[quote= finsbury, 9. Juni 2014, 19:22]Was ist mit den anderen LR_Teilenehmern eigentlich? Alle schon fertig?[/quote]
Nun will ich mich auch endlich zurückmelden. Die Wanderjahre habe ich schon vor etwa drei Wochen ausgelesen. Mindestens zwei Wochen war ich aus verschiedenen Gründen vom Internet und damit von der Leserunde abgeschnitten. Umso erfreuter war ich jetzt festzustellen, dass noch Leben in der Bude, die Leserunde noch nicht geschlossen ist.
Euren Kommentaren kann ich in (fast) allem zustimmen. Wie Ihr, finsbury und karamzin, staune ich über die Aktualität Goethischer Kritik am Wirtschafts- und Finanzwesen und der kulturellen Kurzatmigkeit seiner Zeit und freue mich an der Treffsicherheit von Formulierungen wie „Durchrauschen des Papiergeldes“ „veloziferisch“ u.ä.
Ich teile Dein Unbehagen am dritten Buch,@ newman, an der Auswanderungs- und Umsiedlungseuphorie und -rhetorik, die, wenn nicht unfreiwillig komisch, dem heutigen Leser eher peinlich ist:
Wer gehorchet der erreicht es,/ Zeig ein festes Vaterland./ Heil dem Führer!/ Heil dem Band...
Faschistoides findet sich allerdings in utopischen Texten häufig (auch bei Plato, auch bei Campanella etc). Goethe war kein Demokrat, das zeigt sich wieder z. B. an seinen Betrachtungen zur „Volkheit“ (scheußliche Wortschöpfung), aber immerhin gilt für die Wanderjahre: die wichtigste, allumfassende Maxime der päd.Provinz, die oberste vierte(!) Ehrfurcht lautet: Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst.
Ja, ich empfinde wie newman Makariens Archiv( und die Betrachtungen im Sinne) als Höhepunkt.
[quote=JH Newman,12. Juni 2014, 10:15]Hier kommt Goethe wieder zu dem, was er im Tiefsten sagen will.
[/quote]
Und hier reflektieren sich die Wanderjahre. Im Grunde könnte man eine Interpretation der WJ schreiben entlang der Aphorismen:
Alles ist gleich, alles ungleich, alles schädlich und nützlich…... Und was man von einzelnen Dingen bekennt, widerspricht sich öfters.
(Zum Thema Widersprüchlichkeit in den WJ)
Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden, es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun.
( zur Wertschätzung des Handelns in den WJ)
Eine allgemeine Ausbildung dringt uns jetzt die Welt ohnehin auf… das Besondere müssen wir uns zueignen.
(Wilhelm, die Oberen, Montan)
Steine sind stumme Lehrer, sie machen den Beobachter stumm, und das Beste, was man von ihnen lernt, ist, nicht mitzuteilen.
(Montan)
Man wird nie betrogen, man betriegt sich selbst.
( Die pilgernde Törin, Der Mannn von fünfzig Jahren etc)
Was einem angehört, wird man nicht los, und wenn man es wegwürfe.
( (Leonardo und Nachodine u.a, die Kästchen und Schlüssel.)
Die Reihe ließe sich fortsetzen. Dies sind jetzt nur einige, vergleichsweise flache Reflexionen. An die wirklich"tiefen" ( über die Analogie alles Existierenden, zarte Empirie und das reine Anschauen u.a.) und ihre Entsprechungen in den Wanderjahren traue ich mich nicht, wäre auch zu langatmig.
Ich habe die Wanderjahre gerne gelesen. Sie strahlen eine wunderbare Ruhe aus - selten bin ich über einer Lektüre öfter eingeschlafen - nach dem (geheimen) Motto : Alles ist gut, wie es ist, auch wenn es sich hier um einen Bildungs-und Erziehungsroman handelt: der Mensch in seinem dunklen Drange kennt und findet seinen Weg ohnehin und sowieso. Hat man sich eigentlich schon mal Gedanken darüber gemacht, warum der seine Lehr- und Wanderjahre absolvierende Wilhelm ausgerechnet Meister heißt?
Es ließe sich noch unendlich viel zu dem Roman sagen. Ich hoffe auf Karamzins Fazit und, wer weiß, vielleicht gibt ja der eine oder andere Leserundenteilnehmer noch etwas zum besten.