Deutscher Buchpreis 2014


  • Ich habe heute mit Koala von Bärfuss angefangen. Wenn man sich erst mal an die Verschachtelung der Sätze gewöhnt hat ...


    Der Ich- Erzähler verfällt am Anfang wohl in den hypotaktischen Stil Kleists, über dessen Selbstmord (und Hypotaxe) er einen Vortrag halten muss. Das gibt sich im Laufe des Buches. Es kommt alles ganz anders.
    Habe das Buch eben ausgelesen, will nicht vorgreifen und bin gespannt, wie es Dir gefällt.

  • Der Ich- Erzähler verfällt am Anfang wohl in den hypotaktischen Stil Kleists, über dessen Selbstmord (und Hypotaxe) er einen Vortrag halten muss. Das gibt sich im Laufe des Buches. Es kommt alles ganz anders.
    Habe das Buch eben ausgelesen, will nicht vorgreifen und bin gespannt, wie es Dir gefällt.


    Oh, da ergibt sich offenbar eine kleine Spontan-Leserunde. :zwinker:
    Ich habe das Buch gestern begonnen und bin aktuell auf Seite 110. Für mich eine echte Entdeckung, aber heute abend werde ich wohl ausgelesen haben und dann weiß ich mehr...


    Bisher von der Longlist gelesen habe ich nun:


    Sasa Stanisic
    Matthias Nawrat
    Gertrud Leutenegger
    Lukas Bärfuss (s.o.)

  • Mich hat der kleine, feine Roman von Lukas Bärfuss durchaus überzeugt, wenngleich er auch Fragen offen gelassen hat. Das kann aber wohl bei diesem Thema nicht anders sein.


    Der Roman ist das literarische Produkt einer Krise: Der Bruder des Erzählers hat sich das Leben genommen. Die Erzählung setzt allerdings vor dieser Tat an. Bärfuss besucht anläßlich eines Vortrags über Kleist (ebenfalls ein Selbstmörder) seine alte Heimatstadt Thun. Dort trifft er auch seinen Bruder, dessen Leben sich in engen Kreisen bewegte und der Thun nie wirklich verlassen hat. Auch bei diesem Besuch kommen die beiden sich nicht wirklich nahe. Wenig später erreicht ihn die Nachricht vom Tod seines Bruders.


    Dieser Tod betrifft ihn. Er stellt ihm Fragen, die er nicht beantworten kann. Er verunsichert ihn auf eine zunächst gar nicht wahrzunehmende Weise. Versuche, mit anderen über diese Erfahrung zu sprechen, scheitern kläglich. Selbst Menschen, die eine ähnliche Situation erlebt haben - also auch Angehörige durch Suizid verloren haben - verharren in einer fast bockigen Sprachlosigkeit.


    Überhaupt: Wer war denn der Bruder? Angesichts dieses unerklärlichen Todes beginnt Bärfuss mit einer Rekonstruktion des Bildes seines Bruders. Und weil er ihm realen Leben und in den wenigen Berührungspunkten, die sich zwischen den beiden Männern ergaben, kaum fündig wird, gräbt er weiter. Der Bruder war Pfadfinder, ihm war im Zuge eines Initiationsritus ein Totem, ein Pfadfindername gegeben worden: Koala.


    Daran hängt Bärfuss sich. Akribisch verfolgt er die Geschichte nicht nur des putzigen Tieres, sondern auch dessen Entdeckung durch Siedler. Erzählt wird die Geschichte der Kolonisierung Australiens, der ersten Siedler. Bärfuss erzählt das so ausführlich, weil er darin nach Motiven sucht, die ihm etwas über das innere Wesen seines unbekannten Bruders enthüllen, das ihm dessen Tod einsichtig, erklärbar oder vielleicht auch nur nachvollziehbar werden lässt.


    Am Ende bleiben - wie könnte es anders sein - angesichts des Selbstmordes die entscheidenden Fragen nach wie vor offen. Aber nicht zuletzt sprachlich vollzieht das Buch einen Weg, der die innere Auseinandersetzung mit diesem Ereignis nachvollzieht. Bärfuss beginnt im hohen Ton Kleists, der Beginn des Buches ist rhythmisch durchkomponiert in langen kleist'schen Satzreihungen. Das Unfassbare soll hier noch mit den Mitteln der Kunst gebannt werden, die Bärfuss zur Verfügung steht. Es soll eingepasst, in den bekannten Lebensrahmen eingefügt werden. Aber dieser Versuch scheitert. Und so ändert sich die Sprache, je tiefer der Erzähler auf die existenzielle Ebene der Auseinandersetzung mit dem Tod des Bruders - und mit seinem eigenen Tod einlässt. Das Buch endet in einer viel direkteren, klareren Prosa mit der Beschreibung der Trauerfeier für den Bruder.


    Ein kleines, aber trotzdem wirklich gelungenes, in Teilen auch großes Buch!


  • Ich hab auf Facebook beim buchpreis gerade wegen der app nachgefragt. Leider wird es heuer keine geben. :-(



    das enttäuscht mich nun doch!
    Danke fürs nachfragen, Jaqui.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Ich habe den Bärfuss nun beendet und ich bin eigentlich sehr ratlos. Was will uns denn der Autor sagen? Wenn er eine Abhandlung über Australien und den Koala schreiben wollte so ist ihm das gelungen, aber über das Thema vom Anfang, den Selbstmord, hat das Buch mittendrin wenig bis gar nichts zu tun.


    Was mir aufgefallen ist, was auch sandhofer in seiner Rezension schreibt, ist die Tatsache, dass der Autor weder den Namen des Ich-Erzählers noch den seines Bruders nennt, aber wenn es um das Thema Australien geht, wird der Leser mit Namen überschwemmt. Da waren es dann schon so viele dass ich mir die meisten nicht mal im Ansatz gemerkt habe.


    Nichtsdestotrotz fand ich das Buch aber sehr gut. Zudem ist es schnell zu lesen, aber ich denke dass man das Buch durchaus noch ein zweites Mal lesen kann und dann noch viele Kleinigkeiten entdecken würde.


    Katrin


  • Ich habe den Bärfuss nun beendet und ich bin eigentlich sehr ratlos. Was will uns denn der Autor sagen? Wenn er eine Abhandlung über Australien und den Koala schreiben wollte so ist ihm das gelungen, aber über das Thema vom Anfang, den Selbstmord, hat das Buch mittendrin wenig bis gar nichts zu tun.


    Diese Frage habe ich mir beim Lesen auch gestellt. Warum geht der Autor da hin? Warum nimmer er mich als Leser dahin mit? Was hat das denn mit dem Tod zu tun? Für mich wurde es dann nachvollziehbar, als ich es als Teil einer Suchbewegung verstanden habe, die durch die Erschütterung ausgelöst wurde, die der Selbstmord des Bruders bewirkt hat. Den Autor trifft diese Suche selbst insofern unvorbereitet, als er dem Bruder ja gar nicht so nahe stand. Er bemerkt ja auch an einer Stelle treffend, der Bruder fehle ihm gar nicht, denn er hatte ja auch vor dessen Tod wenig Kontakt zu ihm. Gleichwohl schleichen sich die Fragen ein. Und die führen ihn nach Australien und zum Koala.


    So habe ich es gelesen und so ergab das Buch für mich einen Sinn, ohne platte Antworten erzeugen zu wollen.


    Die anderen Fragen zur Identität des Erzählers oder des Bruders haben sich mir gar nicht gestellt. Wahrscheinlich war ich durch Rezensionen und andere Informationen zu sehr vorgeprägt. Dass das Buch ein Buch über den Selbstmord des Bruders des Autors ist, stand für mich von Anfang an fest.


  • Für mich wurde es dann nachvollziehbar, als ich es als Teil einer Suchbewegung verstanden habe, die durch die Erschütterung ausgelöst wurde, die der Selbstmord des Bruders bewirkt hat.


    So habe ich es jetzt auch mal gesehen und das ergibt natürlich durchaus Sinn.


    Was allerdings für mich keinen Sinn macht, ist die Tatsache dass sich der Bruder so sehr an den Namen des Tieres klammert den er von seinen Freunden bekommen hat, dass er dadurch sein Leben bestimmen lässt. Was wäre gewesen wenn sie ihn nicht Koala, sondern Tiger, Panther, Löwe, Antilope oder was weiß ich genannt hätten. Hätte er dann die Stadt verlassen? Hätte er dann seine Träume und Ziele verfolgt anstatt in der Stadt zu versauern nur weil der Koala ein Leben lang am selben Baum hängt und diesen kaum verlässt?


    Das habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden wie man sich so beeinflussen lassen kann.


    Katrin


  • Das habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden wie man sich so beeinflussen lassen kann.


    Schon mal was von dem Phänomen „selffullfilling prophecy“ (http://de.wikipedia.org/wiki/S…%C3%BCllende_Prophezeiung)
    gehört? So sollen wir das wohl verstehen. Der Erzähler 'wundert' sich übrigens selbst einige Male über die "prophetische" Namensgebung bzw Totemwahl der Pfadfinder, läßt im übrigen aber offen, ob die Übereinstimmungen zwischen Bruder und Totemtier prophetisch schicksalhaft im Sinne eines Omens oder zufällig oder sonst was sind.
    Dieses Jonglieren mit bedeutungsschwangeren Bezügen ist es unter anderem, was mir an dem Buch nicht behagt..

  • Wir sollten aber wohl nicht vergessen, dass dies ein ganz und gar subjektives Buch ist. Erzählt wird alles aus der Sicht des Erzählers, des Bruders. Für ihn ist der Zugriff auf das Leben des fremden Bruders das Motiv des Koalas. Ob und was damit über dessen Leben wirklich ausgesagt wird, erfahren wir natürlich nicht. Aber es ist das Bild, die Brücke, die sich für den Erzähler als der gangbare Weg erweist, seinen Bruder zu verstehen, ihm näherzukommen.