Beiträge von Gontscharow

    Oh ja, „Der Tod des Iwan Iljitsch“ ist unglaublich gut, vielleicht die beste Erzählung überhaupt, die ich kenne. Aber auch „Herr und Knecht“, an die ich bei der Don Quichote-Lektüre @ zefira :)des öfteren denken musste, finde ich hervorragend, wie fast alle die vielen Erzählungen Tolstois , bis auf die… “Kreutzersonate“...

    Unter den Romanen ist für mich“ Anna Karenina“ die Nummer eins, gefolgt von „ Auferstehung“ und „Krieg und Frieden“... oder umgekehrt.


    "Der Idiot" @ newman war jahrzehntelang auch mein Lieblingsbuch! Heute sieht das „Dostojewski-Ranking“ so aus:
    Aufzeichnungen aus einem Totenhaus

    Der Spieler

    Die Dämonen

    Die Brüder Karamasow

    Der Idiot

    Schuld und Sühne


    Und was ist mit Tschechow, Gogol, Puschkin, Turgenjew und all den andern genialen Russen?^^

    Wenn ich hier jetzt etwas reinschreibe, geht das natuerlich chronologisch schrecklich durcheinander. Aber nachdem das ja alles sowieso nicht nach der Reihe geht, mache ich es trotzdem. Ich bin jetzt im 54. Kapitel des zweiten Buches, in dem Sancho Pansa einen der damals aus Spanien ausgewiesenen "Mauren", seinen ehemaligen Nachbarn, trifft.



    Durcheinander ja, aber nicht schrecklich. Denn das „Mauren- und Morisken- Thema aus II, 54, das du ansprichst, schwelt ja schon im ersten Band untergründig vor sich hin. So stöbert Cervantes bzw. der Erzähler in I,9 die „Historie des Don Quijote...“ in Toledo in Form von Altpapier auf und kann nun die für ein Kapitel mit erhobenen Waffen erstarrten D.Q und den Basken ( wir erinnern uns an den Cliffhanger! ) weiterkämpfen lassen. Geschrieben ist die Historie von dem arabischen Histiographen Cide Hamete Benengeli, und von einem namenlosen Morisken lässt der Erzähler sie um den Lohn von acht Metzen Rosinen und zwei Scheffeln Weizen ins Spanische übersetzen . Es ist schon Ironie, wenn nicht Cervantes' so doch der Literaturgeschichte, dass das „spanische Nationalepos“ just einem arabischen Histiographen und seinem Übersetzer, einem Morisken, in den Mund gelegt wird! Natürlich sorgt Cervantes auch hier für ein apologetisches Gegengewicht, indem er pauschal die Angehörigen dieses Volkes “allbekannte Lügner“ nennt, benutzt das aber quasi augenzwinkernd als entschuldigende Begründung dafür, dass sein Held D.Q. zu schlecht wegkomme.

    Während der Jahre und Jahrzehnte, in denen Cervantes an seinem D.Q schrieb, wurden die Morisken, die zum Christentum (zwangs-) konvertierten vor allem auch in der Mancha zumeist als Bauern angesiedelten Nachfahren der in der Reconquista zurückgedrängten Mauren, endgültig aus Spanien vertrieben, grausam und mit schlimmen wirtschaftlichen Folgen für Spanien!

    Einer der großen Vorzüge des Romans ist seine Zeitbezogenheit.

    Es hat mich gefreut bei dir zu lesen, dass das Thema der Moriskenvertreibung anhand eines Einzelschicksals wieder aufgegriffen wird; das u.a. hat mir Lust auf den zweiten Band gemacht, mit dem ich heute beginne.

    (...) benimmt sich Don Quijote wie jeder vernnftige Mensch. Statt (...) ihn darin zu unterstützen, führt sich Sancho wie ein Verrückter auf

    ^^

    Auch im ersten Teil verhalten sich D.Q.und S.P. oft komplementär. Sie tauschen quasi die Rollen, um gemeinsam dann wieder die gewohnte sich ergänzende Kombination von Eigenschaften und Verhaltensweisen abzugeben. So z. B, wenn D.Q.sich in volkstümlichen Sprüchen ergeht und Sancho hochgestochen wie sonst D.Q. daherredet.

    Ich werde ebenfalls in den nächsten Tagen Teil eins beendet haben und fahre dann mit dem zweiten Band fort.

    Nachdem Gontscharow zum Oblomow geworden ist

    ^^:D

    Bin ich gar nicht :saint: ,...immerhin bin ich in Kap. XXX II.

    Ich weiß im übrigen gar nicht, was ihr habt. Der Roman wird doch immer besser! Das 31. Kapitel mit dem wer- weiß- wievielten köstlichen Gespräch zwischen D.Q. und Sancho Panza toppt in seiner Skurrilität alle bisherigen. Köstlich auch, dass D.Q. einigen seiner Schützlinge und Geretteten zum zweiten Mal begegnet und mit den Folgen seiner Aktionen konfrontiert wird. So muss er sich von Andres, dem von seinem Herrn misshandelten und von D.Q. „geretteten“ Bauernjungen, sagen lassen: „Solltet Ihr mir, Herr fahrender Ritter, nochmal begegnen, dann helft und steht mir um Gottes willen bloß nicht bei (…), überlasst mich meinem Unglück, das so groß nicht sein wird wie das, was mir durch Euer Gnaden Hilfe entsteht, den Gott verfluchen soll, wie alle fahrenden Ritter, die die Welt je gesehen hat.“ D.Q., der Tragikomiker, der (ein umgekehrter Mephisto ) stets das Gute will und das Üble schafft.

    Ich muss jetzt erst noch ein bisschen weiterlesen, die „Novelle vom maßlos Wissbegierigen“ ( „vom törichten Vorwitz“bei euch) bevor ich auf meine Eindrücke näher eingehe.


    P.S.

    Im DQ ist eine schoene Stelle ueber die Unzulaenglichkeit der Uebersetzungen (WO?).


    Die von dir gesuchte Stelle befindet sich im Kapitel Von der vergnüglichen und gründlichen Prüfung, welcher der Pfarrer und der Barbier die Bibliothek unseres geistvollen Hidalgos unterzogen (Kap.VI, Mitte)

    Faszinierend , wie Cervantes hier und auch sonst literaturtheoretische Betrachtungen in seinen Roman einflicht.


    Sieh an, Don Quijote hat auch seine lichten Momente!



    ...was ihn jedoch nicht davor feit, wenig später von seinem Wahn eingeholt zu werden: Entgegen Marcelas ausdrücklichen Wunsch sucht er in dem Wald, in den sie entschwunden ist, nach der Schäferin, um ihr „in allem zu dienen“.:D Zum Glück findet er sie nicht...

    Eine Kleinigkeit noch: Ihr sprecht immer von „Wippen“. In der Übersetzung von Susanne Lange heißt es „Prellen“. Da mir dieser Begriff in dem Zusammenhang neu war, hab ich im Duden nachgeschaut und u.a. folgende Bedeutung für „Prellen“ gefunden : ...an den früher üblichen Brauch, Menschen zur Strafe (….) auf einem straff gespannten Tuch in die Höhe zu schleudern, schloss sich das »Prellen« von Füchsen als Belustigung von Jagdgesellschaften an … Was Sancho im Hof des Wirthauses widerfährt scheint nicht ganz schmerzfrei und kein Spiel zu sein, Sancho schreit und stöhnt. Insofern ist „Prellen“ vielleicht die treffendere Übersetzung.

    Über Marcelas Verteidigungsrede habe ich mich gefreut.

    Ich mich auch ! Endlich ertönt in diesem Konzert männlicher Zwangsvorstellungen und Wahnideen auch mal die Stimme der Vernunft! Die schöne Marcela, die ob ihrer Schönheit vergöttert, wegen ihrer Unnahbarkeit aber verteufelt wird, tritt aus ihrer Rolle als Objekt und Projektionsfläche männlicher Phantasien heraus, indem sie selbst das Wort ergreift und vor der Trauergemeinde eines ihrer „Opfer“ ein Plädoyer hält für freie Willensentscheidung und Unabhängigkeit hält. Eine wunderbare Lektüre am Weltfrauentag! Ich frage mich, wo Cervantes diese Geschichte her hat bzw. ob sie vollständig auf seinem Mist gewachsen ist. Meine Kommentatorin schweigt sich leider über die Marcela-Episode aus. Übrigens – ihre Zuhörer sind nur sehr kurzfristig und auch mehr von ihrem Aussehen beeindruckt und wollen ihr"nachsetzen". Don Quijote scheint als einziger ihre Rede verstanden zu haben : (…) mit der Hand am Schwertknauf sprach er in lauten klaren Worten: „ Keine Menschenseele,... wage es, der schönen Marcela zu folgen (...) Deutlich und gebührend hat sie uns bewiesen, dass sie wenig oder keine Schuld am Tod des Grisostomo trägt und wie fern es ihr liegt, dem Verlangen eines Liebenden nachzugeben. Anstatt ihr nachzulaufen, nachzusteigen, ist es nur gerecht, wenn sie geachtet und geehrt wird..." ( D.Qu., Kap.14) Sieh an, Don Quijote hat auch seine lichten Momente! In dieser Szene scheinen die andern die Irren und er selbst der einzig Vernünftige zu sein.

    Meine erste Begegnung mit Don Quijote fand in zartem Kindesalter statt in Gestalt einer stark gekürzten Ausgabe des Werks ad usum delphini (Schon recht fragwürdig, welche literarischen Werke der Weltliteratur zu Kinderbüchern avancieren bzw. degradiert werden ). Ich mochte weder die Illustrationen noch den Inhalt, der mir albern, derb und grausam erschien und den ich auch noch witzig oder lustig finden sollte. Das archetypische Heldenpaar jedoch, der lange Dünne und der kleine Dicke, die Verkörperungen von Wahn und Realität, von Kopf und Bauch etc., die man in so vielen Helden-, Meister- und Assistent- Paarungen wiederfindet, fand ich, glaube ich, schon damals genial. In reiferem Alter hab ich noch mal einen Versuch unternommen, bin aber über den Anfang des ersten Bandes, warum auch immer, nicht hinausgekommen. Auch der dicke Wälzer, den ich damals in Händen hielt, ist verschollen.

    Für die Leserunde habe ich mich für den Text, herausgegeben und neu übersetzt von Susanne Lange, entschieden. Ich konnte den Lobsprüchen nicht widerstehen. Soweit ich sehe, auch wirklich eine gute Wahl, denn es liest sich flott. Nur: Es handelt sich bei der dtv- Edition um die Gesamtausgabe in einem Band. Trotz Dünndruck ein Kilo schwer, ich habe nachgewogen! Da ich nur äußerst selten am Stehpult und noch seltener am Tisch sitzend lese, müsste ich das Kilo Buch ständig mit einer Hand stemmen. Ich hatte mir geschworen (und dann wieder vergessen), dass ich mir so etwas nicht mehr antun wollte. Und nun habe ich getan, womit ich bei ähnlichen backsteinschweren Exemplaren schon des öfteren gedanklich gespielt habe: Ich habe allen inneren Widerständen und Hemmungen zum Trotz mittels Rasierklinge den Band wieder in zwei Bände gespalten.

    Derart erleichtert habe ich den ersten Teil des ersten Bandes gelesen, nebst Widmung, Vorrede und der Sonette. Die Vorrede ist ein Feuerwerk an Ironie und Häme. Die Bescheidenheitstopoi „Ich kann nicht...“ und „ich weiß nicht...“ führen in Wahrheit die Bildungsprotzerei und Schwülstigkeit des damaligen Literaturgebarens vor. Literarisch gebildete Zeitgenossen müssen ihre Freude daran gehabt haben, leider entgeht dem heutigen Leser vieles, da wohl kaum jemandem die damals gängigen Werke, auf die angespielt wird, bekannt sein dürften.

    Das gilt auch für den Roman selber. Von Anfang an ist klar, dass es sich hier um eine Literatur-Satire und -Parodie handelt. Don Quijote spielt Szenen aus Ritterromanen des 16. Jahrhunderts nach. Im sechsten Kapitel - Don Quijote ist geschunden aber gar nicht reumütig heimgekehrt - misten Freunde seine Bibliothek aus. Da sie das übermäßige Lesen von Ritterromanen als verantwortlich für seinen Wahn ansehen, sollen diese im Feuer aufgehen.. Ausgerechnet ein Geistlicher und ein Barbier, offensichtlich selbst „Opfer“ der nostalgischen Ritterlektüre,werfen sich zu Zensoren auf. Zunächst noch „retten“ sie einige „ernstzunehmende“ Werke, während andere aus dem Fenster fliegen, schließlich lassen sie die gesamte Bibliothek verschwinden. Das Kapitel ist schon recht witzig, für zeitgenössische Leser umso mehr, denn wie den Anmerkungen zu entnehmen , palavern die beiden über damals allseits bekannte und beliebte Bücher.

    In diesem ersten Teil passiert schon sehr viel : Ritterschlag, Waffenwacht, Schwertleite... Selbst der Kampf gegen die Riesen sprich Windmühlenflügel findet schon statt (und nimmt nur eine halbe Seite ein). Der erste Teil (8.Kapitel) endet besser:bricht ab mit einem erzähltechnisch interessanten Cliffhanger...

    Davon später...

    Ich habe das Romantik-Buch von Safranski mit großem Spaß und viel Gewinn gelesen. Seine Herangehensweise ist etwas ungewöhnlich, aber es gelingt ihm auf diese Weise, Kernthemen und -akteure der Romantik sehr lebendig und vor allem mit einem Blick auf's Große und Ganze vorzustellen. Ich kann das Buch daher durchaus weiterempfehlen.


    Die Schiller-Biographie habe ich noch nicht gelesen, habe sie allerdings bereits im Regal stehen. An Safranski gefällt mir generell der lebendige Stil und auch seine Fähigkeit, (literarhistorische) Erscheinungen nicht nur auf den Punkt zu bringen, sondern in ihrer Relevanz für heutige Leserinnen und Leser zu erläutern. Daher mag ich ihn auch sehr gerne als Gesprächspartner im Literaturclub. Er ist gleichermaßen klug wie unterhaltsam.

    Hier fehlt das" enthusiastisch applaudierende" smiley! Newman bringt meine eigene Einschätzung Safranskis so ziemlich genau auf den Punkt! Die Schiller-Biographie habe ich gelesen, als ich mit Schiller näher befasst war. Sie war sehr hilfreich und ist gleichermaßen "klug wie unterhaltsam".


    Ich fand die Stelle - die ich leider nicht wiederfinde - beim Lesen geradezu modern geschrieben. Er erklärt und erlaeutert ja nichts, sondern schreibt ganz sachlich, was war.


    Hallo Volker!
    Die von dir gesuchte Textpassage befindet sich im Brief-Kapitel und dort im zweitletzten Brief "Binder an Feuerbach" In der Tat ist der Stil alles andere als "romantisch" oder gar "sentimental" wie finsbury schreibt, sondern betont sachlich und nüchtern, denn Binder berichtet, was ihm wiederum vom Gefängniswärter Hill über Caspar berichtet wurde. Diese Berichterstattung in der Berichterstattung ist per se wenig dazu angetan, Gefühlsduselei aufkommen zu lassen : ...kam der Gefängniswärter Hill zu mir und berichtete, der Hauser sei gestern mittag nach eins bei ihm erschienen und habe gebeten, ihm die Kammer zu zeigen, worin er einst gefangen gewesen usw"(dtv., Seite 258) Möglicherweise beziehst du dich,@ finsbury ,auf eine andere Stelle?

    Als ich mir heute morgen etwas in der Pfanne brutzelte und das Fett so richtig zischte, stiegen aus den Tiefen meiner Erinnerung folgende Verse in mir auf:


    so schriet mir min pfanne
    so ist gelesen mir der win

    Das sind die Gedanken der törichten Gotelind, die sich Wohlleben und Luxus von einer Heirat mit „Lemberslint“ Helmbrecht verspricht... Vor mehr als dreißig Jahren gelesen, ist mir dieses kulinarische, realistische Detail in Erinnerung geblieben, seltsam. Die Geschichte mit der Haube hatte ich längst vergessen. Die Zeilen habe ich mal bei google eingegeben und siehe da, Wernher schöpft durchaus aus dem Fundus der mhd. Literatur; die "scheiende", "singende"," brausende" Pfanne ist ein Topos für gutes Leben und Überfluss, bei Walther z.B.:

    So ist min win gelesen, unde suset wol min pfanne...

    Schön, dass du die Erinnerung an dieses kleine interessante Werk wieder aufgefrischt hast.

    Zitat von maria

    Ich seh allerdings, dass Petrarca ziemlich bibelfest war.


    Du aber auch! :zwinker::

    Zitat von maria

    Ich interpretiere den Text in Zusammenhang mit Markus 16,6,: Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten; er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, da sie ihn hinlegten


    Wow, ja, das könnte hinkommen! So wie die beiden Marien die Stätte aufsuchen, wo Christus begraben liegt,das leere Grab quasi zum Beweis seiner Auferstehung wird und sie ihn woanders suchen müssen, so wird der Pilger auf der (vergeblichen )Suche nach Christus an den Stätten seines Erdenlebens zu einer Suche und Nachfolge Christi im Jenseits animiert. (Oder so ähnlich )


    Übrigens: Zu zwei Lektüre-Vorhaben hat mich die Lektüre des Reisebuchs gebracht: zum Canzoniere – ich möchte endlich Petrarcas berühmte Gedichte an Laura lesen und hören, wie sein Italienisch klingt (eventuell berichte ich dann darüber in diesem Thread) - und zu Josephus Flavius: Bellum iudaicum/ Der jüdische Krieg – das wollte ich immer schon mal lesen; von Petrarca wird es dem Mandelli als Lektüre anempfohlen verbunden mit einer gewagten Theorie. Diese Verheerung der Menschen, dieser Hunger der Elenden ist ein so trauriges Verhängnis, dass du, wenn du begierig bist, es unmittelbar kennenzulernen, Josephus lesen solltest, der nicht, was er gehört hat, berichtet, sondern was er selbst gesehen hat und was ihm zusammen mit anderen widerfahren ist.( S.58)


    Schon im ersten Satz ist zu erkennen, dass hier keine gängigen, demütigen Pilgergedanken uns in dem Büchlein erwarten werden [...] Daneben ist es Petrarca wichtig Mythologie und Antike wieder aufleben zu lassen [...] So führt uns Petrarca von Genua aus an der Küste entlang bis zur Straße von Messina, weiter Richtung Griechenland, Korfu, dort ein weiter Umweg, da es die Straße von Korinth noch nicht gab, entlang der Peloponnes, Richtung Kreta, Zypern, .... bis Jerusalem, Bethlehem, .... über Ägypten zurück [...] Ich bin die Route sehr gern gefolgt [. ..] mit seinen Geschichten über Cesaren, Götter, Schriftsteller und Kulturstätten der Antike [...] Wehmütig wurde ich als ich von der schönen Stadt Damaskus las. Das Wort „schön“ fällt einem in unseren Tagen des Syrienkonfliktes nicht ein [...]Dennoch würde man am liebsten mit diesem Büchlein losziehen und die Route bereisen auf seinen Spuren, auch wenn er nicht selbst dort war.


    Dieses und alles , was Du sonst noch schreibst, findet meine volle Zustimmung. Meine Gefühle und Gedanken beim Lesen waren ähnlich.


    Was mir sonst noch zum Reisebuch einfällt:


    Zur Edition: Vor kurzem schrieb sandhofer in litteratur.ch, die Qualität der kleinen und doch recht günstigen zweisprachigen Heftchen der reclam Universalbibliothek erstaune ihn immer wieder, die Texte seien zuverlässig, könnten als Norm genommen werden, seien ein günstiger Zugang zur Weltliteratur. Recht hat er! Auch Petrarcas Reisebuch ist solch ein kleiner günstiger Schatz. (Mein Buchhändler war wegen des geringen Preises nicht bereit, den Text beim Verlag zu bestellen, ich musste ihn bei amazon ordern) Die Übersetzung von Jens Reufsteck ist, soweit ich das beurteilen kann, o.k. Manches klingt zwar etwas hölzern, aber nur, weil der Übersetzer die lateinische Syntax des Originaltextes durchscheinen lässt, was dem deutschen Text, wie ich finde, eine gewisse Patina verleiht. Als Beispiel sei angeführt die in der Übertragung beibehaltene latein-typische doppelte Verneinung: Sed non peccare vult nullus ... Aber nicht sündigen will niemand...Von Vorteil ist auch , dass man den Originaltext gleich zur Hand hat und sich über gewisse Dinge in der Synopse Gewissheit verschaffen kann. Z.B. wollte ich wissen, ob Petrarca über das Ziel der Reise, die Stätten von Jesu Leben, Wirken und Sterben, auch nur etwa drei Sätze verliert. Und siehe da, im Original wird das sogar in nur einem einzigen(!) Satz zusammengedrängt. Womit wir beim Inhalt wären...

    Zum Inhalt: Wie der Herausgeber und Übersetzer im Nachwort schreibt, gab es zur Zeit Petrarcas einen regen Pilgerverkehr zum Heiligen Land, ja fast so etwas wie eine Pilgerreisen-Industrie, betrieben vor allem von Franziskanern. Natürlich unterscheidet sich Petrarcas Itinerarium grundlegend von den frommen z. T. Ablass versprechenden Reisebüchern seiner Zeit. Die Reisen starteten üblicherweise von Venedig aus. Petrarcas Route beginnt in Genua, führt die Westküste Italiens entlang, ganz um die Stiefelspitze und den Absatz herum. Warum der laut eigener Aussage an Seekrankheit leidende Petrarca mit dem Finger auf der Landkarte diesen See- Umweg macht, der auch noch durch die Straße von Messina mit ihren gefährlichen Meerungeheuern bzw Strudeln Skylla und Charybdis geht, kann man nur vermuten. Die Beschreibung dieses Reiseabschnitts umfasst 17 Seiten, also fast zwei Drittel des gesamten Itinerariums und ist sein ausführlichster und detailreichster Teil. Petrarca erwähnt aber (bis auf das Grab des Hlg Erasmus vielleicht) keine christlichen Pilgerwegstationen, Rom wird buchstäblich links liegengelassen.( P. operiert nicht mit Himmelsrichtungen, sondern - wie im Geographieunterricht verpönt -nur mit links und rechts! ). Es ist vielmehr eine Bildungsreise in die Antike, in die Mythologie, zu den Schauplätzen der Äneis und der römischen Geschichte. Wie gesagt: die Schauplätze der Heilsgeschichte am eigentlichen Ziel der Reise werden in einer langen Aufzählung in nur einem Satz (drei oder vier in der Übersetzung) abgehandelt mit dem quasi entschuldigenden Hinweis, ihm ( Mandelli) sei ja das alles schon aus dem Evangelium bekannt und er sehe nun mit Augen, was er im Geiste schon gesehen habe. Und dann fällt ein Satz in typisch christlich kryptisch dialektischer Manier, der wohl so etwas wie eine Rechtfertigung von Pilgerreisen darstellen soll : Wir müssen Christus auf der Erde suchen [...], damit wir gerade dadurch lernen, ihm in den Himmel zu folgen und ihn, den wir lange dort gesucht haben, wo er einmal gelebt hat, schließlich da finden, wo er jetzt lebt. Wenn ich ehrlich bin, kann ich nicht ganz folgen...
    Die christliche Pilgerreise endet in Alexandria an den verästelten Mündungsarmen des Nils bezeichnenderweise nicht mit Verweisen auf Christliches, sondern auf die römische Geschichte, auf den Tod des Pompeius und den Caesars. Kein Amen wie in den Bekenntnissen seines Vorbildes Augustin beschließt den Itinerarium, sondern ein:Oh Vertrauen auf das Schicksal, oh, Ende aller menschlichen Dinge! - was immer er uns damit sagen will. Im allerletzten Satz spricht P. den Adressaten seines Reisebuchs noch einmal an: Nach allem, was du gesehen hast, und mit diesem Führer wirst du gebildeter und frommer zu uns zurückkehren.
    Wobei, wie ich meine, die Bildung für Petrarca nicht nur im zitierten Satz offensichtlich an erster Stelle steht und die Frömmigkeit – wir befinden uns an der Schwelle zur Neuzeit – in den Hintergrund tritt.

    Hallo Maria,
    gerade hat mir mein Helfer in der Not einen neuen Router angeschlossen und damit meiner unfreiwilligen Interrnet-Abstinenz ein Ende bereitet, endlich!
    Deine Eindrücke finde ich sehr schön und interessant. Mal sehen, ob mir zu schreiben etwas übrig bleibt, morgen vielleicht, heute bin ich zu müde...
    Bis dann
    :winken:

    Hallo Maria!
    Das trifft sich gut, dass Du erst am WE mit dem Reisebuch anfängst. Denn passend zum Leserundentermin streikte der Internetzugang zu meinem PC! Momentan hacke ich wurstfingrig auf dem Smartphone herum. Hoffe, dass bis zum WE alles behoben sein wird...
    :winken:

    Schön und sinnig@Maria, dass du deine Reiseliteratur- Reihe mit Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux eröffnest! Gilt dieses Werk doch als erster Text, der eine Bergbesteigung aus rein ästhetischen touristischen Gründen beschreibt (bis zu dem Zeitpunkt wurden Berge nur zu militärischen oder anderen "nützlichen" Zwecken bestiegen) und Petrarca gilt gar als erster Alpinist :zwinker:. Als Beleg wird gern folgende Stelle zitiert:

    Den höchsten Berg dieser Gegend […] habe ich am heutigen Tage bestiegen, allein vom Drang beseelt, diesen außergewöhnlich hohen Ort zu sehen.


    Auf Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux aufmerksam geworden bin ich während einer Lektüre von Augustins Bekentnissen .Damals schrieb ich in litteratur.ch :


    In diesem Zusammenhang fallen auch die von Petrarca auf dem Gipfel des Mont Ventoux zitierten berühmten Zeilen : Da gehen die Menschen hin und bestaunen die Gipfel der Berge, die ungeheuren Wogen des Meeres, das gewaltige Strömen der Flüsse, die Größe des Ozeans und die Kreisbahnen der Sterne, aber sich selbst vergessen sie. Ich habe den Brief an Francesco Dionigi daraufhin noch mal quer gelesen. Petrarca, der nach Vorbild des Leibes auch den Geist in höhere Sphären versetzen wollte, hatte auf gut Glück die Bekenntnisse aufgeschlagen, die er zur Erbauung mit hochgeschleppt hatte. Gerade hat er die Rhone, das Mittelmeer, die Berge um Lyon vom Gipfel aus bewundert, nun aber beeilt er sich pflichtschuldigst, quasi als Ausgleich, das innere Auge auf die Seele (Nur sie allein ist groß, sonst nichts ) zu lenken… Mit Augustinus auf dem Puckel hat er quasi das Mittelalter auf seine neuzeitliche Unternehmung mitgenommen.


    Bei der Wiederlektüre jetzt und auch durch Deine Anmerkungen@Maria ist mir wieder bewusst geworden, dass Wandern für uns Heutige nicht mehr im geringsten Ablenkung von, sondern eher Hinwendung zu uns selbst und zur„Seele“ bedeutet, etwas sehr Meditatives hat, und wir daher keiner Erinnerung oder Ermahnung im Sinne des Kirchenvaters mehr bedürfen. :belehr:

    Mit krankheitsbedingter Verzögerung nun endlich die versprochene„Fortsetzung“ bzw. Schlussbetrachtung:



    Ist euch zwei oder drei Fahrten zuvor die Unterbrechung des Erzählstils aufgefallen?


    Ja, ich finde auch, dass sich der Ton in den letzten Kapiteln verändert. Die Themen werden ernster, der Klamauk, das Clowneske treten in den Hintergrund.

    Erstaunlich modern und seiner Zeit voraus mutet die Kritik an Utilitarismus, Materialismus bzw Kapitalismus der Bewohner Ulrichsschlags an(10. Fahrt. )So sieht Giannozzo sie inklusive seines Onkels schon über die Optimierung der menschlichen Gliedmaßen und die Abschaffung des Schlafs zum Zwecke der Arbeits- und Gewinnmaximierung nachdenken, sieht den Menschen zum „emsigen Sitz- und Greif-Fleisch“ degradiert, und „die heilige Psyche.... zum Küchenjungen des Magensacks“. Ähnliches habe ich erst wieder bei Böll in seinen Wirtschaftswunder-Satiren ( etwa in: Es wird etwas geschehen) gelesen.

    Weder hier noch an anderer Stelle finde ich Giannozzo zynisch@finsbury. Zynisch ist das, was er sieht, hört und beobachtet. Der Leichenfledderer im ach so idyllischen Italienkapitel, der aus dem Tod noch Kapital zu schlagen versucht, ist z. B. ein Zyniker, nicht Giannozzo, der das beobachtet und sich darüber empört. Ein Zyniker würde sich nicht empören oder gar wie Giannozzo traurig sein, sondern mit einem Schulterzucken und einem flotten Spruch zur Tagesordnung übergehen... Wenn bei Giannozzo etwas zynisch klingt, dann in seinen „uneigentlichen“ Reden, in denen er Leute parodiert, ihnen einen Spiegel vorhält, so wenn er als Galgenpater am Schluss sagt.:Nun lasset uns diesen Galgen verlassen, wenn wir miteinander gerufen haben: er lebe, denn er lässet leben.«Das erinnert fatal an das zynische „viva la muerte“ der Faschisten.


    Im vierzehnten letzten Kapitel wird Giannozzo mit dem desaströsesten und dümmsten menschlichen Fehlverhalten, dem Krieg, konfrontiert. Ich höre die dumpfen Axtschläge, womit der Tod sein Schlachtvieh trifft Er sieht Kämpfende, das Schlachtengetümmel, aber auch „Kolateral“ -Szenerien:


    Soldatenhaufen sprengen über Hügel – Landleute rennen – ein Dorf brennt als Wachfeuer – in einem Garten seh' ich tote Pferde, und ein Kind trägt einen abgerissenen Arm fort.
    Während er hier in fast expressionistischem staccato protokolliert, schreibt er verblümt, in fast biedermeierlicher Sprache darüber, zu wessen Nutzen Kriege geführt werden:
    Ich sah mich um nach dem Schlacht-Gewölke, und mein Auge weinte zornig, da ich mir die Tränentropfen der Völker dachte, die sich für hineinleuchtende Kronen als ein stolzer Triumph- und Siegesbogen zusammenwölben. Machterhalt der gekrönten Obrigkkeiten, erkauft durch das Leid und Elend der Völker...


    Giannozzos letzter Gedanke , den er protokolliert, ist folgender:
    Ach das Schlechteste an der Menschheit oder Unmenschheit ist, daß kein Mensch, kein Fürst, keine Zensur, und sei sie auch noch so tyrannisch oder unverschämt, die bitterste Rüge des Krieges vewehrt, und daß doch die Ehre und die Dauer desselben darum nicht kleiner wird.
    Wow, das ist es doch! Den Satz musste ich zweimal lesen und verstehe ihn in etwa so :
    Obwohl der Krieg eigentlich von jedermann geächtet oder jedenfalls verbal abgelehnt wird, werden Kriege doch immer wieder gerechtfertigt und geführt. Diese Widersprüchlichkeit, dieses double bind, diese Heuchelei(?) ist für Giannozzo das Schlimmste. Da tönt so ein Satz durch die Jahrhunderte und macht bewusst, dass in all der Zeit mit all ihren Lektionen sich nichts geändert hat ... Ist das nicht zum In- die- Luft- gehen?


    Dieses Büchlein hat dem gefrorenen Meer in mir einige Axthiebe versetzt, um es mit finsburys Motto zu sagen. Es ist wegen seiner Sprache, seines Witzes, seiner Brisanz, seiner Aktualität und der wunderbaren Figur des Luftschiffers für mich ein Meilenstein(chen) der deutschen Literaturgeschichte, den/das ich im Rahmen der Leserunde entdecken durfte. :winken:



    Es bleiben Bilder zurück, wenn man J.P. liest, die man nicht so schnell, oder die nie mehr vergessen werden.



    Das bestätigt eine zufällig gefundene wunderbare Stelle aus einem „Kultbuch“, die auch zeigt, dass der Luftschiffer Giannozzo eine literarische Figur von großer Strahlkraft ist:


    War ich auch ein verirrtes Tier, das seine Umwelt nicht begriff, so war doch ein Sinn in meinem törichten Leben, etwas in mir gab Antwort, war Empfänger für Anrufe aus fernen hohen Welten, in meinem Gehirn waren tausend Bilder gestapelt:
    Giottosche Engelscharen aus einem kleinen blauen Kirchengewölbe in Padua, und neben ihnen gingen Hamlet und die bekränzte Ophelia, schöne Gleichnisse aller Trauer und alles Mißverständnisses in der Welt, da stand im brennenden Ballon der Luftschiffer Gianozzo und stieß ins Horn, trug Attila Schmelzle seinen neuen Hut in der Hand, stieß der Borobudur sein Skulpturengebirg in die Lüfte. Und mochten alle diese schönen Gestalten auch in tausend andern Herzen leben, es waren noch zehntausend andere, unbekannte Bilder und Klänge da, deren Heimat und sehendes Auge und hörendes Ohr einzig in mir innen lebte....


    Preisfrage:Um welches Buch handelt es sich? :eis:


    Das "nozzo" habe ich jetzt auch mal im Wörterbuch gesucht. Man findet es weder vom Italienischen ins Deutsche, noch vom Deutschen ins Italienische, wenn man "groß" eingibt ???? Dann verlasse ich mich mal auf die Angaben in den Anmerkungen und im Nachwort.


    Schon vor der eigentlichen Lektüre des „Luftschiffers“ und der entsprechenden aufklärenden Fußnote hatte ich in einem Vor-oder Nachwort gelesen, dass Giannozzo „großer Hans“ bedeuteten soll. Da ich aber das Suffix – ozzo (zu Gianni) als Vergrößerungsform (neben dem bekannten augmentativen - one ) nirgends bestätigt fand, hielt ich mich bei Euren Mutmaßungen über den Namen erstmal zurück. Weil ich nicht allem Gedruckten unbedingt glaube, zudem es immer ganz genau wissen will :zwinker:, habe ich bei euerm erneuten Aufgreifen des Themas dann nochmal nach einem Augmentativ-Suffix -ozzo geforscht und - bin fündig geworden!Ich zitiere mal:
    1.10.2.3-occio/-ozzo:
    Laut Tekavcic kann -occio ( mit Variante -ozzo) augmentativ sein, wobei dann eine Komponente der Grobheit hinzukomme. Es sei hingegen keine „affektive Konnotation“ wie in saccocia, tinozza mehr wahrzunehmen[...] Nach Brunet/1991) tritt -occio vor allem bei Adjektiven leicht augmentativ und bezüglich der Konnotation sehr Kontext gebunden auf. Sie sieht – ozzo als eigenes Suffix an.
    (S.87) ( aus: Heike Necker: Modifizierende Suffixe und Adjektive im Italienischen)

    J.P.s Namensdeutung kommt also hin, auch wenn er sich auf dünnem Eis bewegt.


    Den Name Gianni (von Giovanni) gibt es übrigens mit allen möglichen Diminutiven, Augmentativen und sonstigen -iven: Giann-ino, Giann-ello, -etto, -otto etc und eben auch Giann-ozzo.
    Ein berühmter Italiener dieses Namens ist Giannozzo Manetti, Politiker und Humanist, Zeitgenosse Leonardo da Vincis, Verfasser der Schrift De dignitate et excellentia hominis (Über die Würde und Erhabenheit des Menschen).Vielleicht dachte J.P. bei der Namensgebung ja an ihn?