Einige haben oben die Technik Fontanes mit der Kameraführung in einem Film verglichen. Tatsächlich schwenkt die Kamera nach dem sechsten Kapitel von der Wohnung der Witwe Pittelkow, wo man teils ausgelassen, teils nachdenklich den Abend beendete, im siebenten Kapitel hinüber in die Stube Stines.
Ich bringe jetzt doch einmal das Bild, das mir regelmäßig in den Sinn kam. Andere können sagen, dass es überhaupt nicht ihrer Vorstellung von Stine entspricht. Aber ebenso, wie der Schriftsteller im Innern ein Bild seiner Gestalten vor Augen hat - Vita activa - so dürfte sich auch bei den meisten Lesern eines einstellen.
Man könnte auch einwenden, dass es nun überhaupt keine "germanische Blondine" wiedergibt. :zwinker:
http://myweb.rollins.edu/aboguslawski/Ruspaint/troplace.html
Sicher gibt es Leser, die von vornherein analytisch an ein Kunstwerk herangehen und sich nicht von ihren Assoziationen treiben lassen. Dieser Eindruck stellt sich mir beim Lesen vieler Diskussionsbeiträge hier ein.
Jetzt tritt Waldemar in Erscheinung, den Pauline mit ihrer Menschenkenntnis als
"Ein armes, krankes Huhn"
bezeichnet hat. Damit hebt sie ihn deutlich von den verlebten älteren Gestalten des Grafen und des Barons ab.
Ihre Menschlichkeit steht haushoch über moralisierenden Vorwürfen.
Jetzt nimmt die Stille zu (na ja, schiefes Bild), über die wir uns schon unterhalten haben:
"Und still und ohne Begegnung wie der erste Tag schien auch der zweite vergehen zu wollen."
Die "niedergehende Sonne hing schon tief zwischen den zwei Türmen des Hamburger Bahnhofs". Das bedeutet, dass wir jetzt von der Invalidenstraße aus nach Westen blicken, in dem die Sonne "unterzugehen" scheint.
(Alter Witz, den ich mal in Berlin gehört habe: Die beiden Berliner an der Adria: "Allet wat recht is, in Sachen Sonnenuntergang sin se uns über" :zwinker:)
Bei Waldemars Erscheinen im dritten Stock des Hauses, in dem Pauline und Stine wohnen, setzt sofort ein anerzogener und verinnerlichter Abwehrmechanismus bei Stine ein:
"Das geht nicht, Herr Graf. Ich bin allein, und ein alleinstehendes Mädchen muß auf sich halten."
Wohl noch nie in ihrem jungen Leben hat sie wohl einen solchen Besuch eines jungen Mannes bekommen, der nur ihr galt. Des Standesunterschiedes zu einem Grafen ist sie sich sofort bewusst. Es steht keine namenlose Gestalt aus dem "Zauberflöten"-Spiel vor ihr, sondern ein "Herr Graf".