Beiträge von riff-raff

    Hallo zusammen!


    Bei mir staubt der "Zarathustra" schon die längste Zeit ungelesen vor sich hin; eine diesbezügliche Leserunde wäre genau der richtige Ansporn, um es endlich mal zur Hand zu nehmen.


    Falls es zeitlich passt, bin ich bei einer Leserunde gerne dabei.


    Grüsse


    riff-raff

    Hallo!


    Ich komme mit dem Lesen nur langsam voran, was ich aber nicht Goethe, sondern mir selber und meiner momentanen psychischen Verfassung anzukreiden habe: hatte in letzer Zeit leider nur wenig Lust und Geduld zum irgendwas lesen...


    Inzwischen habe ich die Stelle erreicht, in der Charlotte einen Sohn zur Welt bringt:


    Ein Sohn war glücklich zur Welt gekommen, und die Frauen versicherten sämtlich, es sei der ganze leibhafte Vater. Nur Ottilie konnte es im stillen nicht finden...


    Als Leser wissen wir noch zu gut, unter was für Umständen das Kind gezeugt wurde, weshalb wir nicht weiter erstaunt sind, wenn Ottilien bei der Taufe das Kind auf die Arme gelegt kriegt...


    ... und als sie mit Neigung auf dasselbe heruntersah, erschrak sie nicht wenig an seinen offenen Augen; denn sie glaubte in ihre eigenen zu sehen [...] Mittler, der zunächst das Kind empfing, stutzte gleichfalls, indem er in der Bildung desselben eine so auffallende Ähnlichkeit, und zwar mit dem Hauptmann, erblickte, dergleichen ihm sonst noch nie vorgekommen war.


    Kaum dass der Geistliche die Taufhandlung vollzogen hat, erleidet dieser einen Anfall und stirbt. "So unmittelbar Geburt und Tod, Sarg und Wiege nebeneinander zu sehen", lässt nichts Gutes ahnen...


    Erstaunt hat mich Mittler, als er dem altersschwachen Pfarrer das Kind in die Arme zu drücken versucht und dabei die beinahe blasphemischen Worte spricht:


    Herr, lass deinen Diener in Frieden fahren; denn meine Augen haben den Heiland dieses Hauses gesehen.


    Mit "Diener" meint Mittler wohl sich selbst, der durch die Geburt dieses Kindes und der dadurch erhofften erneuten Annäherung zwischen Charlotte und Eduard, seine Rolle als Vermittler wieder mal erfolgreich gemeister zu haben glaubt. Aber das Kind gleich als "Heiland dieses Hauses" zu apostrophieren... Der selbstgefällige Kerl scheint von sich und seiner Rolle ziemlich eingenommen zu sein und es sich auch gar leicht zu machen.


    Liebe Grüsse


    riff-raff

    Hallo zusammen!


    Habe den ersten Teil des Romans soeben beendet und verstehe jetzt besser, warum er bei seinem Erscheinen so viel Entrüstung erregte... - Das zehnte Kapitel, in dem Eduard und Charlotte sich lieben, dabei aber in ihrer Phantasie gleichzeitig Ehebruch verüben, hat es wirklich in sich...


    In der Lampendämmerung sogleich behauptete die innre Neigung, behauptete die Einbildungskraft ihre Rechte über das Wirkliche: Eduard hielt nur Ottilien in seinen Armen, Charlotten schwebte der Hauptmann näher oder ferner vor der Seele, und so vewebten, wundersam genug, sich Abwesendes und Gegenwärtiges reizend und wonnevoll durcheinander.


    Für seine Zeit schon ziemlich gewagt... - Und ausgerechnet das aus diesem "doppelten Ehebruch" hervorgehende Kind soll nun nach Charlotten dabei helfen, ihre zerrüttete Ehe zu kitten...


    "Ich muss glauben, ich muss hoffen, dass alles sich wieder geben, dass Eduard sich wieder nähern werde. Wie kann es auch wohl anders sein, da Sie [Mittler] mich guter Hoffnung finden."


    Habe übrigens den Eintrag aus Kindlers Neuem Literatur-Lexikon zum Roman in die Materialienecke gesetzt. - Zweischneidige Sache das... Einerseits ist mir jetzt gewissermassen die Spannung genommen, da ich weiss, wie die Geschichte enden wird. Andererseits wird mir nun vieles verständlicher... Wenn etwa Eduard und der Hauptmann bei einem Spaziergang durch das Dorf auf die Idee verfallen eine Mauer gegen das Ansteigen des Flusses zu errichten.... Damit versinnbildlicht Goethe(ähnlich wie mit der künstlerische Ausgestaltung der Schlossumgebung) den Versuch des Menschen, die Unwägbarkeiten und Bedrohungen des Lebens einzudämmen und zu zügeln. Gefühle und Emotionen hingegen lassen sich nur ungleich schwerer kanalisieren und beherrschen...


    Gruss


    riff-raff


    P. S.: Tolle Seite, die du da im Internet erstellt hast, xenophanes... :bang: Hatte bisher nur die Zeit um deine Einträge zu den "Wahlverwandtschaften" zu lesen, werde aber sicher noch in den einen oder anderen Artikel reinschmökern...


    P. P. S.: Hallo Lidscha! :winken: Bist noch da? Wie weit bist du schon mit dem Buch?


    Hallo nimue!


    Zitat von "nimue"

    Hallihallo,


    sorry, mein Buch ist immer noch nicht da. Ich habe noch was anderes mitbestellt, das nun aber eine längere Lieferzeit hat :-(
    Ich denke, ich werde deshalb auch nicht mitdiskutieren. Tut mir echt leid!


    Ist schon okay - mach dir deswegen bloss keine Gedanken... Würde mich sehr freuen, wenn wir uns in einer anderen Leserunde wieder begegnen. :winken:


    Liebe Grüsse


    riff-raff

    Hallo!


    Die Einsicht des "lebenslangen Lernens" ist heute ja längst zum Allgemeinplatz geworden - umso erstaunlicher, wenn man in einem Werk, das vor fast über 200 Jahren verfasst wurde, folgende Zeilen entdeckt:


    "Es ist schlimm genug," rief Eduard, "dass man jetzt nichts mehr für sein ganzes Leben lernen kann. Unsre Vorfahren hielten sich an den Unterricht, den sie in ihrer Jugend empfangen; wir aber müssen jetzt alle fünf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen."(Wahlverwandschaften: 4. Kapitel)


    Gruss


    riff-raff


    P.S.: "Wer ein Übel los sein will, der weiss immer, was er will; wer was Bessers will, als er hat, der ist ganz starblind." - Dieses Zitat kannte ich schon länger... - jetzt weiss ich auch woher es stammt :zwinker: (Mittler, 2. Kapitel)

    Hallo zusammen!


    Zitat von "xenophanes"

    Das ist doch eine wunderschöne Kunstsprache. Wenn man sich eingelesen hat, könnte man danach süchtig werden.


    Stimmt! Jetzt, da ich mit dem Buch vorankomme, störe ich mich überhaupt nicht mehr daran, im Gegenteil...


    Gruss


    riff-raff

    Hallo zusammen!


    Nachdem ich jetzt schon lange keinen Goethe mehr gelesen habe, hatte ich anfangs etwas Mühe mit der Sprache, vor allem der Sprache, die Eduard und Charlotte untereinander sprechen. Das kommt mir so affektiert, so künstlich vor. Haben Ehepartner wirklich je so miteinander geredet?


    Auch erscheint mir der Roman manchmal allzu sehr transparent, will sagen, vorhersehbar. Wenn auf den ersten Seiten Charlotte und Eduard z.B. in der Mooshütte beieinander sitzen und folgender Dialog fällt:


    "Für uns beide doch geräumig genug," versetzte Charlotte.
    "Nun freilich," sagte Eduard, "für einen Dritten ist auch wohl noch Platz."
    "Warum nicht?", versetzte Charlotte, "und auch für ein Viertes..."


    Man braucht kein Sherlock Holmes zu sein, um zu erkennen, dass hier auf den Hauptmann und Ottilie und die sich somit anbahnende Viererkonstellation angespielt wird.


    Oder im vierten Kapitel, wenn die Männer Charlotte die Definition für den chemischen Begriff "Wahlverwandtschaft" erklären:


    [Der Hauptmann:] "Denken Sie sich ein A, das mit einem B innig verbunden ist, durch viele Mittel und durch manche Gewalt nicht von ihm zu trennen; denken Sie sich ein C, das sich ebenso zu einem D verhält; bringen Sie nun die beiden Paare in Berührung: A wird sich zu D, C zu B wenden, ohne dass man sagen kann, wer das andere zuerst verlassen, wer sich mit dem andern zuerst wieder verbunden habe."


    [Etwas früher im Text:] "Hier ist eine Trennung, eine neue Zusammensetzung entstanden, und man glaubt sich nunmehr berechtigt, sogar das Wort Wahlverwandtschaft anzuwenden, weil es wirklich aussieht, als wenn ein Verhältnis dem andern vorgezogen, eins vor dem andern erwählt würde."


    Vermute ich zuviel, wenn ich annehme, das genau das mit den vier Hauptfiguren des Romans geschehen wird? Das bestehende Bindungen gelöst und neue eingegangen werden?


    Dieses Gefühl, dass der Roman etwas zu sehr konstruiert wirkt, macht sich gleich schon am Anfang bemerkbar, wenn bereits im allerersten Satz die vermittelnde Instanz eines allwissenden Erzählers zwischengeschaltet wird:


    Eduard - so nennen wir einen reichen Baron im besten Mannesalter - ...


    Ich weiss ja nicht, wie es euch ergeht, aber für mich klingt das so, als wolle Goethe explizit darauf hinweisen, dass wir es hier mit Fiktion, also etwas Erdachtem, einem Gedankenspiel und nicht mit Wirklichkeit zu tun haben.


    Interessant auch, wie im Diskurs über Chemie und Wahlverwandtschaften die "leblose" Materie geradezu beseelt aufgefasst wird:


    Man muss diese tot scheinenden und doch zur Tätigkeit innerlich immer bereiten Wesen wirkend vor seinen Augen sehen, mit Teilnahme schauen, wie sie einander suchen, sich anziehen, ergreifen, zerstören, verschlingen, aufzehren und sodann aus der innigsten Verbindung wieder in erneuter, neuer, unerwarteter Gestalt hervortreten: dann traut man ihnen erst ein ewiges Leben, ja wohl gar Sinn und Verstand zu...


    Übrigens hatte ich keine Ahnung, dass das Wort "Wahlverwandtschaft" aus der Chemie stammt. Ich hatte geglaubt es sei ein von Goethe erfundenes Kunstwort, weswegen mich dieser Titel immer schon fasziniert hat. Ich dachte es handle sich um eine Art Widerspruch in sich, denn normalerweise wählt man sich seine Verwandten ja nicht selbst... – Na ja, jetzt bin ich schlauer.... :zwinker:


    Gruss


    riff-raff

    Hallo xenophanes!


    Zitat von "xenophanes"

    Das ist im Prinzip nicht schwer. Einfach im entsprechenden Forum einen neuen Thread mit dem Titel "Goethe: Die Wahlverwandschaften" aufmachen. Außerdem sollte jemand ein paar Dinge über das Buch bei den Materialien posten.


    Ich erledige das :smile:


    Recht herzlichen Dank für die Mühe! :smile: Habe soeben noch einige Links zum Thema "Wahlverwandschaften" in den Materialien eingefügt...


    Gruss


    riff-raff

    Das Werk im Netz


    Volltext des Romans online
    http://www.wissen-im-netz.info…r/goethe/wahlver/1-01.htm
    http://gutenberg.spiegel.de/goethe/wahlverw/wahlv001.htm


    Das komplette Buch auf 119 Wordseiten
    http://www.e-text.org/text/Goethe%20Wahlverwandschaften.rtf


    Der Text der Novelle „Die wunderlichen Nachbarskinder“ aus den Wahlverwandtschaften.
    http://gutenberg.spiegel.de/goethe/nachbars/nachbars.htm
    http://www.buecherquelle.com/goethe/nachbars/nachbars.htm




    Inhaltsangabe


    http://www.ats20.de/schueler/wahlverwandtschaften.htm



    Interpretationen und Erläuterungen
    http://www.xlibris.de/Autoren/…n/Wahlverwandschaften.htm
    http://www.klassiker-der-weltl…/wahlverwandtschaften.htm
    http://schreibkraft.adm.at/rezension.php?rezensionsid=110


    Überlegungen zum inneren Monolog Charlottes, nachdem sie die Geschichte
    von den zwei Nachbarskindern gehört hat
    http://goethe.ms-at-night.de/monolog.php


    Zusamenfassung einer Ringvorlesung an der Uni Kiel (PDF-Datei)
    http://www.literaturwissenscha…_Wahlverwandtschaften.pdf


    Das Labor im Park - Zum Englischen Garten in Goethes "Die Wahlverwandtschaften" (Hausarbeit)
    http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/lit/5067.html


    Ottilie, Olimpia und ihr Narziss (Hausarbeit)
    http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/lit/5064.html



    Charakterisierungen der Figuren


    Charlotte
    http://goethe.ms-at-night.de/charlotte.php
    Eduard
    http://goethe.ms-at-night.de/eduard.php
    Der Hauptmann
    http://goethe.ms-at-night.de/hauptmann.php
    Ottilie
    http://goethe.ms-at-night.de/ottilie.php
    Mittler
    http://www.goethezeitportal.de…andtschaften_hildmann.pdf



    Zeitgeschichtlicher Hintergrund


    Moralvorstellungen im 18. Jh.
    http://goethe.ms-at-night.de/moralvorstellung.php


    Mädchenerziehung um 1800
    http://goethe.ms-at-night.de/maedchenerziehung.php


    Darstellung der Frau im 18. Jahrhundert bezogen auf Goethes "Wahlverwandtschaften" (kostenpflichtiges Referat)
    http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/12421.html


    Gesellschaftliche und politische Verhältnisse zur Zeit der Wahlverwandtschaften
    http://goethe.ms-at-night.de/lebenssituation.php


    Wirkungsgeschichte
    http://goethe.ms-at-night.de/baumgart.php



    Besondere Themen


    Vergleich von Goethes Ottilie mit Kafkas Amalia. Es werden beide Figuren miteinander verglichen und Gemeinsamkeiten mit Kafkas "Schloss" betrachtet.
    http://parapluie.de/archiv/kommunikation/kafka/



    Bibliographie


    Hier wird man darüber informiert, wann die jeweiligen Varianten und Zusätze zu Goethes Wahlverwandtschaften erschienen sind. Alle Druckfassungen ab dem Jahre 1809 werden aufgeführt.
    http://www.biblint.de/wahlverw…haften_bibliographie.html



    Galerie


    Titelkupfer zu Goethes Wahlverwandtschaften. 1809
    http://www.biblint.de/goethe_wv_titelkupfer.html


    Ottilie in der Kapelle. Kupferstich zu Goethes Wahlverwandtschaften. 1811
    http://www.biblint.de/goethe_wv_kapelle.html


    Die Grundsteinlegung. Kupferstich zu Goethes Wahlverwandtschaften. 1811
    http://www.biblint.de/goethe_wv_grundstein.html


    Die tote Ottilie, der Architekt und Nanny. Kupferstich zu Goethes Wahlverwandtschaften. 1811
    http://www.biblint.de/goethe_wv_architekt.html

    Hallo, nimue!


    Dich schickt der Himmel! Würdest du das wirklich tun (mitmachen)? - Das wäre super. Ich habe erst wenige Seiten gelesen und tu mich ehrlich gesagt etwas schwer damit... In einer Gruppe zu lesen und sich auszutauschen würde die Sache sehr vereinfachen.


    Wie man eine Leserunde erstellt, weiss ich leider nicht, habe nie selber eine gestartet. Auch hier wäre ich um deine Hilfe sehr dankbar.


    Da ich wahrscheinlich dieses Wochenende nicht zum Lesen komme - wollen wir Montag starten?


    Schönes Weekend!


    riff-raff



    P.S.: Bist immer noch mit dabei, Lidscha? - Sorry, dass ich mich nicht früher bei dir gemeldet habe... Hast schon zu Lesen begonnen?

    Hallo zusammen!


    In meiner Ausgabe des „Malte“ sind noch Schriften aus Rilkes Nachlass abgedruckt: zwei unterschiedliche Fassungen des Romananfangs und der ursprüngliche Schluss der Aufzeichnungen. Habt ihr die auch?


    Die beiden frühen Einstiegskapitel zum Roman sind insofern interessant, dass Rilke hier eine vermittelnde Erzählerinstanz benutzt, während in der endgültigen Fassung es ja Malte selbst ist, der zu uns spricht. In einer Version wird vor allem die Gespensterszene auf dem Gut Urnekloster unverhältnismässig stärker gewichtet als in der Schlussfassung.


    (Zur Erinnerung: Es handelt sich um die Episode als Malte von seinem Vater nach Urnekloster mitgenommen wird, als dieser seinen Schwiegervater aufsucht. Während des gemeinsamen Abendessens öffnet sich eine Tür eine „schlanke, hellgekleidete Dame“ geht langsam durch den Raum und verschwindet in der gegenüberliegenden Tür. Von seiner Tante, Mathilde Brahe, erfährt Malte, dass es sich bei der Erscheinung um Christine Brahe handle, die „vor etwa hundertzwanzig Jahren in ihrem zweiten Kindbett gestorben“ sei. Auffallend ist vor allem die Reaktion von Maltes Vater auf die Spukgestalt: Er gerät in Zorn und versucht sich dem Gespenst in den Weg zu stellen, was sein Schwiegervater aber verhindert: „Du bist heftig, Kammerherr, und unhöflich. Was lässt du die Leute nicht an ihre Beschäftigungen gehen?“ „Wer ist das?“, schreit Maltes Vater. Worauf der alte Brahe erwidert: „Jemand, der wohl das Recht hat hier zu sein. Keine Fremde; Christine Brahe.“ Maltes Vater reisst sich los und stürzt aus dem Saale. Wegen dieser Begebenheit vermutet Malte, dass sie jetzt abreisen werden, aber der Vater entscheidet anders und sie halten sich noch acht Wochen auf Urnekloster auf. In dieser Zeit erscheint Christine Brahe noch drei weitere Male. Bei ihrem letzten Erscheinen hat sich Maltes Vater soweit im Griff, dass während das Gespenst hinter seinem Sessel vorübergeht er seinem Schwiegervater zuprostet, auch wenn er das Glas „wie etwas sehr Schweres“ ergreift und nur „eine Handbreit über den Tisch“ zu heben vermag. – Mit „Und noch in dieser Nacht reisten wir.“ endet die Erzählung.)


    Diese Episode auf Gut Urnekloster wird von Malte nun in dieser frühen Version des Romananfangs mit den folgenden bedeutungsschwangeren Worten eingeleitet:


    „Heute“, sagte er langsam [Malte erzählt einem Freund], „heute ist es mir klar geworden. Klarheiten kommen so sonderbar; man ist nie vorbereitet auf sie. Sie kommen während man auf einen Omnibus steigt, während man die Speisekarte in der Hand dasitzt, während die Kellnerin nebenan steht und anderswohin schauend wartet [...] Heute kam mir diese Klarheit auf dem Boulevard des Capucines [...], da, gerade mitten im Übergange, läutete es in mir auf und war eine Sekunde so hell, dass ich nicht allein eine sehr entfernte Erinnerung, sondern auch gewisse seltsame Zusammenhänge sah, durch welche eine frühe und scheinbar unwichtige Begebenheit meiner Kindheit mit meinem Leben verbunden ist. [...] es war mir, als wäre in ihr der Schlüssel gewesen für alle ferneren Türen meines Lebens, das Zauberwort für meine verschlossenen Berge, das goldene Horn, auf dessen Ruf hin immer Hülfe kommt. Als wäre mir damals der wichtigste Wink meines Lebens gegeben worden, ein Rat, eine Lehre – und nun ist alles verfehlt nur weil ich diesen Rat nicht befolgt, weil ich diesen Wink nicht verstanden habe; weil ich nicht gelernt habe, nicht aufzustehen, wenn sie eintreten und vorübergehen, die, welche eigentlich nicht kommen dürften, die Unerklärlichen. mein Vater hat es noch gekonnt, er kämpfte damit, ich sah, welche Anstrengung es ihn kostete, nicht wieder aufzuspringen, - aber schliesslich konnte er es; er blieb bei Tische sitzen, freilich er hatte auch dann noch nicht die vornehme Gelassenheit meines Grossvaters; er konnte niemals essen während sie vorübergingen; seine Hände zitterten, sein Gesicht verzerrte sich auf eine fremde und fürchterliche Art. [...]
    [...]
    „Zwölf Jahre oder höchstens dreizehn muss ich damals gewesen sein. Mein Vater hatte mich nach Urnekloster mitgenommen...."


    Was folgt ist die Episode auf Gut Urnekloster, genau so, wie sie auch im fertiggestellten Roman erscheint. Warum Malte gerade in dieser Episode das „Zauberwort“, den „Schlüssel“ zu sehen scheint „für alle ferneren Türen seines Lebens“ bleibt mir auch weiterhin schleierhaft. Interessant fand ich einfach, wie viel mehr Gewicht Rilke in dieser frühen Fassung auf die Gespensterszene legt. Sieht einer von euch hier klarer?


    Gruss


    riff-raff

    Hallo zusammen!


    Wer wäre denn jetzt gegebenenfalls bei einer Leserunde mit von der Partie?


    Lidscha
    siodmack (?)
    meine Wenigkeit
    ....


    Sonst noch jemand?


    Als Kenner des Romans hat sich xenophanes liebenswürdigerweise bereit erklärt, eventuell auch das Eine oder Andere beizusteuern.


    Jeder, der Interesse an Goethes "Wahlverwandschaften" hat, sollte das in den nächsten Tagen doch bitte nochmals bekanntgeben. Ich bin auf jeden Fall dabei.


    Gruss


    riff-raff

    Hallo zusammen!


    Habe die Geschichte vom verlorenen Sohn gelesen und auch wenn es sich um eine Legende und nicht um ein Gleichnis handeln soll, kommt man natürlich nicht umhin, Parallelen zu Malte selbst zu ziehen. Meines Erachtens würde die Legende zumindest Maltes soziale Vereinsamung und Bindungslosigkeit erklären: Jemand, der Liebe nur als Bedrohung der eigenen Individualität aufzufassen vermag, als Etwas, das einen umzumodeln und auf ein fremdes Mass zurechtzustutzen versucht, ein solcher Mensch kann doch gar nicht anders, als allen menschlichen Bindungen aus dem Weg zu gehen. Selbst Tiere stellen ja Erwartung an einen...:


    Die Hunde, in denen die Erwartung den ganzen Tag angewachsen war, preschten durch die Büsche und trieben einen zusammen zu dem, den sie meinten. Und den Rest tat das Haus. Man musste nur eintreten in seinen vollen Geruch, schon war das Meiste entschieden. Kleinigkeiten konnten sich noch ändern; im ganzen war man schon der, für den sie einen hier hielten...


    Das hat mich an Bertolt Brecht und seinen Herrn K. erinnert:


    "Was tun Sie", wurde Herr K. gefragt, "wenn sie einen Menschen lieben?" "Ich mache einen Entwurf von ihm", sagte Herr K. "und sorge, dass er ihm ähnlich wird." "Wer, der Entwurf?" "Nein", sagte Herr K., "der Mensch".


    Eine solche Liebe wollen wir wohl alle nicht. Aber eine Liebe ohne alle Ansprüche an das Gegenüber, eine „besitzlose“ Liebe wie Malte sie sich erträumt, gibt es das überhaupt? Müsste man nicht schon beinahe ein Heiliger sein um so zu lieben? Der Roman liefert zwar einige geschichtliche Beispiele für eine solche bedingungslose Liebe – Gaspara Stampa, Heloïse, die altgriechische Lyrikerin Sappho usw. –, aber zumindest im Falle der portugiesischen Nonne Marianna Alcoforado scheint sich Rilke – den angefügten Erläuterungen nach... – geirrt zu haben: die von ihr überlieferten Liebesbriefe haben sich jedenfalls als literarische Fiktionen herausgestellt...


    Rilkes „verlorener Sohn“ scheint um seine eigenen Unzulänglichkeiten was die Liebe anbetrifft zu wissen und nimmt sich daher vor, „niemals zu lieben, um keinen in die entsetzliche Lage zu bringen, geliebt zu werden.“ Eine solche Konsequenz mag einem Bewunderung abringen, aber der Preis, der dafür zu zahlen ist, heisst Alleinsein.


    Gruss


    riff-raff

    Hallo zusammen!


    Zitat von "Maja"

    dass man das Ganze vom letzten Abschnitt, der "Legende" (nicht Gleichnis!) vom verlorenen Sohn her lesen müsse, diese sei der Schlüssel zum Verständnis.


    Komme eben jetzt zu diesem Abschnitt - mal sehen, ob hernach das Ganze etwas durchsichtiger wird.


    Die Episode über Nikolaj Kusmitsch habe ich köstlich gefunden und sehr genossen. Könnte ich das doch nur auch vom Rest des Buches sagen... Ich ertrappe mich dabei, wie ich ganze Seiten lese ohne wirklich etwas zu begreifen. Und dann alle diese historischen Exkurse... Dabei nennt Rilke oft nicht einmal die Namen, der Persönlichkeiten, um die es dabei geht; ohne erläuternden Kommentar ist man da echt aufgeschmissen. So gesehen hat mir die erste Hälte des Buches besser gefallen, zumindest etwas verständlicher jedenfalls.


    Gruss


    riff-raff


    P.S. Danke für den Link, Undine- werde mal nachlesen, was in diesem anderen Forum zum Thema so gepostet wurde.

    Hallo zusammen!


    Was die Episode betrifft, in welcher Malte in die Rolle der Sophie schlüpft um seine Mutter glücklich zu machen, die sich lieber ein Mädchen statt eines Jungen gewünscht hatte... - Wusstet ihr, dass Rilkes Mutter ihren Sohn "bis zu seinem fünften Altersjahr wie ein Mädchen kleidete und zu erziehen versuchte" (laut meinen Erläuterungen jedenfalls)...


    Was die Akzeptanz der eigenen Geschlechtlichkeit anbelangt, muss das doch für einen Menschen schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Stammt daher Maltes Angst vor dem "Grossen"? Ihr wisst doch, jene Episode, in der er erzählt, was ihn als Kind so erschreckte, wenn er im Fieber lag:


    ... das Grosse. Ja, so hatte ich immer gesagt, wenn sie alle um mein Bett standen und mir den Puls fühlten und mich fragten, was mich erschreckt habe: Das Grosse. Und wenn sie den Doktor holten und er war da und redete mir zu, so bat ich ihn, er möchte nur machen, dass das Grosse wegginge, alles andere wäre nichts.


    Bin ich der Einzige, der hier eine Erektion hineininterpretiert?


    Es war später einfach ausgeblieben, auch in Fiebernächten war es nicht wiedergekommen, aber jetzt war es da, obwohl ich kein Fieber hatte. Jetzt war es da. Jetzt wuchs es aus mir heraus wie eine Geschwulst, wie ein zweiter Kopf, und zwar ein Teil von mir, obwohl es doch gar nicht zu mir gehören konnte, weil es so gross war...


    Bei so einer Kindheit muss eine Erektion doch wie ein Vertrauensbruch an der geliebten Mutter erscheinen. "Ich möchte wohl wissen, was aus Sophie geworden ist", habe ihn die Mutter später des öfteren gefragt, ohne dass er darauf eine Antwort wusste. Aber wenn Maman vorschlug, dass sie gewiss gestorben sei, dann widersprach er [Malte] eigensinnig und beschwor sie, dies nicht zu glauben... - Und nun straft ihn sein eigener Körper Lügen... Die Erektion als augenfälligster Beweis, dass er doch nicht das Mädchen ist, das er seiner Mutter zuliebe gerne zu sein vorgab.


    Gruss


    riff-raff

    Hallo zusammen!
    Hallo alpha!


    Der Kammerherr, der sein Weinglas absichtlich überfüllt, scheint mir Maltes Grossvater väterlicherseits zu sein. Er ist es auch, dessen "rücksichtsloses" Sterben so eindringlich geschildert wird. Zusammen mit seiner Frau Margarete Brigge bewohnen sie das Gut Ulsgaard.


    Auf dem Gut Urnekloster hingegen wohnen die Brahes, Maltes Grosseltern mütterlicherseits.


    Der Graf Brahe und der Kammerherr sind folglich nicht dieselbe Person; so jedenfalls hab ich das verstanden...



    Gruss


    riff-raff


    P.S.: Bin leider mit Lesen noch nicht so weit wie du, alpha, habe eben erst die Episode mit der Hand gelesen...