Gesellschaftssystem in der DDR,
Nach den Ereignissen von 1989 stellte sich als einer der führenden Kritiker der alten BRD Ulrich Greiner ein. Heinrich Mann wollte 1950 aus Santa Monica ausgerechnet in Die DDR übersiedeln, starb aber kurz zuvor. Dieser Umstand und die Sympathien Manns für die Sowjetunion waren im Hintergrund bemerkbar, als Greiner zu einem Frontalangriff auf Heinrich Mann ansetzte. Etliche seiner Jugendwerke, die weniger bekannt waren als "Der Untertan" (in der DDR unsere Schullektüre) oder der "Professor Unrat", wurden erbarmungslos als schwülstiger Kitsch abgetan (kann ich nicht beurteilen, habe sie nicht gelesen), die natürlich völlig von der Kunst des Bruders Thomas abstachen.
Alexandre Dumas habe ich zu jener Zeit ebenfalls gelesen. Die Bartholomäusnacht war damals für mich eine Warnung, daran zu denken, was von Propagandisten und Predigern aufgeheizte Menschenmengen in kürzester Zeit anrichten können (hatte damals noch die Ermordung der Hypatia 415 und die "Magdeburger Bluthochzeit" 1631 vor Augen).