Beiträge von riff-raff


    Was erfahren wir über Kurtz? Er wird verehrt, zunächst nur von seinen eigenen Leuten [...]später auch von den Eingeborenen [...] Kurtz lässt sich anbeten. In archaischen Riten werden ihm Menschen geopfert (die abgeschlagenen Köpfe auf den Pfählen rund um das Haus lassen dies ahnen), vermutlich auch verspeist. Ob Kurtz aktiv an diesen barbarischen Handlungen teilnimmt, bleibt unklar.[...] so wie Kurtz als Figur sehr schemenhaft bleibt, ein Phantom des Urwalds.


    Hallo Sir Thomas,


    eben weil Kurtz im Buch so wenig fassbar bleibt und seine Taten im Dschungel nur angedeutet werden, frage ich mich, wie das in Coppolas Verfilmung (Apocalypse Now) umgesetzt wurde. Filme neigen ja (wohl notgedrungen) dazu, ihre literarischen Vorlagen zu vereinfachen und zu konkretisieren. Begnügt sich der Film auch 'bloss' mit Anspielungen oder werden Kurtz unerhörte Grenzüberschreiten (denn um solche scheint es sich ja zu handeln) in Bilder umgesetzt?


    Die Assoziation Kurtz - Faust ist mir selber auch gekommen, aber der Vergleich mit Ahab hat auch was. Von Cormac McCarthy kenne ich leider bisher nur "Die Strasse".


    Gruss


    riff-raff

    Hallo zusammen!


    Es scheint da zu Missverständnissen gekommen zu sein, da hier einige das englische Original und andere die deutsche Übersetzung lesen ...


    Mit dem Prokuristen, den ich als Gegenentwurf zu Kurtz bezeichnete, meine ich nicht den "manager" (bei Göske als "Direktor" übersetzt und bei Zeitz als "Manager) , sondern jene Person, die im Original als "chief accountant" bezeichnet wird:


    [...] near the buildings I met a white man, in such an unexpected elegance of get-up that in the first moment I took him for a sort of vision. [...] I shook hands with this miracle, and I learned he was the Company's chief accountant, and that all the book-keeping was done at this station.


    Gruss


    riff-raff

    Hallo zusammen,


    ich bin jetzt durch mit dem Buch und vieles, was ihr geschrieben habt, spiegelt auch meine Leseerfahrungen wieder. Die Schilderung der Natur und des Kontinent sind atemberauben und reduzieren den Mensch auf die Grösse eines Insekts. Eine meiner Lieblingsstellen im Buch ist die folgende:


    Bäume, Bäume, Millionen von Bäumen, undurchdringlich, unermesslich, hoch aufragend - und ihnen zu Füssen, dicht am Ufer, kroch das kleine, russige Dampfboot den Fluss hinauf, wie ein träges Käferchen auf dem Boden einer mächtigen Säulenhalle dahinkrabbelt.


    Da kommt die ganze Einsamkeit und Nichtigkeit des Menschen zum Ausdruck. Um mit dieser prekären Situation umzugehen entwickeln Menschen unterschiedliche Strategien. Man kann sich dieser Unermesslichkeit, die einen umgibt, hingeben und dabei in Kauf nehmen, sich selbst zu verlieren (wie es letztlich mit Kurtz geschieht) oder man blendet die bedrohliche Fremdheit einfach aus, hält stur an seine Gewohnheiten und Alltagsroutinen fest, wie es der Prokurist der Handelsgesellschaft macht. Man könnte Marlows hochachtungsvolle Worte angesichts dessen gestärkten Kragen und weissen Manschetten als Ironie missdeuten, aber ich denke, er meint es wirklich ernst, wenn er behauptet, ihn zu respektieren:


    Ja. Ich respektierte seinen Kragen, seine breiten Manschetten, sein gebürstetes Haar. Er sah aus wie die Schaufensterpuppe eines Frisörs, doch dem grossen Sittenverfall des Landes zum Trotz wahrte er den Schein. Das ist Rückgrat. Seine gestärkten Kragen und die makellose Hemdbrust waren Errungenschaften, die von Charakterstärke zeugten. Er war seit fast drei Jahren hier draussen [...]


    Und "dort draussen gab es keine äusserliche Kontrolle", wie er etwas später betont. "Der Wahrheit dort muss [man] mit seiner eigenen Wahrheit begegnen - mit seiner natürlichen inneren Stärke."


    Ich halte den Prokuristen für ein Gegenentwurf zur Figur des phantomhaften Kurtz. Heisst es nicht mehrmals im Text, dass es Kurtz an Selbstbeherrschung fehle? Und Kurtz ist hohl. So steht es jedenfalls irgendwo. Wobei ich "hohl" als 'offen für Neues', 'durchlässig', 'empfänglich' auffasse. Der Dschungel hatte bei ihm leichtes Spiel einzudringen, während beim Prokuristen die Wildnis einfach abprallt. Nicht, dass er dadurch automatisch ein Held wäre ...


    Natürlich kann es sein, dass man ein zu grosser Narr ist, um in die Irre zu gehen - zu geistlos, um überhaupt zu merken, dass die Mächte der Finsternis angreifen. Ich glaube, kein Narr hat je einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.


    Gruss


    riff-raff

    Hallo zusammen!



    "Lord Jim" von Joseph Conrad ist eines meiner Lieblingsbücher. "Das Herz der Finsternis" habe ich auch schon zweimal gelesen, aber irgendwie nie den richtigen Zugang dazu gefunden. Vielleicht ändert sich das mit der Neuübersetzung von Sophie Zeitz (dtv, 2005). Jedenfalls bin ich gerne mit von der Partie, wenn ihr am 01. August startet. Bis dann ... Freue mich.


    Gruss


    riff-raff

    Hi zusammen!



    Wie seht Ihr das? Marienerscheinungen während der Kampfhandlungen. Maria hält das Bild des Vaters als Zielscheibe - so gelingen die Abschüsse, die Mahlke das Ritterkreuz einbringen?
    Ist das nicht ein bisschen zuviel der Phantasie? Ist das monströser Kitsch, höhere Psychologie oder wie seht Ihr das?


    Die betreffende Stelle fand ich auch äusserst krass. Pater Gusewski äussert zu Pilenz die Sorge, dass "Mahlkes Marienkult an heidnischen Götzendienst grenze". Die Art wie Mahlke seinen Glauben instrumentalisiert hat tatsächlich etwas unreflektiertes und archaisches an sich. Es ist nicht mehr länger Gott, der den Menschen (Mahlke) nach seinem Ebenbild schafft, sondern der Mensch (Mahlke), der sich seinen privaten Gottesklon (Jungfrau Maria) zusammenzimmert. Es gibt keinen Unterschied zwischen Mahlke und (seiner Version) der Gottesmutter, denn sie besitzt keinen eigenständigen Wert, sondern ist nur ein geistiger Auswuchs von Mahlke selbst. Und wenn Mahlke ums Verrecken dieses Ritterkreuz will und dafür so viele russische Panzer wie möglich abschiessen braucht, dann hilt ihm Maria natürlich dabei. Denn was Mahlke will, will auch Maria, so einfach ist das.


    Aber diese Instrumentalisierung von Glauben kennt man doch zu Genüge. Fast jeder Krieg wird im Namen irgendeines Gottes ausgefochten und die Religion verkommt zum Selbstbedienungsgeschäft, wo jeder sich zusammensucht, was ihm gerade in den Kram passt und genehm ist.


    Gruss


    riff-raff


    Die Szene, in der Mahlke dem Oberstudienrat Klohse auflauert und ihn ohrfeigt, finde ich besonders gelungen.


    Diese Ohrfeigen habe auch ich als grosse Befriedigung empfunden, nach diesen hässlichen Worten, mit denen er Mahlke hat abblitzen lassen:


    "Viele Leute - lassen Sie sich das gesagt sein - lieben zeit ihres Lebens kostbare Teppiche und sterben dennoch auf rohen Fussbodenbrettern. Lernen Sie verzichten, Mahlke!"


    Es spielt keine Rolle, was für Heldentaten Mahlke zur Erreichung des Ritterkreuzes errungen hat, für Klohse bleibt er weiterhin der dreckige kleine Dieb von einst, für den kein Platz ist unter seinesgleichen. Für mich ist Mahlke ein Getriebener, der nichts lieber möchte als dazu zu gehören, andererseits aber einen viel zu eignen Kopf hat, was ihn unweigerlich zum Aussenseiter prädisponiert. Mit dem Ritterkreuz glaubt er sich einen Platz in der Gesellschaft gesichert zu haben. Das Tragische ist bloss, dass er dazu gegen seine ureigensten Überzeugungen verstossen musste: Er, der sich über das Militär immer lustig gemacht hat und sich "kindisch" vorkommt in seinem Panzer und "viel lieber was Zweckmässiges täte oder was Komisches." Sein toter Vater bekam seine Medaille weil er "das Schlimmste verhüten" konnte, also wohl weil er Leben gerettet hat, Mahlke hingegen für das genaue Gegenteil, für das Auslöschen von Leben. Wie ink-heart bereits vorweggenommen hat, hätte er seine Auszeichnung längst vorher für die Rettung des Tertianer kriegen sollen.



    Auf jeden Fall scheint er sich selbst etwas beweisen zu müssen, vielleicht auch seinem verstorbenen Vater, in dessen Schuhen er ja durchaus symbolträchtig herumläuft.


    Das ist sehr schön ausgedrückt und denke, da steckt viel Wahrheit dahinter.


    Gruss


    riff-raff

    Hallo zusammen!


    Lese mit regem Interesse eure Kommentare. Bin jetzt durch mit dem Buch und frage mich, warum keiner von euch das Offensichtlichste anspricht, Mahlkes "Kennzeichen", diesen "fatalen Knorpel", seinen "Hüpfer", sein "Wappentier", die "Maus" ... Natürlich ist Mahlkes riesiger Adamsapfel nur ein vordergründiges Symbol, hinter dem sich was weiss ich nicht was verbirgt. Aber solange ich keine besseren Erklärungen finde, möchte ich mich einfach mal ans Sichtbare halten:


    Da ist ein 14-jähriger Junge im Deutschland der Kriegsjahre, der einen riesigen entstellenden Kehlkopf mit sich rumschleppt unter dem er ungeheuer leidet. Originalton Mahlke: "Konnte mich einfach nicht an das Ding da gewöhnen. Dachte, das ist eine Art Krankheit ..." Um von diesem Kainsmal abzulenken trägt er alles mögliche am Hals: Ketten, Medaillons, einen Schraubenzieher an einem Schnürsenkel ... Später versucht er es mit Krawatten, Schals, überdimensionierten Broschen ... - vergeblich. Alles, um "von einem Leid abzulenken", von einem körperlichen Makel, von dem er glaubt, "keine Schwärze vermag diese ausgewachsene Frucht zu schlucken, jeder sieht ahnt fühlt sie, möchte sie greifen ..." Als ein hochdekorierter ehemaliger Abiturient an die Schule zurückkehrt um einen Vortrag zu halten, "den begehrten Bonbon am Hals", glaubt Mahlke die Lösung zu seinem Dilemma gefunden. Zunächst entmutigt: "Jetzt müssen sie schon vierzig runterholen, wenn sie das Ding haben wollen. Ganz zu Anfang [...] bekamen sie es schon, sobald sie zwanzig - wenn das so weitergeht?", ergreift er die erste sich bietende Gelegenheit und klaut sich seinen Orden einfach. Und zum ersten Mal hat sein Hüpfer "ein genaues Gegengewicht gefunden. Still schlief er unter Haut [..], denn was ihm guttat und sich ausgewogen kreuzte, hatte Vorgeschichte, wurde schon anno achtzehnhundertdreizehn, da man Gold für Eisen gab, vom guten alten Schinkel als Blickfang und mit klassizistischem Formgefühl entworfen."


    Aus unbekannten Gründen aber stellt sich der Dieb selbst und wird prompt von der Schule verwiesen. Er meldet sich freiwillig, arbeitet sich zum Helden hoch und kehrt Jahre später - jetzt "ohne Maus: denn er hatte den besonderen Artikel am Hals" - in seine ehemalige Lehranstalt zurück. Im Triumph, wie er glaubt, sein Makel getilgt, bereit als Vorbild vor versammelter Schulmannschaft ein Referat zu halten. Aber der Direktor zeigt sich unnachsichtig und lässt ihn abblitzen. Was er nicht verkraftet und woran er zerbricht: Selbstmord? Ertrunken? Untergetaucht? ("Wenn dieser Winter doch bald vorbei wäre - ich will wieder tauchen und unter Wasser sein.")


    Eine solche Zusammenfassung des Geschehens lässt natürlich vieles - zu vieles - aussen vor, vor allem auch die Rolle des Erzählers, von Pilenz. Aber momentan fällt mir nicht viel Besseres dazu ein. Zuviele Fragen wirft der Text auf und keine Antworten in Sicht ... -


    Habe bisher viel Gewinn aus euren Gedanken gezogen und bin gespannt, was euch sonst noch so einfällt.


    Gruss


    riff-raff


    P.S.:


    In dem Fall scheint es mir kein Adjektiv, sondern ein Verb zu sein, dessen Personalpronomen (ich) weggekürzt ist.


    Manchmal sehe ich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr ... Danke! :winken:

    Hallo zusammen!


    Bin mittlerweile ebenfalls mit dem ersten Kapitel durch, wobei mir ein paar Sachen aufgefallen sind.


    Ganz allgemein merke ich, dass ich einen Text im Rahmen einer Leserunde viel genauer und intensiver lese als bloss für mich alleine. Ansonsten liste ich einfach mal auf, was mir so ins Auge gesprungen ist, ohne dass ich mir aber grossartig einen Reim darauf machen kann:



    [li]Drei Unterkapitel beginnen allesamt identisch mit: "... und einmal"
    [/li]
    [li]Die verschiedenen Bezeichnung die Grass für Mahlkes Adamsapfel bisher benutzt hat: Artikel; Maus; fataler Knorpel zwischen Kinnlade und Schlüsselbein; ausgefahrene Rückenflosse, die eine Kielspur reisst (beim Rückenschwimmen); Gurgel - bin gespannt, was er im Laufe der Erzählung noch für weitere Umschreibungen gebraucht ...
    [/li]
    [li]Zweimal wendet sich der Ich-Erzähler statt an den Leser direkt an Mahlke selbst: "Ich aber, der ich Deine Maus einer und allen Katzen in den Blick brachte ..." und später: "Wenn immer ich vorm Altar diente, sogar während der Stufengebete, versuchte ich, Dich aus verschiedenen Gründen im Auge zu behalten: aber Du wolltes es wohl nicht darauf ankommen lassen ..."
    [/li]
    [li]Die Präsenz der Heiligen Jungfrau, einerseits im Medaillon, dass Mahlke um den Hals trägt, dann "jene markstückgrosse Medaille aus Silber", die Mahlke im Wrack findet und auf deren Vorderseite "das stark erhaben Relief der Jungfrau mit Kind" zu sehen ist und in den Worten des Gebets, das er vor der gefundenen Medaille kniend aufsagt: "Jungfrau, der Jungfrauen strahlendste, sei mir doch nicht grausam ..." (Google sei Dank für die deutsche Übersetzung ...) und schliesslich heisst die Kirche, in die Mahlke allmorgendlich (!) geht Marienkappelle.
    [/li]
    [li]"Ein etwa dreijähriger Balg", der "monton hölzern auf eine Kinderblechtrommel" schlägt. Soll das eine Anspielung auf "Die Blechtrommel" sein? Habe das Buch leider nocht nicht gelesen.
    [/li]
    [li]Der Ich-Erzähler behauptet, nicht zu wissen, ob einer der Jungen die Katze an Mahlkes Gurgel setzte, oder ob er selbst die Katze darauf aufmerksam machte. Nur um gleich anschliessend weiterzufahren: "Ich aber, der ich Deine Maus einer und allen Katzen in den Blick brachte ..." Hier scheint er sich für mich selbst zu widersprechen. Zudem scheinen diese Zeilen darauf hinzudeuten, dass der Erzähler nicht bloss ein unbeteiligter Augenzeuge ist, sondern im Verlauf der Handlung noch eine wichtige - unheilvolle? - Rolle spielen wird.
    [/li]
    [li]Die Schachtelsätze, auf die hier schon andere hingewiesen haben, die sich aber immer wieder mit der simplen Aneinanderreihung von Hauptsätzen abwechseln; die Einstiegsseite des Textes besteht fast ausschliesslich aus solch einfachen Aneinanderfügungen.
    [/li]
    [li]"Dieses Spiel mit dem Leser, das Verwischen der Grenzen von Fiktion und Realität", auf die schon ink-heart aufmerksam gemacht hat und auch mir so gut gefallen.
    [/li]


    Zum Schluss noch eine Frage: Als Mahlke in der Kirchenbank sitzt (S. 19 unten bei meiner Ausgabe) heisst es, er ziele sein Gebet "mit offenen, glaube, hellgrauen [...] Augen in Richtung Jungfrau, Marienaltar." "Glaube" als Substantiv versteht wohl jeder, aber als Adjektiv, wie es im vorliegenden Fall gebraucht zu werden scheint, ist es mir noch nie untergekommen. Meint Grass damit einfach nur "gläubig"?


    So, das wärs für den Moment. Allen noch einen schönen Sonntagnachmittag ...


    Gruss


    riff-raff
    [/list]

    Hallo zusammen!


    Melde mich ebenfalls für die Grass-Leserunde an. Habe schon ewig lange an keiner Runde mehr teilgenommen und es sehr vermisst. Das ist übrigens das erste Mal, dass ich was von Grass lesen werde und bin schon sehr gespannt. Das Buch ist jedenfalls bereits gekauft und liegt griffbereit.


    Bis dann... Freue mich!


    riff-raff

    Hallo donna!


    Scheint wir sind die einzigen beiden, die sich für das Buch der Unruhe erwärmen können. Ob es unter solchen Umständen sinnvoll ist, hier im Forum eine Leserunde zu starten?...


    Zudem planst du nur zwei Wochen für Pessoa ein und wenn das Buch auch nicht so umfangreich wie Ulysses ist - ich zumindest brauche voraussichtlich weitaus mehr Zeit dafür...


    Mein Rat ist, den Buchvorschlag ruhen zu lassen und abzuwarten, ob sich nicht doch noch andere Interessenten melden.


    Schönes Wochenende noch


    riff-raff

    Hallo donna!


    November also... Hm, ich denke, so lange kann ich meinen Lesedurst gerade noch zügeln :zwinker:. Und wer weiss, vielleicht stossen bis dann noch weitere Interessierte dazu. (Eventuell auch du, alpha?... Würd mich freuen!)


    Gruss


    riff-raff

    Fernando Pessoa: Das Buch der Unruhe



    »Ein Jahrhundertbuch!«
    Andreas Isenschmid, Schweizer Literaturclub



    »Es scheint mir unmöglich, von diesem Buch nicht gefesselt zu sein. Denn auf diesen Seiten wird unsere Sache abgehandelt.«
    Curt Meyer-Clason, NDR



    »Wenn sie mich nach meinem tiefgreifendsten Leseerlebnis fragen, dann würde ich ohne zu zögern antworten: 'Das Buch der Unruhe' von Fernando Pessoa.
    Sollten sie es nicht kennen, ich verspreche ihnen eine literarische Entdeckung.
    Die Neuausgabe ist ein literarisches Ereignis.«
    Paul Kersten, Bücherjournal, NDR



    »Als Dichter ist Pessoa einzigartig, denn er hat aus reiner Poesie einen großen Roman gemacht.«
    Antonio Tabucchi



    »Eigentlich lieben wir ihn so sehr, diesen stillen, sonderbaren, scheuen Poeten, diesen feierlichen Erforscher kleinster Dinge, diesen Humoristen, der nie lächelt, eigentlich lieben wir ihn so sehr, daß wir ihn nicht teilen wollen...«
    Elke Heidenreich



    „Schon die ersten Seiten lassen einem das Herz höher schlagen. Die Selbstbeschreibung des Buchhalters Bernardo Soares als am Rand stehende Existenz zieht einen sofort in die Mitte des Bannes dieses Buches."
    Jürgen Weber, Buchkritik.at, 3. September 2006



    »Pessoas Werk ist wie eine Bibel, man kann es über Jahre hinweg mit sich herum tragen, jederzeit aufschlagen, immer wieder einen Abschnitt lesen und sich über die Einsamkeit des Menschen belehren lassen. Es umspannt die Seele mit sehnsüchtiger Trauer.«
    Maike Albath, Der Tagesspiegel



    »Eine verhangene Stimme, nach der man süchtig wird.«
    Maike Albath, Börsenblatt



    »Pessoa offenbart, wie man sich von Hektik und Konsumdenken befreien und Wege öffnen kann zur besseren 'Erkenntnis des Innern'. Ein bemerkenswertes Buch, bei dem auch immer wieder der heimliche Glanz des sanft umhauchten Lisboa herausdringt.«
    Robert Gernhardt, Radio Bremen



    »...ein Unternehmen, das gar nicht hoch genug gerühmt werden kann, weil Fernando Pessoa unzweifelhaft zu den Portal- und Schlüsselfigren der literarischen Moderne gehört und ein Panorama der modernen europäischen Literatur ohne ihn undenkbar wäre. Italo Calvino meinte unlängst noch, Pessoa sei für ihn der wichtigste Anreger überhaupt gewesen. Der mexikanische Dichter Oktavio Paz interpretiert den Portugiesen als den exemplarisch-modernen Dichter schlechthin. Und der berühmte russische Linguist Roman Jakobson rechnete Pessoa zu den innovatorischen Künstlern vom Range eines Picasso, Strawinski, James Joyce, Chlebnikow und Le Corbusier.«
    Peter Hamm, Bayerischer Rundfunk



    »'Das Buch der Unruhe' ist ein Reiseführer durch das mentale Universum einer nervös überreizten Dekadenz. Eine Sammlung von Meditationen, Skizzen, Meinungen, Maximen und Reflexionen, die sich zumeist an dem entzünden, was das Kontorfenster auf die Lissaboner Altstadtstrasse Rua des Souradores zu sehen gibt: ein kleines Welttheater.«
    Jürgen Ritte, Deutschlandfunk


    »Was vorliegt, ist ein sorgfältig schön gemachtes Buch. Wenn es einem Verlag für Vermittlertätigkeit zu danken gilt, ist dies hier der Fall, ein einzigartiges Buch, das zu den Schlüsselwerken der europäischen Literatur aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts zählt.«
    Hugo Loetscher, Tages-Anzeiger



    Inhalt: Bernardo Soares ist als Hilfsbuchhalter in der Rua dos Douradores, der "Strasse der Vergolder", in der Lissabonner Unterstadt tätig. Sein unscheinbares und isoliertes Leben hält er anhand von Tagebucheintragungen fest, die jedoch keinem Lebenskontinuum folgen, sondern vielmehr assoziativ und aphoristisch ohne jegliche Intimität das eigene Dasein als modernes Subjekt und das der Menschheit im Allgemeinen reflektieren. Der Ort der eigenen Existenz, die "Strasse der Vergolder", wird zur Metapher für die ganze Welt, die Tagebuchaufzeichnungen zum eindringlichen und erbarmungslosen Dokument der Verlorenheit und Zerrissenheit des Ichs in einer modernen Welt, in der einzig die Literatur noch als dauerhafter Wert empfunden wird.



    Na..., neugierig geworden? - Ich schon! Liest jemand mit mir mit?


    Liebe Grüsse :winken:


    riff-raff

    Hallo zusammen!


    Wollte nur bekanntgeben, dass ich "Zarathustra" wieder zurück ins Regal stellen werde ohne es fertig gelesen zu haben. Scheint, die Zeit ist noch nicht reif dafür - für mich jedenfalls. Mag auch an der Jahreszeit liegen: als Sommerlektüre etwas gar happig... :urlaub:


    Bin aber sicher, dass ich das Buch früher oder später erneut in Angriff nehmen werde.


    Und ihr? zu Ende gelesen?


    Gruss


    riff-raff

    Hallo ihr!


    Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch, - ein Seil über einem Abgrund.


    Nietzsche verwendet diese Metapher am Anfang des vierten Kapitels (erster Teil). Im sechsten Kapitel konkretisiert sich dieses Bild dann im Seiltänzer, der über einem zwischen zwei Türmen gespannten Seil balanciert. Diese Wiederaufnahme einmal eingeführter Bilder und Motive scheint mir typisch für den „Zarathustra“ zu sein, wird diese Rekursion im Verlaufe des Buches doch immer wieder angewandt.


    Auf das traurige Schicksal des Seiltänzers brauche ich nicht näher einzugehen, aber wer ist dieser „Possenreisser“, der über den Artisten hinwegspringt und ihn somit zum Stürzen bricht? – Der Seiltänzer hält ihn für den Teufel wird aber von Zarathustra dahingehend berichtigt, dass es weder Hölle noch Teufel gibt. Aber wer ist er dann?


    Zarathustra hegt ganz offen Sympathien für den Seiltänzer, was sein Anerbieten bezeugt, ihn mit eigenen Händen zu begraben; offensichtlich imponiert ihn die Vorstellung, dass einer die Gefahr zu seinem Beruf macht, selbst auf Kosten des Lebens. Als er mit dem toten Körper auf dem Rücken die Stadt verlässt steht plötzlich der Possenreisser wieder da und flüstert ihm ins Ohr:


    Geh weg von dieser Stadt, oh Zarathustra, [...] es hassen dich hier zu viele. Dein Glück war es, dass man über dich lachte [...]. Dein Glück war es, dass du dich dem toten Hunde geselltest [dem Seiltänzer]; als du dich so erniedrigtest, hast du dich selber für heute errettet. Geh aber fort aus dieser Stadt – oder morgen springe ich über dich hinweg, ein Lebendiger über einen Toten.


    Der Possenreisser scheint Zarathustra für einen Widersacher zu halten, den er vielleicht fürchtet, jedenfalls aber gerne aus dem Wege haben möchte. Wenn also Zarathustra für den Übermenschen steht und den Versuch, die Menschen aus Lethargie und Trägheit zu reissen, dann muss der Possenreisser folglich als dessen Gegenpol angesehen werden: Dem Possenreisser sind die Dinge recht wie sie sind, er möchte, dass alles beim Alten bleibt. Stellt er demzufolge eine Personifikation aller Übel dar, die Zarathustra am jetzigen Menschen konstatiert?


    Die Sache wird nicht einfacher, wenn Zarathustra an seiner Sendung festhält und seinen Entschluss in folgende Worte kleidet:


    Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang; über die Zögernden und Saumseligen werde ich hinwegspringen. Also sei mein Gang ihr Untergang!


    Jetzt ist es also Zarathustra selbst, der über andere hinwegspringen und sie zu Fall bringen möchte, das Bild des Possenreisser folglich vom Negativen plötzlich ins Positive verkehrt... Oder nennt man das „Identifikation mit dem Aggressor“?


    Schönes Wochenende


    riff-raff

    Hallo Friedrich-Arthur!
    Hi Lebenszeichen!


    Huxleys "Schöne neue Welt" habe ich auch gelesen, leider ist das so lange her, dass meine Erinnerungen daran schon ziemlich verblasst sind. Finde es aber interessant, wenn man Querverbindungen zwischen Büchern ausfindig macht.



    Zitat von "lebenszeichen"

    mag sein, dass ich mich an unwichtigem aufhalte, aber ich denke doch, jeder gedanke ist es wert, zu ende gedacht zu werden...


    Einmal "Nein" und einmal "Ja": Nein, Verweise zwischen verschiedenen Büchern aufzuzeigen finde ich nicht unwichtig, sondern im Gegenteil meist sehr aufsschlussreich. Und "Ja", jede Gedankenspur ist es wert weiter verfolgt zu werden, man weiss nie, worauf man alles stösst...


    Gruss


    riff-raff

    Hallo zusammen!


    „Ich lehre euch den Übermenschen.“


    Das sind die ersten Worte, die Zarathustra an das Volk richtet nachdem er die Stadt erreicht hat. Was dieser „Übermensch“ genau ist bleibt unklar und ich denke mir, dass man sich sein Bild wie ein Puzzle nach und nach zusammensetzen muss je weiter man mit der Lekture des Buches fortfährt. Was ich bisher verstanden zu haben glaube ist ungefähr folgendes:


    [list]Der Übermensch ist nicht, sondern muss erst noch kommen, erscheint somit als ein in die Zukunkt projiziertes Bild der menschlichen Entwicklung. Zarathustra ist dessen Verkündiger.[/list:u]


    [list]Der Übermensch ist der Sinn der Erde und dessen Endziel; wir heutigen Menschen folglich nur ein Übergang, ein Bindeglied in der Evolution, so wie die Affen und Primaten eine Vorstufe von uns selbst darstellen. [/list:u]
    Mich hat das an den österreichischen Verhaltensforscher Konrad Lorenz erinnert, wenn er schreibt: „Es ist kein allzu grosser Optimismus nötig, um anzunehmen, dass aus uns Menschen noch etwas Besseres und Höheres entstehen kann. [...] Das langgesuchte Zwischenglied zwischen dem Tiere und dem wahrhaft humanen Menschen – sind wir!“ [Aus: Das sogenannte Böse.] Auch wenn ich nicht denke, dass er damit Nietzsches Übermenschen meint.



    [list]Der Übermensch entsteht nicht zwangsläufig, vielmehr muss der heutige Mensch aktiv daran arbeiten um die Voraussetzungen zu schaffen, die desssen Entwicklung begünstigen. Sollte er das unterlassen, steuert die Menschheit geradewegs auf den „letzten Menschen“ zu, den Nietzsche als Gegenpol zum Übermenschen versteht. Dieser „letzte Mensch“ ist lau, selbstgefällig, bequem, satt und angepasst, geht stets den Weg des geringsten Widerstands und hat aufgehört nach etwas Höherem zu streben.[/list:u]


    [list] Der Übermensch ist laut einer Skizze Nietzsches aus dem Jahre 1883 kein Herrenmensch: „Es ist durchaus nicht das Ziel, die letzteren [den Übermenschen] als die Herren der Ersteren [des „letzten Menschen“] aufzufassen: sondern: es sollen zwei Arten neben einander bestehen – möglichst getrennt“.[/list:u]


    Soviel jedenfalls, was ich bisher zum Thema „Übermensch“ verstanden zu haben glaube. Kritik und Ergänzungen jederzeit willkommen :zwinker:


    Gruss


    riff-raff

    Hallo zusammen!


    Die erste Person, der Zarathustra auf seinem "Untergang" begegnet ist ein Greis, der alleine im Wald haust. Dieser Eremit erinnert sich Zarathustras und bemerkt auch die Veränderung, die dieser seit ihrer ersten Begegnung vor zehn Jahren durchgemacht hat:


    Verwandelt ist Zarathustra, zum Kind ward Zarathustra, ein Erwachter ist Zarathustra...


    Zarathustra und der Einsiedler haben einiges gemeinsam: beide haben sich vor dem Treiben der Welt in die Einsamkeit geflüchtet, beiden erscheint der Mensch, so wie er im Augenblick ist, noch als unfertig (Eremit: "Der Mensch ist mir eine zu unvollkommene Sache."). Auch dem Einsiedler ist in seiner Abgeschiedenheit eine Erkenntnis zuteil geworden: Er hat seine Liebe zu Gott entdeckt. Aber im Gegensatz zu Zarathustra verspürt er keine Veranlassung, diesen neu entdeckten Glauben mit irgendjemanden zu teilen. Im Gegenteil, obwohl er behauptet, die Menschen wegen allzu grosser Liebe verlassen zu haben, weiss er zig Gründe anzuführen, warum es für Zarathustra ratsamer sei von seinem Vorhaben abzulassen und nicht zu den Menschen zu gehen. Das bringt uns wieder zur Frage zurück, die Friedrich-Arthur eingangs schon mal gestellt hat, nämlich was für Beweggründe Zarathustra dazu treiben, sein Wissen an andere weiterzugeben.


    Eine Antwort ist vielleicht in der Frage zu erahnen, die Zarathustra dem Greis stellt:


    Und was macht der Heilige im Walde?


    Klingt da nicht ein leiser Vorwurf mit? Als wolle er sagen: Was nützt ein Heiliger alleine im Walde? Unter die Menschen gehört er, wenn er will, dass sein Same Früchte trägt und sich verbreitet. - Zarathustra jedenfalls will seine Erkenntnis unter die Leute bringen. Und beinahe gewaltsam reisst er sich von dem Einsiedler los:


    Aber lass mich schnell davon, dass ich euch nichts nehme!


    Das, was er ihm zu nehmen befürchtet, ist natürlich dessen Glaube an Gott:


    Sollte es denn möglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Walde noch nichts davon gehört, dass Gott tot ist.


    Als Lektürehilfe zum "Zarathustra" benütze ich ein Büchlein von Rüdiger Schmidt und Cord Spreckelsen ("Nietzsche für Anfänger. Also sprach Zarathustra"), in dem es heisst, dass man "Zarathustra" genau vor diesem Hintergrund lesen kann/soll: Gott ist tot! Was jetzt?... - Eine Anleitung gewissermasse zur "Möglichkeit des Lebens nach dem Tod aller Sicherheiten".



    Liebe Grüsse


    riff-raff


    Hallo zusammen!


    Zitat von "Friedrich-Arthur"

    Zarathustra ist seiner Weisheit überdrüssig, warum aber? Weil der Mensch den Menschen braucht und den Austausch? Weil Wissen, Erkenntnis und Wahrheitserkennung allein niemand weiterbringt, wenn dies nicht zur Verbesserung der Menschheit eingesetzt wird? Eitelkeit schließe ich hier aus, es geht Zarathustra ums Ganze.


    Auch ich unterstelle Zarathustra keine Eitelkeit, wenn er nach zehn Jahren Einsamkeit auf ein Wissen gestossen zu sein glaubt, dass er jetzt mit den übrigen Menschen teilen möchte. Lediglich Nietzsches Vergleich mit der Sonne überzeugt mich nicht. Der Sonne sind - mit Verlaub gesagt - Zarathustra, sein Adler und seine Schlange so ziemlich sch...egal; sie braucht deren Segnung genauso wenig wie unsereiner ein Loch im Kopf. Die Sonne scheint, weil sie scheint; dass irgeneiner einen Nutzen daraus zieht kann ihr schnuppe sein. Sie ist wie die Rose des Angelus Silesius (alias Johannes Scheffler 1624-1677):


    Die Ros ist ohn warum; sie blühet, weil sie blühet,
    Sie acht nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet.


    Menschen aber sind nicht so autark. Der Mensch braucht den Menschen um überhaupt Mensch zu sein. Und selbst eingedenk Hesses Worte, dass jegliche Weisheit, welche ein Weiser mitzuteilen versucht, immer wie Narrheit klingt ("Siddhartha"), wollte ich wirklich mit einer Entdeckung, von der ich überzeugt bin, dass sie zum Wohle der Menschheit gereicht, hinter dem Berg halten aus Angst mich lächerlich zu machen?...


    Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Mensch werden.


    Gruss


    riff-raff

    Hallo!


    Habe soeben "Die Wahlverwandtschaften" zu Ende gelesen... Aus der Sekundärliteratur war mir das Ende des Romans ja bereits bekannt, so dass mich der Schluss nicht sonderlich überrascht hat. Gefallen hat mir, wie der Erzähler (Goethe) sich jeglicher moralischen Wertung enthält. Zwar bleiben Charlotte und der Hauptmann, welche ihre Leidenschaften zu zügeln vermögen, am Leben und Eduard und Ottilie, die sich von ihren Gefühlen mitreissen lassen, kommen um, aber ich sehe darin mehr ein Zugeständnis an damalige Konventionen als etwas anderes. Dazu passt auch Goethes Antwort an all jene, die sittliche Bedenken gegenüber seinen Roman äusserten:


    "Ich heidnisch? Nun, ich habe doch Gretchen hinrichten und Ottilien verhungern lassen, ist denn das den Leuten nicht christlich genug? Was wollen sie noch Christlicheres?"


    Wenn überhaupt, so scheinen mir Goethes Sympathien eher auf der Seite von Ottilien und Eduard zu liegen, wenn er den Roman mit den Worten enden lässt:


    So ruhen die Liebenden nebeneinander. Friede schwebt über ihrer Stätte, heitere, verwandte Engelsbilder schauen vom Gewölbe auf sie herab, und welch ein freundlicher Augenblick wird es sein, wenn sie dereinst wieder zusammen erwachen.


    Es ist natürlich müssig zu fragen, ob das Unheil hätte verhindert werden können, falls Charlotte nicht so hartnäckig auf die Aufrechterhaltung ihrer Bindung mit Eduard bestanden hätte, einer Ehe, die nur noch auf gesellschaftlichen Konventionen und nicht mehr auf gegenseitige Liebe gründete. Aber auch ohne ihr den schwarzen Peter zuschieben zu wollen, so hat sie das bereits selber gemacht, wenn sie nach dem Tod ihres Kindes spricht:


    Ich fühle recht wohl, dass das Los von mehreren jetzt in meinen Händen liegt; und was ich zu tun habe, ist bei mir ausser Zweifel und bald ausgesprochen. Ich willige in die Scheidung. Ich hätte mich früher dazu entschliessen sollen; durch mein Zaudern, mein Widerstreben habe ich das Kind getötet. Es sind gewisse Dinge, die sich das Schicksal hartnäckig vornimmt. Vergebens, dass Vernunft und Tugend, Pflicht und alles Heilige sich ihm in den Weg stellen: es soll etwas geschehen, was ihm recht ist, was uns nicht recht scheint; und so greift es zuletzt durch, wir mögen uns gebärden, wie wir wollen.


    Die Einsicht kommt leider zu spät - nun ist es Ottilie, die einen Wechsel der Partner nicht mehr gutzuheissen vermag... Ihr Bussweg der Entsagung führt sie in den Tod. Ein Tod freilich, der sie geradewegs in die Gefilde der Heiligen und Seeligen hinaufkatapultiert ("die Himmelfahrt der bösen Lust", wie Friedrich Jacobi das so anzüglich genannt hat). - Wenigstens Bettina von Arnim hätte sich (in ihrem Briefwechsel mit Goethe) für Ottilie auch noch einen anderen Weg der Sühne vorstellen können:


    Ach, wie konnte doch Ottilie [...] sterben wollen? - O ich frage Dich [Goethe]: ist es nicht auch Busse, Glück zu tragen, Glück zu geniessen?


    Gruss


    riff-raff

    Hallo!


    Habe soeben die Erzählung "Die wunderlichen Nachbarskinder" gelesen und muss gestehen, dass ich mir von diesem Novellen-Einschub mehr erhofft hatte; irgendwie dachte ich mir, Goethe liefere darin so etwas wie einen Lektüreschlüssel für den Roman, aber jetzt bin ich noch verwirrter als vorher.


    Zwar scheint auch der Hauptmann in der Vergangenheit etwas Ähnliches wie in der Novelle berichtet erlebt zu haben und auch Eduard und Charlotte haben sich schon früh kennen und lieben gelernt und genau wie bei den "wunderlichen Nachbarskinder" war auch ihr Weg bis zur Ehe kein geradliniger... - aber somit sind die Parallelen zwischen Novelle und Roman auch schon erschöpft, wenigstens soweit ich das zu erkennen vermag.


    Der zweite Teil des Romans liest sich weitaus harziger als der erste, der Schreibstil verlangsamt sich und wird ausladender...


    Gruss


    riff-raff