Karl August Böttiger: Literarische Zustände und Zeitgenossen

  • Für die hartgesottenen Klassik-Liebhaber, die schon alles gelesen haben:
    Bei Durchsicht meiner Bestände im Weimar-Regal fand ich diese Ausgabe der Schilderungen von "Begegnungen und Gesprächen im klassischen Weimar".
    Böttiger (1760 - 1835) war vielen berühmten Weimarern ein gesuchter Gesprächspartner und hat diese Begegnungen immer gleich aufgezeichnet. Dabei hat er sich auch nicht vor Indiskretionen gehütet und sich dadurch wohl etliche Feinde geschaffen.


    ich verspreche mir von der Lektüre einen frischen Blick auf unsere Geistesgrößen und vielleicht den anderen Hinweis auf Lesenswertes oder einen neuen Blickwinkel auf bekannte Texte und Persönlichkeiten.


    Die ungekürzte Ausgabe ist für über 20 € in der " University of Michigan Library" erschienen oder kann gebraucht in der Aufbau-Ausgabe, die auch ich habe, erworben oder ausgeliehen werden.


    Wer hat Lust auf zweihundert Jahre alten literarischen Klatsch?


    finsbury

  • Hallo,


    zu den Lesern Karl August Böttigers gehöre ich schon seit langem! Tausende seiner Briefe liegen bisher noch unpubliziert in der Handschriftenabteilung der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden, wo Böttiger seine letzten Lebensjahrzehnte als Kunstkritiker verbracht hatte. Er hatte einen großen Freundes- und Bekanntenkreis.


    Wie Du schreibst, hat er sich aber auch zahlreiche Feinde gemacht. Ihm werden zwei eigentlich sehr unterschiedliche Charakterzüge zugeschrieben: zum einen war er sehr hilfsbereit und half mit zahlreichen Informationen aus, zum anderen trug er Tratsch und Klatsch weiter.


    Ich hatte gerade vor einigen Tagen mit ihm im Zusammenhang mit Ludwig Ferdinand Huber (1764-1804) zu tun, der zu Schillers Leipziger, in der Ode "An die Freude" besungenen Freundeskreis gehörte. Der Namensgeber meines Nicknames Karamzin übersetzte ein Stück aus Hubers "Juliana" in der Annahme, es sei von Schiller. Karl August Böttiger wiederum rezensierte Werke von Nikolaj Karamzin.
    Vgl. dazu Ulf Lehmann: Karl August Böttiger. Zur Würdigung eines deutschen Rußlandkenners. In: Studien zur Geschichte der russischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Bd. IV. Berlin 1970, S. 399-417.



    Jetzt noch zwei Dinge: Von der Böttiger-Anekdote könnt Ihr zu Recht sagen, dass ich sie ungenau aus dem Gedächtnis wiedergebe, weil ich sie in "kanonisierter" Form nicht zur Hand habe, eventuell wurde sie hier auch schon einmal gebracht (und ich bin zu faul, die Suchfunktion zu benutzen).


    Goethe geht mit einem Kollegen durch den Kurpark in Karlsbad. Auf einmal erschrickt der Geheimrat und spricht: "... ich glaubte, den leibhaftigen Böttiger erblickt zu haben". Sein Begleiter sucht Goethe zu beruhigen, mit dem Hinweis darauf, dass Boettiger selbst hier zur Kur weile: "Sie haben wirklich den Leibhaftigen gesehen!"
    Sprach Goethe die klassischen Worte: "Gottlob, denn ich konnte nicht glauben, dass der Herrgott noch einmal ein solches Arschgesicht erschaffen haben könnte."


    Und noch eine überaus polarisierende Sache, bei der allerdings endgültig einige zusammenzucken werden und erschreckt ausrufen: "Bloß nicht schon wieder!"
    Ich dachte eigentlich, gegen Verschwörungstheorien einigermaßen immunisiert zu sein. Aber dann hat mich Ettore Ghibellino doch mit seiner These in den Bann geschlagen, nicht zuletzt, weil er als Jurist weiß, wie man einen Nachweis führt. Am meisten hat mich überzeugt, dass Charlotte vom Stein weder Latein noch Italienisch beherrschte, Anna Amalia hingegen schon. Da hätte es doch einen Affront bedeutet, wenn Goethe der Stein Briefe mit längeren lateinischen und italienischen Gedichtzitaten geschrieben hätte! Die Entgegnung der Weimarer Klassikstiftung und Joachim Bergers hat mich nicht überzeugt, sie hätte bescheidener ausfallen können. Wo war ich doch gleich stehengeblieben?


    Ach so, ja, Böttiger, und eben dessen Erinnerungen an die Weimarer Zeit werden von Ettore Ghibellino mehrfach als glaubwürdige Quelle herangezogen.

  • Hallo Karamzin,


    danke für deine belesenen Kommentare. Du bist für die Klassik wirklich eine Fundgrube. Was für eine Verschwörung da im Gange war, habe ich zwar nicht verstanden, bedeutet das, dass der Briefwechsel Goethe -von Stein gefaket war?


    Was nun die Leserunde angeht: Da dieses Werk ja eher eine Zusammenstellung einzelner Schilderungen ist, könnte ich mir eine längere kursorische Leserunde, z.B. parallel zum Wieland vorstellen.


    finsbury

  • bedeutet das, dass der Briefwechsel Goeteh -vom Stein gefaket war?



    Nein. Nur die Adressatin, die eben nicht die von Stein gewesen sein soll, sondern Anna Amalia. (Wenn Du mich fragst, bedeutet das allerdings vor allem, dass hier die cerebrale Software eines italienischen Advokaten heiss gelaufen ist ...)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus