Beiträge von riff-raff

    Hallo!


    Zitat von "Hubert"

    Aber, genau dies war ja nicht Zolas Ansatz, deshalb lässt er ja die Erziehung von Thérèse und Camille identisch sein – und Camille wird ja nicht zum Mörder. Nein, will uns Zola sagen, die Erziehung spielt keine Rolle, sondern die unterschiedliche Vererbung.


    Stimmt, die Erziehung ist zwar die gleiche, während sie aber im Falle Camilles angemessen und nötig war, ist sie für Thérèse völlig unangebracht. Gleiche Mittel können durchaus unterschiedliche Folgen zeitigen. Und was sich bei Person A als erfolgreich erwiesen hat, muss bei Person B nicht unbedingt die gleiche Wirkung haben.


    Gruss


    riff-raff


    P. S.: Hallo Hubert,
    was meinen Avatar anbelangt - ich habe das Bild vor einer Ewigkeit (mind. 10 Jahre) aus einer Zeitschrift rausgeschnitten und seither steht es, weil es mir so gefällt, stets auf meinem Schreibtisch. Schade - ich wollte immer gerne wissen, von wem das Bild ist und in welchem Zusammenhang es ursprünglich erschienen ist... Dein Tipp mit "Komm mit, Moritz" hat mich veranlasst bei Amazon nachzuschauen und - oh, Wunder! - dem Cover des Buches nach zu schliessen, stammt es tatsächlich von dort. Du hast mir damit einen grossen Gefallen geleistet, hoffe ich kann mich irgendwann mal revanchieren. :klatschen: Werde mir das Buch umgehend besorgen... - Ach ja, ich komme übrigens aus der Schweiz. :winken:


    P.P.S.: Hallo Steffi,
    in der Rocky-Horror-Picture-Show kommt tatsächlich ein "riff-raff" vor, auch wenn ich nicht unbedingt daran gedacht habe, als ich mir den Nick zulegte; er erschien mir einfach passend weil ich in real life Raffaele heisse. :winken:

    Hallo!


    Zitat von "Jana"

    Verglichen mit der Entwicklung eines Menschen (sehr schematisch und skizzenhaft betrachtet), ist die Kindheit mit der Betonung der Triebe gleichzusetzen (also die Zeit, in der sich Laurent und Therese lieben) und das Erwachsensein mit der Zeit der Vernunft, des Gewissens usw. also die Zeit nach Camilles Tod.


    Sehr interessanter Gedankengang... - Zola scheint aber seinen Figuren jegliches Gewissen abzusprechen. Kapitel um Kapitel beschreibt er wie Thérèse und Laurent nach vollbrachter Mordtat unter Ängsten und Halluzinationen leiden, führt das aber stets auf "Blut" und "Nerven", also rein körperliche Ursachen, zurück. "Seine Gewissensbisse waren rein physischer Art. Lediglich sein Körper, seine gereizten Nerven und sein zitterndes Fleisch hatten Furcht vor dem Ertrunkenen. Sein Gewissen hatte mit seinen Ängsten nichts zu schaffen", heisst es von Laurent. Thérèse wird zwar etwas menschlicher geschildert - "sie hatte unbestimmte Gewissensbisse, uneingestandene Reuegefühle" -, aber letztendlich wird auch sie auch das rein Vegetative zurechtgestutzt.
    Auch wenn Zola das bewusst so gewollt hat (siehe Vorwort: "Was ich als ihre Gewissensbisse habe bezeichnen müssen, das besteht ganz einfach in einer Verwirrung des Organismus, in einer Rebellion des bis zum Bersten angespannten Nervensystems. Die Seele ist völlig abwesen, das gestehe ich ohne weiteres ein, weil ich es so gewollt habe.") - ich muss gestehen, dass ich Probleme damit habe und ein solches Menschenbild wenig überzeugend finde... Wie geht es euch damit?


    Gruss


    riff-raff




    Hallo!


    Zitat von "Hubert"

    Die Aussage Thérèse sei mehr Opfer als Täter halte ich für gefährlich. So könnte man jeden Mord entschuldigen.


    Mich hat Thérèses Erziehung an die qualvolle chinesische Tradition des Füsseabbindens errinnert (den Mädchen der chinesischen Obersschicht wurden etwa vom vierten Lebensjahr an die Füsse fest mit Bändern umwickelt, so dass diese am Wachsen gehindert wurden - kleine Füsse galten als besonders schön); nur das bei Thérèse nicht die Füsse, sondern der Charakter am natürlichen Wachstum gehindert wurde und verkrüppelte.


    Finde es ebenfalls gut, dass du dich zu Wort gemeldet hast, Hubert. :klatschen:


    Gruss


    riff-raff

    Hallo!


    Mir hat die Beschreibung sehr gefallen, wie Madame Raquin ihren kränklichen und eigentlich nicht lebensfähigen Sohn Camille dem Tod förmlich abgetrotzt hat; so oft, dass sie das Gefühl hat ihn nicht ein-, sondern gleich mehrmals zur Welt gebracht zu haben. Ihr Schmerz, als sie von seinem Tod erfährt, ist mir recht nahe gegangen.


    Überhaupt ... wenn man bedenkt wie lange es dauert, bis ein Mensch erwachsen ist, wie viele Klippen und Unwägbarkeiten es zu meistern gilt und dann genügt oft ein Augenzwinkern – und aus, vorbei... Das erscheint mir dermassen unverhältnismässig, das ist geradezu empörend...


    Wollte man böse sein, könnte man sagen, die ganze Schuld liege bei Madame Raquin. Wäre Camille ein Tier gewesen, er hätte schon angesichts seiner rein physischen Ausstattung nicht lange überlebt, dafür hätte schon die natürliche Auslese gesorgt (surviving of the fittest). Wie viel Leid hätte vermieden werden können... Ich denke dabei hauptsächlich an Thérèse, die am meisten darunter hat leiden müssen im Dunstschein des kranken Camille aufzuwachsen (so sehe ich Thérèse auch weit mehr als Opfer als Täterin). – Aber was soll’s... schliesslich kann man Madame Raquin keinen Vorwurf machen das getan zu haben, was jede Mutter für ihr Kind getan haben würde.


    Gruss


    riff-raff

    Zitat von "Jana"


    Vorausdeutungen:
    In dem Text befinden sich viele Elemente, die schon auf das Ende hinweisen, [...] Laurents Portrait verweist ja auch auf weiteres.


    Ja, genau!... Es sind Stellen über die man beim ersten Mal unbemerkt hinwegliest, weil ihre volle Tragweite sich einem erst rückblickend oder beim zweiten Lesen erschliesst.


    Die Stelle im VI. Kapitel als Laurent Camille porträtiert lautet wörtlich:


    „[...]wider seinen Willen hatte er die fahlen Tönungen seines Modells übertrieben, und Camilles Gesicht ähnelte dem grünlichen Aussehen eines Ertrunkenen.“


    Das „Aussehen eines Ertrunkenen“... Jetzt – im Nachhinein – wird uns deutlich, dass Zola hier (VI. Kapitel) bereits den Ertrinkungstod Camilles ( XI. Kapitel) vorweg nimmt.


    Der französische Literaturwissenschaftler Gérard Genette führt für solche Stellen den Begriff „Vorhalt“ ein. Seine Definition lautet folgendermassen:
    Im Gegensatz zur Prolepse, die per definitionem explizit ist und etwas antizipiert, soll der Vorhalt bloss eine Erwartung wecken. Sie findet ihre Bedeutung erst später [...] Im Unterschied zum Vorgriff (Prolepse) ist der Vorhalt also im Prinzip, an seiner Stelle im Text, nur ein "unbedeutender Keim", den man kaum wahrnimmt und der als Keim erst später, und zwar retrospektiv, erkennbar wird. (Gérard Genette: „Die Erzählung“, UTB-Verlag, 1998.)


    Mit zunehmender Leseerfahrung ist es möglich, diese Stellen schon bei einem ersten Lesen zu erkennen, was sich manche Autoren zunutze machen; sie ködern den Leser mit falschen Vorausdeutungen und führen ihn somit in die Irre. Besonders beliebt ist das in Kriminalromanen.
    Hält der Autor seine Leser für so clever, dass sie sich von falschen Spuren nicht mehr verlocken lassen, dann schraubt er das Spiel einfach eine Ebene höher und ködert den Leser mit falschen falschen Spuren, die in Wirklichkeit aber echte Vorausdeutungen sind, usw.


    Gruss


    riff-raff

    Hallo!


    Habe soeben Kapitel XIII gelesen, wo beschrieben wird wie Laurent allmorgendlich auf dem Weg zum Büro ins Leichenschauhaus vorbei schaut, ob Camilles Leiche schon aus der Seine gefischt wurde... Ich muss gestehen, dass mir der Ekel mancher Kritiker vor dem Buch jetzt etwas verständlicher geworden ist. Da werden recht krasse – aber realistische – Szenen beschrieben.
    Interessant ist auch die Tatsache, dass zu Zolas Zeiten anscheinend namenlose Selbstmörder oder Opfer von Gewaltverbrechen zwecks Identifizierung öffentlich zur Schau gestellt wurden. Sogar Minderjährige konnten einen Blick darauf werfen und laut Zola nutzten das „Scharen von Halbwüchsigen [...] Jungen von zwölf bis fünfzehn Jahren“ um erstmals den nackten Körper einer – toten!... – Frau zu sehen. Zola lapidar: „In der Morgue [frz. Leichenhalle] haben die jungen Lümmel ihre erste Geliebte.“ Vermute – angesichts der plastischen Schilderung von Wasserleichen und Selbstmördern – , Zola selbst wird diesen Ort auch das eine oder andere Mal persönlich aufgesucht haben.

    Hallo!


    Eine Frage... – Würdet ihr mit mir übereinstimmen, wenn ich den eigentlichen Beginn der Handlung in Thérèse Raquin mit dem Beginn von Kapitel V ansetze, als Camille eines Donnerstagabends Laurent in die Familie einführt? Die vier vorhergehenden Kapitel scheinen mir demgegenüber Beschreibungen oder Rückblenden darzustellen.


    Kapitel I würde man in der Filmsprache wohl mit „Establishing Shot“ umreissen. Ein Establishing Shot ist die jeweils erste Einstellung eines Film (während dem oft auch noch der Vorspann abläuft). Er zeigt meistens eine Landschaftsaufnahme oder den jeweiligen Ort des Geschehens. Durch den Establishing Shot soll der Ort (oder die Figuren) der Handlung vorgestellt und dadurch etabliert werden. Zola verengt dabei den Fokus zunehmend: Zuerst die Passage du Pont-Neuf in ihrer Gesamtheit, dann die Menschen auf der Strasse, dann die verschiedenen Ladenfronten und von dort auf das Kurzwarengeschäft der Raquins im Speziellen und schliesslich zu den Menschen im Laden selbst.


    Kapitel II-IV stellen Rückblenden dar: Kapitel II umreisst die Zeit der Raquins in Vernon, Kapitel III die Umsiedlung nach Paris und Pont-Neuf, Kapitel IV die regelmässigen Empfänge der Raquins am Donnerstagabend. Mit Kapitel V, in dem Camille seinen Arbeitskollegen Laurent nach Hause mitbringt, setzt dann die eigentliche Handlung des Romans ein.


    Ein weiterer Anhaltspunkt für diese These: Während der Beschreibung in Kapitel I vergeht überhaupt keine Zeit, in den Rückblenden werden mehrere Jahre auf wenigen Seiten zusammengefasst, aber in Kapitel V werden plötzlich mehrere Seiten auf die Beschreibung weniger Stunden – des Besuchs von Camille – verwendet. Das Erzähltempo verlangsamt sich also markant, meist ein untrügliches Zeichen für den Beginn der Handlung. Andere Hinweise bilden die Dialoge. Wir haben zwar auch in den vorhergehenden Kapitel vereinzelt direkte Rede, aber keine solche Häufung von Rede und Gegenrede wie in Kapitel V.


    Gruss


    riff-raff

    Hallo JMaria!


    Zitat von "JMaria"


    In den ersten 30 Seiten fielen mir insbesondere die Farben und die Anwendung von Licht und Schatten auf. Kaum ein Absatz wo dies nicht erwähnt wird.


    Ja, das mit dem Licht und Schatten ist mir auch aufgefallen, weiss es leider bloss nicht zu deuten oder für was sie stehen.
    Andererseit - sind Symbole in einem naturalistischem Roman nicht fehl am Platz? Ich weiss es nicht...


    Gruss


    riff-raff

    Zola betont in seinem Vorwort zu Thérèse Raquin wiederholt, dass er beim Schreiben des Romans „vor allem ein wissenschaftliches Ziel verfolgt habe“ und sich dabei „der peinlich genauen Widergabe des Lebens anbefohlen“ habe, wie ein Maler, der ein Modell abzeichnet oder der Arzt, der eine Leiche seziert. Aus meinem Deutschunterricht weiss ich noch, dass die Naturalisten darauf aus waren, die Vorgehensweisen und Methoden der modernen Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Medizin usw.) auf die Literatur zu übertragen; oberstes Ziel war eine „Verwissenschaftlichung“ der Kunst, eine objektive Darstellung der Wirklichkeit. Schon damals habe ich mich gefragt, ob das überhaupt möglich sei.


    Selbst wenn Thérèse Raquin auf wirklichen Begebenheiten beruhte, und wer weiss, vielleicht wurde Zola von einer Randnotiz in der Zeitung dazu inspiriert... – gäbe man die gleiche Zeitungsnotiz zehn verschiedenen Autoren zur Vorlage, kämen nicht zehn verschiedene Romane dabei raus? Aber eins der Hauptkriterien für Wissenschaftlichkeit ist ja gerade das, dass man – bei einem chemischen Experiment zum Beispiel – unter gleichen Bedingungen und Umständen zu gleichen Resultaten und Schlüssen gelangt.


    Wenn ich zudem das erste Kapitel von Thérèse Raquin zu lesen beginne und dabei von einer gemeine[n] Dunkelheit“ sprechen höre oder dass die Passage du Pont-Neuf des abends „das unheimliche Aussehen einer wahren Mördergrube an[nehme]“... Wertet der Autor hier etwa nicht? Versucht er nicht den Leser in eine ganz bestimmte Richtung zu lenken, in Zolas Richtung nämlich?... Wo bleibt da die vielgerühmte Objektivität frage ich mich.


    'Der Blues ist ein Stuhl', sagte einst John Lennon. Die Musik, die Lennon mit den Beatles machte war nicht dieser Stuhl – schon weil sie Weisse waren und aus England stammten –, es war ihre Version des Stuhls. So wie Thérèse Raquin Zolas Version der Welt darstellt.


    Bin bei Kapitel V angelangt und finde das Buch ungemein spannend.


    Gruss


    riff-raff

    Hallo Hubert!


    Recht herzlich Dank für deine nette Begrüssung... - Wie ich auf das Klassiker-Forum gestossen bin? Ich habe mich schon stets darüber geärgert, niemanden zu kennen, mit dem meine Leseerfahrungen zu teilen. Irgendwann bin ich dann auf die glorreiche Idee gekommen, im Internet danach zu suchen. Hab einfach "gemeinsames Lesen" in Google eingegeben und bin dann über Umwegen zu euch gelangt. Ärgere mich jetzt noch, dass ich nicht früher darauf gekommen bin..


    Wie du richtig schreibst, ist dies meine erste Teilnahme an einer Leserunde; bin mächtig gespann, wie das Ganze abläuft.


    Gruss


    riff-raff


    P. S.: Ich bin übrigens männlich und bei weitem nicht so geheimnisvoll wie du annimmst :-). - Gruss auch an alle anderen der Leserunde!

    Hallo!


    Habe "Sofies Welt" ebenfalls bereits gelesen. Eine kurzweilige und leichtverständlich Einführung in die Geschichte der Philosophie. Hätte nichts dagegen, es noch ein zweites Mal zu lesen.


    Gruss


    riff-raff