Beiträge von Karamzin

    Monatelang stand der erste Band der neuen Brockes-Ausgabe nicht an seinem Platz, und es war kein "Stellvertreter" ins Regal der Bibliothek gelegt.
    Jetzt sah ich ihn endlich und konnte ihn ausleihen.
    Ich muss sagen, dass die Ausgabe in mehr als einer Hinsicht bei mir Ratlosigkeit hinterlässt. Ich habe leider keine Zeit, um den genaueren Umständen der Entstehungsgeschichte des Werks nachzugehen.


    Die 1742 erstmals veröffentlichte Ausgabe des "Verdeutschten Bethlehemitischen Kindermords" folgt als größerer Text auf die "Selbstbiographie" von Barthold Heinrich Brockes. Der Hamburger Ratsmann hatte für seine Übersetzung und Nachdichtung des "Kinder-Mords" von Giovanni Battista Marino (1569-1625) - darum handelt es sich bei diesem Werk! - eine sehr seltene italienische Ausgabe zur Grundlage gewählt.


    Am Anfang steht ein (heute kaum noch genießbares) "Mordsmäßiges"-Widmungsgedicht von 60 Strophen (S. 46-57), das an Kaiser Karl VI. gerichtet ist, der indes schon zwei Jahre zuvor, 1740, verstorben war. Man könnte daraus entnehmen, dass sich Brockes nach der österreichischen Niederlage gegen den preußischen König Friedrich II. bei Mollwitz 1741 jetzt zum Reichspatriotismus bekennt; Österreich begann sich unter der jungen Königin von Ungarn, Maria Theresia, wieder zu erholen.
    Tatsächlich wird Kaiser Karl gepriesen (im übrigen ein ziemlich dröger, blasser Herr, der den Prinzen Eugen als Hauptratgeber weitgehend gewähren ließ): "Er kämpft fürs Vaterland, und Seiner Völker Heil." (S. 51). Karl gleiche Salomon (S. 53). Damit sind wir bei der Bibel.


    Nun hatten die Habsburger bereits 1708 die Stadt Hamburg in Reichsacht getan, weil dort demokratische Strömungen in der Bürgerschaft die Oberhand gewannen. Brockes reiste in diplomatischer Mission im Interesse seiner Vaterstadt bis nach Italien, wie aus der Selbstbiographie hervorgeht.
    Die Herausgeber verweisen jedoch auch darauf, dass die zwischen 1715 und 1742 entstandenen Drucke des Werkes auch noch anders aussahen als die hier wiedergegebene Fassung, ein anderer war nun Gastone de Medici (1673-1737), Herzog von Florenz, gewidmet. Brockes passte seine Widmungen offensichtlich dem Bedarf an.
    Ein prachtvoller Kupferstich von Piccart (1673-1733) ist der neuen Ausgabe beigegeben, der das ganze Getümmel um den Kindermord wiedergibt.
    Das alles muss man sich hier aus den Angaben zur Kommentierung zusammenreimen.


    Für mich sieht das jetzt so aus. Brockes lässt sich von der bunten Schilderung des Mordgeschehens durch den barocken italienischen Dichter Marino völlig in den Bann schlagen.
    Damit könnte für ihn die Form im Vordergrund gestanden haben. Durch die Widmungen an Karl VI. oder Medici wurde das Werk allerdings zu einem offiziellen Dokument, mit dem Brockes unter seinem eigenen vollen Namen an die Öffentlichkeit trat, die im Heiligen Römischen Reich durch den beginnenden Österreichischen Erbfolgekrieg gespalten war - in Bayern regte sich 1742 der Wittelsbacher Karl VII. als Gegenkaiser und Rivale Maria Theresias.


    Sein dichterisches Schaffen ist nicht von Beschaulichkeit und Enge gekennzeichnet, wie die heiteren Naturgedichte nahelegen könnten. Brockes greift einen biblischen Stoff aus der Geschichte kurz vor Beginn des 1. Jahrtausends auf, wobei schon bei Marino Figuren auftauchen, die nicht der Bibel entnommen sind, sondern durch neuhumanistische Gelehrsamkeit ans Tageslicht befördert wurden.


    Freund Reimarus dürfte den bethlehemitischen Kindermord in seiner Monströsität getrost ins Reich der Legenden befördert haben, zumindest für sich und seine engsten Freunde. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: entweder hält Brockes tatsächlich noch das ganze Zeug für eine historische Überlieferung, und Freund Reimarus läuft mit seiner Bibelkritik erst einige Jahre später zu Hochform auf.


    Oder Brockes hat seine Freude an einer rhetorischen Fingerübung anhand eines Sujets, das zwar auch gleichnishaft gedeutet werden kann. Und er nimmt das noch wörtlich, wie die meisten Lutheraner seiner Zeit. Allerdings widmet er es dann als Hamburger Lutheraner, der für die Freie und Hansestadt eintritt, katholischen Monarchen in Wien und Italien. Heute dürfte es wohl kaum noch jemanden geben, der die Überlieferung vom bethlehemitischen Kindermord für historisch hält, ausgenommen vielleicht Evangelikale in den USA.


    Die Kommentare des Literaturwissenschaftlers Jürgen Rathje und seiner Mitstreiter, so verdienstvoll sie im einzelnen sind, lassen die Entstehungszusammenhänge des Werks im Dunkeln, und sie gehen nur als Philologen auf verschiedene Textfassungen ein. Eine historische Verortung hätte der Ausgabe gut getan.

    Wenn vom 11. September die Rede ist, frage ich mich immer zuerst: welcher? Der 11. September 1973 brach auch Pablo Neruda das Herz. Sein Freund Salvator Allende ging ihm voraus. Wir hörten zu Hause eine kleine Schallplatte mit der letzten Rede Allendes.
    Nerudas Gedichte waren in der DDR sehr verbreitet.
    Anfang der 1990er Jahre rettete ein Pfarrer Tausende solcher Ausgaben von einer Müllkippe, die zuvor auch im Westen wegen ihrer Ausstattung und ihres niedrigen Preises sehr geschätzt waren.
    Siehst Du auch immer mal im ZVAB nach, dem zentralen Verzeichnis antiquarischer Bücher?


    http://www.zvab.com/index.do

    Reinhard Jirgl, Die Stille. Aber das kann ich aus mehreren Gründen hier nicht empfehlen. Der sprachliche Stacheldraht und der inhaltliche Kahlschlag sind dann doch nicht das, was Karamzin sucht.


    Danke auch für diesen Hinweis! Ich sammele sie alle und informiere mich.



    Für die Lebenswege in der DDR nur mal das Beispiel einer Schriftstellerin, deren Schreibweise nun auch nicht unbedingt mein Fall ist - aber,
    Katja Lange-Müller, die Tochter der einzigen Frau im Politbüro der DDR, die selbst wegen antisozialistischen Verhaltens von der Schule geflogen ist, deren Mann der Bruder von Heiner Müller war und ohne ihr Wissen die Bewerbungsunterlagen für ein Studium erfolgreich einreichte (das stelle man sich mal im Westen vor! :zwinker: in der DDR gab es auch 23jährige Hochschullehrer), und die schließlich, wie so viele, im Jahr 1984 ausreiste.
    Was muss ihre Mutter dabei empfunden haben, die die Frauenpolitik der DDR maßgeblich prägte und angesichts der Versorgungsengpässe 1980 den Frauen riet, ihre Höschen wieder selber zu nähen.



    http://de.wikipedia.org/wiki/Katja_Lange-M%C3%BCller


    http://de.wikipedia.org/wiki/Inge_Lange


    Es erschien das Buch eines Insiders, vom Jahrgang 1953, über die Unterhaltungskultur in der DDR, in dem auf 370 Seiten das Wort "Stasi" nicht ein einziges Mal vorkommt!


    http://hsozkult.geschichte.hu-…/type=rezbuecher&id=19506




    http://hsozkult.geschichte.hu-…/type=rezbuecher&id=18509


    Wenn ich also dem nicht geschriebenen "großen DDR-Roman" nachtrauere, dann beileibe nicht, weil ich nicht diese bunte Vielfalt der Lebensläufe wahrnehmen würde.


    In Tellkamps "Turm" finde ich nicht meine Lebensumwelt wieder, in der ich bewusst mehr als drei Jahrzehnte mitbekam, meine Frau auch nicht, die vor ihrem mit dem Buchwesen verbundenen Studium -Baufacharbeiterin mit Abitur war und Ziegelsteine schleppte,
    und meine früher noch lebende gesamte Verwandtschaft in Dresden zu Hause war, wo mein Vater geboren wurde.


    Moin, Moin!



    Ich muß gestehen, ich hätte hierauf gerne geantwortet, aber mit fällt partout nichts Substanzielles ein. Dennoch Dank für deine Erfahrungen.


    Für viele mag immerhin ein erschreckendes Maß an Auto-Immunisierung sichtbar geworden sein, die mich in einer ganzen Reihe von Bereichen der Literaturentwicklung weniger offen für Neues gemacht hat. Immerhin merke ich es noch, andere kapseln sich eher schweigend ab.



    Natürlich kommt auch der Zeitfaktor ins Spiel. Ich habe den ganzen Tag über mit alten Büchern, vorzugsweise des 18. Jahrhunderts, zu tun. Am Abend will ich aber wieder manchmal an der Oberfläche auftauchen, im beginnenden 21. Jahrhundert.
    Das eine ist, wie seit langem, "Vergangenheitsbewältigung" (abgegriffene Floskel). Hier greife ich, wie erwähnt, zur Autobiographie von Friedrich Schorlemmer und nicht zu einem Buch über Joachim Gauck oder Helmut Kohl. Ich muss mich wahrscheinlich damit abfinden, dass mit Christa Wolf eine der letzten Autorinnen abgetreten ist, die alles von Anfang an miterlebt hat, und der große DDR-Roman nicht mehr geschrieben werden kann. Entweder waren die Autoren naturgemäß zu jung - oder sie konzentrieren sich auf einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit, den ich nicht als den meinen erkennen kann.



    Und die heutige Wirklichkeit, wie steht es mit heute lebenden Autoren? Da bin ich eher ratlos, deshalb diese Fragen. Ich grenze mich ab von dem, was ich lieber nicht in meiner eher knapp bemessenen Freizeit lesen will - und diese Auswahl kann manchem wieder mit einer gehörigen Portion Ignoranz oder sogar Arroganz versehen sein (letzterer Eindruck soll freilich nicht entstehen). Hier herrscht ja Freiwilligkeit, hier gibt es keine Pflichtlektüre, wie in einem Studium, wie oben in meinem Marquez-Bericht..
    Bei den bisherigen Hinweisen keine Bange - ich werde schon noch fündig. :smile:

    Judith Hermann ist ebenfalls notiert. Auch bei den vorhergehenden Empfehlungen werde ich mich noch etwas sachkundig machen.


    Wenn ich daran denke, wie viele Autorinnen und Schriftsteller es gibt, von denen ich noch nie etwas gehört habe, kann einem schwindelig werden. Das geht einem ja auch in einem Literatur-Kaufhaus einer grösseren Stadt so.


    Deshalb könnt Ihr mir helfen, mich da vielleicht in die eine oder andere Richtung durchzuschlagen.


    Vielen Dank!

    Deine Frage beschäftigt mich, weil ich eher das Gegenteil schätze, nämlich wenn die gesellschaftlichen bzw. persönlichen Abgründe offen gelegt werden. Daher fällt mir auch auf Anhieb jetzt kein Tipp für dich ein. Von den zeitgenössischen amerikanischen Autoren schätze ich TC Boyle, der in einigen seinen Büchern neben Gesellschaftskritik auch Humor und eine gewisse Lebenslust beschreibt.


    Hallo Steffi,


    im Laufe der Jahre hatte ich sicher auch sehr viel Literatur konsumiert, in der die gesellschaftlichen Widersprüche verdeutlicht wurden. Z. B. fast alles von Balzac. Eine Idylle konnte der gar nicht gestalten, die entsprechenden Teile in seiner "Lilie im Tal" sind gründlich mißlungen und stilistisch ein Graus, alles voller süßlicher Unwahrhaftigkeit. Erst bei den Intrigen war er wieder in seiner Welt.



    Etliche gesellschaftliche Themen waren in der DDR tabu. Belletristik und Memoiren von Schriftstellern konnten da etwas Abhilfe schaffen. 1977 hatte ein unaufmerksamer Zensor Ilja Ehrenburgs Erinnerungen "Menschen, Jahre, Leben" durchgewinkt.
    Nur mal eine kurze Anekdote, die 1937 während des Spanischen Bürgerkriegs in der Sowjetunion spielt und mir die Ausmaße des sinnlosen Grauens des Stalinismus gerade wegen ihrer Kürze vor Augen führte.. Und ich hatte mich zur Zeit des Erscheinens dieser Erinnerungen auch für längere Zeit in Moskau aufgehalten. Den Namen der in ihr erwähnten Stadt habe ich jetzt vergessen, ich füge einmal eine ein:


    Sagt der eine zum anderen: "Sie haben Teruel." Fragt der andere: "Und seine Frau?"
    Der eine hat eine Nachricht vom Kriegsschauplatz, der andere denkt: "Wen haben sie letzte Nacht wieder abgeholt?"


    Die österreichische Schriftstellerin Maxie Wander, die in der DDR lebte, führte ein in die tabuisierte Welt der Krankenhäuser und des Todes, wo sie, vielleicht früher als im Westen, die Geschichten einfacher, unheroischer Frauen aufschrieb. Nur so kann man den großen Erfolg von Christa Wolfs Roman "Nachdenken über Christa T." verstehen, den ich schon als pubertierender Jugendlicher verstört las. Marcel Reich-Ranicki sah sie nur als eine schwurbelig-verquält schreibende Schriftstellerin (sah zudem noch ihre politische Funktion als zeitweiliges ZK-Mitglied in der DDR) und berücksichtigte nicht ihre Funktion als lebende Instanz der Lebensberatung für ein völlig anders geartetes, nach Hunderttausenden zählendes Lesepublikum.
    Wie viele der damaligen Schriftstellerinnen wurden vom Krebs ereilt: Maxie Wander selbst, Brigitte Reimann, Irmtraud Morgner ... Aber die positiven Helden der DDR kannten keine schweren Krankheiten, keine Depressionen und starben nicht im Krankenbett.


    Doch 35/40 Jahre später kann man frei auf Informationen zurückgreifen und die verschiedensten Deutungen und Interpretationen kennenlernen, es gibt, wie gesagt, eine umfangreiche Ratgeberliteratur.
    Literatur hatte nach 1989/90 nicht mehr die Funktion, fremde Verhältnisse und Welten kennenzulernen.


    Ich weiß noch, wie ich besagter sehr guter Freundin nach der Wende einmal im Studium helfen sollte, den Roman von Gabriel Garcia Marquez "Hundert Jahre Einsamkeit" als Pflichtlektüre zu interpretieren. Ihr Vater, zuerst um Hilfe gebeten, verzweifelte daran: "Die heißen alle Amanda und fliegen durch die Luft, ich weiß gar nicht, was das alles soll." :rollen: Zeitlich ging alles durcheinander. Lateinamerikanische Folklore hatte ihn zur Strecke gebracht, ihn, den einfachen Lehrer der Naturkunde in einer sachsen-anhaltischen Kleinstadt.
    Jetzt war ich am Zuge, ging in meine Stammkneipe, pfiff mir ein paar Grog ein, las das Buch in einem Ritt durch, (bin ja nun nicht gerade ein Literaturwissenschaftler) und hatte bald einen möglichen Zugang gefunden: Ich musste darauf achten, wann bei den Ureinwohnern zum ersten Mal ein Pferd, das Eisen und ein Radwagen vorkamen, die die Indianer vor der Ankunft der Spanier noch nicht kannten. Bald kam ein Pferd angetrappelt, am Strand lag irgendwann eine eiserne Rüstung und irgendwann kam ein Wagen angerollt .... Einige Wochen später kam die Literaturlehrerin zu meiner Freundin und sagte zu ihr: "Sie kriegen eine Eins, weil sie das in einer Weise dargestellt haben, auf die wohl noch niemand gekommen ist und die ich so noch nie gelesen habe! Erstaunlich - obwohl sie eigentlich mit der ganzen Art des Schriftstellers und dem Dargestellten überhaupt nichts anzufangen wussten."


    :zwinker: ich freute mich, dass dieses Unternehmen glückte und bekam noch ein Bier spendiert.


    Ich habe vielleicht immer noch nicht klar ausdrücken können, was ich eigentlich wollte.


    Kann es sein, dass nach diesem blutigsten aller Jahrhunderte, dem 20. Jahrhundert, das die Gesellschaften zum Teil tief spaltete, was sogar durch die Familien ging, es Schriftsteller gibt, die nach dem Rückblick zu einer gewissen ausgeglichenen Bilanz und vielleicht auch einer inneren Heiterkeit gelangen und dabei nun nicht gerade die Rückkehr zum religiösen Glauben propagieren? (das störte mich zum Beispiel bei Luise Rinser, die mit ihrer "Nina" wiederum ein Lieblingsbuch meiner Frau lieferte).


    Was Amerika betrifft, so bin ich wahrscheinlich mit wahnsinnigen Vorurteilen seit der Jugendzeit belastet. Mit Mark Twain als Schullektüre hörte das Lesen der Literatur aus den USA weitgehend auf, selbst die als ganz groß Geschätzten, Hemingway oder Faulkner, sagten mir nicht zu, später, wie erwähnt, Updikes Ehedramen waren mir fremd.


    Irgendwie traue ich das vor allem Frauen zu ...


    Und nach diesem bunten Durcheinander höre ich jetzt wieder auf und harre der Dinge, die da vielleicht von Euch kommen würden!
    :smile:

    [size=2]Gemeint ist wohl die eine Zeitlang kursierende ('scuse my French: absolut abstruse) Theorie, dass Goethes Briefe an die Stein in Wirklichkeit welche an Anna Amalia gewesen sein sollen. Also Goethe der Liebhaber der Herzogin-Mutter ... [/size]


    Ich habe mal die Suchfunktion genutzt und gesehen, dass es hier tatsächlich noch keine Diskussion dazu gegeben hat. Nun denn, lassen wir, da es um Karl August Böttiger geht, die Anna Amalia in Frieden. "Abstrus" - schade eigentlich ... :sauer:
    Soll alles tatsächlich daran scheitern, dass die Diener und Kammerkätzchen jede Bewegung auf den nächtlichen Straßen Weimars registrierten und deshalb nichts geheim bleiben konnte?


    :zwinker:

    Bin dabei! Habe die vier Wieland-Bände aus der DDR-Ausgabe "Bibliothek der Klassiker", in Leinen und mit guten Kommentaren, in der damals jeder Band fünf Mark kostete. Aber ich denke, das wird nicht weiter stören, und die betreffenden Textstellen lassen sich dennoch schnell auffinden.


    Karamzin

    Hallo, Dostoevskij, Anita, sandhofer, @Gronauer,


    zuerst möchte ich Euch vielen Dank sagen, dass Ihr auf diese Fragen eingegangen seid und dabei gleich mehrere sehr bedenkenswerte Anregungen gebracht habt. Andersgeartete persönliche Vorlieben und Lesegewohnheiten kommen dabei naturgemäß ins Spiel. Wir versuchen, zuerst innerlich und dann auch im Austausch abzugleichen, was uns liegt und wovon man eher Abstand nimmt.


    Zunächst, Dostoevskij,
    (von der Schreibweise dieses Namens her nehme ich an, dass Dir die in der DDR mehr verbreitete sogenannte wissenschaftliche Transliteration für die Wiedergabe aus dem Russischen geläufig ist, während man im Westen häufig der Wiedergabe im Englischen oder der Zeitungs-Transkription folgte - Gorbatschow, Gontscharow usw.)
    den Wirbel, die Unruhe, den Unfrieden, die Dir liegen, suche ich bei der zumeist abendlichen Lektüre eher zu meiden. Nun könnte man sagen, dass sich der Tagesablauf auch eher einsiedlerisch gestaltet und kein großer Trubel aufkommt - das, ich nenne es mal so, "Harmoniebedürfnis" hinsichtlich literarischer Erzeugnisse ist dann vielleicht eher ein Produkt der bisherigen Entwicklung.



    An den - Anita - "Zauberberg" bin ich seit Jahrzehnten nicht mehr herangegangen (wohl aber mein Sohn), mir fällt jetzt eher die "Lotte in Weimar" ein. Da haben wir ja auch wieder heitere Klassik, freilich auch die Überschattung durch erzwungene Emigration und über die Kultur triumphierende Barbarei zu Manns Zeiten. Das "Glasperlenspiel" wiederum ist mir - bitte um Vergebung - etwas zu versponnen, während mich eher die Szene fasziniert hat, in der der "Steppenwolf" in so einer Altstadtkneipe in der Nähe der alten Stadtmauer sitzt, wo jeder ungestört in seiner Zeitung blättert - ich habe hier in der Kleinstadt gerade so eine Kneipe gefunden. Bei Herta Müller dürfte dadurch Beruhigung einziehen, als es für sie schlimmer als in ihrer Jugendzeit später kaum noch kommen konnte.


    (Unterschied Pessimist - Optimist:
    Der Pessimist: Alles ist schlimm, schlimmer kann es nicht mehr kommen. Optimist: "Doch!"


    Bei Eckhard Henscheid wäre mir sofort in den Sinn gekommen, dass er satirisch das "Dummdeutsch" aufs Korn genommen hat. Eine "Idylle"? Da muss ich sofort wieder an J. H. Voß und seine "Luise" denken; von Karamzin gibt es auch eine "ländliche Idylle". Ist es das, worauf ich eigentlich hinauswollte, eine Idylle?


    Vielleicht noch Folgendes, was hier in anderen Threads garantiert schon diskutiert worden ist: Kann in heutiger Zeit überhaupt noch ein Gesellschaftspanorama in einem großen Gegenwartsroman entworfen werden? Da sind zunächst die Leute, die tatsächlich viel selbst erlebt haben und viel herumgekommen sind. Die schreiben vorzugsweise ihre Erinnerungen auf. Ich habe gerade die Memoiren von Friedrich Schorlemmer gelesen. Mich zog vor allem die Schilderung des 4. November 1989 an, als ich gerade auf dem Alexanderplatz ankam und Stefan Heym vom "aufgemachten Fenster" sprach, auf Christa Wolfs Betrachtungen über den "Wendehals" Schorlemmers Ansprache folgte. Die Verfremdung, das Erfinden von Gestalten, liegt wahrlich nicht jedem. Auch in Tolstojs "Krieg und Frieden" tummeln sich historische Gestalten, wie Kutuzov, Speranskij, Napoleon und Davout, im Kontakt mit erfundenen Figuren.


    Christa Wolfs "Sommerstück" (1987) hatte damals mir und meinen Freunden überhaupt nicht zugesagt! Das ist nun wirklich eine Idylle; ihre Intellektuellen-Freunde ziehen sich mit dem Ehepaar Gerhard und Christa aufs Land zurück - wir aber müssen in den großen Städten mit der lastenden Ignoranz und der Ablehnung der "Perestrojka" durch die Führung, mit dem Fortzug tausender junger Menschen klarkommen! Was interessieren da raffinierte Kochkünste und Landtiere ... Das war vielleicht ungerecht und heimlicher Neid auf die Schriftstellerin, die sich so etwas dank der Honorare leisten konnte.


    In den letzten zwei Jahrzehnten ist mehrfach nach dem richtig tollen und überzeugenden DDR-Roman gefragt worden. Christa Wolf lieferte in ihrem letzten Buch 2010 vor fremdem Hintergrund (Los Angeles) eher eine Aneinanderreihung von grüblerischen Gedankenketten und Traumgesichten als einen Roman. Bei dem viel jüngeren Uwe Tellkamp ("Der Turm") fragte ich mich, ob wir in dem gleichen Land gelebt haben.


    Und jetzt noch etwas Anderes. 1997 fiel mir Gert Kaltenbrunners "Dionysios"-Buch in die Hände. Es ist ja nicht so, dass ich als Konfessionsloser nichts über Religion lesen würde, im Gegenteil! Ich habe sogar freiwillig J. H. Jung-Stillings 3400-Seiten-Roman "Das Heimweh" gelesen, überaus zähflüssige Kost.
    Es gab noch kein Internet, unter dem Namen Kaltenbrunner war mir nur der in Nürnberg verurteilte Kriegsverbrecher geläufig, und ich wusste damals noch nicht, wie nahe Gert Kaltenbrunner der rechtsextremen Szene stand. Da hätte ich das Buch eher nicht zur Hand genommen. Aber irgendwie faszinierte mich, wie der Autor, völlig unberührt von großstädtischen Alltagssorgen im Beton-Plattenbau Ostberlins, von seinem Schwarzwälder Walddorf aus so "heideggermäßig" in zwei Jahrtausende europäischer Geistesgeschichte eintauchte, da stellte ich mir sowohl sein Dorf vor (vielleicht mit Balkon zum Schreiben), als auch tanzende Bacchantinnen (im Malstil Lorrains oder Poussins) - die dann freilich zu rasenden Furien wurden!

    Hallo,


    zu den Lesern Karl August Böttigers gehöre ich schon seit langem! Tausende seiner Briefe liegen bisher noch unpubliziert in der Handschriftenabteilung der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden, wo Böttiger seine letzten Lebensjahrzehnte als Kunstkritiker verbracht hatte. Er hatte einen großen Freundes- und Bekanntenkreis.


    Wie Du schreibst, hat er sich aber auch zahlreiche Feinde gemacht. Ihm werden zwei eigentlich sehr unterschiedliche Charakterzüge zugeschrieben: zum einen war er sehr hilfsbereit und half mit zahlreichen Informationen aus, zum anderen trug er Tratsch und Klatsch weiter.


    Ich hatte gerade vor einigen Tagen mit ihm im Zusammenhang mit Ludwig Ferdinand Huber (1764-1804) zu tun, der zu Schillers Leipziger, in der Ode "An die Freude" besungenen Freundeskreis gehörte. Der Namensgeber meines Nicknames Karamzin übersetzte ein Stück aus Hubers "Juliana" in der Annahme, es sei von Schiller. Karl August Böttiger wiederum rezensierte Werke von Nikolaj Karamzin.
    Vgl. dazu Ulf Lehmann: Karl August Böttiger. Zur Würdigung eines deutschen Rußlandkenners. In: Studien zur Geschichte der russischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Bd. IV. Berlin 1970, S. 399-417.



    Jetzt noch zwei Dinge: Von der Böttiger-Anekdote könnt Ihr zu Recht sagen, dass ich sie ungenau aus dem Gedächtnis wiedergebe, weil ich sie in "kanonisierter" Form nicht zur Hand habe, eventuell wurde sie hier auch schon einmal gebracht (und ich bin zu faul, die Suchfunktion zu benutzen).


    Goethe geht mit einem Kollegen durch den Kurpark in Karlsbad. Auf einmal erschrickt der Geheimrat und spricht: "... ich glaubte, den leibhaftigen Böttiger erblickt zu haben". Sein Begleiter sucht Goethe zu beruhigen, mit dem Hinweis darauf, dass Boettiger selbst hier zur Kur weile: "Sie haben wirklich den Leibhaftigen gesehen!"
    Sprach Goethe die klassischen Worte: "Gottlob, denn ich konnte nicht glauben, dass der Herrgott noch einmal ein solches Arschgesicht erschaffen haben könnte."


    Und noch eine überaus polarisierende Sache, bei der allerdings endgültig einige zusammenzucken werden und erschreckt ausrufen: "Bloß nicht schon wieder!"
    Ich dachte eigentlich, gegen Verschwörungstheorien einigermaßen immunisiert zu sein. Aber dann hat mich Ettore Ghibellino doch mit seiner These in den Bann geschlagen, nicht zuletzt, weil er als Jurist weiß, wie man einen Nachweis führt. Am meisten hat mich überzeugt, dass Charlotte vom Stein weder Latein noch Italienisch beherrschte, Anna Amalia hingegen schon. Da hätte es doch einen Affront bedeutet, wenn Goethe der Stein Briefe mit längeren lateinischen und italienischen Gedichtzitaten geschrieben hätte! Die Entgegnung der Weimarer Klassikstiftung und Joachim Bergers hat mich nicht überzeugt, sie hätte bescheidener ausfallen können. Wo war ich doch gleich stehengeblieben?


    Ach so, ja, Böttiger, und eben dessen Erinnerungen an die Weimarer Zeit werden von Ettore Ghibellino mehrfach als glaubwürdige Quelle herangezogen.

    Lesewünsche zweier Ex-DDR-Leser/-innen


    Es kann sein, dass das Folgende verschroben und merkwürdig, vor allem recht langatmig daherkommt. Aber ich will dennoch einen Versuch starten. Ich denke dabei allerdings nicht nur an mich, sondern auch an eine Bekannte, eine sehr gute Freundin, für die das meiste über mich Gesagte auch zutrifft.



    Ich greife heute nur zu einem neuen, mir unbekannten Titel, wenn das Bedürfnis nach dem Inhalt und/oder der besonderen Schreibweise gross ist. „Experimenten“ eher abhold, will ich nicht ein neues Buch nach wenigen Seiten wieder desinteressiert zur Seite legen.


    Die Lektüre klassischer Literatur (sagen wir, bis Ausgang des 19. Jahrhunderts, bis zum späten Fontane) gehört – zum Glück – teilweise berufsbedingt zu meinem Alltag, bin damit auch goldrichtig hier im Klassikerforum. Aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts las ich Heinrich Mann und Romain Rolland.


    An Gegenwartsliteratur hatte ich bis 1989 allerdings vorwiegend nur ausgewählte Werke der DDR-Literatur (Christa Wolf, Günter de Bruyn) und der Sowjetliteratur (Aleksej Tolstoj, Aleksandr Bek, Granin, Simonov) gelesen. Einiges davon auch, weil es damals Lebenshilfe in düsteren Zeiten war, für die es heute eine umfangreiche, mehr oder weniger gehaltvolle Ratgeberliteratur gibt. Strittmatter gehörte nicht dazu, weil ich mich nicht auf seine ausgebreiteten Kleinstadtmilieus einlassen wollte, und der von der Politik empfohlene Hermann Kant ödete mich mit seinen manirierten Witzeleien nur an (der Mann musste doch wissen, wie ernst es am Schluss im Land aussah!).


    Im Literaturunterricht wurden die Schüler damit genervt, „fortschrittliche“ Literatur aus dem Westen in erster Linie als „Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse“ aufzufassen. Das meiste von diesen Büchern war nicht zugänglich, vieles wurde aus urheberrechtlichen Gründen nicht verlegt.
    Ja, man musste Böll und Grass gelesen haben - alles sehr schlimm, wovon sie berichteten, aber es berührte mich emotional nicht sonderlich, und Lenz war, tut mir leid, einfach zu langatmig; Kaschuben und Masurische Seen und andere Merkwürdigkeiten im ehemaligen deutschen Osten gab es, sicher, ich stamme ja selbst von Sorben ab, aber ...


    Ich flüchtete mich in die Welt des „Wilhelm Meister“ Goethes und in die „Nachsommer“-Welt Stifters, zwar illusionär – aber grandios! Ich wollte gar nicht von Arno Schmidt hören, dass der „sanfte Unmensch“ die Revolution von 1848 nicht einbezieht und auf die Tagelöhner herabsieht, dass diese ganze schöne Scheinwelt in den Bergen (wir bekamen die Alpen nicht zu sehen) sich in Luft auflöst, und Stifter im übrigen überaus antiquiert daherstelzt und gar nicht fehlerfrei schreiben kann.


    Nach 1989/90 spürte ich den Nachholebedarf, las allerdings nun in erster Linie gesellschaftspolitische und wissenschaftliche Literatur, deren Lektüre mir zuvor versagt war (Nietzsche, Freud, Fromm und die vielen anderen der zuvor "Verpönten" und Verbotenen).


    Was mir jetzt an Gegenwartsliteratur empfohlen wurde, zog mich indes kaum an. Wenn ich die Bücher in die Hand nahm, dann erschien mir die geschilderte Gesellschaft ziemlich fremd, völlig fremd die der USA. Was berührten mich innerlich die Selbstbespiegelungen, elitäres Gehabe in gehobenen Gesellschaftsschichten, die Welt der Schönen und Reichen, Midlife-Krisen, Ehekräche, Seitensprünge, die direkte Darstellung des Sexuellen (nur mal ein Beispiel: J. Updike).


    Vielleicht war ich schon zu alt und zu sehr geprägt durch das 18./19. Jh. und - ich geb's ja zu - die DDR/Sowjetunion-Prüderie und Verbannung des Geschlechtlichen, vielleicht wollte ich jetzt nicht auch noch in meiner Freizeit Gräben und Abgründe in Gesellschaft und Familie aufgerissen sehen, die sich tagsüber schon in der Nachwende-Realität zum Genüge auftaten. Es gab keine literarische „Ankunft im Alltag“ (Brigitte Reimann, 1933-1973) der Bundesrepublik oder gar Amerikas.


    Wer sich bis jetzt durch diesen Text durchgequält hat, soll nun meine Fragen vernehmen:


    - Gibt es Literatur zu empfehlen, deren Autorinnen/Verfasser trotz der Erkenntnis schreiender Widersprüche in der Gesellschaft bei der Betrachtung von Menschen und der Natur dennoch zu einer gewissen Versöhnlichkeit gelangt sind und Trost spenden können? Die das Werden und Vergehen in der Natur und die natürlichen Abläufe im Leben der Menschen mit einer gewissen Milde betrachten? Dabei brauchten solche Autoren gar nicht „altersweise“ zu sein, es könnte sie schon in jungen Jahren geben.


    - Da ich annehme – vielleicht zu Unrecht – dass solche Werke vor allem von tief religiösen Menschen verfasst würden – gibt es sie dennoch auch von nichtreligiösen Autoren? Die die Endlichkeit des eigenen Daseins akzeptiert haben und ohne eine Gottheit auskommen (wir waren von Kindheit an in einem nichtreligiösen Milieu aufgewachsen)?


    - Schließlich, da ich eingangs von einer Freundin ausging: ich könnte mir vorstellen, dass derartige Bücher vor allem auch von Frauen verfasst worden sein könnten.


    Man könnte sagen: „Hoffnungslos veralteter Geschmack“. Aber sei es drum.


    - Solche Bücher werden mit Sicherheit nicht unter den Bestsellern der großen Kaufhaus-Ketten zu finden sein, die jetzt mit Weihnachtssachen und zahllosen Taschenbüchern mit Geschichten, Krimis, Fantasy und was es nicht alles gibt, überfüllt sind, sondern eher bescheiden in einem entlegenen Regal schlummern.


    Um Groschenhefte, Heimatschnulzen und "Heile-Welt-Schmarren" geht es dem konservativen Leser einer "aussterbenden Gattung" hier freilich nicht, die kann man am Kiosk haben, ... :zwinker:


    aber etliche Leser hier werden sicher verstehen, was ich meine. Vielen Dank!

    Mit dem Hinweis auf die Lyrik bezog ich mich auf einen meiner Vorredner. Dass der Vorschlag des Taugenichts nicht so ganz ernst gemeint war, ist am smilie unschwer zu erkennen.
    Auf meinen sehr wohl ernst gemeinten Vorschlag Die Nachtwachen des Bonaventura gehst du nicht ein. Nota bene - als Werk der Romantik und Ersatz für die Elixiere.



    Stellst du die Frage im Ernst? Wärst du dazu bereit? Wenn ja, musst du das aber erstmal in der Raabe-Leserunde begründen! :breitgrins:


    Bei den "Nachtwachen des Bonaventura" (1804), die ich mehrfach gelesen habe, ist schon bemerkenswert, dass über die Autorschaft des anonym erschienenen kleinen Werks abenteuerliche Spekulationen angestellt wurden. Man brachte Schelling, Brentano und wen sonst nicht noch ins Gespräch. Auch wenn die Autorschaft des Braunschweiger Theatermannes August Klingemann (1777-1831), somit eines mit Kleist Gleichaltrigen, feststehen dürfte, geben die "Nachtwachen" dennoch Rätsel auf und dürften in ihrer Art ziemlich allein in der Zeit dastehen.
    Sie sind ein frühes Zeugnis des später im 19. Jahrhundert so genannten "Nihilismus"und sind "finsterer" als die meisten zeitgenössischen Werke der Romantik. Kein verstehendes oder wohlwollendes Augenzwinkern darin. Übrig bleiben ein Hohngelächter und die Sicherheit, dass alles, woran sich der Mensch so klammert, vergänglich und eitel ist. Verspürt man etwa in Kotzebues "Kleinstädtern" spießige Behaglichkeit, die dem damaligen Theaterzuschauer seine Überlegenheit über die deutsche Enge nahelegt, so steht nach der Lektüre der "Nachtwachen", in denen ebenfalls die deutschspezifische Gestalt des Nachtwächters mit seiner Laterne erscheint, vor dem Leser ein großes NICHTS im fahlen Licht des Mondes. Und das in dem Jahr, in dem sich Bonaparte selbst die Krone des Kaisers der Franzosen aufsetzte.


    Leider habe ich nach mehr als einmonatiger Abwesenheit so viel um die Ohren, dass ich mich noch nicht an der begonnenen Lesung beteiligen kann.
    Ich wünsche allen viel Lesevergnügen und neue Erkenntnisse!


    Viele Grüße


    Karamzin


    Da sich bei der Stine-Leserunde anscheinend doch niemand mehr meldet, bleibt mir nur noch mich bei allen Teilnehmern zu bedanken, insbesondere natürlich bei Karamzin und bei Vita activa, für die es ja jeweils die erste Leserunde hier im Forum war und die beide mit ihren Beiträgen zur Belebung der Leserunde beigetragen haben.


    Nachdem die nächste Fontane-Leserunde noch einige Zeit auf sich warten lässt, habe ich mir überlegt einen anderen Autor zu lesen, der zur gleichen Zeit wie Fontane geschrieben und veröffentlicht hat, um mal einen Vergleich zwischen Fontane und seinen Zeitgenossen zu bekommen. Die erste Buchausgabe von „Stine“ erschien ja im April 1890 und einen Monat später, im Mai 1890, hat ein anderer deutscher Realist, Wilhelm Raabe, einen seiner bekanntesten Romane, „Stopfkuchen“ abgeschlossen. Hat jemand Lust bei diesem Roman mitzulesen. Im Klassikerforum wird Raabes Roman jedenfalls positiv beurteilt:


    Hallo montaigne und die anderen,


    ich fand diese für mich erste Runde recht informativ, sie hat mir geholfen, so manches in Fontanes kleinem Werk besser zu verstehen.


    In dieser Woche reise ich ebenfalls ab, werde nur sporadisch im Internet sein und bin Anfang Oktober wieder im Lande.


    Den Vorschlag mit Wilhelm Raabe will ich mir noch überlegen. Obwohl er auch in dem Ort, wo ich mich in der Woche aufhalte, ganz in der Nähe wohnte, habe ich ihn für mich noch nicht näher erschlossen.


    Viele Grüße


    Karamzin

    Hallo Sandhofer,


    bisher habe ich noch nicht die neue Brockes-Ausgabe aus dem Wallstein Verlag einsehen können.


    Was mich im Zusammenhang mit dem "Bethlehemitischen Kindermord" beschäftigen würde und wozu eventuell in den Begleittexten von Jürgen Rathje schon etwas gesagt wird:


    Brockes und Hermann Samuel Reimarus lebten als Zeitgenossen in Hamburg zusammen und waren auch befreundet. Reimarus wagte es nicht zu Lebzeiten, seine religionskritischen Fragmente herauszugeben. Das geschah erst durch Lessing, der ihn nicht mehr persönlich kannte, und der "Fragmentenstreit" wurde heftig, nicht ohne Angriffe auf Lessing, ausgetragen.


    Es fällt nun auf, dass sich Reimarus vor allem die Wundergeschichten des Alten Testaments kritisch vornahm und dann hinsichtlich der Berichte des NT versuchte , das Leben des historischen Jesus von seiner Vergöttlichung nach seinem Tod zu trennen und damit die von den damaligen Theologen vertretene Offenbarungslehre auszuheben. Passt dennoch alles stimmig zusammen?


    Wenn man sich den Artikel zum Bethlehemitischen Kindermord, etwa bei Wikipedia, anschaut, so kann man zwar nachlesen, dass die Forscher, die Bibelforschung "von innen", innerhalb der Kirchen, betreiben, wahnsinnige Opferzahlen von 144.000 bis 14.000 nach unten heruntergerechnet haben, auf vielleicht 6 bis 20 Kinder.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Kindermord_in_Betlehem


    Aber außer der Stelle in Matthäus gibt es wohl keine zeitgenössischen Zeugnisse darüber, dass zur Zeit des Herodes überhaupt solch ein Kindermord stattgefunden haben könnte. Wer die Berichte der Bibel nicht wörtlich nimmt, wartet vergeblich auf Quellen anderer Herkunft, wie das bei vielen Dingen der Leben-Jesu-Forschung ebenfalls der Fall ist.


    Und nun noch einmal zurück zu der Frage: Konnte es durchaus gut gehen, dass Brockes in barocker Frömmigkeit über dieses legendäre Ereignis dichtet, während sein Freund Reimarus in der Bibelkritik schon zu radikalen Schlussfolgerungen gelangt ist, die aber eventuell noch nicht den Matthäus-Text im NT in Frage stellen?