Newmans Passage ueber die nicht zur Verfuegung stehende Macht ueber das nicht mehr als lebenswetrt empfundene Leben hat mich sehr nachdenklich gemacht. Karamzin hat mir "aus der Patsche geholfen": Selber darf man, andere duerfen nicht. Das gefaellt mir.
Nicht nur die Christen, die meisten von uns finden sich in der feierlichen Osternacht wieder. Die orthodoxen Russen strahlen und beglückwünschen sich, wenn auch an einem anderen Wochenende, auch ein Mitteleuropäer fühlt sich von der Schilderung einer Osternacht bei Kerzenschein durch Lev Tolstoj in "Krieg und Frieden" ergriffen. "Christos voskres!" "Christ ist auferstanden!" Er ist wirklich auferstanden.
Hier aber finden sich eher düstere Gedanken, aneinandergereiht, sie passen vielleicht eher zum christlichen Karfreitag.
Denn das Ganze - Volker - kann mich dann allerdings selbst doch nicht befriedigen. Es kann wohl überhaupt kaum jemand zu einer gefestigten, in sich schlüssigen Meinung für jeden Fall gelangen, gesellschaftliche Übereinkünfte dürften erst recht sehr schwierig werden. Dieser Komplex der Verfügung über das menschliche Leben gehört gewiss zu den kompliziertesten und umstrittensten, die es überhaupt gibt. Mancher dürfte seine Ansicht im Laufe seines Lebens mehrfach ändern, das wäre auch normal.
Der Verlust an Religion - JHNewman, Du hast wahrscheinlich in diesem Fall zuerst vor allem in gesamtgesellschaftlichen Maßstäben gedacht - wird ja von denen nicht empfunden, die selbst nicht, deren Familien nicht religiös waren. Aber die bedrängenden Fragen bleiben bestehen in dem einen wie in dem anderen Falle, des Glaubens wie des Unglaubens.
Fortschritte (Palliativmedizin, lebensverlängernde Maßnahmen, die man früher nicht für möglich hielt) und Gefahren der Zeit nach der großen Macht der Religionen, können sie überhaupt jemals ausgeglichen werden?
Am Schluss ist sowieso jeder allein auf seinem Weg. In dem Roman der christlichen Autorin Christa Johannsen aus Halberstadt "Leibniz" heisst es: "Ich aber gehe in die Nacht." Der Schriftsteller und Reichshistoriograph Karamzin schrieb in einem Brief, dass ihn bei dem Gedanken an seinen Tod ausschließlich der Gedanke an seine leidende Familie belaste, nicht der an sein eigenes Ableben. Seine Frau, Ekaterina Karamzina, fand die Kraft, mit den Kindern weiterzuleben und das Andenken an ihren Mann zu ehren, in ihrem Salon trafen sich die wichtigsten Vertreter des kulturellen Lebens in St. Petersburg, Puschkin (der sie platonisch liebte), Shukovskij, Lermontov und Gogol.
Im "Spiegel" vom 14/2018, 31. 3. 2018, S. 40-43, gibt es einen Artikel von Cornelia Schmergal: "'Die spielen auf Zeit'. Beim Recht auf Sterbehilfe ist auf nichts mehr Verlass. Die Politik macht Todkranken das Lebensende schwer"
War bei diesem Thema überhaupt jemals "auf etwas Verlass"?
Möglicherweise wird das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheiden, aber ist das das letzte Wort, kann es so etwas überhaupt geben?
Dazu staccato-artig:
- Man denkt in einer Zeit, in der man relativ gesund ist, daran, unter selbst als nicht mehr lebenswert empfundenen Umständen so nicht mehr weiterleben zu wollen: Abgabe der Kontrolle über Körperfunktionen an andere (ob Angehörige oder Fremde), da man Jahrzehnte mit Schamgefühlen gelebt hat ? (Borrasio: man muss eben lernen, sich helfen zu lassen, und wenn man es nicht mehr selbst kann, wird es sowieso Infusion, Katheder und Windel geben).
- wo ist die Grenze für dauerhafte körperliche Einschränkungen (blind? weitgehend gelähmt?), mit denen man das Leben nicht mehr für lebenswert hält? ja es gibt den Fall, dass man selbst die eigene Diagnose "Demenz" oder "Alzheimer" kennt und sie anderen noch mitteilen kann, aber da gleitet man sicher schon hinein in eine Situation, selbst nichts mehr tun zu können, die einen bedrängende Situation auch nicht mehr deuten zu können;
- ja, dann kann man aber die Selbsttötung schon nicht mehr ausführen und andere Menschen, zumeist medizinisches Personal, und Angehörige geraten in eine rechtliche Grauzone, die man ihnen auch nicht zumuten will und kann;
- und dann wird gesagt, dass die Mediziner Maßnahmen nur ergreifen dürfen, das Leben zu retten und nicht, es durch aktiven Eingriff zu beenden - die von JHNewman erwähnte (Fremd)Verfügung über das menschliche Leben, wo beginnen die Möglichkeiten für "Unterlassen" und wo liegen ihre Grenzen; dazu gab es Aufsehen erregende Prozesse;
warum gibt man doch schwer an Schmerzen leidenden Menschen keine ausreichenden Opiate, so dass sie unter Qualen starben (erlebt bei drei nächsten Familienangehörigen), das mit dem "Suchtpotential" von Morphium kann es in diesem Stadium nun wirklich nicht mehr sein;
die wenigsten dürften das nötige Kleingeld haben, um am Schluss noch in die Schweiz fahren zu können;
- ganz klar, dass kommerzielle Unternehmen, die das Leid der Betroffenen zur Gewinnmaximierung benutzen, belangt werden müssen; wo aber ist die Grenze zu ziehen zu Medizinern, die schließlich auch ihre Einnahmen haben müssen und nur in einigen Fällen sicher sein können, dass sie richtig handeln bzw. zur richtigen Zeit nicht handeln?
- dann ist Palliativmedizin immer noch nicht flächendeckend verbreitet, wie ist es mit der Kostenfrage, kann dann wirklich jeder schmerzfrei und in Würde sterben?; und ist das dort gewährleistet, lauern da nicht auch wieder eine ganze "Industrie", ein großer Markt?
- wie sieht es mit der individuellen Zuwendung aus, wenn man keine Verwandten oder Freunde mehr hat, wenn man nicht religiös ist, wird man dann nicht doch noch von Missionaren belästigt, weil die eventuell "in gutem Glauben" davon ausgehen, wie sie selber empfinden, was "normal" sein müsste, und wie die Mehrheit tickt, gibt es für das Sterben nichtreligiöser Menschen auch verbreitet entsprechende Rituale und Erleichterungen?
- wie sieht es nun wirklich mit der "Selbstbestimmtheit" bei der Entscheidung über den eigenen Tod aus - Dir Volker, erscheint sie wahrscheinlich als eher einleuchtend als das religiöse "Der Wille des Herrn wird geschehen" - "Der Herr hat es (das Leben) gegeben, er hat es genommen", nichtreligiöse Menschen aber dabei (hat es gegeben) nur ihre Eltern, vor allem ihre Mutter, im Blick haben und keine Transzendenz benötigen,
- wenn der Betreffende nicht uneingeschränkt entscheidungsfähig sein kann (ganz häufig Depression, psychische Krankheit, eben doch Einfluss von Schmerzen, die man bis dahin nicht in den Griff bekam; Patienten verlieren dann doch teilweise den Verstand und verändern ungewollt ihre Persönlichkeit; werden tyrannisch, aggressiv, ohne die Kontrolle mehr darüber zu haben?
Wichtiges Motiv bei Monika Maron, dieser mögliche Kontrollverlust!
- können die Mediziner, die am Schluss einzig noch die Macht über die Lebensverkürzung haben können (wenn man sich nicht schon für den selbstbestimmten Tod durch Verhungern und Verdursten entscheidet, aber wer vermag das vorauszusagen), wirklich in jedem Fall den letzten Willen in der Patientenverfügung achten, für voll nehmen und umsetzen, oder gehen sie dann doch aus Angst vor gerichtlichen Konsequenzen den für sie sicheren Weg - und der Wille des Patienten wird dann doch nicht umgesetzt?
- "gierige Erben" können doch lauern, und der schwer kranke Patient kann zu dem Urteil gelangen, dass er anderen nur noch zur Last fällt; man weiss ja, dass die Angehörigen auch zu "funktionieren" haben und auch an sich selbst denken müssen, nicht ebenfalls zugrunde gehen sollten, wenn ihr Angehöriger sowieso schon verloren ist; bei Monika Maron der Spruch der Krähe: "Sterben lassen, was nicht leben kann";
- dann hat man aber auch wieder die Erfahrung gemacht, dass zwar die Diagnose sehr hoffnungslos klang, sich dann aber doch noch erfüllte Gemeinsamkeit mit Angehörigen einstellte? dass ferner Krebspatienten, die mit einer sicheren Diagnose versehen sind (z. B. Bauchspeicheldrüsenkrebs) dennoch nur in selteneren Fällen Suizid begehen? Angst, den Mitmenschen dadurch noch mehr Leid zuzufügen?
Alles so Fragen, die das mit der Selbstbestimmtheit über das eigene Leben auch wieder als fragwürdig erscheinen lassen. Allgemeine Rezepte kann es nicht geben. Religion kann nur dem etwas geben, der den Glauben dazu hat.
Ich wünsche trotzdem eine gute Nacht. Feiert ein schönes Osterfest. Den Menschen mit Schmerzen wünsche ich Linderung, den Einsamen den Trost: Vielleicht hilft ja die klassische Literatur, sich auf diese großen Entscheidungen vorzubereiten.
(klingt ja hier selbst schon fast wie ne Predigt )