Beiträge von Gontscharow

    Ups, nun ist passiert, was ich befürchtet hatte, Ihr seid (fast) durch und ich komme mit meinen Kommentaren zu spät. Ich poste trotzdem mal, was ich vor einpaar Tagen begonnen habe zu schreiben:


    Zwar immer noch nicht ganz genesen, möchte ich eine halbwegs klare Phase zum Posten nutzen, bevor Ihr mit dem Luftschiffer durch und auf und davon seid.
    Es ist Pferdearbeit, einen Sterne, einen J. Paul zu lesen(Vischer,Ästhetik 1858) im Vergleich zur Hesperus -Lektüre finde ich es diesmal- trotz Fieber und Brummschädel- bedeutend einfacher, was an der additiven Form des Werks, den quasi in sich abgeschlossenen kurzen Kapiteln liegen mag.


    Zum derzeitigen Lesestand:


    Zitat von finsbury

    Erstmal sind der Brocken und der Harz insgesamt ja wichtige Topoi in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts


    Zitat von maria

    Heine und Goethe kamen mir auch sogleich in den Sinn bei der 6. Fahrt.


    Ja, das Brocken- Kapitel mit seiner Schauerromantik weckt allerlei Reminiszensen. Im Goethezeitportal gibt es unter der vielversprechenden Rubrik Orte kultureller Erinnerung ein schön gemachtes Kapitel über den Brocken wo allerlei erklärt wird, z.B. auch das Phänomen des Brocken-Gespenstes, und Literaten Erwähnung finden, die dort waren bzw am Mythos Brocken mitgestrickt haben. Jean Paul mit seinem Giannozzo ist, soweit ich sehe, nicht dabei. Mir völlig unverständlich!


    Apropos Gespenst/ Gespensterglauben:


    Zitat von Maria

    Interessant was über den Aberglauben dort gesagt wird, dass Jean Paul diesen nicht ablegen konnte, er fürchtete sich vor Gespenster, obwohl man anderes hätte erwarten können. In seiner Zeit fielen die geistigen Bewegungen der Aufklärung, des Sturm und Drang, der Klassik, der Romantik.


    Zitat von gina

    Ich hätte auch nicht gedacht, dass Jean Paul abergläubisch war. Mit seinem kritischen Blick wirkt er so aufgeklärt, fast modern - da passen Gespenster nicht recht ins Bild.


    Von Aberglauben würde ich nicht sprechen, weil der Begriff die Existenz eines allgemein anerkannten, allein seligmachenden Glaubensinhalts voraussetzt .J.P.s Vorliebe für und Furcht vor Geistererscheinungen steht auch nicht unbedingt im Gegensatz zu seinem modern anmutenden Skeptizismus. Am Ende des Spuks auf dem Brocken heißt es:Mich schauderte dieses tragisch-komische Konterfei und Fieberbild des Lebens und die äußere Nachäffung meiner Gedanken. Geistererscheinungen sind für J.P. also eher Produkte , quasi nach außen gestülpte Teile der eigenen Psyche. Auch Dein Zitat, Maria geht ja in die Richtung:


    Zitat von maria

    Wie findet ihr diesen Satz..." und das Ich sagte zu sich selber: ich bin gewiß der Teufel; schrieb ich nicht vorhin? -" (6. Fahrt)Ich finde, das ist überrascht modern gedacht für die damalige Zeit über das Ich-Bewußtsein nachzudenken, oder?


    Ja , das mutet „modern" an,besonders auch die Selbstverständlichkeit und Beiläufigkeit, mit der der Teufel zu einem Teil des menschlichen Innenlebens deklariert wird. Was das Giannozzio'sche Brockengespenst angeht, so tanzt es - dem Ort gar nicht angemessen - Menuett, ihm wächst ein Zopf, es schickt sich an zu minaudieren – eine Karikatur des verhassten „ancien regime“ !?


    Weiter bin ich dann damals nicht gekommen, habe aber inzwischen bis zur neunten Fahrt weitergelesen. Ich mach mal da weiter:

    Zitat von finsbury

    Frech ist auch der Angriff mit der Marseillaise auf die Festung Blasenstein während der neunten Fahrt



    Ja, frech ist der richtige Ausdruck.Ich muss sagen, dass mir das Büchlein wegen solcher Stellen außerordentlich gut gefällt.Unfassbar, dass es so wenig bekannt ist.Ich kannte es nicht mal dem Namen nach.Dabei steht es als Satire auf die politisch sozialen Zustände am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in der deutschen Literatur sicher allein und einmalig da! Nicht nur die Kleinstaaterei,Duodezfürstentümer, die man bei einmal Wasserlassen überfliegen kann, werden aufs Korn genommen, auch die höfisch provinzielle Gesellschaft, das spießige Bürgertum, die lauen Aufklärer kriegen ihr Fett weg. Jean Paul nennt seinen Giannozzo zwar irgendwo einen Mysanthropen. Aber ist jemand , der wie er Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Unterdrückung anprangert, nicht eher ein Menschenfreund?
    [quote= Jean Paul, Giannozzo, 2. Fahrt] Schon drunten war ich oft imstande, tagelang die Stube auf- und abzulaufen und die Faust zu ballen, wenn ich [... ]über Ungerechtigkeit und Aufblasung reflektierte und mir die greuliche Menge der Schnapphähne und der Krähhähne vorsummierte, die ich in so vielen Ländern und Zeiten muß machen lassen, was sie wollen, [...] ungestraft saugen, stechen, stoßen und rupfen; – wie sie[...] sogar den Schrei des Menschenschmerzes in das Brüllen einer wilden Tierstimme verkehren?[/quote]


    Klingt das nicht fast nach "Friede den Hütten ,Krieg den Palästen"? Menschenfreundlich ist auch die bittere Satire auf die Todesstrafe durch Erhängen in der fünften Fahrt.Und dann im siebten „idyllischen“ Kapitel der Flug über das Schlachtfeld, übersät mit Leichen,(die auch noch gefleddert werden)!Das hat mich sehr beidruckt undan alle möglichen Kriegsschauplätze(auch heutige) denken lassen!Danke @ Maria für die Erwähnung der Scheiterhaufen, die G. vom Brocken aus lodern sieht.Alles was die 'Menschheit schindet, kommt in dem schmalen Band zur Sprache!und lässt den Luftschiffer immer wieder „abheben“ ...Fortsetzung folgt


    Dort hat er dann eine Erscheinung, “der Nachtwandler im Hemde”. Weiß jemand, was es damit auf sich hat??



    Der Nachtwandler im weißen Hemd ist sein Freund Schoppe, eine Figur aus dem Titan. Das nur mal als Zeichen dafür, dass ich mitlese und -leide im Siechkobel. Liege mit einem Infekt darnieder und war bisher nicht in der Lage, mich hier einzubringen. Habe aber die ersten sechs Fahrten gelesen. Sobald es mir besser geht, mehr...


    Mein Eindruck ist aber, dass es nicht nur darum geht, dass Hyperion hier kindisch reagiert. Er wünscht sich eine Gesellschaft, die auf dem Gleichklang der Seelen und Geister aufbaut,[...]. Diese Sehnsucht nach Gemeinschaft, aber im Tieferen noch nach 'Einheit' durchzieht ja das gesamte Werk wie ein roter Faden. Sie ist für Hyperion ein Ideal, das er überall sucht: Einheit des Menschen mit der Natur, Einheit des Freundes mit der Seele des Freundes, Gleichklang und Einheit der Seelen in der Liebe (Diotima und Hyperion). […] Immer dann, wenn es ihm seelisch gut geht, empfindet er diese Einheit, er fühlt sich in Harmonie mit der Welt um sich herum, empfindet aber auch eine tiefe Verbindung mit Pflanzen und Tieren[…] Wo die Beziehungen zerbrechen, ist auch dieses Weltverhältnis gestört.


    Du hast natürlich völlig Recht. So soll und muss man das verstehen! Wobei, besonders originell ist es nicht. Im Werther…, im zeitgleichen Hesperus findet sich Ähnliches. Hier kam es mir in dunklen Momenten (auch dem Leser seien sie zugestanden) so vor, als habe H. seine Ansprüche und Ziele extra so unerfüllbar hoch gesteckt, um - bei der zwangsläufig eintretenden Enttäuschung - sich über die schnöde Welt erheben und jammern zu können.( Oh hätte ich doch nie gehandelt…etc)
    In meinem letzten post habe ich das angekündigte zweite Beispiel für Larmoyanz und Humorlosigkeit aus Versehen unterschlagen. Es sei hier nachgetragen: In der Vorrede heißt es:


    Ich verspräche gerne diesem Buche die Liebe der Deutschen. Aber ich fürchte, die einen werden es lesen, wie ein Kompendium, und um das fabula docet sich zu sehr bekümmern, indes die andern gar zu leicht es nehmen, und beide Teile verstehen es nicht.

    Dieser Gedanke wird im folgenden noch ein paarmal mit anderen Worten wiederholt. Anstatt zu sagen, wie das Buch denn nun zu verstehen sei, unkt Hölderlin lieber und weiß schon im Voraus, dass und wie er nicht verstanden werden wird. Dahinter verbergen sich wohl Unsicherheit und Zweifel am eigenen Werk, denen mit einem: Es gefällt euch nicht? Ihr habt es nur nicht verstanden! abgeholfen werden soll.. .Wie selbstironisch dagegen z.B. Jean Pauls „Leser-Schelte“ im Hesperus:


    Wenn man überhaupt selber zusieht, wie sie einen lesen - nämlich noch fünfmal elender, gedankenloser, abgerissener als man schreibt[…]


    Genug gelästert!Der zweite Band ist viel äktschenreicher und daher unterhaltsamer … oder auch nicht. Diotima hatte sich gewünscht, dass Hyperion nichts Geringeres als „Lehrer des griechischen Volkes“ werden sollte. Aber Hyperion folgt dem Ruf Alabandas und zieht in den Krieg. Die Auseinandersetzung zwischen Hyperion und Diotima, die ihn zunächst zurückzuhalten versucht, zeigt den Einfluss von Schillers Schrift „Ästhetische Erziehung des Menschngeschlechts“ auf das Werk. (Hölderlin selbst soll irgendwo geäußert haben, dass er im Hyperion Schillers Schrift umzusetzen versucht habe.) Nichts geringeres als die heilige Theokratie des Schönen - man muss sich den Begriff mal auf der Zunge zergehen lassen! - möchte H. errichtet sehen, dafür will er einen "Freistaat" schaffen bzw. Griechenland von der Fremdherrschaft befreien. Sicher ließ das Freiheitspathos Hyperions zeitgenössische Leser an die Französische Revolution denken, die sich gerade vor ihren Augen abspielte. Diotima vertritt quasi Schillers Standpunkt, der in der Ästhetischen Erziehung vor gewaltsamer Umwälzung warnte, da die Menschen noch nicht „reif für die Freiheit“ seien, und einen Weg dahin über „die Schönheit“, bzw. die ästhetische Erziehung empfahl. Hyperion muss später einsehen:

    In der Tat! Es war ein außerordentlich Projekt, durch eine Räuberbande mein Elysium zu pflanzen….


    Bin jetzt etwa bis zur Mitte des zweiten Bandes vorgedrungen.

    Kurze Zwischenmeldung:
    Leider bin ich in den letzten zwei Wochen aufgrund diverserser unvorhergesehener Umstände kaum zum Lesen gekommen und konnte auch noch nicht antworten. Das wird in den nächsten Tagen nachgeholt. Ich bin jetzt in der ersten Hälfte des zweiten Bandes.
    Du befindest dich hoffentlich noch im Hyperion-Lese-Modus@newman!? :winken:


    [...] bislang so blutleer, weinerlich und überheblich [...]


    Eigentlich war ich ja schon fast soweit aufzugeben, aber Deine Antwort hat mich dann doch wieder motiviert weiterzulesen. Das ist das Gute an Leserunden u.ä., dass man bei der Stange bleibt, ein eigens eingerichteter Thread ist natürlich auch irgendwie eine Verpflichtung... :zwinker:



    Vielleicht kannst Du mehr Licht in die Frage bringen, warum Hyperion sich von Alabanda und seinen Freunden trennt? Wo genau liegt der Grund für ihre Entzweiiung? Ich konnte das im Text nicht direkt verorten. Liegt es daran, dass Alabanda und seine Freunde zwar die gleichen idealen Ziele verfolgen, aber mit anderen - gewaltsamen - Mitteln?


    Ja, darüber herrschte übrigens auch in der Leserunde von 2007 Unklarheit. Es sind, wie ich meine, die Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Rolle des Staates (Alabanda gesteht ihm mehr „Gewalt“ zu) in der gemeinsam angestrebten idealen Gesellschaft, womit der Streit beginnt. Als Hyperion dann Alabandas rauhbeinige Freunde kennenlernt, meint er in ihnen den wahren Charakter seines Freundes zu erkennen: „Er ist schlecht, rief ich, ja, er ist schlecht. Er heuchelt gränzenlos Vertrauen und lebt mit solchen – und verbirgt es dir.“
    H. fühlt sich von A. betrogen „ wie eine[r] Braut, wenn sie erfährt, daß ihr Geliebter insgeheim mit einer Dirne lebe.“ Gekränkt fordert er eine Entschuldigung, die Alabanda jedoch aus Stolz nicht leistet. Dieses Motiv des Sich- nicht - beugen - wollens (selbst wenn die Argumente vernünftig sind) tritt noch häufiger auf. Etwas kindisch das Ganze. Im Grunde kann der narzisstische Hyperion nicht verschmerzen, dass sein Busenfreund anders ist als er...


    Den ersten Band habe ich beendet. Mein Eindruck ist leider immer noch derselbe( s.o.). Das ist alles so wenig konkret, schwebt im luftleeren Raum, ist aus dem hohlen Bauch erzählt, alles so unsinnlich und wenig individuell geschildert, wie nur von jemandem, der nie an den Schauplätzen war. Die epistolare Subjektivität ( Begriff irgendwo gelesen :zwinker:) ist zudem nicht überzeugend durchgehalten, H. erzählt aus der Rückschau, vieles klingt aber wie gerade erlebt usw. Besonders ärgerlich finde ich das absolute Fehlen von Humor und Ironie.
    Zwei Beispiele:
    Rückblickend auf sein Leben beklagt Hyperion gleich zu Anfang, dass man ihm ständig geraten habe: „Klage nicht, handle“ und er kommt zu dem Schluss:


    "O hätt ich doch nie gehandelt! Um wie manche Hoffnung wär ich reicher! "


    Ja sicher, das versteht sich von selbst, wie Se tacuisses… oder Weißwein macht keine Rotweinflecke. Nur ironisch wäre diese Tautologie erträglich. So ist ist sie ziemlich kindisch, voller Selbstmitleid und bedeutet ein Festhalten an seiner Problematik, denn das Verharren im nur Potenziellen machte ja sein Leiden an sich und der Welt aus...


    Sicher, die Sprache ist schön, man muss das Ganze wie ein Gedicht lesen, d’accord. Es ist im Grunde die hymnische Elegie oder elegische Hymne (eines Manisch-Depressiven). Allein wieviel Sätze mit Oh und Ach beginnen! Und es gibt einzelne Gedanken von großer Strahlkraft, z. B.:


    'Es ist unglaublich, dass der Mensch sich vor dem Schönsten fürchten soll; aber es ist so.'
    (Rilkes Denn die Schönheit ist nur des Schrecklichen Anfang… (Duineser Elegien) lässt grüßen)


    Hölderlins Roman … gilt als Meisterwerk der deutschen Literatur. Sein am Briefroman orientiertes Werk ist zugleich die Beschreibung eines herausragenden Einzelschicksals und eine Auseinandersetzung mit der klassischen Antike. In dieser menschlichen Parabel äußert der Autor seine Zeitkritik und leistet einen philosophischen Beitrag zum deutschen Idealismus. Was Hölderlin mit dem Hyperion geschaffen hat, ist ein Sprachkunstwerk von unvergleichlichem literarischen Rang.


    Ich weiß nicht, wer diesen Text verzapft hat. Wahrscheinlich jemand, der den Hyperion garnicht gelesen hat. Aber es scheint die gängige Meinung zu sein. Ich will’s ja gerne glauben, seh es aber bislang nicht. Vielleicht lässt mich der zweite Teil alles anders sehen?

    Hallo Sandhofer!


    Danke für die Transferierung des Hölderlin- Contents. Aber warum in einen Extra-thread ? Warum nicht diesen weiterführen? Er ist doch noch gut.
    Dank im voraus! :winken:



    Mir erschient Kermanis Umgang mit Religion nachgeradezu vorbildhaft.



    Ja!! Dann wird Dir auch gefallen, was Joseph Roth in besagten Essays über den „spießigen Atheismus“ des revolutionären Russland zu sagen hat.



    Noch nicht sehr weit. Gerade im längeren Brief Hyperions, in dem er sein Treffen und den Beginn seiner Freundschaft mit Alabanda schildert. Gerade sind Alabandas Freunde eingetroffen.


    Habe zu Dir aufgeschlossen und bin darüber hinaus: Die Freundschaft endet und Hyperion ist wieder auf seiner Heimatinsel.
    Anscheinend bin ich aber immer noch nicht reif für dieses Hochamt der deutschen Literatur. Es kommt mir bislang so blutleer, weinerlich und überheblich vor. Help!

    Soeben beendet, leider, denn ich würde am liebsten immer weiter lesen:
    Joseph Roth: Reisen in die Ukraine und nach Russland (Beck)


    Als Reisereportagen vermeintlich eher von zeitgeschichtlichem, sachlichen Interesse, sind diese Berichte und Essays schön, zauberhaft leicht und zutiefst berührend wie Roths Erzählungen und Romane! Darüber hinaus witzig und voller Humor. Aus unerfindlichen Gründen fehlt seine Reportage über Odessa.


    Ebenfalls vor kurzem beendet:
    Navid Kermani: Mit ungläubigem Staunen. Über das Christentum(Beck)


    Der Blick eines aufgeklärten muslimischen Mystikers (ja, so etwas gibt's) auf das Christentum anhand von ( naturgemäß zumeist "westlichen") Werken der bildenden Kunst. Ein ergreifend schönes, instruktives Buch über Kunst , Christentum und Islam. Absolut empfehlenswert!


    Soeben begonnen:
    Friedrich Hölderlin, Hyperion. (reclam) :breitgrins:


    Gerne tausche ich mich hier oder anderswo mit dir aus, @ Newman. Wie weit bist du denn?


    Nur gelesen habe ich es leider noch nicht [...] :redface:


    Hab auch erst zwei bis drei Kapitelchen geschafft :zwinker:



    Gibt's auf Deutsch denn unterdessen eine vollständige Ausgabe?


    Soweit ich sehe, nein. Außer den von dir genannten Ausgaben gibt es noch eine aus dem Jahre 2000 von Eichborn, ebenfalls eine Auswahl. Auch mein französischer Text ist eine und erreicht ähnlich wie die Eichborn-Edition mit etwa hundert Kapiteln nur rund ein Zehntel des Original-Volumens. Das Original soll 12 Bände mit über 1000 Kapiteln umfassen! Mercier war wohl ein Vielschreiber. Aber interessant ist er mit seinem Gang durch die Gassen, Irrenhäuser, Gefängnisse und auf die Latrinen von Paris und sowohl Victor Hugo, Eugène Sue und andere haben ihm viel zu verdanken! Wie ich jetzt erfuhr, waren auch Goethe & Schiller mit seinem Werk vertraut. Schillers Dramenfragment Die Polizey soll stark vom Tableau beeinflusst sein...Seltsames Projekt!
    Ich sah jetzt, dass Du in Deinem blog(@ sandhofer) sowohl Merciers Zukunftsroman als auch Tableau de Paris schon besprochen hast :schulterzuck:
    Das Jahr 2440 scheint man sich ja zum Glück sparen zu können...


    Louis Sébastien Mercier: Les tableaux de Paris


    Danke für diesen Tip! Kannte Autor und Werk nicht mal dem Namen nach! :redface: Habe mir Le tableau de Paris gleich auf französisch bestellt ( auf deutsch war es mir zu teuer). Es ist übersichtlich und leicht zu lesen.
    Es ist schon faszinierend, in diesem buchstäblich am Vorabend der Revolution verfassten Werk von Schreckensorten wie der Bastille und Bicêtre zu lesen! Merci!

    Kristiana/Oslo: Hamsun - Hunger
    Moskau: Schlögel - 1936, Terror und Traum
    Bulgakow - Der Meister und Margarita
    St.Petersburg: Dostojewski - Weiße Nächte

    Odessa: Babel - Geschichten aus Odessa
    Paris: Ehrenburg - Mein Paris

    Berlin: Raabe - Die Sperlingsgasse
    Nabokov - Die Gabe
    Brecht - Kuhle Wampe(Drehbuch)

    München: Feuchtwanger - Erfolg
    Danzig: Grass - Danziger Trilogie (Blechtrommel, Katz und Maus, Hundejahre)
    Lübeck: Mann, Thomas - Die Buddenbrooks
    - Tonio Kröger
    Mann, Heinrich - Professor Unrat
    Köln: Böll - Der Engel schwieg

    Dresden: Klemperer - Tagebücher
    Tellkamp - Der Turm
    Hamburg: Borchert - Draußen vor der Tür
    Kairo: Machfus - Die Kairo-Trilogie (Palast der Winde etc)
    - Die Midaqgasse
    Damaskus: Schami - Die dunkle Seite der Liebe
    Novi Sad: Tisma - Das Buch Blam

    Madrid: Chirbes - Der Fall von Madrid
    - Der lange Marsch

    Istanbul: Pamuk - Das schwarze Buch
    - Erinnerung an eine Stadt

    u.v.m.


    Filme:
    Paris: Kinder des Olymp(Les enfants du paradis) von Marcel Carné nach dem Drehbuch von Jacques Prévert
    Rom: Rom - offene Stadt (Roma - città aperta) von Roberto Rossellini
    Fahrraddiebe (Ladri di biciclette) von Vittorio de Sica
    Fellinis Roma (Roma) von Federico Fellini
    Berlin: Kuhle Wampe von Slatan Dudov/Bertolt Brecht
    Good bye Lenin von Wolfgang Becker
    Sonnenallee von Leander Haußmann

    u.v.m. :winken:

    Inzwischen habe auch ich den Hesperus beendet.

    Nach Emanuels langem, langem Sterben, das - angereichert mit schauerromantischen Elementen und antizipierten Kübler-Ross`schen Erkenntnissen über Sterbephasen - in vielem, bes. in Momenten der Gottverlassenheit, dem Sterben Christi ähnelt, nimmt der Roman Fahrt auf. Als Hesperus- Leser daran gewöhnt, nicht die Handlung, sondern die Digressionen als „das Eigentliche“ anzusehen, beginnt man diese geradezu zu vermissen. Sogar den längst fälligen Schalttag lässt Jean Paul unter denTisch fallen:


    Man schenke einem Menschen, der, gleich Pferden, in der Nähe der Nacht und der Heimat stärker läuft, den zehnten Schalttag; am Ende eines Lebens und eines Buches macht der Mensch wenig Ausschweifungen.(41. Hundposttag)

    Die Ereignisse dagegen überstürzen sich. Es stimmt einfach nicht, dass Klotilde „praktisch aus dem Roman verschwindet“. Nach Emanuels Eröffnung auf dem Sterbebett, dass Augenarzt Viktor der Sohn Eymanns (als aufmerksamer Leser hätte man’s wissen können) und damit Klotilde nicht mehr ebenbürtig sei, will er seiner großen Liebe aus Liebe entsagen. Es kommt zu einer herzzerreißenden Abschiedsszene. Selbst als Klotilde nach dem Mord an ihrem Vater in London weilt, ist sie präsent, wenn auch nur postalisch. Und nachdem sich alles aufgeklärt hat und Klotilde zurück ist, steht dem Happy End nichts mehr im Wege… Erst erlebt der Leser aber noch Matthieus Perfidie, Flamin im Gefängnis, Viktor in Gewissensnot…


    Das Buch war für mich ein Erlebnis! Der Reichtum und die Kühnheit der Jean Paul’schen Bilder und Metaphern haben mich immer wieder erstaunt. „Brotwerdung des Geistes“ nennt er sie an einer Stelle und in der Tat entsteht durch das Zusammenbringen verschiedener Bereiche in der Metapher die Suggestion der Gleichzeitigkeit, der Anverwandlung bei gleichzeitigem Fortbestehen der Andersartigkeit … Ähnlich verhält es sich mit der Bandbreite der Themen, der Vielfalt unterschiedlicher Gedanken und Gefühle, der Vielstimmigkeit des Romans. Er ist für mich eine Art Buch der Unruhe des ausgehenden 18. Jh.s : Alles zählt und scheint unterirdisch miteinander verbunden, nichts bleibt unwidersprochen oder ungebrochen, alles ist in Bewegung. Ich greife als Beispiel einen (vielleicht zentralen )Gedankengang heraus:


    Es gibt eine höhere Ordnung […] es gibt eine Vorsehung in der Weltgeschichte und in eines jeden Leben, welche die Vernunft aus Kühnheit leugnet, und die das Herz aus Kühnheit glaubt


    heißt es - in sich nicht ganz ungebrochen - im 6. Schalttag. Dies und u.a. Viktors Gefühl des Einsseins mit der Natur, der Großartigkeit des Lebens und der Schöpfung ( entsprechende Stelle wurde im vorvergangenen Posting zitiert) finden ihren Kontrapunkt u.a.. im Abschiedsbrief Horions, dem die Wirklichkeit zerbröselt:


    Das Leben ist ein kleines leeres Spiel[…] Lös’ ich eine große Schweizergegend in ihre Bestandteile auf: so hab' ich Tannennadeln, Eiszapfen, Gräser, Tropfen und Gries. - Die Zeit zergeht in Augenblicke, die Völker in Einzelwesen, das Genie in Gedanken, die Unermesslichkeit in Punkte, es ist nichts groß […].


    Seltsam eigentlich, dass das vorangestellte Motto des Romans schon diesen schwarzen, pessimistischen Ton anschlägt: Die Erde ist das Sackgässchen in der großen Stadt Gottes… Umso versöhnlicher Horions Grabinschrift, mit der das Buch endet: Es ruht


    Nicht, dass ich nicht zeitweise auch ungehalten über die Kryptik und das Zuviel an aufgetischtem enzyklopädischem Wissen gewesen wäre( finsbury) :zwinker:,zumal mir das Stemmen des Backsteins zusätzlich Gelenkschmerzen verursachte!


    So lege ich mit einer gewissen Befriedigung das Buch beiseite und kann sagen: Es ruht. :winken:

    Nur mal so nebenbei:

    Heute sah ich in der Mediathek des zdf eine Folge der Sendung Zeugen des Jahrhunderts. Hans-Magnus Enzensberger wurde gefragt, wie gut er sich selbst kenne. Er antwortete mit einem sinngemäß wiedergegebenen Zitat von André Gide:
    Mein Ich ist wie ein Parlament; die reden alle durcheinander, die Ichs. Manchmal muss ich die Glocke nehmen, um sie zum Schweigen zu bringen.


    Selbes Phänomen und selbes Bild 150 Jahre früher bei unserm Jean Paul, vielleicht nicht so griffig, aber umso schöner:

    Nirgends wird so viel gezankt als in einem Menschen – […] Ein tragbarer Nationalkonvent in nuce ist man, ich kann keinen Schritt tun, ohne daß erst die rechte und linke Seite darüber haranguieren, und die enragés und die noirs, und der Herzog von Orleans und Marat. Das Abscheulichste ist im innerlichen Regensburger Reichstage des Menschen, daß die Tugend darin mit zehn Sitzen und einer Stimme sitzt, der Teufel aber mit einem Steiße und sieben Stimmen.(23. Hundposttag) :breitgrins:

    Als Realisten würde ich Vischer zwar nicht bezeichnen;


    [quote=sandhofer, in: litteratur.ch, Friedrich Theodor Vischer: Aesthetik,
    am: 09. November 2015, 20.45 Uhr »]Da verlässt den Realisten Vischer dann die Dialektik. [/quote]


    Was geht mich mein Gerede von gestern an? :smile:


    Seid Ihr schon so weit, dass Euch aufgefallen ist, dass Klotilde am Schluss praktisch - aus dem Roman verschwindet?


    Nein. Bei mir geistert Klotilde noch leibhaftig durch den Roman. Viktor will sie heiraten, aber seltsamerweise nicht, um ihrer unsterblichen Liebe Dauer zu verleihen, sondern aus „Pflichtgefühl“, damit Klotilde nicht ins Gerede kommt. Und wieder ist der Frauenversteher und Satiriker Jean Paul in seinem Element. An der Hofschranze Le Baut, Klotildes Vater, lässt er kein gutes Haar, entlarvt schonungslos dessen Opportunismus, der vor der Tochter nicht halt macht. Ich zitiere nur die unter dem Sauerteig verborgene Kernstelle, die unumwunden ( Vischer müsste seine Freude haben) Le Bauts utilitaristischen Kleingeist zeigt:


    Natürlicherweise war ihm also ein Schwiegersohn jetzt am meisten erwünscht, da ihm etwan die Tochter gar mit Tod abgehen könnte, ohne daß er sie noch zu einem Springstab und Hebebaum seines Leibes gebraucht hätte …


    Viktor hingegen ist sich bewusst, dass für eine Frau die Ehe (damals) Selbstaufgabe bedeutet.


    Viktor wurde …unaussprechlich gerührt, daß eben diese Klotilde, diese feste stolze Ball- und Himmelkönigin, … nun durch die Verlobung ihre Independenzakte mit sanftem Lächeln in Viktors Hände gibt …


    Ich bin gespannt, wie’s weitergeht, denn Le Baut hat gleichzeitig auch dem perfiden Matthieu den „Zuschlag erteilt“.



    Die vorangegangenen Hundposttage(34, 35, 36,37?) , offensichtlich so etwas wie der Höhepunkt des Romans, fand ich gar nicht so einschläfernd finsbury. Ich war ehrlich gesagt z.T. verzaubert von den Liebesszenen und Naturschilderungen. Ich greife die fulminanteste heraus:


    Da schloß er unter dem Spatzen- und Schwalbengetobe im Dorfe und unter dem Feldgeschrei der Lerchen und vor den blendenden Wellen der Bäche die Augen zu und ließ seine Seele in das klingende Meer und in das vom Augenlid gemalte Helldunkel untertauchen; aber dann wäre sein Herz erdrückt worden von der Schöpfungflut, die über dasselbe ging aus allen Röhren und Betten und Mündungen des Lebens um ihn, aus dem verstrickten Geäder des Lebensstroms, der zugleich durch Blumenrinnen, durch Baumgassen, durch weiße Mückenadern, durch rote Blutröhren und durch Menschennerven schießt.... er wäre Freuden-ohnmächtig ertrunken im tiefen weiten Lebens-Ozean, den Lebensströme durchkreuzen und nachfüllen, hätt' er nicht wie jener Ertrunkne ein Glockengeläute in die Wellen hinunter gehört....


    Ganz neue Töne im ausgehenden 18.Jahrhundert, oder? Ich kenne Vergleichbares erst wieder aus dem 20., bei Hans Castorp im Zauberberg.

    [quote author=F. Th. Vischer, Aesthetik. § 850, S. 1219]J. Paul’s Styl geht von dem ſchweren Irrthum aus, daß die Sprache für ſich ein dicker, ſalzüberfüllter Säuerling ſein müſſe, und quält uns mit der Entzifferung der läſtig pikanten Form, wo wir den Inhalt ſuchen.


    :breitgrins:
    [/quote]


    Dass der Realist Vischer mit Jean Pauls „Styl“ nicht viel anfangen konnte, verwundert nicht. Sein Vorwurf des“schweren Irrthums“, der den literarischen Modetrend seiner Zeit verabsolutiert, ist jedoch ein Armutszeugnis für einen Literaturhistoriker oder ästhetischen Philosophen. Jean Paul würde darauf antworten :
    Der Mensch hält sein Jahrhundert oder sein Jahrfunfzig für die Kulmination des Lichts, für einen Festtag, zu welchem alle andre Jahrhunderte nur als Wochentage führen.(6. Schalttag)
    Dass Form und Inhalt bei Jean Paul gar nicht zu trennen sind, dass seine subjektive Annäherung an die Wirklichkeit keineswegs weniger welthaltig ist als die der angeblich objektiven Beobachtung des Realismus, dass es bei ihm um Wahrheiten geht, die zu komplex, geheimnisvoll und zu wenig fassbar und z.T. auch zu gefährlich sind, als dass man sie einfach „geradeheraus“ aus- und ansprechen könnte, das alles scheint Vischers einengendem, unhistorischen Blick zu entgehen.
    Obwohl - sein Bild vom dicken, salzüberfüllten Säuerling ist köstlich und zeugt von rhetorischer Phantasie. :zwinker:


    Für mich ist die parataktische Reihung mit "und" ein Mittel der Ironie, da JP die Sprache aus dem EffEff beherrscht und es sicherlich nicht nötig hat, ständig mit "und" zu beginnen.


    Parataxe in überschwänglichen Liebesszenarien ist mir auch aufgefallen. Ich nahm das für eine Nachahmung des Luther- Bibelsprache, denn oft kulminiert das ganze auch noch in einem "siehe" … Kurz nach dem von dir zitierten Abschnitt heißt es:

    Siehe da wurde die warme Wolke in den Garten gleichsam wie ein ganzer Paradiesesfluß niedergeschüttet, und auf den Strömen flossen spielende Engel herab...


    Wie Jean Paul im Hesperus ja überhaupt die Liebe in Verbindung zur Religion bringt und Klotilde wie eine Heilige oder Gottheit erscheint. Natürlich kann das schlussendlich auch wieder ironisch gemeint sein. :zwinker:

    Hallo finsbury!


    Jetzt habe ich, während Du gepostet hast, noch so etwas wie einen Nachtrag zu meinem letzten Post geschrieben. Eventuell erübrigt sich das eine oder andere, ich sende ihn trotzdem unverändert:



    Der Lago Maggiore :zwinker: ließ mir keine Ruhe und ich hab noch mal im 34. Hundposttag geblättert. Es ist wohl diese Stelle, auf die der Kommentar Deiner Ausgabe bezug nimmt:


    Endlich kamen sie auf den Thron der Gegend, auf den Berg, wo Viktor am Morgen nach der durchreisten Nacht über Maienthal geschauet hatte. O wie zog sich die lebendige Ebene Gottes, der Vorgrund einer Sonne und eines Edens, in so unbändigen, grünenden, atmenden, wehenden Massen dahin! Wie hing der Himmel voll Berge aus Duft, voll Eisfelder aus Licht!....– Aber rund auf die Wälder hatten sich stille Eisberge aus Wolken gelagert. – – Ach dieses mit Tag und Nacht gefleckte Gefilde, dieser Wall aus Nebelgletschern stellte ja Viktors Herz in den alten Traum zurück, wo er Klotilde auf einem Eisberg mit ausgebreiteten Armen sah! – Ach auf dieser über den südlichen Berg reichenden Felsenspitze konnte er die Insel der Vereinigung dunkel mit ihren Gipfeln und mit ihrem weißen Tempel liegen sehen, …. (Hervorhebungen von mir)


    Zwar erscheint in dieser Passage die Landschaft alpin angetönt, aber es sind eben nur Eisberge aus Wolken, Gletscher aus Nebel etc, Metaphern oder optische Täuschungen … Was die Insel der Vereinigung betrifft, so habe ich mir entspechende Stellen nochmal angesehen, um zu erfahren, wo sie sich befindet Der Erzähler nennt sie ein zauberisches Eiland; eine magische Insel, die nicht ohne weiteres, meist nur im Traum, in der Phantasie zu erreichen ist. Als im 12. Hpt Viktor verabredungsgemäß sich dort einfindet, um das Geheimnis um Flamins Herkunft zu erfahren, weiß der Leser nicht, wie er dorthin gekommen ist Die Insel stand vor ihm heißt es lapidar, man erfährt, dass sie künstlich ist, Horion senior hat sie errichten lassen, und dass sie eigentlich ein Mausoleum ist. Es gehen dort allerlei seltsame Dinge vor sich, man hört Stimmen etc. Im Netz habe ich gelesen, dass Jean Paul hier seiner Vorliebe für schauerromantische Geisterinseln folgt ( Claudia Cloot, Geheime Texte:Jean Paul und die Musik.)


    Im letzten Hpt.(eigentlich bin ich noch nicht so weit) spielt die Insel eine wichtige Rolle. Jean Paul besucht sie höchstselbst. Übrigens stimmt es nicht, dass Göttingen die einzige konkrete Ortsangabe ist. Im letzten Hpt. kommt Jean Paul nach Hof. Der Berghauptmann behält aber ausdrücklich für sich, aus welcher Himmelrichtung er gekommen und wie lange sein Ritt gedauert hat: Ich nenne mit Fleiß weder die Tage meiner Reise noch das Tor, wodurch ich zu Hof einschoß, damit ichs nicht neugierigen Schelmen und mouchards durch die Marschroute verrate, wie Flachsenfingen heißet. Allzu weit kann Flachsenfingen von Hof jedoch nicht entfernt sein, sonst wären die Vorsichtsmaßregeln obsolet. Auf der Rückreise gelangt er dann auf die Insel. Und zwar im Schlaf, im Traum, wie er meint. Es war aber kein Traum. Ich stand von der Stufe auf und wollte in den griechischen durchhellten Tempel…,


    Ich fasse zusammen: die Residenzstadt Flachsenfingen liegt irgendwo zwischen Göttingen ( Viktors Ritt mit Tostato nach St Lüne dauerte „anderthalb“ Tage) und Hof, die Insel der Vereinigung, wenn überhaupt geographisch zu verorten, zwischen Hof und Flachsenfingen.


    Zufällig stieß ich auf folgende selbstreferenzielle Äußerung Jean Pauls aus der Erzählung „Das Kampaner Tal“, die wunderbar sein Verfahren der Kompilation deutlich werden lässt und eigentlich jedes geographische Nachforschen überflüssig macht:


    Ich schlug häufig in der Destillation über den Helm das Phlegma der Erdkugel nieder, die Polarwüsten, die Eismeere, die russischen Wälder, die Eisberge und Hundsgrotten, und extrahierte mir dann eine schöne Nebenerde, ein Nebenplanetchen, aus dem Überrest: man kann eine sehr hübsche, aber kleine zusammengeschmolzene Erde zusammenbringen, wenn man die Reize der alten exzerpiert und ordnet. Man nehme zu den Höhlen seiner Miniatur- und Dito-Erde die von Antiparos und von Baumann – zu den Ebenen die Rheingegenden – zu den Bergen den Hybla und Tabor und Montblanc – zu den Inseln die Freundschaftsinseln, die seligen und die Pappelinsel – zu den Forsten Wentworths Park, Daphnens Hain und einige Eckstämme aus dem paphischen – zu einem guten Tal das Seifersdorfer und das Kampaner: so besitzt man neben dieser wüsten schmutzigen Welt die schönste Bei- und Nachwelt, ein Dessertservice von Belang, einen Vorhimmel zwischen Vorhöllen. – –


    Deshalb kann er auf den Saale-Gewürzinseln am Äquator sitzen…
    In dem Zusammenhang muss ich noch etwas loswerden. Bei der Insel der Vereinigung musste ich gleich an die Insel La Réunion denken. Bis 1793 hieß sie Île Bourbon
    Am 19. März 1793 wurde die Insel im Zuge der Französischen Revolution in La Réunion umbenannt. Der neue Name bezieht sich auf die Vereinigung von Revolutionären aus Marseille mit der Nationalgarde in Paris am 10. August 1792 und den nachfolgenden Sturm auf die Tuilerien.(wiki)
    Ich halte den Namen für eine Hommage an die Französische Revolution, fand das aber bislang nicht bestätigt.



    Meint er das wirklich ernst mit diesen Kitschkapiteln oder nimmt er uns auf den Arm? Dafür gibt es auch eine Menge Textanzeichen ... .


    Gib doch mal welche zum besten. Ich habe auch eins: Viktor und Klotilde wandeln Arm in Arm durch die Maiennacht. Die Träne quillt. Da heißt es: Ihr Arm ruhte in seinem wie in einer Bandage (oder Schiene) (nach dem Gedächtnis zitiert)


    Wie kommst du auf ein thüringisches Fürstentum?


    Weiß auch nicht mehr, hat sich bei mir festgesetzt. Vielleicht durch Sätze wie diesen:


    Wie die "Unsichtbare Loge "ist auch der Hesperus ein Erziehungsroman und wie dort bildet auch hier das Leben in einem der kleinen thüringischen Fürstentümer den Schauplatz…(Deutsche Literaturgeschichte von Alfred Biese 2. Band, S.29/30, Europäischer Geschichtsverlag)


    Es stimmt schon, die einzige nicht fiktive Ortsangabe im Text ist Göttingen. Die beschriebenen Landschaften des Fürstentums "Scheerau" sind nicht zu verorten, scheinen mythische Landschaften zu sein, tragen aber Mittelgebirgszüge( :breitgrins:), alpin kommen sie mir beim besten Willen nicht vor. Welche Anhaltspunkte hat denn dein Kommentartar für den Lago Maggiore? Verwechselt er das nicht mit Wilhelm Meister?