Beiträge von Gontscharow

    "Jugend ohne Gott " ist ein wunderbares Buch - Ödön v. Horvarth einer meiner Lieblingsautoren des letzten Jahrhunderts!


    Danke, sir thomas, dass Du an seinen Todestag erinnert hast!


    Viele Grüße von Gontscharow

    Ich erinnere mich nur in groben Zügen an den Roman. Es ist die turbulente Liebesgeschichte eines Dichters und einer Schauspielerin. Romanvorlage ist wohl die Beziehung d'Annunzios zu der Belle-époque-Diva Eleonora Duse. Alles spielt vor der verfallenden Kulisse Venedigs, der alternde Richard Wagner tritt auch auf.
    Es ist ein spezifisch italienischer fin-de-siècle-Roman( erschienen um 1900). D'Annunzio entwickelt hier schon seine Theorie des superoumo, des Übermenschen . Der spätere Faschist d'Annunzio kündigt sich an. Literaturhistorisch ist der Roman bestimmt interessant.
    Grüße von G.

    Hallo ink-heart!


    Danke für die Antwort! Leider konnte ich mich nicht früher melden. Was Du zu der Textstelle schreibst, sehe ich genauso! Das ändert für mich jedoch nichts an ihrer literarischen Fragwürdigkeit.


    Nun ja , die Leserunde ist zu Ende, sie hat mir Anregungen gegeben, danke!


    Grüße von G.

    Liebe KuM- Leser!
    Mit Interesse habe ich Eure Leserunde verfolgt. Ich habe mich nicht aktiv beteiligt, weil ich den Text nicht noch einmal lesen wollte. Angeregt durch Eure vielfältigen Beobachtungen, habe ich es nun aber doch getan und würde gern Eure Einschätzung zu einer wichtigen Textstelle im letzten Kapitel hören , von der noch nicht die Rede war:
    Auf der Überfahrt zum "Kahn" entwirft Mahlke in fragmentarischen Sätzen die Rede, die er im Gymnasium nicht hatte halten dürfen. Er sagt, dass er auch über den persönlichen Einsatz seines Vaters bei dem Eisenbahnunglück bei Dirschau geredet hätte und weiter:" Und wie im August an der Vorskla die Jungfrau. Alle lachten, und den Divisionspfarrer schickten sie mir auf den Hals. Aber dann brachten wir die Front zum Stehen. Wurde leider zum Mittelabschnitt versetzt. Sonst wäre bei Charkow nicht so schnell. Prompt, bei Korosten erschien sie mir wieder, als wir das neunundfünfzigste Korps. Dabei hatte sie nie das Kind , immer das Bild. Wissen Sie , Herr Oberstudienrat, das hängt bei uns auf dem Korridor...Und das hielt sie nicht vor der Brust , sondern tiefer. Ganz deutlich hatte ich die Lokomotive drinnen. Mußte nur zwischen meinem Vater und den Heizer Labuda halten.Vierhundert. Direkter Beschuss. ...Und so war es auch in der Bereitstellung östlich Kasatin. Am dritten Weihnachtstag übrigens. Sie bewegte sich von links gegen das Waldstück in Marschgeschwindigkeit fünfunddreißig. Musste nur draufhalten,draufhalten, drauf."
    Wie seht Ihr das? Marienerscheinungen während der Kampfhandlungen. Maria hält das Bild des Vaters als Zielscheibe - so gelingen die Abschüsse, die Mahlke das Ritterkreuz einbringen?
    Ist das nicht ein bisschen zuviel der Phantasie? Ist das monströser Kitsch, höhere Psychologie oder wie seht Ihr das? Für mich ist das irgendwie schwer erträglich. Pilenz nimmt dannn ja noch das Bild von Mahlkes Vater mit an die Front - als Schützenhilfe?
    Grüße von G.

    Das wurde aber auch Zeit, dass Jorge Luis Borges hier empfohlen wird ! Seine Essays und Erzählungen sind atemberaubend. Außer dem "Aleph" sind aus dem gleichnamigen Erzählband besonders lesenswert: "Die Theologen", "Das Haus des Asterion", "Deutsches Requiem" (!), Averroes auf der Suche" und die "Inschrift des Gottes".
    Phantastisch sind auch Borges' legendäre Havard- Vorlesungen aus den 60iger Jahren. Zitat aus dem Klappentext: "Eine Wanderung des vielleicht belesendsten Mannes seiner Zeit durch die Weltliteratur"(Daniel Kehlmann)
    Ich habe jetzt mit seiner "Universalgeschichte der Niedertracht"begonnen. Vielleicht versteht Ihr meine Faszination, wenn Ihr den Anfang hört: " Im Jahre 1517 bewies der Padre Bartolomé de las Casas großes Erbarmen mit den Indios, die sich in den Marterhöllen der Goldgruben auf den Antillen abquälten;er schlug dem Kaiser Karl dem V. vor, Neger einzuführen, die sich in den Marterhöllen der Goldgruben auf den Antillen abquälen sollten. Dieser wunderlichen Nuance eines Menschenfreundes verdanken wir eine Unmenge von Tatsachen: die Blues von Handy, den Erfolg, den in Paris der uruguayische Maler und Doktor Don Pedro Figari errang, die schöne wildwüchsige Prosa des gleichfalls uruguayischen Don Vicente Rossi, die mythologische Größe Abraham Lincolns, die fünfhunderttausend Toten im Sezessionskrieg, die dreitausenddreihundert Millionen , die an Militärpensionen ausgezahlt wurden, das Denkmal des Phantasiehelden Falucho, die Aufnahme des Verbs "lynchen" in die dreizehnte Ausgabe des Wörterbuches der Akademie , den..."
    Ich kann gar nicht begreifen , wie mir die Existenz dieses Schriftstellers so lange verborgen bleiben konnte. Die Begeisterung der Esoterik- Fraktion kann ich nur teilweise verstehen. Ich war sehr erstaunt eine Parabel von Borges ("Die beiden Träumer ") als Plot des "Alchimisten" von Coelho wiederzufinden. Die beiden Schriftsteller trennen Welten.
    Übrigens auch noch interessant zu lesen : "Einhorn , Sphinx und Salamander" und "Kabbala und Tango" .
    Grüße an alle Leser von G.

    In "Tod in Venedig" von Thomas Mann erscheint Aschenbach am Ende seines Lebens der schöne Jüngling Tadzio. Auch hier die Verbindung von Eros und Thanatos in Gestalt des "Todesengels". Wie man an Madeleines Hinweis sieht, hat dieses Motiv es bis in die Niederungen der Musicalliteratur geschafft.
    Sir thomas, du schreibst:" Der Tod des Fürsten ist ganz große Oper". O.K, mit einigen Einschränkungen: Tomasi lässt den Fürsten nicht im würdigen Rahmen seines Palazzos sterben, sondern im Hotel "Trinakria"(="Sizilien"!). Mit diesem quasi anonymen Ort, dem peinlich berührten , wahrscheinlich um sein Geschäft besorgten Hotelbesitzer, dem herbeigerufenen
    Armenarzt (der ausgemergelt und mit "kariösen Zähnen" an den Sensenmann erinnert), mit den trivialen Drehorgelklängen unterstreicht Tomasi den demütigenden Niedergang der Familie Salina und der Aristokratie allgemein .
    Interessant in diesem Zusammenhang finde ich auch , dass don Fabruizio, obwohl ihm die Brüchigkeit seiner Rolle bewußt ist, er diese bis zum Ende durchhält, sozusagen den "großen Tod des Fürsten" spielt. "Er verstand sofort: Es handelte sich um den Priester. Einen Moment wollte er sich weigern...Doch...: er war der Fürst von Salina, und wie ein Fürst von Salina mußte er sterben, mit dem Priester am Bett und allem Drum und Dran."(S.284)
    Ganz wichtig in diesem Kapitel finde ich seine Erkenntnis, dass seine Rechnung nicht aufgegangen ist. Er sieht, dass angesichts seines Enkels, der sich anschickt, ein Bürger zu werden, er der letzte echte Salina sein wird. " Er selbst hatte einst gesagt, die Salina würden immer die Salina bleiben. Er hatte sich geirrt. Der letzte war er. Jener Garibaldi, jener vollbärtige Vulkan hatte letztlich doch gesiegt." (284) Damit hat der leitmotivisch wiederkehrende Satz im ersten Kapitel "Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist",sich nicht bewahrheitet.
    Wenn der Leser dann noch im letzten Kapitel erfährt, dass der Enkel Fabrizietto als ein Salina zum 50jährigen Jubiläum der Landung Garibaldis an der Parade teilnehmen wid, schließt sich der Kreis, noch bevor das Wappentier des Gattopardo in Form eines von Motten zerfressenen ausgestopften Bendico auf dem Müllhaufen der Geschichte landet.


    Wie Madeleine finde ich es schade, dass die Lektüre hier endet. Vergeblich habe ich nach einem Abkömmling der Salinas Ausschau gehalten , der Giuseppe Tomasi di Lampedusa (am 50. Jahrestag der Landung war er 14!) hätte sein können. Ja, sir thomas, die Kindheitserinnerungen müssen interessant sein.


    Grüße an alle Mitleser G.

    Ja, sir thomas, und zwar sein erstes Buch : "Justine ou les malheurs de la vertu"("Justine oder das Elend der Tugend" o.ä.), vor vielen Jahren. Heute nichts Besonderes, aber zur Zeit des marquis unglaublich radikal und die Freiheit der französichen Revolution auf die Spitze treibend.
    Der Palast, in dem Tancredi und Angelica das Spezialetablissement und die Utensilien finden, ist ja aus der Zeit des ausgehenden 18.Jahrhunderts.

    Ja , Madeleine, Deine Vermutung war richtig. Das 4. Kapitel ist in der italienischen Schulausgabe um rund 16 Seiten von S.166 ("Dann umarmte er sie nochmal") bis"An einem jener Tage..."(S.182) gekürzt! Unglaublich, dabei ist gerade diese Passage köstlich und stilistisch virtuos. Schade für die Schüler !


    sir thomas, heute:
    ... wobei auch pikante Noten nicht ausgespart werden (wie bspw. das auf S. 173 geschilderte "Spezial-Etablissement") und etwas später die katholisch bewährte Reinigung nach den Ausschweifungen auch gleich mitgeliefert wird
    Ja, sir thomas , man fühlt sich an Maquis de Sade erinnert.

    Ja, Madeleine, ein Plebiszit, mit dem der Anschluss Siziliens an das vereinte Italien besiegelt wurde, hat es am 22.Oktober 1860 wirklich gegeben. Die Volksabstimmung wurde, da sie ja nach der "Eroberung" Siziliens lediglich bereits vollendete Tatsachen absegnen ließ, besonders von den radikalen Befürwortern der Republik Mazzinischer Prägung als scheindemokratisch heftig kritisiert. Im Roman ist Tumeo, der Jagdgenosse Fabrizios, mit seinem im Abstimmungsergebnis nicht vorkommenden "Nein" der lebende Beweis für den Wahlbetrug. Eindrucksvoll sein Lamento darüber, dass er "von dem Blutsauger von einem Sedara für null und nichtig " erklärt wird,"als hätt's mich nie gegeben"(S.121) Don Fabrizio beginnt zu ahnen, dass die neue Ordnung damit schon verspielt hat und seine Landsleute nur aus's Neue kolonialisiert werden. "Don Fabrizio konnte es damals noch nicht wissen, aber ein Teil der Trägheit und Unterwürfigkeit, derentwegen die Menschen aus dem Mezzogiorno in den folgenden Jahrzehnten geschmäht werden sollten, hatte seinen Ursprung in der törichten Annullierung der ersten Bekundung von Freiheit, die sich diesem Volke je geboten."(S.124).
    Am Plebiszit von 1860 durften Frauen selbstverständlich nicht teilnehmen :"Vor Sonnenuntergang erschienen die drei oder vier Nüttchen Donnafugatas...auf dem Hauptplatz, die Lockenmähnen mit grün-weiß-roten Bändern geschmückt, um gegen den Ausschluss der Frauen von der Wahl zu protestieren... und wurden sogar von den glühendsten Liberalen mit Hohn und Spott verjagt.."(S.119) Ein bisschen nehme ich es Tomasi übel, dass er hier die "Nüttchen" als Suffragetten auftreten lässt und damit das Unterfangen etwas diskreditiert. Aber vielleicht war es ja so.

    Im italienischen Text heißt es nicht "quest'ultimo" (letzterer), sondern einfach nur "dieser". Du siehst, thopas , die italienische Ausgabe ist noch in meinem Besitz. Es ist , wie ich feststellen musste, aber eine Ausgabe für Gymnasien mit Kürzungen an" pikanten Stellen". Sehr interessant, was man meint, den Schülern vorenthalten zu müssen. Im ersten Kapitel z.B. fehlt u. a. der Satz " Kurz vor der Morgendämmerung jedoch würde die Fürstin Gelegenheit haben, sich zu bekreuzigen."(S.33) Ihr erinnert Euch? Der Wortlaut selbst ist aber , soweit ich sehe , unangetastet. Insofern kann bei Fragen auf ihn zurückgegriffen werden.


    Grüße an alle Mitleser G.

    Ich glaube ,sir thomas und klassikfreund, Tomasi scherzt nicht (nur), wenn er Bendico als "Schlüsselfigur" (eben nicht Hauptfigur) seines Romans bezeichnet. Das wird besonders deutlich, wenn man das Schlusskapitel liest. Aber ich will nicht vorgreifen! Lasst Euch überraschen!
    Im Laufe des Romans wid die Dogge häufig kurz erwähnt. Der Hund ist ein Indikator für die Stimmung seines Herrn Don Fabrizio . Er vertritt das Kreatürliche, Vitale, unkompliziert Liebende( Mariannina, Fabrizios amouröses Abenteuer ,wird im ersten Kapitel mit ihm verglichen!) Er ist irgendwie ein Spiegelbild seines Herrn in seiner Größe, Schwere und Heftigkeit, wenn er mit "Ungestüm die Tür erzittern"(S.41) lässt. Aber immer auch ein Gegenbild zu Morbidität, Untergangsstimmung und Verfall. Beispiele: Im Garten (1.Kap.) wendet er sich angewidert von der überzüchteten Rose ab, bei der Ankunft in Donnafugata heißt es: ".. Bendico , der aus dem letzten Wagen gestürmt war und wütend die todesdüsteren Einflüsterungen der tief im Licht kreisenden Krähen anbellte " (S.59) Oder explizit:"Bendico rieb den Kopf an seinem Knie." Siehst du, Bendico, bist ein bißchen wie sie, die Sterne unergründlich glücklich, unfähig, Furcht zu erregen.......wie könnte dein Kopf böse Geister heraufbeschwören."(S.92) ... Es gibt noch viele Beispiele .Und wie gesagt, das Ende!

    Schön, dass ich Euch doch noch gefunden habe! Ich hatte fälschlicherweise seit dem 1. Juni auf der Seite nachgeschaut, wo zunächst die Eröffnung des Themas angekündigt war, und mich schon gewundert, dass sich niemand meldet..Na ja, ich bin halt ein absoluter Neuling!
    Nun also mit Verspätung:
    Ja, thopas, ich finde die Handhabung der französischen, italienischen und lateinischen Zitate auch etwas seltsam. Mal sind sie im Glossar übersetzt ( wie das Baudelaire-Zitat), mal ergibt sich der Sinn aus dem folgenden Text (was aber nur, wenn der Satz verstanden wurde, ersichtlich und dann eigentlich überflüssig wird), oder der Leser wird gänzlich allein gelassen wie mit der Zitaten in neapolitanischem (Audienz beim König) oder sizilianischen Dialekt. Verständlich , dass der Übersetzer die sprachlichen Nuancen irgendwie erhalten wollte. Es ist ja auch witzig , den König in vulgärem Neapolitanisch parlieren zu lassen. ("Der neapolitanische Akzent übertraf an Würze bei weitem den des Kämmerers") Wie will man das ins Deutsche übertragen?Hier wären aber doch erläuternde Fußnoten o.ä. hilfreich gewesen.
    Ja, sir thomas, auch mich erinnert der Roman an Th. Manns Buddenbrooks. Nicht nur wegen des Anfangs- beide Romane beginnen mit wörtlicher Rede. Bei Lampedusa mit einer Gebetszeile, bei Mann auch mit religiöser Unterweisung, die aber in einen Fluch mündet. (Würd mich mal interessieren, wie sich die italienische Übersetzung bei dem plattdeutschen"...Je, den Düwel ook.." aus der Affaire gezogen hat.)
    Ganz stark erinnert fühle ich mich auch an die wunderschönen Romane Eduard von Keyserlings (Wellen, Fürstinnen u.a.), die auch ein melancholischer Abgesang auf den Adel sind. Vermutlich kannte Lampedusa Keyserling ("den baltischen Fontane"), zumal ja seine Frau Licy eine baltische Adlige war...
    Vom "Gattopardo" kannte ich bislang nur die Visconti-Verfilmung. Vor Jahren habe ich mir in Palermo(!) das Buch auf italienisch gekauft, bin aber über die ersten Seiten nicht hinweggekommen. Es ist ja schon auf deutsch nicht ganz einfach. Jetzt lese ich es zum ersten mal "richtig". Wie Madeleine und Jaqui bin ich dankbar für die Denkanstöße, die diese Form des gemeinsamen Lesens mit sich bringt , und bin gespannt, wie es weitergeht.
    Grüße an alle Mitleser von G.